Die Schuldenbremse muss weg
„Wer auch zukünftig einen handlungsfähigen Staat will, muss die Schulden- und Zinslast reduzieren.“ Das sagte Peer Steinbrück als Bundesfinanzminister 2009 im Bundestag. Danach beschloss das Parlament die Schuldenbremse mit den Stimmen der Großen Koalition. Der Zeitgeist war pro Schuldenbremse, auch bei den Grünen, die das Gesetz ablehnten. Der damalige Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn hielt eine Rede[1], auf die hier noch einmal eingegangen werden soll. Der Schlusssatz lautete aber: „Deswegen werden wir dagegenstimmen, obwohl wir für eine Begrenzung der Schuldenaufnahme durch die öffentliche Hand sind.“ Grün war also nicht gegen eine Schuldenbremse, sondern nur gegen diese Schuldenbremse. Von André Tautenhahn.
20. November 2023
Zurück zur Realpolitik
Russland darf den Krieg nicht gewinnen oder die Ukraine muss bestehen oder die Ukraine muss gewinnen: Das sind Formulierungen, um die erbittert gestritten wird. Diese Debatte ist aber hohl und lediglich ein Echo jener westlichen Doppelmoral, die gerade Schiffbruch erleidet. Führt der Zug nach Kiew zur Realpolitik zurück? – Ein Gastbeitrag. Von André Tautenhahn.
17. Juni 2022
Der Staat kann nicht mehr einnehmen, als er ausgibt
Perspektivänderung als Voraussetzung
Eigentlich hätte der Titel dieses Beitrages lauten sollen: Der Groschen ist gefallen. Aber das stimmt nur bedingt. Denn nach wie vor tobt eine ideologische Auseinandersetzung darum, wie solide Staatsfinanzen auszusehen haben. Hervorzuheben bleibt aber, dass eine Erkenntnis in allen Parteien zu wachsen beginnt. Mit reiner Sparpolitik bekommt man die Wirtschaft nicht vom Fleck. Selbst prominente Vertreter der Union wie Kanzleramtsminister Helge Braun stellten die Schuldenbremse bereits infrage. In Niedersachsen ist dagegen noch alles weitgehend beim Alten. Dogmatiker wie Finanzminister Reinhold Hilbers predigen die Rezepte von gestern und bekommen Schützenhilfe vom Landesrechnungshof (mit einer ehemaligen CDU-Staatssekretärin an der Spitze), der das Sparen bei den Ausgaben, insbesondere beim Personal, zur obersten Direktive erklärt und dabei politische Aufträge formuliert, zu denen er gar nicht berechtigt ist.
29. Oktober 2021, Magazin E&W Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, November 2021
Lebensmittel und Menschenrecht
Kultur ist ein unverzichtbares Lebensmittel, ein Menschenrecht. Diese bekannte Botschaft haben Kunst- und Kulturschaffende in dieser Pandemie noch einmal erneuert, um darauf aufmerksam zu machen, wie es um sie und ihre Arbeit bestellt ist. Schlecht sieht es aus, denn die Krise hat gezeigt, dass das kulturelle Leben eines der ersten Dinge war, welche der verordnungsgebende Regierungsapparat für verzichtbar erklärte, aller Krokodilstränen von Abgeordneten zum Trotz, die sich als Mitglieder des Parlaments zum Teil immer noch für unzuständig erklären. Nun kehrt die Normalität allmählich in die Theaterhäuser zurück, allerdings immer häufiger unter 2G-Bedingungen, also nur für Zuschauer, die geimpft oder genesen sind. Damit wird der Vorwurf der außerordentlichen Entbehrlichkeit keinesfalls entkräftet, sondern nachhaltig bestätigt. Von André Tautenhahn.
