Im Zuge des deutsch-französischen Gipfels ist die Diskussion um Eurobonds erneut aufgeflammt. Gestern hörte ich die absurde Kritik, dass Eurobonds deshalb nicht eingeführt werden können, weil damit auch eine Abgabe staatlicher Souveränität verbunden sei. Wenn es nämlich gemeinsame Anleihen gäbe, müssten die einzelnen Staaten auch auf ihr Budgetrecht verzichten, hieß es. Wieso? Haben etwa die Länderparlamente in Deutschland ihr Haushaltsrecht an Herrn Schäuble auch abgetreten?
Niedrigere Zinsen würden unterm Strich dazu führen, dass gute Schuldner die Lasten der schlechten Schuldner zu tragen hätten und zudem kein Anreiz mehr bestünde, im Haushalt zu sparen.
Lustig an dieser Argumentation ist ja, dass man behauptet, Deutschland sei ein guter Schuldner, weil die Zinsen, die man auf neue Kredite zahlen muss, niedriger sind, als an anderer Stelle in Europa. Nun hat aber auch Deutschland wie alle anderen Banken gerettet und die kostspieligen Rettungsschirme in den Haushalt einstellen müssen. Deutschland ist mit über 80 Prozent vom BIP verschuldet. Soll das nun ein guter Schuldner bzw. Haushälter sein? In der Europäischen Union war einmal eine Schuldenobergrenze von maximal 60 Prozent des BIP vorgesehen. Nun haben wir aber die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.
Ist irgendjemanden schon mal aufgefallen, dass die Verschuldung trotz dieser absurden Bremse zunimmt? Wie kann man nun dieses offenkundige Bremsversagen in den Stand einer Reform erheben, die beispielhaft für andere Eurozonenländer sein soll? Frau Merkel möchte gern, dass alle anderen die deutsche Schuldenbremse in ihre Verfassungen aufnehmen und fortan genauso gute Bremseigenschaften aufweisen wie die Deutschen.
Noch absurder wird es, wenn man sich einen sog. schlechten Schuldner wie Portugal anschaut. Der ist nämlich mit etwa genauso viel vom BIP (83 Prozent) verschuldet wie der deutsche Musterknabe. Trotzdem gilt er nach aktueller Lesart als schlechter Schuldner, weil die Finanzmärkte ihm nicht mehr vertrauen und mit hohen Zinsaufschlägen bestrafen. Wenn sie nun noch den Spitzenreiter Japan mit einer Staatsverschuldung von über 220 Prozent vom BIP hinzunehmen und feststellen, dass die Zinsen auf Anleihen niedriger sind, als die des deutschen Musterknaben, wird es langsam kriminell für den Hobbyanalysten.
Denn jetzt muss er sich was ausdenken, wie er die Zinsunterschiede erklären kann. Die Mühe erspare ich mich mir jetzt aber und sage einfach mal, dass die Höhe der Staatsschulden völlig Wurscht ist. Für den Finanzmarkt spielt es augenscheinlich keine Rolle, wie hoch ein Staat verschuldet ist. Selbst die eingebildete Macht der Ratingagenturen scheitert, wie am Beispiel der USA (übrigens bei knapp 100 Prozent vom BIP verschuldet) zu sehen ist, an den monetären Wirklichkeiten.
Warum sollte also eine gemeinsame Euroanleihe für die Deutschen teurer werden? Welche Optionen hätte denn das Kapital, um einen höheren Preis zu verlangen? Die Europäer sind insgesamt mit etwa sieben Billionen Euro verschuldet, die Amerikaner mit 14 Billionen US Dollar (10 Billionen Euro) und die Japaner mit umgerechnet knapp 10 Billionen US Dollar (7 Billionen Euro). Die Euroanleihe wäre also in bester Gesellschaft, was das Volumen angeht. Das Bruttoinlandsprodukt des Euroraumes liegt mit dem der USA auf Augenhöhe, wäre also vergleichbar.
Warum sollten höhere Zinsen für Euroanleihen verlangt werden dürfen, wenn sich neben den USA ein zweiter Währungshafen mit hoher Liquidität und Leistungskraft anböte? Die logische Annahme wäre doch die, dass die Nachfrage nach solchen sicheren Bonds zunehmen würde. Die Folge wäre dann aber eben nicht steigende sondern fallende Zinsen, die das derzeitige Niveau bei Bundesanleihen noch unterschreiten könnte, egal was Ratingagenturen sagen. Gleichzeitig fiele der Raum für Spekulationen weg, der ja nur deshalb existiert, weil es erstens keine Regeln auf den Finanzmärkten gibt und zweitens jedes Land der Eurozone seine eigenen Bonds herausgibt, die dann als Spekulationsobjekt ins Visier genommen werden.
Eurobonds wären eine Möglichkeit, die Refinanzierung von Staaten sicherzustellen. Die wachsende Verschuldung, die einige befürchten, ist dabei das geringste Problem. Sie ist doch nicht entscheidend, ob eine Volkswirtschaft funktioniert oder nicht. Was hindert denn die Haushälter daran, jene gesellschaftlichen Kräfte zur Finanzierung das Defizits heranzuziehen, derentwegen man die Staatsschuld erst in die Höhe trieb, um die systemrelevanten Spieleinsätze zu retten, die sich während des Platzens der Immobilienblase in Luft auflösten?
Es kommt doch nicht auf den ausgeglichenen Haushalt an, sondern auf eine ausgeglichene Handelsbilanz. Wenn ein Land pausenlos Überschüsse ansammelt und sich auf Kosten der anderen Mitglieder in der Währungsunion per Lohndumping Wettbewerbsvorteile erschleicht, die es dann in der Krise auch nicht mehr hergeben will, führt das unweigerlich zu einem Dauerfinanzierungsproblem mit einer Transferunion als unausweichlicher Konsequenz. Die Frage nach dem guten oder schlechten Schuldner ist somit völlig am Thema vorbei. Aus handelspolitischer Sicht ist Deutschland ein Nettogläubiger, der unter Beibehaltung seines bisherigen Verständnisses von Ökonomie auf seinen Papierforderungen wird sitzen bleiben müssen.
Grundsätzlich dürfte allen Beteiligten dieser Zusammenhang klar sein. Das Problem ist nur, dass sich mit der Krise ein prima Geschäft machen lässt. Selbst wenn alle zu der Einsicht kämen, dass etwas grundsätzlich schief laufe und der große Zusammenbruch drohe, falls man so weiter mache wie bisher, sie würden ihr Handeln nicht ändern. Und zwar deshalb nicht, weil sie wissen, dass ein anderer an ihre Stelle treten würde, um dann den Profit zu kassieren, der sich mit dem Niedergang realisieren lässt.
Es ist also nicht nur eine Krise des politischen Handelns, sondern auch eine Krise des Systems, das aus sich selbst heraus den Niedergang produziert. Das heißt aber nicht, dass man ihn nicht aufhalten könnte. Denn dagegen stehen die Erfahrungen von so vielen Krisen.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.