Leih- und Zeitarbeit nimmt zu

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Seit Wochen und Monaten verkündet der Bundeswirtschaftsminister den Aufschwung XL. Gerade gestern wieder, als die Wirtschafts“waisen“ ihr Herbstgutachten vorstellten. Vor allem der private Konsum sei zur Stütze der Konjunktur geworden bzw. soll zur Stütze im nächsten Jahr werden, wenn die erkannten Risiken in den Volkswirtschaften China und USA Realität werden sollten.

Dabei müssen wir gar nicht bis zum nächsten Jahr warten, um uns bestätigen zu lassen, dass der XL-Aufschwung doch nicht so toll war. Jeder kann sich ausrechnen, dass die Summe aus dem XXXXL-Einbruch im letzten Jahr (-4,7 %) und dem nun erwarteten Plus aus diesem Jahr (+3,5 %) immer noch ein negatives Vorzeichen trägt. Brüderle und die halbe Bundesrepublik freuen sich also über einen Anschlusstreffer kurz vor Schluss so, als hätten sie das Spiel haushoch gewonnen.

In Wahrheit aber gibt es nach wie vor einen Kapazitätsüberhang und damit auch einen Überhang an Beschäftigten. Dies bestätigt auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die immer wieder als positives Signal für den Aufschwung XL herangezogen wird. Was ich bei den Futurologen der Neuzeit immer wieder vermisse, ist doch ein nüchterner Blick auf die Gegenwart. In der Wirtschaftswoche liest man nun heute, einen Tag nach dem Gutachen, das besser den Namen „Versuch der Anwendung von Präkognition in der Konjunkturforschung“ heißen sollte, dass die Zahl der Leih- und Zeitarbeiter im August einen neuen Rekordstand erreicht habe.

Quelle: Wiwo

Im August beschäftigte die Branche 893.000 Mitarbeiter und eilt damit der Millionengrenze entgegen, die noch in diesem Jahr erreicht werden könnte. Dies geht aus dem aktuellen IW-Zeitarbeitsindex hervor, der wiwo.de vorliegt. Der Vorkrisenrekord von 823.000 Beschäftigten Mitte 2008 ist damit inzwischen um 70.000 Kräfte deutlich übertroffen. Von Juli zu August 2010 wuchs das Beschäftigungsvolumen um 4,8 Prozent.

Das, den Aufschwung XL begleitende, Jobwunder setzt sich also, nun auch statistisch nachgewiesen, vornehmlich aus einem starken Aufbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse zusammen. Damit boomt mit der Leiharbeit eine Branche, der die FDP und allen voran Bundeswirtschaftsminister Brüderle einen gesetzlichen Mindestlohn verweigert. Und das, obwohl die Leiharbeit die Stütze von Brüderles Aufschwung XL darstellt und er jüngst für höhere Löhne geworben hat.

Der zunehmende Aufbau prekärer Beschäftigung bedeutet nun aber eine Verschiebung des Konjunkturrisikos auf die Arbeitnehmer, die ja nach Brüderles und der Auffassung der Propheten, mit ihrem Einkommen für mehr Konsum sorgen würden. Dabei ist doch selbst in der bornierten Nutzenmaximierer-Modellwissenschaft der Homo-Oeconomisten klar, dass ein Individuum, auf dem das Risiko des Marktes abgeladen wird, keine Zukunftsinvestitionen tätigt, sondern sein Eigeninteresse gerade darin sieht, für den nicht unwahrscheinlichen Fall einer Arbeitslosigkeit vorzusorgen. Mit anderen Worten: Es wird SPAREN!!!

Vielleicht meinen die sog. Forscher und der Wirtschaftsminister mit einer Zunahme des Konsums aber auch Leute wie Herrn Georg Funke, Ex-Vorstand der HRE. Der klagt ja erfolgreich gegen seine Kündigung und darf sich nun berechtigte Hoffnungen auf mindestens zwei zusätzliche Monatsgehälter machen.

