Die Guten wieder

Geschrieben von: am 15. Apr. 2025 um 21:36

Das Europa der Guten plustert sich mal wieder auf und demonstriert oder fordert Entschlossenheit, weil es in einer bestimmten Region ein Kriegsverbrechen gegeben hat. Alle anderen sind bekanntermaßen egal, auch wenn es sich um Krankenhäuser oder Flüchtlingslager handelt. Besonderes Vertrauen genießen die guten Staats- und Regierungschefs allerdings nicht. Der Beliebtheitswert von Macron lag zuletzt bei unschlagbaren 18 Prozent. Die Zustimmung für den britischen Premier, dessen Land ja gar nicht mehr zur EU gehört, stieg in den letzten Wochen immerhin an und liegt jetzt bei 31 Prozent, was gemessen an der epischen Talfahrt nach seinem Amtsantritt irgendwie wie ein Erfolg aussieht. Und Friedrich Merz verliert schon an Vertrauen, bevor er überhaupt ins Amt gewählt und von einer ehemaligen Weinkönigin vereidigt worden ist.

Da kommt so ein Kriegsverbrechen an Palmsonntag, ganz wichtig, das zu betonen, gerade wie gerufen, um den moralischen Kompass wieder auszurichten. Warum hat Putin denn so leichtes Spiel? Vielleicht weil der Westen von ausgesprochenen Idioten regiert wird, die, wie im Falle Deutschlands, noch nicht einmal den Amtseid, den sie zu brechen gedenken, abgelegt haben. Am 6. Mai soll es erst so weit sein und der zu groß geratene Zukurzgekommene endlich Kanzler werden. Und dann wollte er ja als erste Amtshandlung zunächst den Innenminister anweisen, also einen Kollegen von der CSU, wie wir inzwischen wissen, vollständige Kontrollen an den deutschen Grenzen vorzunehmen, um die irreguläre Migration zu stoppen. Ein Gassenhauer im Wahlkampf. Der liegt nun aber einige Zeit und zwei Grundgesetzänderungen zur Herstellung finanzpolitischer Beinfreiheit zurück. Die Umfragewerte sinken und schon sind wir wieder bei der unsäglichen Taurus-Diskussion angelangt. Taurus, das ist so ein deutscher Marschflugkörper, den man als „Hebel für eine Politikänderung in Russland“ nutzen könne.

Früher hieß es Wandel durch Annäherung, heute zeigt man halt seine Wunderwaffen in völliger Verkennung des Diskussionsstandes und der tatsächlichen Bemühungen um einen Waffenstillstand. Wie will man denn den Einsatz einer solchen Waffe konkret absichern? Denkt man etwa, man schießt so einen Marschflugkörper auf Russland und ist dann der Auffassung, dass die USA, die gerade mit Russland über eine Lösung des Konflikts verhandeln, einen Schutzschirm spannen, um Berlin vor einer Antwort aus Moskau zu schützen? Wie dusselig kann man sein? Unter dem Stichwort Taurus-Abhörfall ist das Thema vor rund einem Jahr sogar einschlägig für die Weltöffentlichkeit besprochen worden. Da fragt man sich, haben diese Palaver-Köppe eigentlich nichts gelernt? Damals wurde beispielsweise schon erwähnt, dass sich Briten und Amerikaner aktiv an der Kriegsführung in der Ukraine beteiligen, heute bestätigen das übrigens auch die New York Times und The Times in aktuellen Berichten. Diese massive Einmischung des Westens hat nun aber erkennbar nicht die „Hebelfunktion“ entfaltet, die man sich hierzulande mit Blick auf die neue deutsche V4 herbeifantasiert.