20. Oktober 2021
Auftritt der neoliberalen Influencer
Jeder kennt den Bund der Steuerzahler. Wenn zum Beispiel Gewerkschaften mehr Investitionen in den öffentlichen Sektor fordern, wenden sich Medien an diesen Verband und fragen, was davon zu halten sei. Er zählt zu den Guten und gilt als der Anwalt der kleinen Leute, weil er die Verschwendung von Steuergeld, nicht zuletzt durch sein Schwarzbuch, rigoros aufzudecken vermag. Die Vorsitzenden und Sprecher sind gern gesehene Interviewpartner, weil sie es verstehen, politisches Versagen plakativ anzuprangern und im Sinne des „kleinen Mannes“ auf den Putz zu hauen. Ihr Wort hat in der öffentlichen Debatte Gewicht. Doch an diesem positiven Image ist so ziemlich alles falsch. Dem Bund der Steuerzahler ist es auch mit Hilfe der Medien gelungen, die Interessen, die er eigentlich vertritt, erfolgreich zu verschleiern.
31. Mai 2021, Magazin E&W Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, Juni 2021
Rückkehr zur Schuldenbremse bedeutet, beim Faxgerät bleiben zu wollen
Wenn die Coronakrise eines gezeigt hat, dann wie rückständig ein Land doch in Wirklichkeit ist, das sich immer gern in Finanz- und Eurokrise als Musterschüler auf nationaler und europäischer Bühne präsentierte. Stets gab Deutschland die selbstbewusste Marschrichtung vor. Doch die Folgsamkeit, sie wurde immer brüchiger. Das Vereinigte Königreich hat inzwischen die Europäische Union verlassen und auch die Visegrád-Staaten gehen schon längst ihre eigenen Wege. Nun hält die Coronakrise die Welt in Atem und Deutschland steht nicht wie ein Fels in der Brandung, sondern stolpert nach der ersten, eher glimpflich verlaufenen Welle im vergangenen Frühjahr von einer Blamage zur nächsten. Viel hat das mit dem zu tun, was gern als solide Haushaltspolitik bezeichnet wird. Die wurde zu Beginn der Krise gefeiert, als Finanzminister Milliarden zur Bewältigung der immensen Kosten aufriefen. „What ever it takes“, dann „Bazooka“ und „Wumms“. Ohne Schuldenbremse sei das alles ja gar nicht möglich, sagten sie. Nur was nützt dieses unhaltbare Selbstlob eigentlich, wenn das versprochene Geld kaum bei den Empfänger*innen ankommt oder die Mängel innerhalb der öffentlichen Verwaltung fortbestehen?
26. Februar 2021, Magazin E&W Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, Februar/März 2021
Zeit für Ungehorsam
Die Kanzlerin fordert eine nationale Kraftanstrengung für einen Monat lang, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Man fragt sich irritiert, wo diese nationale Kraftanstrengung für das Gesundheitssystem in den vergangenen 15 Jahren war, seitdem Angela Merkel regiert. Wahrscheinlich in den 75 Prozent der “Infektions-Fälle“, bei denen man nicht genau weiß, woher sie kommen. Und genau das ist der Skandal, denn diese Lockdown-Entscheidung von Bund und Ländern basiert nicht auf fundierten Erkenntnissen. Ein Kommentar von André Tautenhahn.
29. Oktober 2020
Chance zum Umdenken nutzen
Der dümmste Satz dieser Krise lautet, man könne ja so umfassend Coronahilfen leisten, weil man vorher ordentlich gewirtschaftet und sich Spielräume erarbeitet habe. Mit ordentlich gewirtschaftet ist der Fetisch „Schwarze Null“ und das Einhalten der Schuldenbremse gemeint. Letztere hat die Politik aber vorübergehend ausgesetzt, weil die Milliarden, die man zur Bewältigung der Krise einsetzen muss, eben nicht irgendwo in einem Sparstrumpf herumliegen, der sich dank Haushaltsdisziplin immer weiter gefüllt hätte, sondern weil die erforderlichen Summen alles an verfügbaren Rücklagen übersteigen. Schulden müssen jetzt einfach gemacht werden, angesichts der Corona-Katastrophe, die zum Stillstand des öffentlichen Lebens geführt hat. Wieso sollte also die Schuldenbremse oder die „Schwarze Null“, die bislang galten, irgendwie sinnvoll gewesen sein, bei dem, was man jetzt zu tun bereit ist? Die Antwort auf die Frage ist einfach. Es gibt keinen Zusammenhang, außer den, die eigene politische Beschränktheit zu rechtfertigen, zu der man, und das gilt es zu verhindern, nach dem Ende der Krise erneut zurückkehren will.