Quelle: Stern

In einem Zivilprozess gab ihm das Landgericht München I am Freitag bei seiner Forderung nach zwei Monatsgehältern Recht und sprach ihm einen Anspruch auf zusammen gut 150.000 Euro zu. Ob Funke auch Anspruch auf das Wiederinkrafttreten seines ursprünglich bis 2013 laufenden Vertrages und damit eine Millionensumme hat, soll ab dem kommenden Jahr geklärt werden.

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Rainer Brüderle fordert höhere Löhne

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Da reibt man sich verwundert die Augen. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle fordert höhere Löhne für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Nach dem Tarifabschluss bei den Metallern sollten nun auch andere Branchen der Wirtschaft nachziehen.

„Wenn die Wirtschaft boomt, sind auch kräftige Lohnerhöhungen möglich“, sagte der FDP-Politiker dem „Hamburger Abendblatt“.

Quelle: SpOn

Brüderles Haltung ist in gewisser Weise nachvollziehbar. Er glaubt ja fest an einen Wirtschaftsboom, an dem dann auch alle partizipieren sollen. Der Vorwurf des Populismus ist aber allzu berechtigt. Denn wirklich ernst meint es der Minister nicht. In seiner Verteidigungsrede zum Einzelplan seines Ressorts in der Haushaltsdebatte vor einem Monat im deutschen Bundestag sagte Brüderle nämlich noch das:

Auch wenn jetzt die Lohnfindung im Aufschwung ansteht, muss das einzelbetrieblich bewertet werden. Manche Betriebe verdienen so gut, dass mehr drin ist. Bei anderen heißt es: mehr Maßhalten, damit sie ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht verlieren.

Quelle: Plenarprotokoll vom 16.09.2010

Das müsste dann doch auch den verschreckten Hundt vom BDA beruhigen, der wie immer davor warnt, die Löhne überhaupt zu erhöhen. Seiner Meinung nach sei die Krise ja noch nicht überstanden und das Risiko für die Unternehmen zu groß. Das sagt Dieter Hundt übrigens auch, wenn es gar keine Krise gibt. Dann könnten Lohnerhöhungen nämlich eine solche auslösen. Aber um den wirr bellenden Hundt geht es hier ja nicht, sondern um den gleichfalls wirren Rainer Brüderle, der zwar Lohnerhöhungen einfordert, aber vom gesetzlichen Mindestlohn überhaupt nichts hält.

Brüderle sperrt sich sogar dagegen, Lohnuntergrenzen, die einzelne Branchen selber ausgehandelt haben, für allgemeinverbindlich zu erklären. Das passt alles nicht zusammen und Gegner wie Freunde fragen sich, was im Kopf des Ministers eigentlich vorgeht.

Karikatur: Klaus Stuttmann
Quelle: Klaus Stuttmann

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Konjunkturdaten: Mal wieder zwischen Wunsch und Wirklichkeit

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Ich habe natürlich auch deshalb zwei Tage lang nix geschrieben, weil ich die offizielle Verlautbarung des statistischen Bundesamts zu den Einzelhandelsumsätzen von heute abwarten wollte und die neuesten Arbeitsmarktdaten von der Arbeitsagentur. Beide Meldungen widerlegen einmal mehr die auch diesmal wieder vorausgegangenen Jubelschreie über eine boomende Wirtschaft und angeblich brummenden Konsum.

Das statistische Bundesamt führt dabei mal wieder komplett in die Irre. Einzelhandelsumsatz im August 2010 real um 2,2% gestiegen heißt es in der Meldung von heute. Gemeint ist der Vergleich zum Vorjahresmonat August 2009. Dieser Monat war bekanntlich ein Krisenmonat, der schlimmste wenn ich mich nicht irre, in dem viele Menschen entweder keinen Job hatten oder in der Kurzarbeit zu entsprechend weniger Bezügen verharrten. Ein Vergleich ist daher nur zulässig, wenn man das Vorkrisenjahr 2008 miteinbezöge. Das tun die Statistiker natürlich nicht, weil man sonst sofort erkennen würde, dass es sich aktuell nicht um einen neuerlichen Kaufrausch handeln kann, sondern lediglich um eine Anpassung der Umsätze im Vergleich zum Einbruch im Krisenjahr 2009.

