Haben sie die Meldung heute mitbekommen? Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hellt sich auf. Sie sei so gut wie lange nicht, meldet das Münchner Ifo-Institut von Professor (Un)Sinn. Eine ganz wichtige Nachricht, wenn sie an Wahr-, quatsch Weissagerei glauben. Denn der Ifo-Index ist Volksverarschung im Quadrat, wie Volker Pispers einmal sehr treffend formulierte. Da befragen die akademischen Kaffeesatzleser des Ifo-Instituts eine handvoll Unternehmer, also die Glaskugelbesitzer nach ihren Erwartungen für das kommende halbe Jahr, und herauskommt ein Geschäftsklimaindex auf eine Stelle hinter dem Komma genau. Toll oder? Das finden übrigens auch die für eine Volkswirtschaft so wichtigen Analysten, wie diese hier:
Als Paukenschlag bezeichnete DekaBank-Analyst Andreas Scheuerle die überraschend guten Ifo-Daten: „Sie ersetzen das – gelegentliche – Fragezeichen hinter der Erholung durch ein Ausrufezeichen.“ Dies deute nach einem schwachen Winterhalbjahr ein sehr starkes zweites Quartal 2010 hin. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet sogar ein Wachstum von rund einem Prozent.
Das sind übrigens dieselben Experten, die vor ein paar Wochen völlig von der Tatsache überrascht wurden, dass die deutschen Exporte im Januar zurückgegangen waren, obwohl die sog. Wirtschaftsindikatoren, wie der Ifo-Geschäftsklimaindex, eine andere Prognose nahe legten (siehe hier im Blog). Offensichtlich haben diese Top-Analysten den Schock bereits verdaut und verteilen schon wieder munter Ausrufezeichen hinter Aussagen, die von den zurückgekehrten „Angebotsidioten“ rund um den Prof. (Un)Sinn unters Volk gestreut werden.
Zur Aufklärung noch einmal Volker Pispers über „Wahrsager“…
Ich hatte ja gehofft, in Neues aus der Anstalt etwas zum Thema Griechenland hören zu dürfen, doch die Schwerpunkte lagen eher woanders. Deshalb muss ich in der politischen Anstalt nach Antworten suchen. Es ist ja Haushaltswoche. Und da wird traditionell ausgeteilt bzw. schöngeredet. Bundesfinanzminister Schäuble hat ja bereits gestern wahrheitswidrig verkündet, dass es zum Thema nichts Neues zu sagen gäbe. Nach wie vor werde es keine finanzielle Hilfe für Griechenland geben und es sei auch nichts in dieser Richtung in Brüssel entschieden worden.
Heute nun die Kanzlerin mit ihrem großen Auftritt. Na ja, vor allem wieder große Sprechblasen, die schon so nach abgestandener Luft stinken, dass einem wirklich schlecht werden konnte. Zum Beispiel verharrt die Regierungschefin in ihrem alten Muster des gemeinsamen Lösungsfindens. Ich kann diese Scheiße einfach nicht mehr hören. Zu Griechenland hieß es dann wieder:
„Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise nicht nur Banken retten müssen, sondern dass jetzt auch im Euroraum eine schwierige Situation eingetreten ist, was Griechenland anbelangt. Es war richtig, dass sowohl Nicolas Sarkozy als auch der Ministerpräsident Papandreou, Jean-Claude Juncker und ich die Kommission aufgefordert haben – das geht nur europaweit -, die Finanzrichtlinie so zu ändern, dass die sogenannten nackten Credit Default Swaps, bei denen man Wetten auf etwas abschließen kann, das man nicht besitzt, verboten werden. Wolfgang Schäuble hat gestern zu den Leerverkäufen gesprochen. Das können wir aber nicht alleine machen. Wir sind in der Europäischen Union, und das fällt in deren Kompetenz. Ich denke, die Signale aus der Kommission, dass dort etwas gemacht wird, sind richtig.“
Wieso können wir eigentlich nichts alleine machen? Wir haben Griechenland doch auch ganz alleine mit unserer einseitigen Wirtschaftspolitik an die Wand gefahren. Doch das will die Kanzlerin noch immer nicht wahrhaben und sagt:
„Das darf uns aber nicht vergessen lassen, dass die griechische Lage nicht durch die Spekulanten hervorgerufen wurde – sie wird durch die Spekulanten verstärkt -, sondern dass sie durch die langjährige Verletzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts hervorgerufen wurde.“
Diese Ursachenforschung läuft ins Leere, weil Griechenland auch gezwungen war, gegen die Maastricht-Kriterien zu verstoßen, um Deutschland seine Exportweltmeisterschaften zu finanzieren. Was könnte der Pudding im Hosenanzug denn dagegen haben. Oder warum sagt sie an der Stelle nicht einfach, keine weiteren deutschen Waffen nach Griechenland? Denn offensichtlich sind die ein richtiger Exportschlager. Inzwischen ist Deutschland auf Platz 3 hinter den USA und Russland in der Rangliste derer angekommen, die die meisten Waffen in der Welt verkaufen. Und Griechenland war ein Großkunde und hat deutsche Waffen erworben, obwohl es sich diese eigentlich nach Merkel gar nicht leisten durfte – wegen der Stabilitätskriterien. Aber bei militärischem Gerät hört die Vernunft eben auf.
Zu Beginn ihres Griechenland-Exkurses sagte die Kanzlerin ja:
„Wir haben gesehen, dass wir in dieser Krise nicht nur Banken retten müssen, sondern dass jetzt auch im Euroraum eine schwierige Situation eingetreten ist, was Griechenland anbelangt.“
Da habe ich schon gedacht, sie vollendet den zweiten Satzteil mit den Worten, …sondern dass wir jetzt auch Staaten wie Griechenland retten müssen. Eigentlich sagt sie das auch, nur schiebt sie den schwarzen Peter wie immer einfach weiter und verweist darauf, dass die EU zuständig ist.
Und dann folgen wieder Sätze wie…
„Alles, was überhaupt gedacht wird, muss darauf ausgerichtet sein, dass wir nicht vorschnelle Hilfen leisten, sondern dass wir dafür Sorge tragen, dass das Ganze wieder in Ordnung kommt. Alles andere wäre fatal.“
Übersetzung: Wir müssen eine gemeinsame Lösung finden.
Auch nicht schlecht ist diese Passage hier…
„Wir denken auch für die Zukunft; denn Europa ist unsere eigene Zukunft. Deshalb hat Wolfgang Schäuble nicht für Griechenland Vorschläge gemacht, aber Wolfgang Schäuble hat Vorschläge gemacht, damit man eventuell den IWF nicht in allen Situationen rufen muss – was jetzt vielleicht der Ausweg sein müsste, wenn man etwas täte. Aber ich sage hier nichts darüber hinaus.“
Anstelle einer Übersetzung eine Verständnisfrage: Hinaus über was? Was hat die Kanzlerin hier eigentlich konkret ausgesagt, das den Zusatz erlauben würde, eine tiefergehende Analyse auszusparen?
