Neubildung bleibt aus

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In Frankreich wird die Regierung neu gebildet, in Deutschland bleibt alles beim alten: Keine Bildung.

Auch heute sprudeln dogmatische Glaubenssätze aus den Kommentarspalten deutscher Zeitungen. In jedem Fall sei es richtig, dass sich Hollande, der nach übereinstimmender Meinung ein gescheiterter Präsident sei, richtig entschieden und sich des aufmüpfigen linken Wirtschaftsministers Montebourg entledigt habe. Wirtschaftspolitischen Sachverstand sucht man in den meisten Texten allerdings vergebens.

Frankreich stecke in einer tiefen Wirtschaftskrise, aus der es sich nur mit einer entschieden umgesetzten Reform-Agenda nach deutschem Vorbild befreien könne. Deutsche Kommentatoren erteilen da gerne Ratschläge und wissen wenig. So ist niemandem aufgefallen, dass die französische Nationalversammlung bereits im April diesen Jahres ein Stabilitätsprogramm verabschiedete, das weit über den Inhalt der deutschen Agenda 2010 hinausgeht.

Ein Sparplan, der 50 Milliarden Euro bringen soll. Er sieht vor, Beamtengehälter und zahlreiche Sozialleistungen bis 2017 einzufrieren. Hollande kopiert längst die dogmatische Politik Deutschlands und sucht sich jetzt nur noch das passende Personal dafür. Die Abgeordneten versagen ihm immer häufiger die Gefolgschaft. Sie sagen zurecht, dass sie für diesen politischen Kurs nicht gewählt worden sind.

Deutsche Medien interessieren die politischen Verhältnisse aber nicht. Sie faseln von Versprechungen im Wahlkampf, die unter den Bedingungen des Sachzwanges nicht mehr eingelöst werden können. Richtig sei, was aus ihrer Sicht notwendig um nicht zu sagen alternativlos ist und nicht, was die Mehrheit sich wünscht. Wo kämen wir auch hin, wenn der Souverän per Wahl die politische Richtung mitbestimmen könne.

Dass es auch vernünftige Stimmen im rauschenden Blätterwald gibt, beweist einmal mehr Ulrike Herrmann von der taz. Sie sagt klar: „Frankreich braucht keine Agenda 2010“. Die Autorin erklärt auch warum. Damit hat sie schon mehr geleistet als jene Kommentatoren, die umgekehrt stumpfsinnige Reformen fordern, auf eine nachvollziehbare Begründung aber verzichten.


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Die große Enttäuschung

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Europa taumelt ökonomisch nicht am, sondern im Abgrund vor sich hin. Stimmen der Vernunft werden vom lauten Chor fanatischer Dogmatiker weiterhin nieder gebrüllt.

In der vergangenen Woche ist etwas bemerkenswertes passiert. Zahlreiche Ökonomen verschiedener Schulen, darunter viele Nobelpreisträger, kritisierten auf einer Tagung in Lindau die Austeritätspolitik von Kanzlerin Merkel. Die verteidigte sich mit der üblichen wie falschen Behauptung, Deutschland habe bewiesen, durch Konsolidierung seiner Haushalte Wachstum zu erzielen. Das könnten andere auch, wenn sie nur die gleichen Reformen umsetzten, wie einst Deutschland mit der Agenda 2010.

Hinzu kam der Vorstoß des inzwischen geschassten französischen Wirtschaftsministers Arnaud Montebourg, der im Interview mit Le monde vor einer dauerhaften Rezession warnte und deshalb einen Politikwechsel forderte. Paris müsse sich vom dogmatischen Berlin lösen und eine wirtschaftspolitische Alternative anbieten. Das ging den geschröderten Sozialisten zu weit und die Regierung trat zurück.

Das Ergebnis: Die deutschen Medien spotten über den vermeintlich kranken Mann Europas. Hollande habe nun gar keine Wahl mehr. Er müsse den Rezepten folgen, die in Deutschland angeblich schon einmal erfolgreich waren. Damit könne er sich wenigstens noch Respekt verdienen, denn zur Wiederwahl wird es nicht mehr reichen, urteilt Michael Strempel in den Tagesthemen.

Er macht sich für uns alle sorgen um Frankreich, das nicht nur Hollande, sondern auch Deutschland als Partner zu entgleiten drohe. Überall Hiobsbotschaften, stellt Strempel fest. „Arbeitslosigkeit stabil zweistellig, Unternehmen verlassen das Land und die Staatsausgaben laufen aus dem Ruder“, kurzum: Die Wirtschaft geht den Bach runter.

Und dann noch orthodoxe Linke wie dieser Montebourg, die immer nach der gleichen Therapie rufen würden, also den Geldhahn aufdrehen und bloß keine Zumutungen für die Bürger. Genau so sei Frankreich dahin gekommen, wo es heute stehe, analysiert Strempel völlig ahnungslos.

Die Wahrheit sieht freilich anders aus und ist von jenen Ökonomen beschrieben worden, denen Merkel vergangene Woche in Lindau begegnete. Sie halten das deutsche Gefasel über Reformen für blanken Unsinn. Jeder kann übrigens sehen, dass der Austeritätskurs in Europa gescheitert ist. Trotzdem wird so getan, als sei der nicht die Ursache für die Misere, sondern die Lösung.

So eine Nulpe wie Strempel meint daher auch, dass echte Wirtschaftsreformen sowie eine Schlankheitskur für den krakenhaften Staatsapparat und ein Arbeitsmarkt, der nicht einbetoniert ist in Besitzstandswahrung, Frankreich aus der Depression hinaus führen könne. Wer fordert denn hier eigentlich die immer gleiche Therapie?

Ist es nicht so, dass genau diese vermeintlichen Reformen eine Abwärtsspirale in Gang setzten, die das Wachstum in Europa einschließlich das Deutschlands nunmehr zum erliegen gebracht hat? Steigt Frankreich in den Wettlauf sinkender Lohnstückkosten ein, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, was macht dann Deutschland, dass seine Wettbewerbsanteile und seine Exportüberschüsse mit aller Macht verteidigen will?

Wie kam Deutschland eigentlich zu seiner relativen Wettbewerbsfähigkeit? Lag es an den Reformen? Oder wohl eher daran, dass den Überschüssen entsprechende Defizite gegenüberstanden. Falls Marine Le Pen die nächste Präsidentin Frankreichs werden sollte, hat nicht Hollande allein diese Katastrophe zu verantworten, sondern vielmehr der Glaube an eine falsche Wirtschaftspolitik.

