Zeit für den geistigen Ruhestand

Geschrieben von: am 03. Jan 2015 um 0:47

Wonka_Rente_NeuFür die Samstagsausgabe (03.01.2015) der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) liefert Dieter Wonka den Leitartikel zum Thema Rente. Das Jahr hat kaum begonnen, schon kocht die Debatte um eine längere Lebensarbeitszeit wieder hoch. Die Bundesagentur für Arbeit fragt scheinheilig, wieso nicht bis 70 arbeiten? Und wie immer fragt sich der Wonka unter der Berliner Käseglocke das auch. Dabei wäre es Zeit für den geistigen Ruhestand.Wonka_Rente_groß

Wonka findet die Idee sympathisch, weil schließlich viele Politiker wie Seehofer, Kretschmann und Schäuble fröhlich weiterarbeiten, obwohl sie die bekannten Altersgrenzen längst überschritten haben.

Diese Beispiele würden zeigen, dass der Eintritt in das Renteneintrittsalter eine höchst persönliche Angelegenheit sei. Seltsam ist, dass Wonka beim Nachdenken über Berufe nur der des Politikers einfällt und sonst nichts. Das liegt wohl an der Käseglocke und den vielen Hintergrundgesprächen in der Hauptstadt. Seltsam ist aber auch Wonkas Begründung.

So schreibt er, dass dieses neue Denken durch zwei finanzielle Faktoren angestoßen worden sei. Und nun folgen zwei geistige Aussetzer. Zum einen schreibt die Berliner Edelfeder, dass aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge die Beitragseinnahmen der Rentenversicherung bedenklich sinken werden. Das ist falsch. Die Beiträge sinken, weil die Berufspolitik es so entschieden hat. Die Beitragsdeckelung lässt die Einnahmen schrumpfen nicht die Tatsache, dass es weniger Menschen in einem Jahrgang gibt.

Würden die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen statt diese als überteuerte Prämien auf die Mühlen der privaten Versicherungswirtschaft umzuleiten, hätte die gesetzliche Rente kein Finanzierungsproblem. Stattdessen muss die gesetzliche Rentenversicherung mit den Beiträgen der Versicherten auch noch Werbung für die privaten Konzerne machen, die, wie wir inzwischen wissen, die versprochenen Renditen niemals werden zahlen können. Über diese Absurdität sollte sich Wonka einmal Gedanken machen.

Gerd Bosbach, ein Mathematiker bei klarem Verstand, sagt: “Die ’private Vorsorge‘ ist für die Gold wert. Jedes Prozent, das weniger in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt wird, sind für die Arbeitgeber 5 Milliarden Euro weniger Lohnnebenkosten! Da lohnen sich natürlich die Investitionen in große Kampagnen und Forschungseinrichtungen, die öffentlichkeitswirksame Studien veröffentlichen.”

Das heißt, auch die Arbeitgeber haben ein Interesse an niedrigen Rentenbeiträgen. Sie sagen, hohe Lohnnebenkosten wirken beschäftigungshemmend. Dass der Arbeitnehmer aber privat vier Prozent seines Einkommens für die kapitalgedeckte Altersvorsorge allein aufbringen soll und auch sonst alle Kosten zu tragen hat, die die Arbeitgeber sparen, findet die Presse kaum erwähnenswert. Die Arbeitgeber haben auch ein Interesse an der Diskussion um einen angeblichen Fachkräftemangel.

Wonka hinterfragt auch das nicht, sondern plappert es einfach nach. Klar, wenn es geburtenschwache Jahrgänge gibt, muss es auch irgendwann weniger Fachkräfte geben. Die Tatsache aber, dass die heutige Jugend in einem maroden Bildungssystem samt einsturzgefährdeter Schulgebäude aufwachsen muss, kümmert die Arbeitgeber wenig. Sie jammern lieber über zu dumme Schüler. Die von Wonka so geschätzte Berufspolitik könnte etwas daran ändern und so dem drohenden Fachkräftemangel aktiv entgegenwirken. Das fordert die Edelfeder aber nicht.

Wonka sieht eher die Gefahr bei der Rente mit 63, wie viele Arbeitgeber und konservative Berufspolitiker, vor allem die oben erwähnt wurden, auch. Stichhaltig ist das alles nicht, es sei denn, man ist ein Fan der Arbeitgeberlobby und hält deren gebetsmühlenartig vorgetragenen Behauptungen für unbestrittene Wahrheiten. Für die Leser der HAZ ist der Kommentar von Wonka wie so oft eine Beleidigung.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Grilleau  Januar 3, 2015

    Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zeigt sich aufgeschlossen gegenüber einer möglichen Rente mit 70. „Ein solches System muss einen entsprechenden Anreiz bieten und darf nicht auf Druck aufgebaut sein“, betonte der Linke-Politiker im Gespräch mit unserer Zeitung. http://www.tlz.de/startseite/detail/-/specific/Ramelow-Linke-offen-fuer-Rente-mit-70-1628939481