Oder wollte sie nur verständlich machen, was sie weiter oben bereits zu dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts klarstellte:
„Wir werden natürlich auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu den Hartz-IV-Sätzen umsetzen. Darüber möchte ich heute aber nicht weiter sprechen.„
Was für eine anmaßende Arroganz. Eine Regierungschefin, die sich im Prinzip weigert, Erklärungen abzugeben und stattdessen lieber auf heiße, pardon abgestandene, Luft setzt. Frischer Wind täte da gut. Und wieder einmal lag es an Gregor Gysi für eben diesen zu sorgen. Von seiner, wie ich finde, wirklich wichtigen Rede, ist in den Meldungen, die ich so gehört habe nur ein Satz überliefert. Der erste. Die Regierung befände sich in einem erbärmlichen Zustand. Das wars. Dabei hat er vielmehr gesagt und vor allem beim Thema Griechenland genau erklärt, wo das Problem liegt.
„Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Griechenland gesprochen. Da wundert mich eines: Wir verlangen von Griechenland einen knallharten Sparkurs, den wir für Deutschland ablehnen. Denn das ist Brüningsche Politik, und Sie wissen, dass Reichskanzler Brüning Deutschland in die größte Katastrophe geführt hat. Warum verlangen wir eine solche Politik von Griechenland?“
Aber nicht nur dieser offensichtliche Widerspruch treibt den Politiker der Linken um, er zeigt auch ökonomischen Sachverstand mit der Feststellung:
„Deutschland ist inzwischen der größte Niedrig- und Dumpinglohnsektor aller Industriestaaten. Ein Viertel der Beschäftigten, sagt das Statistische Bundesamt, arbeitet in Deutschland zu Niedriglohn. Damit hängt zusammen, dass unsere Exporte billiger sind und die griechischen teurer. Jetzt gibt es zwei Wege: Der eine Weg ist, dass die Griechen ihre Löhne noch weiter senken, und der andere Weg ist, dass wir unsere Löhne erhöhen. Genau dagegen wehren Sie sich. Sie tun ja so, als ob die Gesellschaft unterginge, wenn wir das machten, was schon 20 Mitgliedsländer der Europäischen Union getan haben, nämlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Genau den brauchen wir aber.
Davon hätten nicht nur die Griechinnen und Griechen, sondern auch unsere Beschäftigten etwas. Davon hätten auch – deshalb verstehe ich die FDP nicht – das Handwerk und die kleinen und mittleren Unternehmen etwas, die von der Binnenwirtschaft leben. Sie brauchen eine erhöhte Kaufkraft. Aber Sie verhindern dies. Eigentlich sind wir die Partei der kleinen und mittleren Unternehmen und nicht Sie. Sie tun bloß so als ob.“
Ganz deutlich wurde Gysi auch beim Thema Umverteilung. Nicht nur, dass er dem Rösler seine kleine Kopfpauschale vorrechnete, die bei geringen Einkommen zu einer weiteren Be- und bei höheren Einkommen zu einer erneuten Entlastung führe, Gysi erklärte auch, wie das plötzliche Spitzengehalt von Josef Ackermann möglich wurde.
„Ackermann bekommt jetzt wieder ein Gehalt von 10 Millionen Euro ausgezahlt. Ich gönne ihm das ja; aber wissen Sie, was das Problem daran ist? Das haben die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezahlt. Wissen Sie auch, warum? Die Deutsche Bank hatte eine Milliardenforderung gegenüber HRE. Wäre HRE in die Insolvenz gegangen, hätte die Deutsche Bank keinen Gewinn gemacht; ganz im Gegenteil, sie hätte schwere Verluste zu verzeichnen. Jetzt ist HRE verstaatlicht worden; das heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben die Forderung übernommen und an die Deutsche Bank gezahlt. Davon bekommt Ackermann jetzt 10 Millionen Euro, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aber nichts. Das ist die Ungerechtigkeit, die wir kritisieren und gegen die Sie nichts machen.“
So etwas finden sie in keiner Meldung. Sie werden auch nicht Gysis berechtigte und begründete Forderung finden, wonach nicht die Linke, sondern CDU/CSU und SPD vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollten.
„Ich komme jetzt zu einem anderen Thema. Ob nun SPD oder die Union regiert, es ist immer dasselbe: Meine Partei wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Ich kann Ihnen sagen, woran das liegt. Das liegt daran, dass die Mitarbeiter dieses Amtes vom Grundgesetz keine Ahnung haben. Aber wenn Sie das wollen, Herr Kauder, dann versuche ich, denen das Grundgesetz beizubringen. Wenn diese das Grundgesetz endlich verstehen würden, dann müssten sie sich eher um Sie und auch um die SPD kümmern. Denn eines muss ich Ihnen sagen: Während der Großen Koalition sind so viele verfassungswidrige Gesetze verabschiedet worden wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dazu haben Sie einen Hang.“
Auch das hat wieder gesessen. Und die scheinbar in neue soziale Gewänder gekleidete SPD riss Gysi mit einer tief treffenden Bemerkung die aufgesetzte Scheinheiligkeit aus dem Gesicht:
„Herr Steinmeier, ich habe Ihrer Rede ja sehr genau zugehört. Ich muss zugeben, das hat mir auch Spaß gemacht, auch aufgrund Ihrer Rhetorik. Nur eines muss ich Ihnen auch sagen: Ich hätte eine solche Rede so gerne einmal von Ihnen als Kanzleramtschef unter Kanzler Schröder hier im Bundestag gehört, nicht erst heute. Das hätte die Regierungspolitik sicherlich wesentlich verändert.“
Das war großes Kino. Am besten selber angucken:
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Die entnommenen Zitate finden sie wie immer in dem vorläufigen Protokoll der Sitzung auf der Seite des Bundestags.
http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/vorlaeufig/17030.html
Das ist ja mal sehr interessant. Nun meldet sich der große Nachbar Frankreich endlich mal zu Wort und beklagt die deutschen Exportüberschüsse, die in der europäischen Gemeinschaft mehr schädlich als nützlich sind und sofort formiert sich hierzulande die gesamte Presse, Wirtschaftsvertreter und Politik, um dem alten „Erzfeind“ die Krallen zu zeigen. Man müsse sich schließlich nicht dafür entschuldigen, dass man seine Hausaufgaben gemacht hätte. Und schon gar nicht müsse man sich von EU-Staaten, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hätten, etwas vorwerfen lassen. Schließlich sei Deutschland der größte Beitragszahler der Europäischen Union.