Beim Treffen in Lindau sagte Merkel einen verräterischen Satz. Sie beschwerte sich über falsche Prognosen der Ökonomen und forderte von ihnen mehr Ehrlichkeit ein. Doch was zwingt die Kanzlerin eigentlich dazu, die falschen Prognosen weiterhin als Wahrheit zu verkaufen? Hat sie etwa selbst ein Problem damit, Fehler einzugestehen?


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Wer mehr Zinsen will, muss mehr Schuldner akzeptieren

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Sparkassenkleinhirne kritisieren die Zinspolitik der Zentralbank und jammern über niedrige Zinsen, die keinen Anreiz zum Sparen böten. Dabei sind Sparer das Letzte, was die Welt jetzt braucht.

Morgen entscheidet die EZB über weitere Schritte in Sachen Zinspolitik. Beobachter halten eine erneute Senkung des Leitzinses für möglich. Da schrillen die Alarmglocken, vor allem beim Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Fahrenschon. Er spricht von falschen Signalen, verlorenen Zinseinnahmen für Sparer und deren Enteignung, insbesondere mit Blick auf die so schön ausgedachten Altersvorsorge-Konzepte auf Kapitalmarktbasis. Niedrige Zinsen gäben keinen Anreiz mehr zum Sparen, ruft er in die Welt hinaus. Dabei sind Sparer das Letzte, was die Welt jetzt braucht.

Sparer hat die Welt genug, was fehlt, sind die Schuldner. Und genau deshalb arbeiten sich die Währungshüter seit Bestehen der Krise, welche von deutschen Kleinsparhirnen wie Fahrenschon offenbar kaum zur Kenntnis genommen wird, an der Frage ab, wie es zu höheren Investitionen in die Realwirtschaft kommen kann. Denn nur wenn die Investitionstätigkeit anspringt und mehr Kredite nachgefragt würden, gäbe es auch mehr Schuldner und damit höhere Zinsen für Sparer.

Allerdings plagt sich Europa mit einer eklatanten Nachfrageschwäche herum. Es lahmt die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen und es lahmt die Nachfrage nach Krediten. Alle Sektoren der Volkswirtschaft sparen oder verfolgen die Absicht weniger Geld auszugeben. Staat, Unternehmen und private Haushalte wollen ihre Bilanzen bereinigen. Die Folgen sind fatal, aber nicht unbekannt. Japan hat das in den 1990er Jahren durchgemacht. Der Wirtschaftswissenschaftler Richard Koo analysierte die Epoche und fand den Begriff „Bilanzrezession“ (Unter anderem nachzulesen in „Handelt Jetzt!„). Auf die steuert auch Europa zu.

Der brutale Austeritätskurs, den die Bundesregierung zum tugendhaften Leitbild einer höchst seltsamen Wirtschaftspolitik erklärt hat, trägt Früchte, die den Sparern nicht schmecken können. Nur wird dies als Ursache schlichtweg übersehen. Auch Fahrenschon wie viele Sparkassen-Banker unter ihm verweigern eine Analyse der Krise und begnügen sich damit, die Zentralbank für ihr Handeln zu kritisieren. Sie jammern nur herum: Wegen der laschen Regulierungen, die auch sie betreffen und wegen der niedrigen Zinsen, die ihre Kunden betreffen. Gleichzeitig besitzen sie aber die Chuzpe, für die Kontoüberziehung mehr als zehn Prozent vom Schuldner zu verlangen, der bei ihnen in der Regel Gläubiger ist.

Vielen ist das ja gar nicht bewusst. Ein Guthaben bei der Bank heißt nichts anderes, als dass sich die Bank in der Höhe des Guthabens beim Kontoinhaber verschuldet. Verschuldet der sich aber umgekehrt bei der Bank, weil sein Konto ins Minus rutscht, sind unerhörte Zinsen fällig. Hier wäre der erste Ansatz für eine Korrektur. Zum zweiten richtet sich die Kritik der Banker an die falsche Adresse. Die Zentralbank reagiert mit ihrer Zinspolitik (ja fast hilflos) auf eine Gefahr. Und die heißt Deflation. Für einige ist das nur überhaupt nicht dramatisch. Sie finden, wenn die Preise um lediglich 0,7 Prozent steigen, stärke das die Einkommen insgesamt. Ein fataler Irrtum.

Denn die Wirtschaft wird geschwächt. Die Wachstumsrate der Eurozone liegt nur noch bei 0,2 Prozent. Vor allem im Süden Europas brechen die Ökonomien unter der Last des Spardiktats zusammen. Und jetzt kommt die spannende Frage.

„Warum sollten die Unternehmen in den Euro-Krisenländern Kredite aufnehmen, wenn sie weiterhin flaue Umsätze erwarten? Unternehmen fragen nur dann Kredite für Investitionen nach, wenn sie davon ausgehen, dass die von ihnen produzierten Konsum- oder Kapitalgüter von privaten Haushalten und anderen Unternehmen gekauft werden. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass sie aus einer Situation der Unterauslastung der Kapazitäten heraus ihre Investitionen erhöhen, wenn der vorhandene Kapitalstock vollständig ausreicht, die aktuelle (rückläufige) Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen zu befriedigen.“

(siehe Günther Grunert, via NachDenkSeiten)

Die Kritik der Sparkassen sollte sich daher weniger an die Adresse der Zentralbank richten, als vielmehr an die Adresse der Kanzlerin, die zusammen mit ihrem Finanzminister und einer zum bloßen Schoßhund degradierten SPD den gescheiterten Austeritätskurs in Europa weiter fortsetzen will. Die Kanzlerin, die einst in lächerlicher Weise eine Garantie auf alle Spareinlagen abgab, sorgt mit ihrer Politik für jene Enteignung, die Banker und Sparer jammernd beklagen. Gleichzeitig singen alle brav das hohe Lied der privaten Altersvorsorge weiter, die nicht erst jetzt, im Angesicht niedriger Zinsen, sondern schon viel früher als fataler Irrweg hätte identifiziert werden müssen.

Doch das Geschäft mit der privaten Altersvorsorge ist inzwischen auch zum Geschäft der Sparkassen geworden, weshalb gerade sie bei der anhaltenden Niedrigzinsphase um einen Verlust ihrer Glaubwürdigkeit fürchten. Nur hilft das alles nichts: Wer höhere Zinsen will, braucht mehr Schuldner und diese Schuldner brauchen wiederum eine funktionierende Wirtschaft, in der die Nachfrageentwicklung ernst genommen wird. Aber das kann es nur geben, wenn eine Regierung auch etwas von Ökonomie versteht. Die Zentralbank allein wird das Ruder nicht herumreißen können. Soviel ist schon jetzt klar.