Ich habe die Meldung von damals natürlich wieder für sie herausgesucht und am 1. Oktober 2009 hieß es entsprechend verkartert:

Einzelhandelsumsatz im August 2009 real um 2,6% gesunken

Hier wird also keine Krise weggekauft, wie man Anfang der Woche in nahezu allen Medien unter der Schlagzeile „Kaufrausch“ nachlesen konnte, sondern lediglich ein katatrophal tiefes Niveau beim privaten Konsum beibehalten und noch nicht einmal egalisiert. In der heutigen Nachricht ist auch wieder zu lesen, dass die Umsätze im Einzelhandel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren abermals rückläufig waren. Das liegt zum einen an der nach wie vor bestehenden Kaufzurückhaltung, aber auch an dem ruinösen Preiswettbewerb der Handelsketten, die inzwischen nicht mehr darum kämpfen, mehr Marktanteile bei höheren Gewinnen zu erzielen, sondern bei weniger Verlusten im Vergleich zu den Konkurrenten. Wirtschaftlich gesund ist das nicht.

Für Wirtschaftsminister Brüderle ist das natürlich kein Argument. Eine Pulle Wein in den Rachen geschüttet – er kann es sich ja leisten, da er schließlich Diäten und nicht Hartz-IV aus Steuermitteln kassiert – und schon sieht die Welt im Taumel des Rausches wieder positiv aus. Die Wirtschaft boome nach Auffassung des Ministers. Eine Herbstbelebung sei angesagt, da die Arbeitsmarktdaten blendend aussehen würden. Nüchtern betrachtet muss man klar festhalten, dass die Beschäftigungsentwicklung seit Monaten stagniert. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist sogar zurückgegangen. Zum scheinbar positiven Ergebnis beigetragen, haben neue Jobs in der Leiharbeit und vor allem der Rückgang an Arbeitskräften durch demografische Effekte. Joachim Jahnke bringt es in seinem Infoportal auf den einfachen wie wahren Satz:

Ohne die demographische Entwicklung und ohne die minderwertige Leiharbeit wäre die Arbeitslosigkeit also gestiegen.

Zur Leiharbeit fällt mir noch etwas ein, was ich heute morgen im Deutschlandfunk gehört habe. In der morgendlichen Presseschau um kurz nach halb sechs wurden Kommentare zum Tarifabschluss in der Metallbranche verlesen. Nahezu alle ausgewählten Zeitungen geißelten die zwischen den Tarifparteien vereinbarte Gleichbehandlung von Leiharbeitern und Festangestellten. Springers Märchen-Welt mal wieder vorne weg mit diesem unsäglichen Schwachsinn:

Besorgt stimmt eher, wie unbekümmert dabei zugleich einem der wesentlichen Motoren für den Jobaufschwung, der Zeitarbeit, neue Fesseln angelegt werden. So richtig es ist, Dumpinglöhne zu unterbinden – die Leiharbeit jeglichen Kostenvorteils zu berauben bedeutet, langfristig auf wirtschaftliche Dynamik und damit auch auf neue Beschäftigungschancen für Arbeitslose zu verzichten. Hier werden nicht die Früchte des Geleisteten geerntet – es handelt sich schlicht um einen Fall von Übermut.

Sie können davon ausgehen, dass die Bundesregierung und weite Teile von SPD und Grünen ganz genauso borniert denken und in der Leiharbeit noch immer einen Motor für den kostengünstigen „Jobaufschwung“ sehen, der die Arbeitslosenzahlen zu schönen vermag, aber gleichzeitig dafür sorgt, dass reguläre Arbeitsplätze unwiederbringlich verdrängt werden. Zu etwas anderem taugt die deutsche Leiharbeit, die Wolfgang Clement reformiert und deformiert hat, nämlich auch nicht. Und wer heute die Debatte um die Rente mit 67 aufmerksam im deutschen Bundestag verfolgt hat, konnte schnell begreifen, worum es der Regierung auf allen Feldern ihres asozialen Tuns geht. Um Planungssicherheit für die Wirtschaft und die Unternehmen. Das ist primäres Ziel. An die Planungssicherheit von Arbeitnehmern, Rentnern und Sozialleistungsbeziehern, die der Definition nach eigentlich auch Teil des Volkes sind, wurde hingegen kaum ein Gedanke verschwendet.

