Die Zinsentscheidung und die deutsche Reaktion

Geschrieben von: am 08. Nov 2013 um 7:47

Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins weiter gesenkt. Die Entscheidung hat natürlich auch die deutsche Öffentlichkeit erreicht und dort vor allem Unverständnis hervorgerufen. Beim Lesen der Zeitungskommentare heute morgen, die auszugsweise über dradio zu bekommen sind, ist der Tenor immer gleich. Mit mehr billigem Geld werden Probleme in der Eurozone nicht gelöst, sondern verschärft. Doch keiner stellt fest, dass an der bisherigen Rettungspolitik etwas gehörig falsch gelaufen sein muss. Anders lässt sich der letzte Schuss der EZB nämlich nicht erklären.

Die Zentralbank warnt vor Deflation. In Deutschland reibt man sich da verwundert die Augen, da aus Sicht der Mehrheitsökonomen keine Deflation, sondern Inflation als gefährliches Szenario in beständiger Regelmäßigkeit beschworen wurde. Einige lassen davon auch jetzt noch nicht ab. Die anderen haben durchaus erkannt, dass mit der Zinssenkung die Gemeinschaftswährung gegenüber dem Dollar manipuliert, d.h. abgewertet werden soll, um verlorene Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen. Sie reden von einem geschickten Schachzug.

Zu dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit ist es ja gekommen, weil die Eurozone in ihrer Leistungsbilanz zum ersten Mal einen Überschuss ausweist und der Euro folglich aufwertete. Da Überschüsse, so haben wir immer wieder gelernt, etwas Gutes sein sollen, müssen sie verteidigt werden. Die Senkung der Leitzinsen schwächt also den Euro im Vergleich zum Dollar und das wiederum hilft der Exportwirtschaft, auf die es nach Meinung vieler immer noch entscheidend ankomme. Doch da haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Warum sollte der Rest der Welt die Überschüsse der Eurozone finanzieren? Denn nichts anderes bedeutet ja das Plus in der Handelsbilanz. Warum sollte der Rest der Welt sich verschulden, um den Staaten und Unternehmen der Eurozone einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen oder ihn zu sichern? Warum sollte der Rest der Welt es hinnehmen, dass die Eurozone ihnen anschließend auch noch Ratschläge in solider Haushaltsführung erteilt, obwohl niemals alle Überschüsse in ihrer Leistungsbilanz zur gleichen Zeit ausweisen können? Antworten auf diese Fragen werden aber nicht gegeben, sondern weiter daran festgehalten, dass Deutschland alles richtig mache und die Wende zum Besseren gelingen könne oder bereits vollzogen sei.

Der Versuch, die Wettbewerbsfähigkeit um jeden Preis und das heißt auf Kosten der Löhne zu verbessern, muss scheitern. Geschickt ist an dem Schachzug, wie einige meinen, nämlich gar nichts, da das billige Geld in der realen Wirtschaft mangels Nachfrage gar nicht ankommen wird. Denn dazu müsste sich die Einsicht durchsetzen, selbst ins Defizit zu gehen und durch Stärkung der Binnennachfrage eine Nachfrage an Kapital und Sachinvestitionen zu erzeugen. Doch wenn alle nur sparen wollen, das heißt private wie auch öffentliche Akteure ihre Verschuldung reduzieren wollen, führt das in dieser Lage zwangsläufig in die Rezession. Eine anhaltende Wirtschaftskrise ist die Folge.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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