Im Übrigen: Wer sparen und Verschuldung abbauen will, kann das nur, wenn spiegelbildlich auch das Vermögen schrumpft. Denn das Vermögen des einen sind die Schulden der anderen. Insofern ist die beklagte Enteignung nur die logische Konsequenz einer verordneten Entschuldungspolitik in allen Sektoren.


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Frühjahrsprognose: Teuer bezahlte Falschmeldungen

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Statt wissenschaftlicher Beratung mit Substanz liefern die Wirtschaftsforschungsinstitute billige politische Propaganda ab, die der Steuerzahler teuer bezahlen muss.

Seit Jahren liefern die Ökonomen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Gutachten zur künftigen Entwicklung ab. Dabei gehen die Experten wahlweise von einem kräftigen Wachstum oder einem stabilen Aufschwung für das jeweils laufende Jahr aus. Mit ihrer Prognose liegen sie regelmäßig daneben. Sie wissen also kaum etwas. Dennoch maßen sich diese Experten an, auch etwas über das darauf folgende Jahr aussagen zu können, das, wie sollte es auch anders sein, immer noch besser erwartet wird, als das laufende. In diesem Jahr rechnen die Forscher mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 1,9 Prozent und für 2015 sollen es 2,0 Prozent sein.

Die Presse fällt darauf mal wieder herein und verbreitet die frohe Kunde vom steten Aufschwung, der sich aber meist aus nach unten korrigierten Prognosen speist. Doch statt danach zu fragen, warum sich die Experten ständig irren und selbst korrigieren müssen, hängen die Journalisten an deren Lippen und der Aussicht auf goldene Zeiten. Vor genau einem Jahr rechneten dieselben Ökonomen mit einem Wachstum von 0,8 Prozent für 2013. Tatsächlich herausgekommen ist die Hälfte von 0,4 Prozent. Es ist halt schwierig, alle Faktoren einer Ökonomie treffsicher vorherzusagen.

Was aber regelmäßig in die überflüssigen Gemeinschaftsgutachten hineingehört, ist eine neoliberale Botschaft. Widersprüche stören dabei nicht weiter, weil auch Journalisten sie nicht erkennen wollen. Da behaupten die Forscher zum Beispiel, der Aufschwung werde von der guten Binnenkonjunktur, also von steigenden Löhnen und Gehältern getragen. Gleichzeitig halten die Ökonomen eine abschlagsfreie Rente, die, wie der Name schon sagt, prinzipiell ein höheres Einkommen verspricht als eine Rente, die durch Dämpfungsfaktoren gekürzt wird sowie einen Mindestlohn, der auch ein höheres Einkommen für Menschen darstellt, die ansonsten für 1,54 Euro bei einem Anwalt legal beschäftigt werden dürfen für konjunkturelles Gift. Wie kann das sein?

Die Botschaft ist klar. Es geht gar nicht um einen seriösen Ausblick, sondern darum, die Politik unter Druck zu setzen und eine Abweichung vom neoliberalen Glaubensdogma zu unterbinden. Lobbyarbeit nennt man das für gewöhnlich. Der seriöse Anstrich der Institute verdeckt das nur. “Deutsche Konjunktur im Aufschwung – Gegenwind von der Wirtschaftspolitik”, so nennen die Forscher ihr Gutachten. Sie überzeugen aber nicht mit Sachverstand, sondern blamieren sich mit Lächerlichkeiten. So warnen die Experten zum Beispiel vor steigenden Preisen (Inflation), falls der Mindestlohn beschlossen würde. Dabei sind steigende Preise dringend nötig in einer Zeit der Deflation.  

Die Verbraucherpreise steigen nur noch minimal und bei den Erzeugerpreisen ist der Rückwärtsgang längst eingelegt. Die Warnung vor steigenden Preisen ist also völlig unangebracht. Überteuert ist nur das Gutachten, das die Bundesregierung zweimal im Jahr in Auftrag gibt. Sie liebe Leserinnen und Leser zahlen mit ihren Steuergeldern die Glaskugelweisheiten von sogenannten Experten, die sich ständig korrigieren müssen und statt Wissenschaft abzuliefern, politische Propaganda betreiben, die ganz im Sinne so mancher Arbeitgeberverbände ist. Klaus Ernst hat schon Recht, wenn er sagt: Da werde „Steuergeld für Ideologie verpulvert“.


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Die Dialektik der Kanzlerin

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Nach Angela Merkel verbaue sich Russland durch Rücksichtslosigkeit und Stärke seine Zukunft selbst. Beim Blick in den Spiegel müsste die deutsche Regierungschefin eigentlich zum selben Ergebnis kommen.

„Wir wissen, dass diejenigen, bei denen das Denken nur um ihre eigenen Interessen kreist, die ohne Rücksicht auf andere ihre Stärken ausspielen, keine Chance haben, Zukunft zu gestalten. Niemand, der erfolgreich sein möchte, kann heute nur seine eigenen Belange in den Vordergrund stellen. Er verbaut sich damit selbst seine eigene Zukunft.“

Dieser Satz von Merkel, gefallen heute während der Generaldebatte im Bundestag, ist bemerkenswert. Gesprochen hat sie ihn im Zusammenhang mit der Krise in der Ukraine. Die Medien verstehen diesen Satz als Mahnung an den Kremlchef und die Menschen an den Volksempfängern sollen ihn so verstehen, dass Merkel die Friedensstifterin nur den Ausgleich suche und gegenseitige Rücksichtnahme fordere. Wie aber ist dann Merkels Haltung zur Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen?

Vor einem Jahr sagte sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos:

„Wenn wir uns in Europa bei den Lohnstückkosten genau in der Mitte treffen würden, beim Durchschnitt aller europäischen Länder, dann würde ganz Europa nicht mehr wettbewerbsfähig sein und Deutschland nicht mehr exportieren können. Das kann nicht das Ziel unserer Bemühungen sein. Deshalb sind Überschüsse in den Leistungsbilanzen zum Teil natürlich auch Ausdruck einer guten Wettbewerbsfähigkeit. Und diese dürfen wir auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen.“

Merkel stellt vermeintliche Belange Deutschlands in den Vordergrund, ohne zu erkennen, dass sie damit die Zukunft des Landes verbaut. Sie glaubt, es läge im Interesse Deutschlands, Überschüsse in den Leistungsbilanzen permanent und für alle Ewigkeit anzuhäufen. Diese Überschüsse können aber nur existieren, weil es auf der anderen Seite Defizite gibt, deren Existenz die Kanzlerin als allererste scharf verurteilen und als Ausdruck mangelnden Stabilitätsbewusstseins identifizieren würde. Südeuropa kann ein Lied davon singen. Diese Länder werden von einer Troika letztlich für das Vergehen bestraft, den Exporterfolg Deutschlands jahrelang finanziert zu haben.