Rückblickend auf 20 Jahre Deutsche Einheit lässt sich daher feststellen, dass das mit der Planwirtschaft im Osten anscheinend besser funktioniert hat. Da hätte man sich durchaus etwas abgucken können.

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Klientelpolitik: Frau Merkel kommt auch der Industrie entgegen

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Als große Jahrhundertanstrengung wurde das Sparpaket der Bundesregierung angekündigt. Vor allem im sozialen Bereich sind die Einschnitte bekanntlich hart. Um das nicht so einseitig aussehen zu lassen, hat die Regierung in das 80 Mrd. Paket auch Belastungen für die deutsche Wirtschaft hineingeschrieben und diesen Umstand bei jeder unpassenden Gelegenheit zu Protokoll gegeben. Alles nur Schein, wie sich heute einmal mehr herausstellt.

Laut Ankündigung sollten die Vergünstigungen bei der Ökosteuer für besonders energieintensive Unternehmen reduziert werden, um Mitnahmeeffekten einen Riegel vorzuschieben (siehe tagesschau.de). Der Finanzminiser wollte dadurch eine Milliarde Euro in 2011 und in den darauffolgenden Jahren jeweils 1,5 Milliarden Euro einsparen.

Nun aber schrie der Cheflobbyist der deutschen Industrie Hans-Peter Keitel die altbekannte Schreckensmeldung in die Republik hinaus, dass die beabsichtigte Politik Arbeitsplätze gefährde und schon kuscht die Staatsratsvorsitzende auf einer Veranstaltung des Industrieverbandes BDI in Berlin mit den Worten…

„Ich sage Ihnen zu, dass wir über diese Regeln noch einmal sprechen.“

Es ist nicht unser Ansinnen, die guten Arbeitsmarktzahlen zu verschlechtern, indem wir an dieser Stelle etwas tun, was Arbeitsplätze kostet.“

Quelle: Tagesschau

Sie hätte Herrn Keitel auf dessen Veranstaltung auch ganz offen einladen können, bei der Finanzplanung des Bundes bis zum Jahre 2014 aktiv mitzuarbeiten und seine Wünsche in den Gesetzestext einfließen zu lassen. Andere Zweige der Wirtschaft haben das ja bereits erfolgreich getan, wie wir alle wissen.

Und so wird vom 80 Mrd. Sparpaket am Ende nur ein Sozialstaatskürzungsprogramm übrig bleiben, wie urprünglich auch geplant, als man sich überlegte, wie man die Mrd. Verluste an den Finanzmärkten PR-mäßig am besten sozialisiert.

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Tage des Irrsinns – Zwischen Aufschwung und Zonen für Massenvernichtungswaffen

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Es ist unglaublich. Kaum wird bekannt, dass die Bundesregierung eine über den Daumen gepeilte Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze um satte 10 bis 13 Euro plant (heute Abend wissen wir mehr) und schon steigen ifo-Geschäftsklimaindex und die Prognose des Einzelhandelsverbands HDE zum privaten Konsum. Alles super. Es geht aufwärts. Schließlich weiß der Gesundheitsminister Philipp Rösler, dass im nächsten Jahr noch keine Zusatzbeiträge durch die Krankenkassen in maximaler Höhe von nunmehr zwei Prozent des Einkommens erhoben werden (auch bei Hartz-IV-Empfängern). Insofern kann die Binnenkonjunkur aber mal so richtig angekurbelt werden. Wobei der Einzelhandelsverband in seiner Pressemitteilung von einer Rückkehr zur Normalität spricht. Wenn ich mir die Entwicklung der letzten Jahre anschaue, bestand die Normalität gerade darin, stetig Umatzrückgänge hinnehmen zu müssen. Der entscheidende, aber von nahezu allen Medien völlig ignorierte Satz, lautet dann auch:

„Wir korrigieren unsere Umsatzprognose auf nominal plus 1,5 Prozent. Am Ende des Jahres könnte der Einzelhandel also einen guten Teil des Umsatzverlustes aus dem Vorjahr (minus zwei Prozent) wieder aufgeholt haben. Dies ist aber nicht viel mehr als eine Rückkehr zur Normalität.“

Man könnte darüber lachen, wenn man sich die Meldungen der täglich erscheinenden Volksverdummungsorgane vor Augen führt. Dazu eine Karikatur von Klaus Stuttmann.

