Weiteres Beispiel bewusster Irreführung

Geschrieben von: am 28. Okt 2013 um 8:34

Deutschland geht es gut. Das war und ist die Botschaft der Bundesregierung sowie zahlreicher Medien. Zwar gibt es inzwischen auch Meldungen, wonach plötzlich festgestellt wurde, dass jedem sechsten Deutschen Armut drohe, doch die Propagandamaschinerie schlägt umgehend zurück. Seit heute wissen wir, dass die Zahl der Hartz-IV-Klagen sowie die Zahl der Widersprüche gegen Hartz-IV-Bescheide zurückgegangen sei. “Die Trendwende ist geschafft”, wird BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt in den Springer-Medien zitiert. Die entscheidende Zahl fehlt allerdings in den Berichten.

Der Rückgang der Klagen sagt nämlich überhaupt nichts über die Erfolgsquote aus. Noch im Mai diesen Jahres musste das Bundesarbeitsministerium auf Anfrage der Linken im Bundestag einräumen, dass 44 Prozent aller Klagen erfolgreich seien. Das heißt, fast jeder zweite Anspruchsberechtigte wird wissentlich oder unwissentlich von den Behörden um seine Grundsicherung betrogen. Wer in diesem Zusammenhang davon spricht, dass das Vertrauen in die Arbeit der Jobcenter zunehmen würde, betreibt bewusste Irreführung. 

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Julie  Oktober 28, 2013

    Vielen Dank für diesen Kommentar. Hinzu kommt ja auch folgendes: es ist kein Wunder, dass die Hartz IV-Klagen zurückgegangen sind, denn den Leistungsbeziehern wird der Gang zum Gericht immer mehr erschwert. Sowohl Beratungshilfe, als auch Prozesskostenhilfe werden von vornherein verweigert. Von daher kann auch aus diesem Grund von einem zunehmenden Vertrauen in die Jobcenter auf gar keinen Fall gesprochen werden.

  2. Mabuse  November 4, 2013

    Hallo allerseits,

    es gibt noch andere Gründe, warum Widersprüche und Klagen – scheinbar – zurückgehen.

    So gehen die Widerspruchsstellen der Jobcenter bei offensichtlich fehlerhaften Bescheiden hin, bestellen den „Kunden“, der den Widerspruch einlegte, ein und fordern ihn auf, den Widerspruch zurückzunehmen mit dem Versprechen, dass er aufgrund der offensichtlichen Fehler des alten Bescheides bei Rücknahme seines Widerspruches sehr schnell einen neuen korrekten Bescheid erhält. Der Kunde, dem zumeist das Wasser, finanziell gesehen, bis zum Halse steht, wird praktisch gezwungen, so einer Rücknahme seines Widerspruches zuzustimmen. Denn unausgesprochen schwingt im Hintergrund mit, dass, wenn er nicht zustimmt und auf einen Widerspruchsbescheid besteht, er noch lange, lange auf sein Recht – und damit auf das ihm zustehende Geld – warten kann.

    Bei Klagen läuft ähnliches ab. Wenn sich abzeichnet, dass der „Kunde“ des Jobcenters gewinnt, so lenkt das Jobcenter ein bzw. strebt einen für den „Kunden“ befriedigenden Vergleich an. Der Richter unterstützt dies, denn dies bedeutet für das Gericht weniger Arbeit.

    In beiden Fällen werden die Zahlen (Zahl der Widersprüche, Zahl der erfolgreichen Widersprüche und Zahl der erfolgreichen Klagen) zugunsten des Jobcenters verbessert, womit dann die Oberbonzen der Jobcenter Weise und Alt stolz hausieren gehen können.

    Fazit: Jobcenter sind sehr wohl lernfähig. Leider jedoch nicht zugunsten der Drangsalierten, ihrer „Kunden“. Das System wird immer perfider, immer unmenschlicher.