Merkel versteht Wirtschaftspolitik als einen Kampf um Wettbewerbspositionen und weniger als Ausgleich, der dem Welthandel aber genuin zugrunde liegt. Sie hängt dem falschen Glauben an, alle auf der Welt könnten profitieren, wenn Deutschland nur beständig hohe Leistungsbilanzüberschüsse ausweise. In Wirklichkeit aber sind diese Ungleichgewichte auf Dauer schädlich für die Weltwirtschaft und den internationalen Handel wie die Eurokrise eindrucksvoll beweist. Dennoch dürfe die hohe Wettbewerbsfähigkeit nicht auf Spiel gesetzt werden, meint Merkel, schon gar nicht durch eine Politik, die dem Außenhandel schade.

Dabei hat sie das gar nicht mehr in der Hand. Die Wechselkursentwicklung korrigiert inzwischen das Missverhältnis, das sich in der gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit widerspiegelt. Seit einiger Zeit wertet der Euro gegenüber anderen Währungsräumen kontinuierlich auf. Waren und Dienstleistungen aus Europa werden auf dem Weltmarkt damit teurer. Umgekehrt werden Produkte aus anderen Ländern günstiger. Die Märkte reagieren damit auf die niedrige Inflationsrate in der Eurozone, die Ausdruck einer zu geringen Steigerung der Löhne und Lohnstückkosten ist. Wollte Frau Merkel ihr Versprechen also einlösen und die Wettbewerbsfähigkeit noch ein wenig behalten, müsste sie gegen alle Vernunft und Logik eine neue Runde von Lohnsenkungen einläuten.

Oder aber die Menschen die Energiewende bezahlen lassen, um den Unternehmen, die gar nicht in Not sind, ihren relativen Wettbewerbsvorteil zu erhalten. Denn mit nur 40 Euro mehr im Jahr für Strom retten Sie Ihren Arbeitsplatz, meint der oberste Sozialdemokrat, der gleichzeitig Bundeswirtschaftsminister ist. Merkel hat ja versprochen, die Wettbewerbsfähigkeit verteidigen zu wollen. Und Gabriel hat versprochen, ein staatstragender und verlässlicher Koalitionspartner zu sein, dem nichts zu Blöde ist, um es als Argument zu verkaufen. Prüfen Sie mal Ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit und rufen sich dann den Satz der Kanzlerin in Erinnerung.

„Wir wissen, dass diejenigen, bei denen das Denken nur um ihre eigenen Interessen kreist, die ohne Rücksicht auf andere ihre Stärken ausspielen, keine Chance haben, Zukunft zu gestalten. Niemand, der erfolgreich sein möchte, kann heute nur seine eigenen Belange in den Vordergrund stellen. Er verbaut sich damit selbst seine eigene Zukunft.“


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Mal wieder ein Tag der guten Stimmung

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Es ist erst ein paar Tage her, da meldete das Statistische Bundesamt lauter Umsatzeinbrüche. Im verarbeitenden Gewerbe wie auch im Einzelhandel will die Realität  einfach nicht zu den Erwartungen passen. Deutschland ging es im Dezember offenbar so gut, dass die Leute doch glatt das Einkaufen an Weihnachten vergessen hatten. Die Umsätze rauschten regelrecht in den Keller, ein reales Minus von 2,5 Prozent mussten die Einzelhändler hinnehmen. Den Medien war das kaum eine Meldung wert.

Heute war wieder der Tag der guten Stimmung. Und wie erwartet, hat es die Meldung der GfK zur “stabilen” Konsumlaune wieder in die Nachrichten geschafft. Hier ein Screenshot mit den Headlines zum Schlagwort “Kauflaune” bei Google News:

Kauflaune

Auch die Bundesregierung legte ihren Jahreswirtschaftsbericht vor. Nun freuen sich die Medien auf ein angeblich “kräftiges” oder wahlweise “robustes” Wachstum von 1,8 Prozent. Denn laut Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel habe die deutsche Wirtschaft auf einen stabilen und breit angelegten Erholungskurs eingeschwenkt. Das Bruttoinlandsprodukt, so Gabriel weiter, dürfte vor allem zulegen, weil es von der Binnenwirtschaft gestützt werde.

Die Botschaft ist also klar. Die Deutschen haben an Weihnachten nur für das BIP-Wachstum 2014 gespart. Doch warum jubeln alle über ein angeblich robustes/kräftiges Wachstum? Die Zahlen haben sich nicht geändert. Es sind jene Werte, auf die die optimistischen Prognosen, die bis zum vergangenen Herbst galten, nach unten korrigiert werden mussten. Damals jubelte aber keiner, weil die Experten die schwächeren Zahlen mit sinkenden Exporten und rückläufigen Investitionen begründeten. Daran hat sich also nichts geändert. Somit gebührt es erneut dem ökonomischen Analphabetismus und der Vergesslichkeit der Medien, dass heute wieder gejubelt werden darf.

Diesen propagandistischen Mist muss man eigentlich nicht mehr kommentieren, wäre da nicht die Aussage von Gabriel, die ungeprüft und unwidersprochen blieb. Er behauptete, dass die Dynamik der deutschen Binnenwirtschaft auch gut für die europäischen Partner wäre. “Wir kommen damit unserem Ziel, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euroraum abzubauen, ein Stück näher.” Dieses Ziel liegt ferner denn je. Die deutschen Ausfuhren sanken 2013 um 0,2 Prozent. Die Importe gingen mit 1,2 Prozent allerdings noch stärker zurück, was den Handelsbilanz-Überschuss auf 198,9 Mrd. Euro anschwellen ließ.