  2. Gallia-pontificia-Arelatensis  Januar 3, 2015

    „Würden die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen statt diese als überteuerte Prämien auf die Mühlen der privaten Versicherungswirtschaft umzuleiten, hätte die gesetzliche Rente kein Finanzierungsproblem. Stattdessen muss die gesetzliche Rentenversicherung mit den Beiträgen der Versicherten auch noch Werbung für die privaten Konzerne machen, die, wie wir inzwischen wissen, die versprochenen Renditen niemals werden zahlen können.“
    Jede Altersvorsorge für die nicht mehr Arbeitenden muß auf die ein oder andere Weise von den noch Arbeitenden aufgebracht werden. Ob das nun über eine private oder gesetztliche Rentenversicherung geschieht, ist da zweitrangig. Und die traurige Wahrheit ist, daß weder die private noch die gesetzliche das anvisierte Rentenniveau wird zahlen können. Wahrscheinlich wird man das über Inflation lösen, daß dann die ausgezahlten Summen entsprechend weniger Kaufkraft haben.
    Daher wird man künftig so oder so länger arbeiten müssen, wie auch immer das im Einzelnen gelöst werden mag. Letztlich aber ist das Problem aber noch ein fundamentaleres: Die modernen europäischen Gesellschaften sind nicht mehr Willens sich selbst zu reproduzieren. Sie haben sich selbst zum Aussterben verurteilt. Dieses banale Faktum wird in der ganzen Diskussion verdrängt, da wird nur drumherum geredet.

    • adtstar  Januar 3, 2015

      Niemand stirbt aus.

    • Arnold  Januar 3, 2015

      „…die traurige Wahrheit ist, daß weder die private noch die gesetzliche das anvisierte Rentenniveau wird zahlen können.
      ….Daher wird man künftig so oder so länger arbeiten müssen,…“

      Ersteres ist vermutlich richtig (sofern sich die Politik nicht ändert) Die Folgerung daraus kann ich allerdings nicht nachvollziehen.
      Bei(noch)steigendem Bruttoinlandsprodukt steigt die Bevölkerung in Deutschland nicht an. Des weiteren sinkt sogar die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden.
      Auch eine geringere Anzahl an Werktätigen kann dank technischer Entwicklung die Versorgung der zunehmenden Rentnerschaft bewältigen.
      Was unsere Wirtschaft derzeit ausbremst ist die schwache Binnennachfrage. Diese wiederum ist nur schwach, weil gerechte Löhne und Renten (die die Produktivität wiederspiegeln) der arbeitenden Bevölkerung vorenthalten werden.
      Ob die Umlagefinanzierte Rente reicht ist einzig eine Frage der Politik. Das Geld (oder genauer die Produktivität)ist da es muss nur gerechter verteilt werden.

      • adtstar  Januar 3, 2015

        Richtig. Die Entwicklung der Produktivität und die Verteilung der damit verbundenen Gewinne wird immer ausgeblendet.

      • Gallia-pontificia-Arelatensis  Januar 3, 2015

        Momentan ist das (noch) so. Aber noch sind die geburtenstarken Jahrgänge nicht in Rente. Noch kann man durch Zuwanderung ausgleichen. Das Heulen und Zähneklappern wird erst in einigen Jahren einsetzen.
        Und was die schwache Binnennachfrage betrifft: Wie soll denn bei einer künftig schrumpfenden Bevölkerung noch die Nachfrage gesteigert werden? Kürzlich war ich (noch vor Weihnachten) in einem nahegelegenen Einkaufszentrum. Preisnachlässe, Rabatte, wie früher nur im Schlußverkauf. Wer das Zeug denn noch kaufen?
        Und das Geld, das (noch) da ist? Da wird künftig inflationiert und dann immer wertloseres Geld immer gerechter verteilt. Herr Draghi fängt doch schon munter damit an. Das ist nicht das Ende, das ist der Anfang einer Entwicklung.

        • adtstar  Januar 3, 2015

          Der Preisverfall ist ein Anzeichen für Deflation, nicht Inflation. Die Geldpolitik der EZB bewirkt zur Zeit einen Verfall des Euro im Vergleich zum Dollar. Ohne flankierende Finanzpolitik, d.h. Konjunkturprogramme, bleibt die lockere Geldpolitik allerdings wirkungslos. Ein Anstieg der Inflationsrate ist nicht in Sicht, da vor allem auch in der Lohnpolitik nichts geschieht. Der Mindestlohn mit seinen vielen Ausnahmen wird daran ebenfalls kaum etwas andern.

          Noch einmal: Alles auf die Anzahl von Menschen in einer Generation zu verengen, führt zu nichts. Die Nachfrage ist allein abhängig davon, wie das erwirtschaftete gesellschaftliche Vermögen verteilt wird. Eine Gesellschaft kann auch im Wohlstand leben, wenn die Bevölkerungszahl unter 80 Millionen liegt. In der Rentenpolitik bleibt es bei der Entscheidung der jeweils arbeitenden Bevölkerung, ob und wie sie Rentner und Kinder am Vermögen beteiligen will. Das muss jede Generation neu aushandeln. Im Augenblick wird allerdings behauptet, dass kein Geld mehr da sei. Das ist Unsinn.