Das ist natürlich ein Argument. Zieht man mal die Gelder ab, die auch Deutschland aus dem EU-Topf erhält, überweisen wir jährlich rund 9 Mrd Euro nach Brüssel. Zum Vergleich, der Handelsbilanzüberschuss Deutschlands wuchs bis zum Jahr 2007 auf rund 195 Mrd Euro an. Im Jahr 2008 waren es noch etwa 176 Mrd und im Krisenjahr 2009 immerhin noch 136 Mrd Euro. Im Januar 2010 beläuft sich der Überschuss auf 8,71 Mrd Euro. Mit anderen Worten: In der EU sind wir zwar ein sog. Nettozahler, aber volkswirtschaftlich betrachtet sind wir ein großer globaler Gläubiger.
Und Frankreich ist bilanztechnisch unser Schuldner wie im Übrigen der gesamte südeuropäische Raum auch. D.h. wir exportieren in diese Länder mehr als wir aus diesen importieren. Wenn jetzt also die französische Wirtschaftsministerin Christine Lagarde sagt, dass Deutschland seine Handelsbilanz ausgleichen müsse, mit anderen Worten, mehr aus den Schuldner-Ländern importieren sollte, dann wäre das ein Beitrag zur Stabilität des Euroraums und jener Länder, die hoch verschuldet sind. Deutschland müsste dazu aber die eigene Binnenkaufkraft stärken und das heißt wiederum höhere Löhne und höhere Sozialleistungen zulassen statt ständig dem Kürzungsdogma oder unverdächtig formuliert, der moderaten Lohnentwicklung, zu folgen.
An diesem Vorschlag ist nichts Falsches und zwar aus einem ganz wichtigen Grund. Wegen John Maynard Keynes. Im letzten Jahr noch gefeiert, in 2010 wird er schon wieder verdammt. Eine Volkswirtschaft kann sich nicht auf Dauer von der globalen Wirtschaft abkoppeln und so tun, als gäbe es auf der anderen Seite keine Bilanz, die negativ ausfällt. Während Deutschland seine Exporterfolge feiert und am liebsten dahin zurück möchte, muss einer positiven Bilanz immer auch eine entprechend negative gegenüberstehen. D.h. damit Deutschland überhaupt Exporterfolge vorweisen kann, bedarf es eines Schuldners, der bereit ist, über seine Verhältnisse zu leben. Deutschlands Überschüsse müssen also in den Handelsbilanzen der Partner-Staaten als Defizite wieder auftauchen.
Doch was passiert, wenn der Schuldner zahlungsunfähig wird bzw. an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gerät? Wie muss der Gläubiger dann reagieren? Mit Beschimpfungen und wilden Sparvorschlägen, die die Rückzahlungsfähigkeit des Schuldners weiter verschlechtern?
Nein, aber genau das tut Deutschland mit seinen Schuldnern in Südeuropa, aber auch mit Frankreich. Statt auf einen Ausgleich zu setzen, um die Rückzahlungsfähigkeit zu wahren, schwadronieren die hiesigen Hausaufgabenweltmeister davon, dass die anderen gefälligst für ihre Finanzprobleme selber geradestehen und sich vielleicht am Welt- und Europameister ein Beispiel nehmen sollten. Dann hätten wir mehr solide Gläubiger und weniger schlechte Schuldner, so die deutsche Logik. Aber wer nimmt dann am Ende die Kredite der Gläubiger?
„Der Mond? Der Mars? Oder doch wieder die Amerikaner?“
Das fragt Heiner Flassbeck in seinem Buch „Gescheitert“. Deutschland selber wolle nichts an seinem Geschäftmodell der ständigen Verbesserung der Wettbewerbsposition ändern. Das bedeutet aber ganz zwangsläufig, dass Schuldner wie Griechenland ihre Verbindlichkeiten nicht mehr ohne Hilfe bedienen können. Sie können eben nicht auf Dauer über ihre Verhältnisse leben und die Exporterfolge der Deutschen finanzieren. Das durch die EU den Griechen auferlegte Sparprogramm ist gerade deshalb auch ein Witz, weil es dem Ziel der Defizitreduzierung zuwider läuft. Auch das lehrt John Maynard Keynes, dem selbst Frau Merkel im letzten Jahr mit der Bemerkung folgte, dass es falsch sei, in die Krise prozyklisch hineinzusparen.
Baut Deutschland die Ungleichgewichte innerhalb der EU nicht ab, in dem es beispielsweise mit einem Konjunkturprogramm antizyklisch in die Wirtschaft eingreift und selbst für eine Nachfragebelebung sorgt, wird man als Gläubiger zwangsläufig zahlen müssen. Entweder über verbesserte Zinskonditionen, einen Schuldenerlass oder im Fall der Pleite mit einem Totalausfall der Ansprüche gegen Griechenland. Wenn sich also die Finanzminister der 16 EU-Staaten heute in Brüssel treffen, kann nur als Ergebnis herauskommen, dass Deutschland zahlt und zwar als größter Gläubiger einen riesigen Batzen.
Und statt den französischen Vorstoß zu geißeln, sollte man einmal darüber nachdenken. Dazu noch einmal Heiner Flassbeck (aus: „Gescheitert“):
„Wenn nicht bald im Bundeswirtschafts- oder Finanzministerium ein Referat eingerichtet wird, das nichts anderes tut, als die Auswirkungen der deutschen Wirtschaftspolitik auf andere Länder abzuschätzen und den Minister vor den Rückwirkungen zu warnen, wird Deutschland noch oft in diese Falle der Globalisierung tappen.“
Auf diese Tatsache hin könnte man ja auch mal die Westerwellsche Türöffnungspolitik im Ausland abklopfen und nicht die Frage stellen, wem Westerwelle da die Tür öffnen will, sondern welchen Zweck die Öffnung eigentlich volkswirtschaftlich erfüllen soll. In diesem Zusammenhang finde ich übrigens Sigmar Gabriels heutige Kritik am „rechthaberischen Schreihals“ Westerwelle sehr amüsant:
„Diejenigen, die Herr Westerwelle – zum Teil aus der Schweiz – mitnimmt auf Auslandsreisen, sind das Gegenteil von Leistungsgesellschaft. Sie gehören eher zur Lumpenelite, die den Wirtschaftsstandort Deutschland schädigen und nichts dazu beitragen, dass es in diesem Land vorangeht.“
Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anhand vorläufiger Ergebnisse mitteilt, wurden im Januar 2010 von Deutschland Waren im Wert von 63,9 Milliarden Euro ausgeführt und Waren im Wert von 56,0 Milliarden Euro eingeführt. Die deutschen Ausfuhren waren damit im Januar 2010 um 0,2% höher und die Einfuhren um 1,4% niedriger als im Januar 2009. Im Vormonatsvergleich war die Entwicklung von Aus- und Einfuhren kalender- und saisonbereinigt gegenläufig: Während die Ausfuhren im Januar 2010 gegenüber Dezember 2009 um 6,3% sanken, nahmen die Einfuhren um 6,0% zu.