Das heißt, insgesamt reicht die Binnennachfrage eben nicht aus, um die Ungleichgewichte abzubauen. Sie werden sogar noch vergrößert. Aber Gabriel meinte ja die Eurozone. “In die Länder der Eurozone wurden im Jahr 2013 Waren im Wert von 401,9 Milliarden  Euro (– 1,2 Prozent) geliefert und Waren im Wert von 401,2 Milliarden  Euro (– 0,2 Prozent) aus diesen Ländern bezogen.” Beinahe ausgeglichen, möchte man meinen. Doch diese Zahlen sind geschönt, wie Stephan Kaufmann in der Frankfurter Rundschau feststellt. Er schreibt:

“Doch so rosig ist die Lage nicht. Denn die aktuelle Statistik beruht auf dem Versendungsland-Prinzip. Das bedeutet: Eine chinesische Ware, die über die Niederlande nach Deutschland geliefert wird, zählt als niederländischer Export. Aussagekräftiger ist das so genannte Ursprungsland-Prinzip, in dem diese Ware als chinesische Lieferung gezählt wird.

Nach dieser Statistik – die erst für die ersten elf Monate 2013 vorliegt – sieht es so aus: Deutlich mehr nach Deutschland exportieren konnten 2013 nur die Niederlande, Portugal und Belgien. Spanien gelang ein moderates Plus. Aus Frankreich, Griechenland, Irland und Italien bezog Deutschland weniger Importe. Das Defizit dieser Länder im Handel mit Deutschland schrumpfte nur, weil ihre Einfuhren aus Deutschland noch stärker sanken. Gegenüber Griechenland konnte Deutschland seinen Überschuss im vergangenen Jahr sogar ausweiten.

Fazit: Trotz einigen Verbesserungen erzielt Deutschland gegenüber den EU-Krisen- und  Wackelstaaten weiter hohe Handelsüberschüsse. Berechnet nach dem Ursprungsland-Prinzip lag der Überschuss mit der Euro-Zone 2013 bei 56 Milliarden Euro.”

Also, auch hier tut sich nichts. Um die Ungleichgewichte tatsächlich innerhalb der Eurozone abbauen zu können, müsste Deutschland deutlich mehr Importe aus den Defizitländern zulassen als es selbst Waren dorthin ausführt. Da das aber nicht so ist, haben die Staaten im Süden auch keine Chance wirtschaftlich aus der Krise herauszuwachsen. Die von Gabriel erhoffte Wirkung wird also ausbleiben, spätestens dann, wenn sich das Gerede von einer Zunahme der Binnennachfrage wieder als Luftnummer herausstellen wird, da eine dringend notwendige Anpassung der Kaufkraft an die ständig kolportierte Kauflaune auch in diesem Jahr wohl wieder ausbleiben wird. Darauf deuten übrigens auch schon die ersten mageren Tarifabschlüsse des Jahres hin.


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Die Herde setzt zur Flucht an

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Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien, Türkei und Indonesien geraten in Währungsturbulenzen. Die Investoren flüchten, so lauten die Nachrichten seit ein paar Tagen und Wochen. Nur warum flüchten die Investoren, die doch eigentlich als Spekulanten bezeichnet werden müssten? Ist es nicht die Aufgabe der Schwellenländer, künftig die Exportüberschüsse Deutschlands zu finanzieren? Dafür benötigen die aber Geld und zwar das der Investoren Spekulanten. Die wiederum flüchten aber nicht aus rationalen Gründen, wie uns jene Börsenheinis weißmachen wollen, die auch behaupten, dass die Aktie gerade wieder als Altersvorsorge tauge. Sie flüchten eigentlich nur, weil es die Herde tut. In Panik sozusagen.

Es ist schon erstaunlich, wie sich das Blatt in der öffentlichen Diskussion mal wieder gewendet hat. Plötzlich haben die Wirtschaftsredaktionen die Problematik anhaltender Leistungsbilanzdefizite entdeckt. Heiner Flassbeck weist am Beispiel der FAZ darauf hin. 

In der Türkei, schreibt Gerald Braunberger, riefen „das Leistungsbilanzdefizit und die Auslandsverschuldung Sorgen hervor.“ Na so etwas, Sorgen haben auf einmal Länder, die Leistungsbilanzdefizite und Auslandsverschuldung aufweisen. Wo doch gerade die FAZ in den vergangenen Wochen nicht müde wurde zu betonen, wie ungefährlich, ja geradezu gut die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse für die ganze Welt sind. Wie können dann Defizite und Verschuldung schlecht sein, wenn Überschüsse und Forderungen doch durchweg gut sind? Sind die deutschen Überschüsse vielleicht gar nicht von dieser Welt? Sind es doch Mars und Venus, die die Defizite machen, die den deutschen Überschüssen gegenüberstehen?

An den Börsen wird erzählt, dass die Entscheidung der FED, die Geldschleusen langsam zu schließen, das Angstbarometer der Anleger wieder steigen lasse. Die Defizite der Schwellenländer würden nun sichtbar und das Risiko für die Anleger sei plötzlich zu hoch. Dabei waren die Leistungsbilanzdefizite schon vorher sichtbar, wurden aber absichtlich oder aus Unwissenheit übersehen, weil es die Anleger ja toll fanden, in die Schwellenländer und vor allem in die gut verzinste Währung zu investieren.

Hier zeigt sich wieder, wie absurd der Meinungsmainstream funktioniert. Das Interesse der Anleger gilt ja nicht irgendeiner wirtschaftlichen Entwicklung, sondern der Möglichkeit, mit billig geliehenem Kapital die höchst mögliche Rendite zu erzielen. Nicht Investition, sondern Spekulation ist die Triebfeder des Kapitalmarkts. Die Zinsunterschiede versprachen einen Profit unter der Bedingung der lockeren Geldpolitik (Carry-Trades). Diese neigt sich im Dollarraum nun allmählich dem Ende zu, so scheint es aber nur. Die Probleme der Schwellenländer sind daher nicht der Grund für eine Kapitalflucht der Spekulanten, sondern bloß ein Anlass, den man der zahlenden Öffentlichkeit als Brocken hinwirft.

Hinzu kommen bestimmte Automatismen, die an der Börse selten eine Erwähnung finden. Bei den dort berichtenden Journalisten herrscht der Glaube vor, dass selbst Anleger mal tief enttäuscht sein dürften und ihre seit Monaten vorhandene gute Stimmung “vorübergehend” verlieren können. Ich frage mich nur, wo genau das menschliche Gefühl der “tiefen Enttäuschung” in den Algorithmen der Superrechner versteckt sein soll, die blitzschnell über Kauf und Verkauf entscheiden.

