Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, hat eine Abschaffung des verlängerten Arbeitslosengeldes für ältere Erwerbslose gefordert.
Weise bezog sich dabei auch auf den drohenden Fachkräftemangel. «Eine längere Lebensarbeitszeit bedingt, dass es keine Anreize geben darf, früher aus dem Erwerbsleben auszusteigen», sagte Weise der «Saarbrücker Zeitung» (Mittwoch). Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose sei vor vier Jahren auf bis zu 24 Monate erhöht worden. Dies wieder zurückzunehmen, «kann eine Überlegung der Politik sein, wenn die Beschäftigungschancen Älterer steigen», sagte Weise.
Quelle FTD
Wenn es einen Fachkräftebedarf gibt und die Aussicht besteht, dass ältere Arbeitslose einen neuen Job finden, wieso sollte man dann die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes reduzieren? Was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? Wenn Erwerbslose in Arbeit kommen, beziehen sie doch keine Lohersatzleistungen mehr. Von daher ist es völlig unerheblich, wie lang das Arbeitslosengeld theoretisch gewährt würde.
Wenn Weise nun aber davon ausgeht, dass das längere Arbeitslosengeld wie in der Vergangenheit missbraucht wird, um früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und einen gewissen Zeitraum bis zur Rente zu überbrücken, dann kann es auch keinen Mangel an Fachkräften geben, wie er behauptet. Arbeitgeber würden nämlich aufgrund des Mangelzustands alles unternehmen, um die Beschäftigten zu halten.
Zudem gilt die 24-Monatsregelung bereits für Erwerbslose die älter als 50 sind und nicht nur für jene, die kurz vor der Regelaltersgrenze stehen. Die Argumentationsweise vom Agentur-Weisen ergibt also keinen Sinn. Es sei denn, er unterstellt den Erwerbslosen pauschal, lieber eine Lohnersatzleistung beziehen zu wollen, deren Höhe in der Regel 60 Prozent des Nettoentgelts der letzten 12 Monate vor der Arbeitslosigkeit entspricht, als eine Stelle anzunehmen, bei der sie ein volles Gehalt verdienen könnten.
Das ergäbe selbst aus neoliberaler Nutzenmaximierungssicht keinen Sinn. Es sei denn, Weise weiß, dass die nach Fachkräften suchenden Unternehmen zuvorderst die Kosten im Blick haben und Stellen anbieten werden, die erstens schlechter bezahlt und zweitens auf Grundlage befristeter Arbeitsverhältnisse geschlossen werden sollen.
Nur unter dieser Voraussetzung hat es einen Sinn, den Druck auf Erwerbslose wieder zu erhöhen und das eigene Mantra vom Arbeitsmarkt, der angeblich genau wie herkömmliche Gütermärkte durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, ad absurdum zu führen. Denn würde Herr Weise und alle anderen Arbeitsmarktfetischisten ihr neoliberales Dogma ernst nehmen, müsste gerade die Knappheit an Fachkräften dazu führen, dass die Preise für die Ware Arbeit steigen.
Das ist aber nicht der Fall. Die Preise sinken immer weiter. Den Arbeitsmarkt gibt es also nicht und wenn es ihn gäbe, versagt er jämmerlich. Eins ist jedenfalls gewiss, die sich gegenüberstehenden Parteien, Arbeitgeber und Arbeitnehmer begegnen sich nicht gleichberechtigt. Nicht nur, dass der Arbeitnehmer mit dem Nachteil zu kämpfen hat, als einzige Ware, die er besitzt, seine menschliche Arbeitskraft anbieten zu müssen, er wird nun auch per Gesetz gezwungen, diese zu jedem Preis und jeder Bedingung zu veräußern.
Das unterscheidet unsere Zeit noch vom 19 Jahrhundert, in der bekanntlich die Freiheit herrschte, die sich so manch ein Vorwärtsdenker heute zurückwünscht. Die Vertragsfreiheit. Im 19. Jh. gab es keinen Staat, der den Arbeitnehmer zwang, seine Arbeitskraft zu jedem Preis zu veräußern. Damals hatte er als Proletarier die Freiheit, die Bedingungen, die ihm die Bourgeoisie stellt, zu unterschreiben oder – zu verhungern, zu erfrieren, sich nackt bei den Tieren des Waldes zu betten! (Friedrich Engels, Lage der arbeitenden Klasse in England)
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.