Eine Politikänderung in Moskau war ja auch nie beabsichtigt, wie inzwischen bekannt ist. Es ging lediglich darum, Russland auf dem Schlachtfeld zu schwächen, so wie es für einen klassischen Stellvertreterkrieg eben üblich ist. Das Gerede vom Sieg der Ukraine diente letztlich nur dazu, die Moral derjenigen zu erhalten, die man zum Sterben für das Ziel der materiellen und personellen Abnutzung verpflichtet hat. Jedenfalls hat sich die deutsche „Top-Gun-Generalität“, die zu doof für sichere Videokonferenzen ist, darüber bereits unterhalten, wie ein Einsatz von Taurus aussehen könnte. Dass sich mit dem Marschflugkörper technisch einiges zerstören lasse, wie etwa die Krim-Brücke, steht außer Frage, allerdings wäre damit über einen symbolischen Erfolg hinaus kaum etwas zu gewinnen, wie Militärs bei klarem Verstand schon lange wissen. Man stünde schließlich mit heruntergelassenen Hosen da, weil man mit eigenem Personal und Datentransfer an der Programmierung sowie dem Abschuss beteiligt wäre, was zweifellos zu einer Antwort führen wird. Die Russen sind da ziemlich klar.

Der deutsche Gossenjournalismus fordert dennoch so eine sinnlose Kraftmeierei ein (der Schwachsinn wird hier nicht verlinkt), um das Kriegsverbrechen in Sumy zu sühnen, bei dem so viel mediales Entsetzen aufgebracht worden ist, dass es für die armen Menschen in Gaza einfach nicht mehr gereicht hat. Die hatten am selben Tag, hier spielt der Palmsonntag übrigens überhaupt gar keine Rolle, immerhin 18 Minuten Zeit, sich aus einem Krankenhaus in Sicherheit zu bringen, bevor die Raketen einschlugen. Man übernahm dabei auch die Behauptung, es handele sich um eine Terroristenzentrale, die den Beschuss demnach irgendwie rechtfertige. Belege, Nachfragen? Fehlanzeige. Es war schließlich Palmsonntag. Anders beim Lieblingsfeind Russland, den die westdeutsche Kanonenpresse offenbar zum Überleben braucht. Man müsse einfach nur ordentlich Druck ausüben, so als ob es bislang keine Waffen, keine Milliarden Euros und Dollars und keine 16 Sanktionspakete gegeben hat, das 17. ist übrigens in Vorbereitung. Vielleicht funktioniert die Strategie Druck ja einfach nicht.

Was übrigens die guten Europäer mit den bösen Russen eint, ist ein gemeinsames Sicherheitsinteresse, weil alle Teil desselben Kontinents sind. Darüber zu sprechen, brächte vermutlich sehr viel mehr, als mit aller Macht zu versuchen, über bedrucktes Zeitungspapier oder vollgelaberte Podcasts tektonische Verschiebungen auf der Eurasischen Platte herbeizuführen. Den Amerikanern auf der anderen Seite des Ozeans ist das ja im Zweifel egal, wie der ukrainische Präsident beim denkwürdigen Auftritt im Oval Office spitz bemerkte. Die Besessenheit der selektiven Teilzeitmoralisten führt nun aber immer häufiger zur fahrlässigen Berichterstattung, was dann ausgerechnet dem Teil der deutschen Kampfpresse auffällt, deren Hauptauftrag ja eigentlich darin besteht, gegen den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu agitieren. So schließt sich am Ende der Kreis. Die Guten bleiben unter sich. Niemand interessiert sich für sie. Nur lustig ist es, wenn einer wie Sönke Neitzel plötzlich aus der dauerschleifenden Hitler-Doku im Nachtprogramm direkt in mehrere Talkshows fällt, um dort über den letzten Sommer in Frieden und Freiheit zu schwadronieren.

Alles hat mit allem zu tun und Friedrich Merz sagt viel. Der „Kredit auf seine Glaubwürdigkeit“ ist von der Schuldenbremse ebenfalls befreit, eine Änderung, für die allerdings keine Zweidrittelmehrheit im alten Bundestag erforderlich war.

„Deutschland ist voller Trottel, die erst dann aufhören werden verzückt von der „Vorkriegszeit“ zu brabbeln, wenn sie in der nächsten Nachkriegszeit wieder mal gar nicht werden fassen können, wie das alles nur so dumm laufen konnte. Doof bleibt doof; da helfen keine Niederlagen.“

Tarik Cyril Amar via Twitter/X


Bildnachweis: KI generiertes Bild via Grok

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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