28. Mai 2020, Magazin E&W Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, Juni 2020
Corona-Soforthilfen: Oben gewinnt die Politik an Profil, während unten die Existenznot bleibt
Für Soloselbstständige, Freiberufler und Kleinstunternehmen sind die „unbürokratischen“ Coronahilfen nach Lage der Dinge eher eine Enttäuschung. Bundesländer wie Bayern und Niedersachsen haben zwar als erste eigene Programme aufgelegt, wie sie nicht müde werden zu betonen, diese dienten aber eben nur der politischen Profilierung, wie sich nun herausstellt. In der Praxis stellten sich die Maßnahmen, bei denen es zudem massive technische Anlaufschwierigkeiten gab, als unbrauchbar heraus. Die Betroffenen sahen sich mit mehr oder weniger unüberwindbaren Hürden sowie der Drohung, bloß keinen Subventionsbetrug zu begehen, konfrontiert. Daher werden die eilig beschlossenen Soforthilfen der Länder auch durch ein Programm des Bundes, das aber ebenso Fragen aufwirft, ersetzt. Der Trick der Landesfürsten geht dennoch auf, denn Kritik an deren Vorgehen gibt es kaum. Von André Tautenhahn.
2. April 2020
Schnelle Hilfen? Bitte warten!
Die schnellen Hilfen vom Staat scheitern bereits an der Umsetzung. Serversysteme, wie das der Niedersächsischen NBank sind von Beginn an überlastet. Andere Förderprogramme, wie das der Stadt Hannover sind vielleicht gut gemeint, werden aber nach dem “Windhundprinzip” gestaltet. Also wer zuerst da ist und Glück mit dem Server hat, kommt vielleicht an Geld. Sobald der Topf aber leer ist, gibt es dann für alle anderen, die möglicherweise auch einen Anspruch hätten, leider keine Hilfe mehr. Sie dürfen ihr Glück weiter bei der NBank versuchen. Die Konstruktion mit Online-Formularen, hier am Beispiel Niedersachsen dargestellt, ist angesichts des zu erwartenden Antragsaufkommens hoch problematisch, aber auch auf übergeordneter Ebene läuft die Organisation der staatlichen Hilfen grundfalsch. Von André Tautenhahn.
27. März 2020
Gewalt & Co.: Wie mit Symbolpolitik um Klicks und Aufmerksamkeit gerungen wird
Vorsicht vor allzu knackigen Botschaften
Die Wirklichkeit ist häufig nicht so spektakulär, wie es die Überschriften vermuten lassen. Politik und Medien betreiben aber dieses lukrative Geschäft, ohne dass es einer gesonderten Absprache bedarf. Knackige Botschaften lassen sich eben gut verkaufen, vor allem im Internet, das den örtlichen Stammtisch global gemacht hat. Auf der anderen Seite bekommen Minister die gewünschte Aufmerksamkeit, in dem sie sich wahlweise als Macher, Mahner oder Menschenfreunde präsentieren dürfen. Gezählt werden am Ende des Tages nur die Klicks, eine Art Kryptowährung, die an die Stelle solider Aufklärung getreten ist. Heutzutage geht es nur noch um Narrative sowie um das Spielen mit Ängsten und Vorurteilen. Es ist mittlerweile zu einer Staatskunst geworden, mit der sich die echten Probleme, die uns eigentlich empören müssten, mehr oder weniger geschickt kaschieren lassen.
28. Januar 2020, Magazin E&W Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, Januar/Februar 2020
Ist Corbyn ein Geisterfahrer?