Diese angenommene Emotionalität als Grundlage von Entscheidungen ist eine abwegige Vorstellung, die immer dann besonders deutlich wird, wenn “Unfälle” an den Marktplätzen dieser Welt passieren und die Börsenkurse plötzlich rasant zu fallen beginnen und der Handel sogar ausgesetzt werden muss. Mehr als 70 Prozent der amerikanischen und bis zu 50 Prozent der deutschen Aktiengeschäfte werden nicht von realen Anlegern oder Investoren getätigt, sondern von Computerprogrammen im Nanosekundenbereich. Das Ganze nennt sich Hochfrequenzhandel, auf den die Börsenheinis selbst schon einmal hingewiesen hatten.

Dieser Hochfrequenzhandel ist fehlerhaft und führt auch dazu, dass sich die Herde von Spekulanten davon natürlich beeinflussen lässt und ihre Geschäfte dem ausgelösten Druck entsprechend panisch anzupassen versucht. Das kann auch ein Gefühl erzeugen, nämlich nicht zu denen gehören zu wollen, die den Anschluss an die Herde verpassen. Der Hochfrequenzhandel bildet beschleunigt daher nur das ab, was auch im normalen Handel maßgeblich ist. Es sind keine Unternehmensdaten oder Nachrichten zur konjunkturellen Lage, die das Geschehen bestimmen, sondern ein simples Herdenverhalten basierend auf Gerüchten, Glauben und technischen Pannen.

Im Ergebnis wird einfach nur weitergezockt, ohne Rücksicht auf Schäden für die reale Volkswirtschaft, die am Ende nicht die Spekulanten zahlen. Das öffentliche Erkennen von Leistungsbilanzdefiziten als Problem passt da nur ins Bild, um die Zocker einerseits als rational denkende Anleger beschreiben zu können und die ahnungslosen Börsenheinis als seriöse Journalisten erscheinen zu lassen. Die bejubeln aber weiterhin den “fulminanten” Jahresauftakt der deutschen Industrie, die aber ihre Aufträge doch gerade aus jenen Ländern erhalten haben muss, die als neue Problemstaaten jetzt gebrandmarkt werden.

Statt von einem Aufschwung hier zu faseln, müsste die Journaille vor einem wirtschaftlichen Absturz warnen. Denn was sind die optimistischen Prognosen noch wert, wenn die deutsche Exportwirtschaft neben den Absatzmärkten der Eurozone nun auch noch die in Lateinamerika und Asien verlöre?

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Schäuble will kein Volkswirt, sondern Kaufmann sein

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will in seinem Amt ein vorsichtiger Kaufmann sein. Die Medien nehmen es hin und applaudieren sogar, wenn er verspricht, im Jahr 2015 keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu wollen (Wie oft hat das ein Finanzminister schon versprochen?). Doch was ein vorsichtiger Kaufmann im Bundesfinanzministerium zu suchen hat, interessiert niemanden. Nur wird in diesem Haus keine Fachkraft für Betriebswirtschaft benötigt, sondern jemand, der volkswirtschaftliche Zusammenhänge versteht und danach handelt. Das tut Schäuble aber nicht.

„Ich werde wie bisher nach den Prinzipien eines vorsichtigen Kaufmanns wirtschaften. Dass es geht, haben wir in den letzten vier Jahren bewiesen. Wenn es keine dramatische Verschlechterung der wirtschaftlichen Entwicklung gibt, bin ich zuversichtlich, dass es uns auch in diesem Jahr gelingt, mit weniger als geplant auszukommen.“

Vor ein paar Wochen traf Schäuble seinen amerikanischen Amtskollegen Jack Lew und verteidigte auf abenteuerliche Weise einmal mehr die deutschen Exportüberschüsse. Er sagte, dass das amerikanische Defizit nicht besser würde, wenn ein europäisches Defizit hinzukäme. In Davos erneuerte er nun diese eigenwillige Sicht der Dinge. Er akzeptiere die Kritik nicht und bezeichnete die Empfehlung des EU-Kommissars Rehn, wonach die Inflation in der Eurozone bei knapp zwei Prozent liegen sollte, um die wirtschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen, als Unsinn. Das, so Schäuble, würde ja bedeuten, dass Europa nur auf der Basis von Instabilität und Inflation funktioniere.

Inflation gleich Instabilität. Das ist ein weiterer Tiefpunkt in der Diskussion, die so arm an volkswirtschaftlichen Sachverstand ist. Die ominösen zwei Prozent Inflation sind ja nicht aus der Luft gegriffen und haben auch nicht viel mit Wahlkampf zu tun, wie Schäuble unseren hörigen Medien in die Blöcke diktiert, sondern gehen auf eine Zielvereinbarung zurück, die einzuhalten sich auch Deutschland bei der Gründung der Währungsunion verpflichtet hat. Worauf sonst sollte sich eine Währungsunion auch verständigen, wenn nicht auf eine Harmonisierung der Lohnstückkostenentwicklung, die die Inflation bestimmt?

Die Instabilität rührt schließlich nicht vom Inflationsziel her, sondern davon, es nicht einzuhalten. Schäuble findet offenbar Gefallen daran, wenn die Inflationsrate, wie zuletzt gemessen, bei unter 1 Prozent liegt. Denn die Deutschen fürchten Inflation so sehr, dass sie die Deflationsgefahr gar nicht mehr erkennen wollen oder können, die Europa inzwischen erfasst hat. Selbst die anhaltend niedrigen Zinsen der Zentralbank, die es ja nur deshalb gibt, weil die Rolle des Schuldners niemand mehr übernehmen möchte, zeigen das Ausmaß der Misere, die zu erkennen und zu bekämpfen aber mehr verlangt, als die Kurzsichtigkeit eines deutschen Finanzministers.

Der sähe es hingegen gerne, wenn alle sparen so wie er, irgendwann einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und am Ende keine neuen Schulden mehr machen würden. Dann, so Schäubles Überzeugung, stünden auch die anderen wirtschaftlich so gut da wie die teutonische “Wachstumslokomotive” mit ihren lächerlich mickrigen 0,4 Prozent BIP-Zuwachs im abgelaufenen Jahr. In diesem desaströsen Klima der verordneten Sparsamkeit investiert nur niemand mehr, obwohl gerade Schäuble und die deutsche Wirtschaft weiterhin darauf hoffen. Sie haben ja bis jetzt auch davon profitiert. Denn ohne die Schuldner des Auslands, die man mit erhobenen Zeigefinger ordentlich beschimpft und maßregelt, gäbe es keinen Exportüberschuss, den man bejubeln könnte.