    MfG

    • Ralph B  November 14, 2013

      Das System wird perfider, völlig richtig. Als RA im Sozialrecht kann ich nur den Kopf schütteln über die Schikanen des Jobcenter Barnim.
      Aber die Sozialgerichte sind nicht besser. Wenn die Kosten der Unterkunft vom JC gekürzt werden, gibt es erst dann Rechtsschutz durch das LSG Bln-Brdb, wenn die Räumungsklage zugestellt wurde. Dann haben die Betroffenen neben den Mietschulden – meißt vom JC verursacht – auch noch erhebliche Rechtsanwaltskosten – die der Vermieter – an der Backe. Pervers.

  3. Mabuse  November 12, 2013

    Noch eins,

    unabhängig, ob die Zahl der Klagen und der Widersprüche zurückgegangen ist oder nicht, ist festzustellen, dass die Zahlen sehr hoch sind. Und immer noch ist die Quote der für die drangsalierten „Kunden“ erfolgreichen Klagen ähnlich hoch wie zur Einführung des „Hartz-IV-Systems“.

    Damals hieß es entschuldigent, die Hartz-IV-Gesetze seien neu, Fehler deshalb unvermeidbar. Weiter hieß es, dass aufgrund der Neuheit des Gesetzeswerkes die Behördenmitarbeiter noch nicht alles darüber wissen könnten, dass sie sich erst einarbeiten müssten.

    Wenn das wirklich die Gründe für die anfangs hohe Zahl an erfolgreichen Klagen und Widersprüchen waren, so müsste jetzt – 10 Jahre nach Einführung der Hartz-IV-Gesetze! – die Erfolgsquote seitens der „Kunden“ sowohl bei den Klagen als auch bei den Widersprüchen gegen Null gehen! In 10 Jahren könnten die Kinderkrankheiten der Hartz-Gesetze durch den Gesetzgeber ausgemerzt und die Behördenmitarbeiter ausreichend in der Materie geschult sein, so dass ihnen bei der Bescheiderstellung kaum mehr Fehler unterlaufen.

    Das dem nicht so ist, ist für mich der Beweis, dass das in den vergangenen 10 Jahren nie das primäre Ziel war/ist. Meinem Eindruck nach, ist es gewollt, wird zumindest in Kauf genommen, dass den „Kunden“ immer noch – 10 Jahre nach Einführung von Hartz IV! – massenhaft fehlerhafte Bescheide erteilt werden. Denn jeder fehlerhafte Bescheid verweigert dem Hilfesuchenden sein ihm zustehendes Recht und damit Sozialleistungen – sprich Geld. Je mehr fehlerhafte Bescheide, desto weniger Geld muß die Behörde für Hartz-IV-Leistungen ausgegeben. Es ist meiner Ansicht nach bewusstes Kalkül, dass dadurch die Zahl der Widersprüche und Klagen weiterhin hoch bleibt. Denn für jeden „Kunden“, der gegen einen fehlerhaften Bescheid Widerspruch einlegt, gibt es eine vielfach höhere Zahl an „Kunden“, die aus den unterschiedlichsten Gründen auf einen Widerspruch verzichten. Und lange nicht jeder der „Kunden“, die einen Widerspruch einlegten und eine Ablehnung erhielten, zieht vor Gericht und legen Klage ein.

    Es wird seitens des Hartz-IV-Systems schlicht durch VORENTHALTUNG DES RECHTS massiv Geld auf dem Rücken der Schwächsten unserer Gesellschaft gespart.

    Das staatlicherseits, dass seitens des BMAS/der BA/der Behörde hier keine Absicht besteht, auf eine Änderung zugunsten der Hartz-IV-Drangsalierten hinzuarbeiten, sieht man an „Verbesserungsvorschlägen“ wie die Einführung von einer Gebühr für diejenigen, die beim Sozialgericht Klage einreichen wöllen oder die Hürden für Prozeßkostenhilfe zu erhöhen. – So kann man auch die Zahl der Klagen und damit die beschämend hohe Zahl der erfolgreichen Klagen gegen die Drangsalierungsbehörde (BA/Jobcenter) verringern.

    Wie ich schon in meinen vorherigen Beitrag schrieb: Es ist ein perfides und unmenschliches System.

    MfG