Das aktuelle Schauspiel um die Frage Große Koalition bis September oder nicht ist ein bemerkenswerter Tiefpunkt der bundesrepublikanischen Geschichte. Dabei ist nicht so interessant, was die Politiker sagen, sondern vielmehr die Rolle unserer Medien, die sich in diesen widersprüchlichen Brei bereitwillig einbinden lassen. Überall hört und liest man die O-Töne von Seehofer, Müntefering, Merkel und Westerwelle.
Da sagt der Seehofer, dass die SPD doch die Koalition verlassen könne und Münte schießt zurück, dass er die CSU bis zum letzten Tag quälen werde. Merkel schwadroniert bei Anne Will über ihre Arbeit, die sie zu Ende bringen müsse (eine kritische Analyse finden sie hier) und Westerwelle schwebt angesichts des Umfragehochs seiner Partei eine sonnige Wahl im Sommer vor. Und in Berlin sitzen zwei Regierungssprecher, der eine von der Kanzlerin bestellt und der andere vom Außenminister. Und beide diktieren etwas von konkurrierenden Träumen in Bezug auf die Kanzlerschaft, den lachenden Journalisten in den Notizblock. Was für ein Trauerspiel?
Doch keiner fragt, welcher Logik z.b. die Aussage vom Münte folgt, die CSU bis zum Ende quälen zu wollen. Noch immer könnte die SPD alle politischen Ziele, die die Parteiführung vorgibt, umsetzen zu wollen, ohne weiteres im Deutschen Bundestag beschließen. Um es bildlich zu verdeutlichen, was ich meine, zeige ich ihnen die Zusammensetzung des aktuellen Bundestages.
Die Mehrheitsverhältnisse sind klar. Es ergibt also überhaupt keinen Sinn, hier irgend jemanden zu quälen und darauf zu hoffen, dem politischen Gegner in der Großen Koalition mit dieser Quälerei auch noch etwas abtrotzen zu können. Die SPD lässt sich durch die Minderheit aus CDU/CSU und FDP einfach vorführen. Dabei ist es doch sie, die die Zügel in der Hand halten müsste, da ihre scheinbaren politischen Ziele mehrheitsfähig sind.
Doch es wird mit allen Mitteln dagegen gearbeitet. Vor allem die Medien bilden die Speerspitze einer Kampagne zur Verhinderung und Verschleierung des tatsächlichen Mehrheitswillens der Bevölkerung. Und die SPD-Führung spielt mit vollem Bewusstsein mit. Anders kann man sich diese dusseligen Bemerkungen von Müntefering oder von Steinmeier, der sich gern als Opel-Retter positionieren möchte, nicht verstehen.
In der Neuen Presse Hannover darf mal wieder Horst Schmuda seinen unbrauchbaren Senf absondern. Er schreibt folgenden Unsinn…
Dann lieber doch ganz schnell wählen?
[…]“Mit dem Schicksal der Opelaner lässt sich trefflich Stimmenfang betreiben, und so ziehen die Genossen mit dem linkspopulistischen Schlachtruf Rettung um jeden Preis durch die Lande. Die Union windet sich in politischen Zuckungen um ein und dieselbe Frage: wirtschaftliche Vernunft oder mitfühlender Selbstbetrug.“[…]
Wenn die SPD nach Schmudas Meinung schon linkspopulistisch ist, warum nutzt sie dann die bestehende Mehrheit im Bundestag nicht einfach aus? – aus niederen Beweggründen sozusagen oder schlicht aus Machtgeilheit, wie Schmuda es der Ypsilanti ja immer wieder unterstellt hat. Wo ist die Logik in dem Geschrei? Der SPD müsste man gerade wegen ihrer Haltung, die Große Koalition bis zum Ende fortsetzen zu wollen, unterstellen, dass sie keineswegs daran interessiert ist, etwas von dem durchzusetzen, was Schmuda unter dem Schlagwort „linkspopulistisch“ subsumiert. Wenn er jetzt noch geschrieben hätte, die SPD mache es im Herbst sowieso mit den Linken, schlösse sich der bizarre Denkkreis. Aber davon hören wir ja spätestens zur Bundeshorstwahl wieder.
Die Union dagegen kommt bei Schmuddel Schmuda ohne Grund besonders kompetent rüber. Da fragt man sich, wie der Autor das Fotoshooting mit dem neuen „von und zu“ in New York fand oder welche wirtschaftspolitische Komptenz dort zur Entfaltung kam bzw. welche Kompetenz Herr Schmuda aus den Äußerungen von Frau Merkel bei Anne Will ableitet. Wie beschrieb sie sich gestern doch so treffend untreffend…
Ich bin mal liberal, mal christlich sozial, mal konservativ.“
Und was ist eigentlich mit der Grünenspitze los? Die scheinen vor lauter (H)Ampelei gar nicht mehr klar sehen zu können. Zum Glück hielt die Basis in NRW am Wochenende nüchtern dagegen, und es wurde noch einmal in Erinnerung gerufen, dass zwischen FDP und Grünen doch riesige, wenn nicht gar unüberbrückbare Unterschiede bestehen. Das hielt den mediengeilen Professor Jürgen Falter aber auch nicht davon ab, im Radiointerview über künftige Regierungsoptionen zu fabulieren und dabei in der Reihenfolge Schwarz-gelb, Scharz-rot und die Ampel zu benennen.
Was für ein Scheiß…
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.