Einem Volkswirt mit makroökonomischen Sachverstand wäre das wohl klar, einem studierten Juristen, der gern ein Kaufmann sein möchte aber nicht. Der hat zu komplizierten ökonomischen Sachfragen nämlich nix zu sagen, und flüchtet sich daher ins Prozedurale, sagt Heiner Flassbeck.

Klar, wenn einer etwas Blödes tut, wird es nicht besser, wenn ein anderer das Gleiche tut, würde ein Jurist sagen. Dass ein europäisches Defizit vermutlich einen amerikanischen Überschuss erlauben würde, und dass ein solcher Überschuss nach vielen Defizitjahren auch gerechtfertigt sein könnte, kommt einem Juristen nicht in den Sinn. Und es kann ihm nicht in den Sinn kommen, wenn ihm niemand klipp und klar sagt, dass die Welt insgesamt keine Überschüsse oder Defizite aufweisen kann und man deswegen nicht so daherreden sollte, wenn man sich nicht lächerlich machen will. Wer aber soll Wolfgang Schäuble das sagen?

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Über Nacht im Schloss

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Die deutsche Wirtschaft steht eher vor einem Ab- denn vor einem Aufschwung. Wer die Fakten richtig liest, weiß das. Jetzt, da die SPD mit an der Regierung beteiligt ist, hätte es auch aus Sicht der Systemmedien eigentlich keinen Sinn mehr, die Lage weiter zu beschönigen. Noch tun sie es aber, weil das gemeinsame Vorgehen gegen die nüchternen Analysen des Auslandes Lustgewinn verspricht. Dennoch: Dass es bergab geht, lässt sich nicht länger leugnen, weshalb vorsorglich gegen einige Punkte des Koalitionsvertrages wie den Mindestlohn oder die Rentenregelung scharf geschossen wird. Es geht schließlich darum, dem bereits begonnenen und in der Zukunft nicht mehr länger zu verheimlichenden Konjunkturwinter eine genehme Ursache zu verpassen.

Sollte beispielsweise das Job-Wunder, das nie eins war, in “sichtbare” Gefahr geraten (die Arbeitslosigkeit steigt übrigens saisonal bereinigt schon seit Monaten wieder), ist natürlich der Mindestlohn Schuld. Ein Wachstum weiter herbeizureden, wird da zunehmend schwieriger, weshalb sich auch die Regierungs-SPD natürlich daran versucht. Für Andrea Nahles, neue Arbeitsministerin, deuten die Zahlen am Arbeitsmarkt auf eine solide wirtschaftliche Lage hin. Dabei hatte sie als Verhandlungsspitze in den Koalitionsgesprächen noch ihre Unwissenheit in Sachen Ökonomie zugeben müssen, als sie sagte, dass sie die Kritik der EU an den Leistungsbilanzüberschüssen nicht verstehe. Wie kann sie dann wissen, was volkwirtschaftlich solide ist?

Das zweite Beispiel ist die gesetzliche Rente, die eine funktionierende Solidargemeinschaft als Grundlage braucht. In den Medien werden Rentenerhöhungen als “soziale Wohltat” diffamiert, während die unsichere und hochsubventionierte private Altersvorsorge nicht als das bezeichnet wird, was sie ist. Ein asoziales Bereicherungsprogramm für die Versicherungskonzerne. Die Journaille spottet derweil über Blüms Satz, “Die Rente ist sicher”, vergisst aber zu erwähnen oder wenigstens zu erkennen, dass dieser richtige Satz seinen Wahrheitsgehalt nur deshalb verliert, weil gleichzeitig ein anderer aus Sicht der Versicherungen und Banken, an deren Lippen die Politik ja bekanntlich hängt, zu gelten hat. Und zwar: “Die Profite sind sicher”.

Es kann gar nicht oft genug erwähnt werden, dass der Oberguru der Drückerkolonnen, Carsten Maschmeyer, die Privatisierung der Altersvorsorge als Ölquelle für seine Branche bezeichnete. “Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß und sie wird sprudeln”, sagte er einmal. Das ist auch so ein Satz, der nur stimmen kann, wenn das Vertrauen in die gesetzliche Rente bewusst zerstört wird und Beitragsgelder wie auch Steuermittel auf die Konten der Finanzinstitute umgeleitet werden. Der andere Guru, der sich Wissenschaftler nennt, aber doch bloß ein schlecht verkleideter Versicherungsmakler ist, Bernd Raffelhüschen, hat mal gesagt. “Aus dem Nachhaltigkeitsproblem der Rentenversicherung ist ein Altersvorsorgeproblem der Bevölkerung geworden. Das müssen wir denen [gemeint ist der dumme Michel, Anm. tau] jetzt erzählen.”

Und was soll man sagen. Sie glauben es auch. Rund 12 Milliarden Euro an Steuergeldern und wahrscheinlich das Dreifache an Sozialbeiträgen sind so bereits auf dem Kapitalmarkt gelandet. Warum? Weil alle von der erfundenen demografischen Katastrophe überzeugt sind, einem Banker von Natur aus Vertrauen schenken und nicht verstehen, dass es immer auf das Verhältnis zwischen berufstätigen und nicht berufstätigen Jahrgängen ankommt. Das schließt die Kinder aber mit ein, die wie die Rentner von den Berufstätigen mitversorgt werden müssen. Die abnehmende Zahl der Kinder fließt in die Berechnungen der Renten-Demagogen aber gar nicht erst ein, wenn sie die Entwicklung der Alterspyramide als sich selbst erklärende Powerpoint-Präsentation an die Wand werfen.

Natürlich geht es auch um den Glauben an den Profit, den aber nur derjenige auch einstreichen kann, der Dumme findet, die dafür bezahlen wie im Falle Prokon, die nun Insolvenz anmelden mussten. Lotto funktioniert ähnlich. Jeder kann Millionär werden, aber nicht alle, sagte Volker Pispers einmal treffend. Sollte Altersvorsorge wirklich als Glücksspiel betrieben werden? Ich denke nicht, denn die Solidargemeinschaft als Ganzes hat andere Erwartungen, die zu erfüllen letztlich auch die Grundlage für eine stabile Wirtschaft bilden, von der alle auch solide profitieren können. An einer funktionierenden Solidargemeinschaft ist die GroKo allerdings nur pro forma interessiert.