Uff. Damit hat natürlich wieder niemand gerechnet. Die Entwicklung komme völlig überraschend, so die scheinbürgerliche Märchen-„Welt“ des Axel Springer Verlags. Dort heißt es, wir sind mit unserem Latein am Ende. Ach quatsch, bei genauerem hinsehen steht da:
Ökonomen ratlos wegen starken Export-Rückgangs
Und im Text können sie dann die Sprachlosigkeit ratloser aber überbezahlter Experten verfolgen, auf deren Gehalt ich gern einen Anspruch anmelden möchte. Sie können sich dem gern anschließen. Aber lesen sie zunächst mal selbst:
Mehrere Analysten konnten in ersten Reaktionen die Ergebnisse des Statistischen Bundesamts nicht erklären. „Produktion und Aufträge waren zuletzt okay. Da muss bei den Ausfuhren ein Sondereffekt eine Rolle gespielt haben. Denn diese Zahlen passen nicht in das Bild der anderen Wirtschaftsindikatoren.
Ja ja, irgendwas muss da eine Rolle gespielt haben, was die Analysten so nicht haben sehen können oder wollen. Verflixte Wirtschaftsindikatoren. Vielleicht sollte man sich endlich von den Glaskugelblicken des ifo-Instituts verabschieden und den eigenen Kopf zum Denken benutzen. Wenn ich schon lese, dass die Zahlen nicht zum nachweislichen Schuss ins Blaue passen würden, wird mir schlecht. Da erschlägt einen quasi die geballte Wirtschaftskompetenz… 88|
Aber es wird noch besser:
Auch Commerzbank-Analyst Simon Jun ist überrascht. „Ich kann nicht genau sagen, was da passiert ist. Ich bin überrascht, dass die Zahlen so schlecht sind. Anscheinend ist die Binnennachfrage gut, wenn die Importe so stark steigen. Das ist aber auch das einzige Positive, was man aus den Daten herausziehen kann. Die Zahl ist eine Katastrophe.“
Die Binnennachfrage sei gut? HÄH??? 88| Wenn man keine Ahnung hat, sollte man wirklich die Klappe halten. Wie kommen solche Volldeppen eigentlich in ihre hochbezahlten Positionen und als Experten tituliert in Zeitungsberichte? Immerhin stimmt das mit der Katastrophe. Nachdem man die Krise schon als weitgehend überstanden betrachtet hat, kann man nicht mehr beschönigend um den heißen Brei herumreden. Allerdings ist diese Analystenzunft auch Teil der Katastrophe.
Und zum Schluss darf die Exit-Strategie der düpierten Analysten nicht fehlen:
Die Außenhandelszahlen dürften die Konjunktur im ersten Quartal belasten. Citigroup-Ökonom Jürgen Michels sagte, „Es sieht im Moment nicht danach aus, dass der Außenhandel die Konjunktur im ersten Quartal gestützt hat. Aber es gilt, die Ergebnisse für Februar und März abzuwarten.“
Abwarten!? Toll! Solche Experten sind wirklich wichtig. Die Bundesregierung ist da übrigens PR-technisch schon weiter. Bei denen heißt Nichtstun übersetzt „Prüfen“.
Und weil es mal wieder so gut passt. Volker Pispers über Berufsgruppen, die diese Welt nicht braucht.
Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) lag der Umsatz im Einzelhandel in Deutschland im Januar 2010 nominal 3,0% und real 3,4% niedriger als im Januar 2009.
Und vor einem Jahr meldete das statistische Bundesamt für den Januar 2009 ebenfalls einen Rückgang der Umsätze im Vergleich zum Vorjahresmonat.
Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) lag der Umsatz im Einzelhandel in Deutschland im Januar 2009 nominal um 1,2% und real um 1,3% niedriger als im Januar 2008.
Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) lag der Umsatz des Einzelhandels in Deutschland im Januar 2008 nominal um 2,7% und real um 0,6% höher als im Januar 2007. Beide Monate hatten jeweils 26 Verkaufstage. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass im Januar 2007 erstmals die neuen höheren Mehrwertsteuersätze galten. Sie führten in diesem Monat zu deutlichen Rückgängen des Einzelhandelsumsatzes (nominal 2,3%, real 2,9% zum Januar 2006). Vergleicht man den Umsatz des Januars 2008 mit dem des Januars 2006, so ergibt sich nominal ein Zuwachs von 0,3% und real ein Rückgang von 2,3%.
Mit anderen Worten. Seit Jahren und spätestens mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer im Jahr 2007 brechen die Einzelhandelsumsätze immer dramatischer weg. Ich kann einfach nicht verstehen, wie einige Medien schon wieder schreiben können, dass die Umsätze im Einzelhandel im Januar überraschend stabil gewesen sein sollen.
Siehe zum Beispiel:
finanznachrichten.de unter der Überschrift „Einzelhandelsumsatz bleibt überraschend stabil“
AFP unter der Überschrift „Umsatz im Einzelhandel im Januar stabil“
Dabei bezieht man sich wieder auf den wenig nützlichen Vergleich zum Vormonat Dezember und deutet an, einen Trend beobachten zu können. Denn so gesehen, seien die Umsätze mit einer Veränderung um real 0,0 Prozent stagniert. Toll. Leider macht sich keiner die Mühe, in der Tabelle zu den Vormonatsveränderungen des statistischen Bundesamtes mal nachzuschauen. Dann hätte man nämlich leicht feststellen können, dass nach dieser Methode nix stagniert. Im November 2009 ging es um -1,2 Prozent im Vergleich zum Oktober runter. Der Dezember legte aber nur um 0,9 Prozent im Vergleich zum November zu und nun im Januar messen die Statistiker keine Veränderung zum Dezember. Wenn man also nur diese drei Monate als einen Zeitraum für sich betrachten würde, was übrigens völliger Blödsinn wäre, müsste man feststellen, dass die Einzelhandelsumsätze nicht überraschend stagnieren, sondern nach wie vor auf einem negativen Niveau verharren.
Die Veränderungen zum Vormonat sagen für sich genommen nichts aus und schon gar nicht lässt sich daraus ein Trend ableiten, wie das einige Medien immer wieder zu suggerieren versuchen. Erst mit dem Blick auf einen längeren Zeitraum, üblicherweise nimmt man dann den Vorjahresmonat, wird eine Entwicklung deutlich. Und die war, ist und bleibt negativ.