Karikatur: Klaus Stuttmann
Quelle: Klaus Stuttmann

Inzwischen wurde aus Koalitionskreisen bekannt, dass sich Finanzminister Schäuble weigert, die zusätzlich benötigten Mittel in Höhe von 700 bis 800 Millionen Euro, die eine Erhöhung der Regelsätze um 10 Euro kosten würde, bereitzustellen. Das solle die Arbeitsministerin von der Leyen in ihrem Etat schön selbst zusammenkürzen. Das wird sie auch tun, in dem sie sich das Geld beim Kürzen von Qualifizierungsmaßnahmen und Eingliederungsleistungen zurückholt. In Zukunft gilt dann nicht mehr das Prinzip „Fördern und Fordern“, sondern die Maßgabe „Fordern und Sanktionieren“. Es soll ja demnächst viel leichter möglich sein, Bezieher von Arbeitslosengeld II zu sanktionieren. Das macht auch Sinn, wenn man die Förderung komplett einstellt. Möglicherweise führt dann schon ein fehlendes Satzzeichen in Bewerbungsschreiben Nr. 1025 zu einer sofortigen Kürzung der Leistungen wegen grober Pflichtverletzung.

Dieses Szenario ist dann auch ganz im Sinne derer, die sich bereits jetzt wieder über einen Sozialstaat beschweren, der wegen 10 Euro mehr aus dem Ruder laufen würde. Besonders widerlich geriert sich dabei der Fraktionsvize der Union Michael Meister. Er gilt gemeinhin als Chefhaushaltssanierer und Kostensparer, der großen Wert auf saubere Staatsfinanzen legt. Er lehnte sich mit der Bemerkung aus dem Fenster, dass der- oder diejenige, die Vorschläge für Mehrausgaben einbringe, auch dafür sorgen müsse, wie diese zusätzlichen Ausgaben finanziert werden sollen. Es sei daher nur konsequent, wenn Frau von der Leyen bei sich im Haushalt die nötigen Mittel für eine Erhöhung der Regelsätze suchen würde. Neue Schulden aufzunehmen, käme jedenfalls nicht in Betracht. Das sei unverantwortlich.

Komisch nur, dass derselbe Michael Meister die neuen Garantien für die HRE in Höhe von 40 Mrd. Euro als notwendige Maßnahme zur Gründung einer Bad Bank rechtfertigte, bei der auch Marktrisiken abgesichert werden müssten. Wörtlich sprach der offenkundige „Meister seines Fachs“ davon, dass die beabsichtigte Bad Bank ein „Versuch Boden unter die Füsse“ zu bekommen, sei. Ein ziemlich teurer Versuch für einen selbsternannten Haushaltssanierer, der im Mai 2010 noch davon sprach, dass „…wirklich alles. Man kann nichts ausnehmen, auch nicht die sozialen Leistungen.“ herangezogen werden müsse, um den Haushalt zu konsolidieren.

Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zu Guido Westerwelle. Dieser Mann toppt einfach alles. Vor der UN-Versammlung hielt der Vizekanz-Nicht seine erste Rede (Deutschland bewirbt sich bekanntlich um einen frei werdenden nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat) und sprach von einer geplanten Konferenz zur Einrichtung einer Zone von Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten, die eine große Chance für Frieden und Sicherheit in dieser Region darstellen würde. Sehen sie selbst.

LOL. Ausgerechnet das Wörtchen „frei“ übersah die liberale und selbsternannte Freiheitsstatue der Nation beim Ablesen seiner Rede. Wie kann denn so etwas nur passieren? Dabei hatte Westerwelle einen Tag zuvor die Rede des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad verurteilt und eine Verirrung des Redners beklagt.