Nach dem Scheitern des Brexit-Deals wird der Ruf nach einer parteiübergreifenden Notlösung laut. Oppositionsführer Corbyn müsse über seinen Schatten springen, heißt es. Dahinter steckt ein merkwürdiges Demokratieverständnis – ein Gastbeitrag. Von André Tautenhahn*
16. Januar 2019
Niedersachsens Finanzminister Hilbers
Schuldenbremse: Der neueste Schrei
Über die Schuldenbremse wird diskutiert. Es gibt die Hardliner, die ausnahmslos daran festhalten wollen. Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers zum Beispiel, der sich in seiner Haushaltsrede im Landtag noch einmal deutlich zur Schuldenbremse bekannte. Viele Ökonomen halten die Regelung aber inzwischen für hinderlich und fordern eine Reform, um den Handlungsspielraum der Fiskalpolitik zu erhöhen. Der neueste Schrei ist dabei die Unterscheidung zwischen guten investiven Ausgaben und schlechten konsumtiven Ausgaben. Das aber ist vollkommen absurd und stärkt am Ende wieder nur Leute wie Hilbers, die an ihrem fatalen neoliberalen Weltbild unbedingt festhalten wollen.
27. November 2019, Magazin E&W Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, Dezember 2019
Spezielle Ost-Soziologie oder der neue Trick des Neoliberalismus
Nach dem starken Abschneiden der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen herrscht die weitverbreitete Meinung vor, dass der Osten ein massives Nazi-Problem habe. Nach der jüngsten Landtagswahl werden die Wähler der AfD selbst zu Tätern gemacht. Sogar mit Hilfe von Soziologen, obwohl deren Disziplin als physique sociale im revolutionären Frankreich des 19. Jahrhunderts einst das Licht der Welt erblickte. Sie war damals nötig geworden, um die ungeordneten Verhältnisse zu durchdringen und aus der Erkenntnis über die Funktionsweise der Gesellschaft ein Herrschaftswissen zu formen, das brauchbare Empfehlungen für ein vernünftiges politisches Handeln bietet. Heute ist es umgekehrt. Die professionalisierte Sozialwissenschaft ordnet sich den herrschenden Verhältnissen unter, lässt sich von ihnen instrumentalisieren und leistet damit einen Beitrag zur weiteren Spaltung der Gesellschaft. Von André Tautenhahn.
30. Oktober 2019
Verabschiedung des Landeshaushalt 2020 im Dezember
Schuldenbremse und „schwarze Null“ sind Schnapsideen
Im September 2019 hat die Landesregierung ihren Haushaltsplanentwurf in den Landtag eingebracht, im Dezember-Plenum soll dieser mit den Stimmen der rot-schwarzen Koalition verabschiedet werden. Von einer Erfüllung der grundlegenden GEW-Forderungen (siehe Text von Laura Pooth) bleibt die Regierung wohl weit entfernt. Doch neben dem fehlenden politischen Gestaltungswillen nerven unseren Gastautor André Tautenhahn vor allem die Fetische „schwarze Null“ und Schuldenbremse.
23. Oktober 2019, Magazin E&W Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, November 2019
CDU löst komplexe Zusammenhänge in altbekannter Manier auf
Die CDU hat ein wenig mit sich gerungen, wie sie denn auf das „Zerstörungsvideo“ eines YouTubers reagieren sollte. Zuerst hatte man den Social-Media-Star der CDU, Philipp Amthor, mit einem Gegenvideo beauftragt, die Veröffentlichung in letzter Minute aber gestoppt und entging damit ganz knapp der zu erwartenden Totalblamage. Doch hochgradig blamabel und bezeichnend für das Fremdeln mit dem, was die Kanzlerin selbst mal als „Neuland“ bezeichnet hat. Anstatt sich in dieses „Neuland“ zu begeben, verlagerte man das Feld der Auseinandersetzung lieber dahin, wo man auch gewinnen kann. Von André Tautenhahn und Jens Berger.
24. Mai 2019
Chaoten am Werk
Die Regierung in Griechenland muss weg. Diese zutiefst undemokratische Haltung verbreiten nicht nur Journalisten in ihren als Berichte verkleideten Hetz-Kommentaren, es ist auch das Ziel der Bundesregierung und der übrigen Gläubiger. Die weisen das zwar weit und zum Teil auch empört von sich, doch ist die Sachlage längst klar. Die Bundesregierung hat jeglichen Verhandlungen bis zum Sonntag eine Absage erteilt (Die Ruhe haben wir ja) und der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz (SPD) stellte heute im Morgenmagazin noch einmal klar: Von André Tautenhahn.
2. Juli 2015