In diesem Zusammenhang ist eine weitere Meldung des statistischen Bundesamts von heute sehr interessant. Die durchschnittlichen Bruttoverdienste seien erstmals seit Gründung der Bundesrepublik im Jahr 2009 gesunken.
Nach ersten Ergebnissen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) sind die durchschnittlichen Bruttoverdienste aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland im Jahr 2009 um 0,4% auf rund 27 648 Euro gesunken. Dies ist der erste Rückgang der Verdienste in der Geschichte der Bundesrepublik.
Diese Meldung taugt nun offenkundig für Manipulationen. Denn der Rückgang der nominalen durchschnittlichen Verdiensthöhe erweckt nunmehr den Eindruck, als seien die realen Löhne in der Vergangenheit gar nicht gesunken. Das taten sie aber. Infaltionsbereinigt sinken die Bruttoverdienste bereits seit sechs Jahren „und liegen nun schon um 5,3 % unter dem Stand des Jahres 2000.“(Quelle: siehe Jahnkes Infoportal) Es ist also falsch zu behaupten, dass nun erstmals seit Gründung der Bundesrepublik die Löhne zurückgegangen seien.
Heute kommen also wieder zwei Dinge ganz klar zur Geltung, die wechselseitig aufeinander wirken. Verfügbares Einkommen und die Einzelhandelsumsätze befinden sich ununterbrochen auf Talfahrt. Doch der Regierung ist die Lage schlicht wurscht. Dort denkt man bereits an den Etat-Entwurf für 2010, der am Donnerstag abschließend im Haushaltsausschuss des Bundestages beraten wird. In der Süddeutschen Zeitung wird dazu Finanzminister Schäuble von einem offenkundig realitätsfremden Journalisten befragt. Geradezu vorwurfsvoll und mit Schaum vorm Mund plärrt Claus Hulverscheidt von der SZ den Finanzminister an, wann dieser nun endlich anfangen wolle, richtig zu sparen. Und Schäuble antwortet:
„Wir können zwar 2010 wegen der andauernden Auswirkungen der Krise noch nicht auf einen konsequenten Konsolidierungskurs einschwenken. Aber wir müssen bereits jetzt deutlich machen: Die expansive Haushaltspolitik wird beendet. Und wir meinen es ernst mit der Schuldenbremse und den im Koalitionsvertrag genannten goldenen Regeln der Finanzpolitik. Das heißt auch: alle schon jetzt erkennbaren Einsparpotentiale zu nutzen. Wenn sich dabei erweist, dass die Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit es ermöglichen, die Ansätze für die Arbeitsmarktausgaben abzusenken: um so besser!
Angesichts der heutigen Meldungen verstehe ich einfach nicht die Reaktionen von Journalisten und Politikern. Sind die alle so blind? Wie kann man nur nach dem Sparhammer lechzen und vom Ende der expansiven Haushaltspolitik sprechen, die ja gemacht wurde, um der tiefen Sogwirkung der Krise etwas entgegenzusetzen, wenn diese Krise überhaupt noch nicht verbei ist? Die heutigen Zahlen belegen das doch eindrucksvoll. Wollen wir etwa auch die Mehrwertsteuer drastisch erhöhen, wie das die Griechen gerade bei ihrem Sparprogramm tun? Dann lohnt sich vielleicht ein Blick auf unsere Zusammensetzung des Steueraufkommens, genauer: auf die Verteilung von direkten und indirekten Steuern. Schäuble sagt ja im Interview, dass solide Staatsfinanzen und wachstumsorientierte Steuerpolitik kein Widerspruch seien.
„Eine wachstumsorientierte Steuerpolitik muss sowohl auf Steuervereinfachung als auch auf Steuerentlastung setzen. Wir können auf Dauer nur dann erfolgreich konsolidieren, wenn wir wieder robustes Wirtschaftswachstum erreichen. Und umgekehrt ist das Vertrauen der Wirtschaft in die Solidität und Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte unabdingbare Voraussetzung für anhaltendes Wachstum.“
Der Zusammenhang, dass Konsolidierung nur geht, wenn es Wirtschaftswachstum gibt, ist richtig. Nur ist der beschriebene Weg einfach falsch. Das Absenken von direkten Steuern hat erstens noch nie zu Wachstum geführt und zweitens ist ein solches Vorgehen auch überhaupt nicht nötig, wenn man sich den Anteil am Steueraufkommen genau anschaut.
Inzwischen ist es ja so, dass die Absenkung direkter, an der Höhe des Einkommens bemessener Steuern, dazu geführt hat, dass der Anteil der indirekten Steuern, die für alle Einkommensgruppen ja gleich hoch sind (Flat Tax), am Gesamtsteueraufkommen gestiegen ist. Mit anderen Worten, die Finanzierung staatlicher Aufgaben wurde umverteilt. Vor allem untere Einkommensgruppen und Menschen, die über wenig Geld verfügen, werden gemessen an ihrem verfügbaren Einkommen deutlich höher belastet als jene oberen Einkommensgruppen, die zwar den Großteil der direkten Steuern zahlen (70 %), aber gleichzeitig auch über etwa 70 % des Gesamteinkommens verfügen.
Was Schäuble und die Bundesregierung vorhaben, ist volkswirtschaftlicher Unsinn. Gerade die Meldungen des statistischen Bundesamts von heute weisen die Bundesregierung deutlich darauf hin, was eigentlich gemessen an der aktuellen Lage zu tun wäre. Zunächst einmal bedarf es der Beschäftigungssicherung und damit ist nicht die Kurzarbeit gemeint, die vor allem teuer ist, weil sich die Bundesregierung hoffend darauf verlassen muss, dass irgendwann die Konjunktur von allein wieder anspringt. Billiger wäre es dagegen, wenn die Bundesregierung selbst die Konjunktur durch staatlich befeuerte Nachfragepolitik anheizen würde, statt voreilig den Ausstieg aus der expansiven Ausgabenpolitik zu verkünden. Dann müsste man nämlich nicht dauernd über eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes nachdenken, wie das aktuell Frau von der Leyen wieder tut, weil sich die erhoffte Erholung der Wirtschaft nun doch noch nicht eingestellt hat. Dieses Vorgehen ist einfach nur dumm.
Zweitens braucht dieses Land endlich einen Mindestlohn, damit die staatlich subventionierte Arbeitnehmerausbeutung durch am Markt über Löhne konkurierende Unternehmen endlich aufhört. Die Binnennachfrage kann nur gesteigert werden, wenn auch die Kaufkraft wieder steigt, also das verfügbare Einkommen zu statt immer weiter abnimmt. Erst dann werden auch die Einzelhändler wieder Grund haben, Jubeln zu können. Doch gegenwärtig zeigt die Tendenz nach unten. Die Gefahr einer Deflation ist gerade auch im Hinblick auf die rigorose Haltung gegenüber Griechenland nicht nur ein Schreckgespenst, sondern bereits im Anmarsch. Wenn sich Deutschland und Europa mitten in der Krise zum Sparen um jeden Preis zwingen, steht am Ende die Katastrophe. Dies lehrt uns schlicht die Geschichte des kurzen aber verheerenden 20. Jahrhunderts.
