Viele Nullen pflastern einen Weg auf Trümmern

Geschrieben von: am 28. Okt 2012 um 22:13

Seit dieser Woche wissen wir, dass man zwar mit Redakteuren, aber nicht in deren Arbeit hinein reden dürfe. In zahlreichen Interviews, vornehmlich mit sich selbst, stellten die Journalisten klar, dass eine Aushöhlung der Pressefreiheit für sie nicht in Frage komme. Zumindest nicht, wenn das Ganze auf so plumpe Weise vorgetragen wird, wie aktuell von der CSU.

Dennoch kann das alberne Gebrüll der besser gestellten Medienleute, die ihren Status gerade einer guten Vernetzung in ebenso gut situierte gesellschaftliche Kreise zu verdanken haben, nicht über Inkompetenz und mangelnde Qualität in der Berichterstattung hinwegtäuschen.

Beispiel Griechenland:

Laut einem Bericht des Spiegels soll die Troika einen neuen Schuldenerlass für Griechenland vorgeschlagen haben. Aber nicht nur das. Gleichzeitig habe die „Expertengruppe“ aus IWF, EZB und Europäischer Kommission in ihrem Bericht 150 neue Vorschläge unterbreitet. Wofür das gut sein soll, ist allerdings nicht ganz klar. Denn was die Lockerung des Kündigungsschutzes, eine Aufweichung des Mindestlohns und eine Aufhebung bestimmter Berufsstandsprivilegien mit dem Abbau des Staatsdefizits zu tun haben sollen, bleibt ein Rätsel, das keinen weiter interessiert.

Auf der anderen Seite steht die Schlagzeile, dass Schäuble einen weiteren Schuldenschnitt ablehne, weil das mit dem Haushaltsrecht nicht vereinbar sei. Freilich fällt der Eingriff in das Budget Griechenlands mit Kürzungsprogrammen, Sperrkonten und automatischen Steuererhöhungen oder Sanktionen bei fehlender Umsetzung nicht darunter. Schließlich könnten die Griechen auch dafür verantwortlich sein, dass Deutschland seinen ausgeglichenen Haushalt verfehlt.

Nächstes Jahr soll dieser „nahezu“ ausgeglichen und 2014 ein Bundeshaushalt ganz ohne neue Schulden möglich sein. Angesichts dieser vermeintlich tollen Aussichten – niemand kann sagen, wofür ein ausgeglichener Haushalt gut sein soll – frohlocken deutsche Medien und übersehen dabei, dass Schäuble plötzlich über ein Schuldenrückkaufprogramm zu niedrigen Zinsen verhandeln möchte.

Da eine Insolvenz oder ein Euroaustritt Griechenlands bereits ausgeschlossen wurden (Schäuble: „I think, there will no, it will not happen that there will be a Staatsbankrott in Greece.“), lassen sich Eurobonds (freilich unter einer anderen Bezeichnung, weil sonst Angela Merkel sterben müsste) zur Staatenfinanzierung nicht länger leugnen. Doch statt danach zu fragen, wie sich Schäuble eine künftige Staatenfinanzierung genau vorstellt oder wie es zum abermaligen Positionswechsel der Bundesregierung kommen konnte, liegt hierzulande der Fokus auf dem bevorstehenden Koalitionsgipfel, dessen Teilnehmer zwischen Betreuungsgeld und Praxisgebühr einen Weg zur „Schwarzen Null“ pflastern wollen.

Und diesen Weg auf den Trümmern Europas werden dann schwarz-gelbe und rot-grüne Nullen mit den vermeintlich unabhängigen Schreiberlingen gemeinsam gehen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Charlie  Oktober 29, 2012

    Super. Danke für die wunderbare Zusammenfassung! Man müsste vielleicht noch nachtragen, dass ein „ausgeglichener Bundeshaushalt“ nicht nur unmöglich, weil utopisch ist, sondern auch im Rahmen dieses Systems gar nicht vorgesehen ist. Die Lügerei geht also noch viel tiefer.

    Außerdem bleiben „uns“ ja auch bei einem utopischen „ausgeglichenen Bundeshaushalt“ alle seit 1945 angehäuften „Schulden“ erhalten, für die „wir“ auch weiterhin munter Zinsen zahlen, ohne sie jemals zu tilgen (auch eine Tilgung ist nicht vorgesehen) – der permanente Geldfluss an die armen, notleidenden, privaten Banken versiegt also nie. Wenn man dieses Katastrophensystem beibehält. Und das wollen sie ja, um jeden Preis. Wundert es denn da noch jemanden, wieso sie das wollen?

    Gleichzeitig beruht das irrsinnige System, dem wir ausgesetzt sind, auf permanentem Wachstum. Hallo? Merkt denn da irgendwer in den Redaktionsstuben noch, an welchem stinkenden Misthaufen er oder sie arbeitet? Permanentes Wachstum (wohlgemerkt: von Gewinnen) in einem System, in dem die Schulden zurückgefahren werden sollen, während es sich um ein SCHULD-Geldsystem handelt?

    Das System an sich ist schon so grotesk, dass man es an den Unis dieser Welt schallend auslachen müsste – in dieser Form ist es die Potenzierung des Grotesken, wie es absurder gar nicht mehr geht. Genauso gut könnte man eifrig mehr Feuer am Grunde des Pools fordern, während man ihn flutet. Und unser „Qualitätsjournalismus“ erklärt uns das auch jeden Tag aufs Neue so wunderbar.

    Was soll man da noch sagen?

  2. Kopfstaendler  Oktober 29, 2012

    Danke für Bericht und Kommentar.

    „Das System an sich ist schon so grotesk, dass man es an den Unis dieser Welt schallend auslachen müsste „

    Versuch das mal bei einem Prof. Als ich über die Geldmenge 3 mit meinem Dozenten diskutierte, merkte ich vor gefühlten 100 Jahren, dass der das auch nicht verstand. Dabei hat damals die Bundesbank in ihren Monatsberichten immer noch die Geldmenge 3 (diese entsetzliche Art der Geldschöpfung) ausgewiesen. Heutzutage traut sich das niemand mehr.

    Per Formel läßt sich das noch nachrechnen, aber mein Computer hat nicht genug Stellen.