Das Kabinettstreffen in Meseberg steht unter der Überschrift Entschleunigung. In der Sache soll nicht viel entschieden werden. Man habe ja noch vier Jahre vor sich, schreibt SpOn. Nicht zu fassen, hieß es doch kürzlich noch, dass die Zeit einer herkömmlichen Legislaturperiode viel zu kurz bemessen sei und unbedingt auf fünf Jahre verlängert werden müsse. Nun wird wieder über Arbeitspläne diskutiert, so als ob die längsten Koalitionsverhandlungen aller Zeiten dringend eine Fortsetzung bräuchten. Über Nacht im Schloss auf Muttis Schoß. Da lacht der Gabriel. Denn auch er sieht die deutsche Wirtschaft wie sein Vorgänger Rösler auf einem soliden Wachstumskurs, egal wie mickrig das Ergebnis auch ausfallen mag.

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Das sonderbare Coming-Out von Wolfgang Schäuble

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Eine der am wenigsten zur Kenntnis genommenen Nachrichten am gestrigen Mittwoch war das Coming-Out von Finanzminister Wolfgang Schäuble, der im Anschluss an eine Unterredung mit seinem amerikanischen Amtskollegen Jack Lew einmal mehr offenbarte, dass er von Finanzen und Wirtschaftspolitik keine Ahnung hat. Schäuble wies die Kritik von Lew an den hohen deutschen Handelsüberschüssen, die im November laut statistischem Bundesamt noch einmal zulegten, erwartungsgemäß zurück. Die Begründung bleibt abenteuerlich.

Schäuble machte gar nicht erst den Versuch, die nachweislich nur so vor sich hin dümpelnde Binnenkonjunktur als wesentliche Stütze der Wirtschaft und damit als Gegenargument groß aufzublähen (ich komme weiter unten darauf zurück), er meinte vielmehr in einem Akt der Hilflosigkeit, dass das amerikanische Defizit nicht dadurch geheilt werden könne, wenn Deutschland auf seine Überschüsse verzichten und die Eurozone als Ganzes ebenfalls ein Defizit ausweisen würde. Dem deutschen Finanzminister scheint immer noch nicht klar zu sein, dass alle weder Überschüsse noch Defizite zur gleichen Zeit in ihren Handelsbilanzen haben können.

Die simple Logik, dass der Defizitsünder solange existieren muss, wie sich der Exportsünder an seine Überschüsse klammert, braucht nicht länger wiederholt zu werden, sondern dürfte inzwischen jedem klar sein. Ein Abbau der deutschen Überschüsse hätte entgegen der Behauptung Schäubles direkte Auswirkungen auf die Leistungsbilanz anderer Staaten, die dann erst in die Lage kämen, die über Jahre angehäuften Forderungen der Deutschen, nichts anderes sind die erzielten Überschüsse ja, Schritt für Schritt zurückzuzahlen.

Für Schäuble ist das allerdings keine Alternative. Er zündet lieber Nebelkerzen und behauptet, dass das Modell der Haushaltskonsolidierung erfolgreich und auch nachhaltig sei. Die mickrigen Wachstumsraten von 0,7 Prozent in 2012, erwarteten 0,4 Prozent für 2013 und völlig unrealistischen 1,8 Prozent für 2014 sprechen aber eine andere Sprache. Der Sparkurs der Bundesregierung wird scheitern, während sich die expansive Geldpolitik der Amerikaner mit durchschnittlichen Wachstumsraten um die zwei Prozent in den Jahren 2010 bis 2013 weiterhin auszahlen wird.

Amerika steht deutlich besser da als Deutschland. Hiesige Medien sprechen dennoch von einem Duell der Meister, bei dem eisernes Sparen auf der einen Seite und die Geldflut auf der anderen Seite gleichermaßen zur Überwindung der Finanzkrise beigetragen hätte. Der volkswirtschaftliche Analphabetismus hierzulande verstellt dabei den Blick auf die Realitäten. Wenn der Außenbeitrag infolge des Spardogmas innerhalb Europas schrumpft, laut Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute wird der Saldo aus Ex- und Importen mit –0,3 Prozent auf das Wachstum drücken, wirkt natürlich der im Vergleich zu 2012 nahezu gleich gebliebene Wachstumsbeitrag des privaten Konsums von 0,5 Prozent wie eine starke Stütze der Konjunktur.

Um aber dem negativen Effekt des Außenbeitrages etwas entgegensetzen zu können, ist eine sehr viel höhere Binnennachfrage notwendig. Eine Steigerung von Konsum und Investitionen ist aber nur dann realistisch, wenn auch die Löhne deutlich zulegen. 2013 stiegen die Nettolöhne laut Herbstgutachten um 2,9 Prozent mit dem Ergebnis, dass der private Konsum mit 0,5 Prozent zur Wirtschaftsentwicklung beitragen soll. Für 2014 gehen die Experten nun von einem Anstieg der Nettolöhne um 3,1 Prozent aus und verknüpfen damit gleichzeitig einen fantastischen Sprung des privaten Konsum-Beitrages auf 0,8 Prozent. Kombiniert mit einer erwarteten Zunahme der Investitionen in Anlagen um 0,9 Prozent (-0,1 Prozent in 2013) ergibt sich dann ein prognostiziertes Gesamtwachstum von 1,8 Prozent.

Die kaum hinterfragten Schätzungen der amtlich bestellten Konjunkturexperten, die nicht nur widersprüchlich argumentieren, sondern in beständiger Regelmäßigkeit daneben liegen, haben dennoch dazu geführt, dass alle wieder von einem bevorstehenden Aufschwung reden und etwas anderes unmöglich erscheint. Die Amerikaner bezweifeln das und finden, dass die Bundesregierung mehr für eine Stärkung der Binnennachfrage tun müsse, um auch Impulsgeber für die in der Rezession verharrende europäische Wirtschaft aber auch die Weltkonjunktur zu sein. Dabei mutet es schon komisch an, wenn Schäuble auf den Mindestlohn und Investitionen in die Infrastruktur verweist, die noch lange nicht beschlossen sind und über deren Ausgestaltung gerade ein Kampf quer durch die Koalitionsfraktionen tobt.

“Wir führen unsere Gespräche nicht, um uns gegenseitig Zensuren zu verteilen, sondern um uns besser zu verstehen”, sagte Schäuble schließlich. Diese Worte dürften den Südeuropäern einschließlich Frankreich als sonderbares Coming Out erscheinen. War es doch bisher gerade die Politik der Deutschen, einseitig Zensuren, Empfehlungen und Auflagen zu verteilen, nicht um Verständigung zu erzielen, das haben die Rechthaber in Berlin ja nicht nötig, sondern um den anderen zu verstehen zu geben, wer in Europa 100 Jahre nach Ausbruch des ersten Weltkrieges wieder etwas zu Sagen haben will.

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