Am vergangenen Mittwoch sendete das Erste nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit um 23:30 Uhr ein journalistisches Meisterwerk über die Karstadt-Pleite. Sehr gut recherchiert, aufgearbeitet und sehr gut filmisch umgesetzt. Was steckt hinter der größten Insolvenz der Nachkriegsgeschichte? So lautete die Ausgangsfrage der Macher Ingolf Gritschneder und Georg Wellmann. Dass man deren herausragende und aufklärerische Arbeit im Hauptprogramm der ARD geradezu versteckt hat, ist nicht nur ein Skandal, sondern auch bezeichnend für eine Zeit, in der man sich für viel Geld nicht nur Politiker und Parteien mieten kann, sondern wohl auch Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Wenn sie nun erfahren wollen, was es heißt, wenn ein Unternehmen in die zu Guttenbergsche „geordnete Insolvenz“ geht, bei der Politik und Medien gar nicht wissen wollten, wie es eigentlich dazu kam und welche privaten Profitinteressen unserer selbsternannten Leistungselite ursächlich dafür sind, dass bis zu 50.000 Beschäftigte um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen, dann sollten sie sich diesen Film unbedingt angucken. Es lohnt sich.
Wie das statistische Bundesamt heute mitteilte, haben sich im vierten Quartal 2009 ausschließlich die Vermögenseinkünfte erholt. Die wirtschaftliche Leistung insgesamt, wie bereits vorab gemeldet, nicht. Die ausführlichen Ergebnisse zur Wirtschaftsleistung im 4. Quartal 2009 können sie auf der Seite des statistischen Bundesamtes abrufen.
Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) bereits in seiner Schnellmeldung vom 12. Februar 2010 mitgeteilt hat, stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) preis-, saison- und kalenderbereinigt im vierten Quartal 2009 auf dem Niveau des Vorquartals (+ 0,0%). Damit hat sich der leichte Aufwärtstrend der Wirtschaft aus dem zweiten (+ 0,4%) und dritten Quartal 2009 (+ 0,7%) nicht fortgesetzt.
Weiter unten im Text findet sich dann aber folgende Passage:
Das Volkseinkommen, das sich aus dem Arbeitnehmerentgelt und den Unternehmens- und Vermögenseinkommen zusammensetzt, hat um 0,3% zugenommen. Während das Arbeitnehmerentgelt zurückging ( 0,8%), waren die Unternehmens- und Vermögenseinkommen nach zuletzt fünf Quartalen mit negativen Veränderungsraten im vierten Quartal 2009 erstmals wieder höher als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum (+ 2,9%).
Das ist ja sehr interessant. Wer mehr darüber erfahren möchte, findet auf dem Infoportal von Joachim Jahnke wie immer eine sehr ausführliche Analyse mit zahlreichen Grafiken und Erklärungen. Schauen sie sich dort bitte die Abbildungen 04305 und 14818 genauer an sowie die Grafikabbildung 04004, um sich vor Augen zu führen, welcher Teil der Volkswirtschaft, dank günstiger politischer Verhältnisse, schneller aus der Krise zu kommen scheint und welcher nachweisbar nicht. Bezüglich der Entwicklung von Arbeitnehmerentgelten einerseits und Unternehmens- und Vermögenseinkommen andererseits möchte ich hier folgende Passage aus dem Infoportal zitieren:
Über den ganzen Zeitraum seit dem 1. Quartal 2000 sind die Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um 4,0 % gesunken, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen trotz des Einbruchs in 2008 um 31,0 % expandiert sind. Dabei ist die Absenkung der realen Arbeitseinkommen eine seit Jahren zu beobachtende Dauersituation, während der Einbruch bei den Unternehmens- und Vermögenseinkommen nur eine krisenbedingte und bereits vorübergehende Situation ist.
Die Erholung der deutschen Volkswirtschaft vom Wirtschaftseinbruch im Winterhalbjahr 2008/2009 hat im Jahresschlussquartal 2009 eine Pause eingelegt. Die Wirtschaft bleibt in ihrer Grundtendenz aber auf Erholungskurs. Dieser wird allerdings Anfang des Jahres noch durch überdurchschnittliche witterungsbedingte Produktionsbehinderungen überlagert.
Allein dieser Einstieg hat schon ausgereicht, um bei einigen Journalisten für ein geistiges Abschalten zu sorgen. Vorhin hörte ich bei NDR-Info den Satz, dass die deutsche Wirtschaft im Schlussquartal überraschend stabil gewesen sei. Unglaublich. Aber was will man auch erwarten, wenn das Ministerium selbst von Erholungspause spricht und erst ein paar Sätze später von Stagnation. Für den Laien klingt das dann halt wie stabile Verhältnisse. Dabei ist mit Stabilität übersetzte Stagnation aus volkswirtschaftlicher Sicht überhaupt nicht gut.
Das Ministerium täuscht die Öffentlichkeit und die Agenturen machen munter mit und verbreiten den PR-Unsinn des Weinkenners Brüderle. Bei Reuters lese ich folgenden Einstiegssatz:
Trotz des kalten Winters bleibt die Konjunkturerholung in Deutschland nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums intakt.
Es wird getrickst und manipuliert, dass es nur so kracht. Auf der anderen Seite wird eine scharfe Sozialdebatte geführt, die mir samt spätrömisch dekadentem Auslöser immer mehr wie eine bewusst gesteuerte Kampagne vorkommt. Westerwelle ist gar nicht durchgeknallt und läuft amok, weil er angesichts sinkender Umfragewerte im Trüben Stimmen fischen will. Nein. Westerwelle ist nur der nützliche Idiot, der sich bereitwillig vor den Karren hat spannen lassen, um jene Reformen zu retten, die CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne in der ganz großen Koalition beschlossen hatten.
Denn nur der harsche Ton Westerwelles lenkt davon ab, dass die in seinem Schatten auftretenden Gestalten, die inhaltlich dasselbe wie er fordern, wie moderate Stimmen erscheinen. Westerwelle zieht das Feuer auf sich und bietet dem übrigen politischen Gesindel die Möglichkeit, weitgehend unbehelligt, den bereits beschlossenen Sozialabbau weiter voranzutreiben und scheinseriös zu propagieren. Denn wovor warnt der Finanzminister Wolfgang Schäuble doch gleich? Nein, nicht vor laschen Finanzmarktregeln, die z.B. das Hinterziehen von Steuern in diesem Land so einfach macht. Nein. Schäuble und Springers Märchen-Welt warnen vor dem ausufernden Sozialstaat. Nichts ufert anscheinend mehr aus.
Deshalb und weil es mal wieder passt, Wilfried Schmicklers Schimpftirade auf Turboleister wie Guido Westerwelle, die einfach nur keinen Bock mehr hätten, die Minderleister durchzufüttern. Da würde man am liebsten zum ganz dicken Dreschflegel greifen und der selbsternannten Elite die Arroganz aus dem Leistungsschädel prügeln…
Wer glaubt, dass mit Westerwelles verbal Tremolo die Debatte um Hartz-IV ein Ende gefunden hätte oder gar in eine andere Richtung laufen könnte, irrt sich gewaltig. Nun schlägt nämlich die Stunde derjenigen, die das gleiche wie Westerwelle sagen, aber dabei höflicher und diplomatischer auftreten. Erkennen sie die Strategie? Der politisch sehr erfahrene Finanzminister Wolfgang Schäuble z.B. dämpft via Frankfurter Rundschau die Hoffnungen auf höhere Sozialleistungen mit den Worten:
„Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich nicht gesagt, die Hartz-IV-Sätze seien unzureichend.
Wir dürfen den Grundgedanken von Hartz IV nicht aus den Augen verlieren: Die notwendigen Sozialleistungen dürfen die Aufnahme von Arbeit nicht unattraktiv machen.“
Das sind 1:1 dieselben Aussagen, die auch Westerwelle von sich gab. Freilich fehlt der Ausflug in die römische Geschichte, aber was macht das schon. Die Medien sehen jedenfalls Unterschiede. Zu Schäubles Wortmeldung leitet Welt Online wie folgt ein:
„Spätkapitalistischer Irrsinn“, der Außenminister ein „Esel“ während die Diskussion über die Hartz-IV-Äußerungen von FDP-Chef Westerwelle weitere Runden dreht, versucht Finanzminister Schäuble (CDU) zum Kern des Themas zurückzukehren: mit einem strikten Nein zu einer Erhöhung der Hartz-IV-Bezüge.
Der seriöse Schäuble also, kehrt inhaltlich zum Kern des Themas zurück und sagt im Grunde nichts anderes wie Guido Westerwelle. Ausgerechnet Schäuble, der, die Medien haben das wahrscheinlich schon wieder vergessen, im letzten Jahr in seiner Rolle als Bundesinnenminister das Bundesverfassungsgericht ebenfalls angriff und bemängelte, dass sich die Karlsruher Richter zu sehr in die Gesetzgebung einmischen würden. Am 11. März 2009 druckte die FAZ dazu sogar ein Streitgespräch zwischen Schäuble und Winfried Hassemer, einem ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, ab. Darin äußerte sich Schäuble u.a. so:
„Den einmaligen Kompetenzen des Verfassungsgerichts entsprechen eine ganz hohe Verantwortung und auch ein hohes Maß an Zurückhaltung mit öffentlichen Äußerungen. Da haben Politiker eine ganz andere Legitimation. Wir müssen in der öffentlichen Debatte ständig Position beziehen. Verfassungsrichter müssen Anspruch auf Respekt haben. Wer Gesetze gestalten will, sollte sich bemühen, Mitglied des Deutschen Bundestages zu werden.“
Mit anderen Worten: Das Bundesverfassungsgericht solle bitteschön so eine Art Grußonkel sein und sogar bei verfassungswidrigen Gesetzen die Klappe halten, da nur dem Gesetzgeber die Gestaltungshoheit in Sachfragen zustünde.
Aber zurück zum angeblich so sachlich auftretenden Schäuble, der sich zur Hartz-IV-Debatte äußert. Er spricht ja vom Grundgedanken, wonach Sozialleistungen die Aufnahme von Arbeit nicht unattraktiv machen dürften. Welche Arbeit denn? Vor allem schlecht bezahlte Arbeit. Denn ein Programm zur Beschäftigungssicherung bzw. zum Beschäftigungsaufbau sucht man auch in dieser Regierung vergebens. Ziel der Hartz-Gesetze war es ja auch, den größten Niedriglohnsektor innerhalb der EU zu schaffen (siehe NachDenkSeiten) und das unternehmerische Konjunkturrisiko auf den Arbeitnehmer zu verschieben.
Wer sich mal erklären lassen möchte, wie das in Deutschland mit dem Arbeitsmarkt auch nach fünf Jahren Hartz IV in Wirklichkeit aussieht, sollte sich die Zusammenfassung von Joachim Jahnke unbedingt anschauen („Die Lügenmärchen vom Arbeitsmarkt„).
Schäuble hingegen setzt auf die Wirkung dramtatisch klingender Zahlen. Rund eine Billion Euro gebe der Staat pro Jahr für Sozialleistungen aus, das seien pro Kopf 12.500 Euro. Wahrscheinlich will er damit zeigen, dass genug Masse zum Sparen da sei. Dabei wäre ein Konjunktur- und Beschäftigungsprogramm das beste Sparprogramm. Selbst die Kanzlerin hatte mal von antizyklischer Politik gesprochen, obwohl sie dann das Gegenteil in die Praxis umsetzen lies. Albrecht Müller von den NachDenkSeiten bringt es auf den Punkt:
Es muss ein neues Beschäftigungsprogramm her. Ein Element eines solchen Beschäftigungsprogramms ist der Zuwachs an Lohneinkommen und damit bessere Tarifabschlüsse. Die Gemeinden brauchen mehr Geld, um ihre Leistungen aufrechterhalten. Tatsächlich läuft alles dagegen: die Arbeitgeber im öffentlichen Dienst sperren sich gegen Lohnerhöhungen; die Gemeinden werden weiter ausgehungert; den hohen Einkommen sollen die Steuern gesenkt werden, wodurch nichts an zusätzlicher Nachfrage wächst und der Spielraum öffentlicher Ausgaben sinkt. Prozyklische Politik allerorten.
Es ist höchste Zeit, dass die herrschenden Kreise in Politik und Wissenschaft, Medien und Wirtschaft endlich begreifen, dass die makroökonomische Politik in der jetzigen Situation Vorrang hat. Dass dies nicht begriffen wird, hängt damit zusammen,
dass Juristen das Sagen haben,
dass den Neoliberalen eh nichts daran liegt, die Reservearmee an Arbeitslosen schrumpfen zu lassen,
und außerdem daran, einige maßgebliche Kräfte auf der linken Seite des Spektrums von Beschäftigungspolitik auch nichts halten, weil für sie der Kapitalismus in den siebziger Jahren schon gescheitert ist.
Die Erholung der deutschen Wirtschaft ist Ende 2009 ins Stocken geraten: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnierte im vierten Vierteljahr 2009 preis-, saison- und kalenderbereinigt auf dem Niveau des Vorquartals (+ 0,0%), teilt das Statistische Bundesamt (Destatis) mit. Damit hat sich der leichte Aufwärtstrend der Wirtschaft aus dem zweiten (+ 0,4%) und dritten Quartal 2009 (+ 0,7%) nicht fortgesetzt.
Aber viel wichtiger ist die Tatsache, dass im Vergleich zum letzten Vorkrisenquartal 01/2008 die gegenwärtige Wirtschaftsleistung ein Minus von 5,6 Prozent aufweist (siehe Jahnkes Infoportal). Konsumausgaben und Investitionen nahmen weiter ab. Lediglich der Außenhandelsbeitrag wuchs ein wenig an. Interessant an den Zahlen ist aber, dass selbst die Stagnation im Grunde nur ein statistischer Effekt ist, da die rückläufigen Importe sich positiv auf die Gesamtbilanz niederschlagen. Jahnke schreibt dazu:
Das heißt aber auch, daß ohne die rückläufigen Importe die Wirtschaftsentwicklung bei einem geringeren Außenbeitrag negativ und nicht stagnierend gewesen wäre oder anders ausgedrückt: selbst die Stagnation ist noch einer negativen Entwicklung zu verdanken.
Bei uns glaubte man indes weiter an das Märchen vom Aufschwung. Die dummen Ökonomen in ihren Instituten hatten bereits nach der Stagnations-Schätzung des statistischen Bundesamts vom Januar lauthals widersprochen und protestiert, dass man die Lage nicht so schwarz malen könne. Sie rechneten daher mit einem Zuwachs von 0,2 Prozent. Nun fallen sie mal wieder überrascht aus allen Wolken und werden Lügen gestraft. Andere Volkswirtschaften erholen sich dagegen auch statistisch nachweisbar. In Frankreich zum Beispiel trug ein gestiegener privater Konsum (+0,9 %) zum Gesamtwachstum auf Quartalssicht um 0,6 % bei.
Das füge ich nur deshalb an, weil es in Deutschland eine derzeit total verrückte Debatte gibt, wie viel Geld arbeitenden und nichtarbeitenden Menschen zusteht. Auch dem letzten politischen Hinterwäldler in diesem Land muss eigentlich klar sein, dass wir an einer chronischen Nachfrageschwäche leiden. Der private Konsum liegt am Boden und man tut nichts dagegen. Es wird eher dafür gesorgt, die Lage noch weiter zu verschärfen. Als die Krise ausbrach, haben alle politischen Kräfte im Chor das Lied vom privaten Konsum gesungen, der nach dem Wegbrechen des Exports zu einer Stütze der wirtschaftlichen Leistung werden könne und müsse. Doch mit jedem zurückgelegten Quartal musste man feststellen, dass gerade der private Konsum immer weiter einbrach.
Im Jahr 2010 beschließt der Gesetzgeber nun Steuersenkungen für Hotelbesitzer und Menschen, die über genug Einkommen verfügen, um dank der Steuerpolitik zusätzlich noch mehr sparen zu können. Geringverdiener und Sozialleistungsempfänger gehen dagegen weiterhin leer aus. Viele Beschäftigte der unterschiedlichsten Branchen werden im Augenblick medial darauf vorbereitet, dass sie bitteschön in den bevorstehenden Tarifverhandlungen nichts bis gar nichts zu erwarten hätten und den Gürtel lieber noch enger schnallen sollten, wenn sie denn an ihren Jobs hängen. Andernfalls könne man sich ja im angeblichen Luxus Hartz-IV einrichten.
Der Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der gleichzeitig selbsternannter geistig politischer Vordenker in diesem Land sein will, fällt derzeit mächtig aus seiner diplomatischen Rolle. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Regelsätzen will Westerwelle sozialistische Züge entdeckt haben (Hat er es überhaupt gelesen?). Und ganz allgemein kommentierte er:
„Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“
Vergessen sie Westerwelle. Der Mann ist bereits politisch tot. Man könnnte jetzt alternativ auch das Geblubber von Frau von der Leyen, Frau Köhler oder sonst irgendwelchen Leuten anfügen, die meinen die sozialpolitische Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Tenor aller Wortmeldungen war jedenfalls, dass es nicht mehr Geld geben dürfe, das die Betroffenen, oh Schreck, einfach nur ausgeben könnten. Dabei wäre genau das der Weg, um aus der wirtschaftlichen Krise herauszukommen. Eine Stärkung der Massenkaufkraft und damit der Nachfrage. Kostet zuviel Geld heißt es da ermahnend aus den Politikerstuben, während man gleichzeitig ein Födergesetz verabschiedet, das Hotelbesitzer, Erben und Gutverdiener abermals reichlich beschenkt. Welche Nachfrage soll diese Gruppe eigentlich entwickeln, die sie nicht schon vorher dank ausreichender Mittel befriedigt hätte? Eine einfache Frage.
Die FDP würde jetzt darauf antworten, Leistung muss sich halt lohnen. Es lohnt sich aber volkswirtschaftlich überhaupt nicht, wenn man ganz bestimmte Leistungsträger staatlich belohnt, ihnen quasi spätrömische Dekandenz ermöglicht, so dass sie beispielsweise auf den noch immer unregulierten Kapitalmärkten verstärkt aktiv sein können. Auf der anderen Seite lohnt es sich volkswirtschaftlich auch nicht, von der großen Masse zu verlangen, diesen Belohnungsprozess auch noch solidarisch zu begleiten und brav die Rechnung zu bezahlen, wenn das ganze System einmal ins Wanken gerät.
Lesen sie dazu mal die Erklärung des Generalsekretärs der FDP, Christian Lindner:
„Die teils reflex- und teils flegelhaften Reaktionen auf Guido Westerwelle zeigen, dass Deutschland seinen inneren Kompass zu verlieren und sein Kraftzentrum in der Mitte der Gesellschaft zu beschädigen droht.
Faire Politik muss zwischen den Interessen der Leistungsgeber und den Interessen der Leistungsnehmer vermitteln. Solidarität fordern Liberale von den Starken, die die Bedürftigen unterstützen, genauso wie von den Schwachen, die Hilfe nur soweit als erforderlich in Anspruch nehmen sollten.“
Die FDP scheint noch immer nicht begriffen zu haben, wie das mit der kapitalistischen Produktionsweise funktioniert. Deutschlands Wirtschaft schrumpft ja nicht, weil die Sozialleistungen zu hoch sind, sondern weil die herrschende Politik will, dass der Wohlstand der Masse weichen soll für das dekadente Bedürfnis einiger Weniger nach immer mehr Reichtum. Den innereren Kompass der FDP möchte ich mal sehen. Wahrscheinlich hat sich in deren Wirklichkeit das Magnetfeld umgedreht.