„Es ist bedauerlich, dass Präsident Ahmadinedschad sich so verirrt hat, denn die Anschuldigungen sind natürlich abwegig und sie sind zugleich verletzend.“

Quelle: Reuters

Offensichtlich sind beide Gestalten verirrte Brüder im Geiste, die bei jeder Gelegenheit über ihre eigene Eitelkeit und Dummheit stolpern. Dazu passt doch einmal mehr die Karikatur über Westerwelle aus den Mitternachtsspitzen.

Extremist-Westerwelle

Mitternachtsspitzen: Jürgen Becker über den Ahmadinedschad des Mittelstands Guido Westerwelle

Über beteiligte Zuhörer, die empört den Saal verlassen hätten, ist nichts bekannt. Ich habe aber das Programm gewechselt.

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Neues zum Fachkräftemangel: "Vielen Studenten und Azubis gelten technische Berufe als unsexy"

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Die aus dem Regenbogen-Fernsehen bekannte Redakteurin Anne Backhaus schreibt im Spiegel über den Fachkräftemangel in Deutschland und geht einer DIHK-Studie auf den Leim. Der Artikel heißt „Firmen klagen über deutsche Technik-Muffel“, dabei scheint Frau Backhaus etwas unausgeschlafen zu sein.

Deutschlands Wirtschaft boomt, schon finden manche Unternehmen keine Arbeitskräfte mehr. Vor allem im technischen Bereich fehlt es an qualifiziertem Nachwuchs: Vielen Studenten und Azubis gelten diese Berufe als unsexy. Nun wollen die Firmen ihr Image aufpeppen – und umwerben gezielt junge Leute.

Zum ersten gibt es keinen wirtschaftlichen Boom, sondern lediglich einen Aufholprozess der deutschen Wirtschaft nach dem biblischen Einbruch von fünf Prozent im letzten Jahr. Zum zweiten ist die wirtschaftliche Erholung vor allem dem Lageraufbau geschuldet und der Auslandsnachfrage, die nahezu vollständig durch staatliche Konjunkturprogramme der nachfragenden Länder induziert ist. Diese Programme werden aber auslaufen und die Nachfrage folglich schwächer werden. Da der deutsche Binnenmarkt hingegen kaum etwas zum derzeitigen wirtschaftlichen Wachstum beiträgt, wie im übrigen in der Vergangenheit auch, ist nicht davon auzugehen, dass die angebliche „Boomphase“ von Dauer sein wird.

Das hätte man schon einmal als Überlegung vorweg stellen können, bevor man darüber schwafelt, dass bestimmte Berufe als „unsexy“ gelten. Vielleicht besteht die Unattraktivität ja auch gerade darin, dass es in kaum einem anderen Land so viele arbeitslose Ingenieure gibt, wie in Deutschland. Irgendetwas scheint da mit der Wahrnehmung nicht zu stimmen, wenn man dieses hier liest.

Die Konjunktur läuft gut, viele Firmen fragen sich schon, wie sie all ihre Aufträge bewältigen sollen. Vor allem qualifizierte Mitarbeiter fehlen den Unternehmen. Genauer gesagt: Bau- und Elektroingenieure sowie Spezialisten für technische Gebäudeausrüstung. In diesem Bereich kommen auf einen Hochschulabsolventen in etwa drei freie Stellen. Aber auch Auszubildende sind in der Technikbranche ein knappes Gut.

Es ist natürlich bequem und einfach, den angeblichen Mangel an Fachkräften mit der mangelnden Bereitschaft potentieller Arbeitskräfte zu erklären und nicht mit der mangelnden Fähigkeit der klagenden Unternehmen, entsprechend auszubilden oder Personal zu schulen und dauerhaft zu beschäftigen zumal jedes Jahr eine hohe Zahl von jungen Schulabgängern keine Ausbildungsplätze finden und ältere qualifizierte Arbeitnehmer in die Sozialsysteme regelrecht entsorgt werden. Bis jetzt hieß es ja immer, die Bewerber seien einfach zu dumm. Nun heißt es also, die Stellen seien zu „unsexy“. Ist das jetzt eine Selbstkritik der Unternehmer? Wo liegt eigentlich das Problem, wenn man sich einmal vergegenwärtigt, dass zwischen fünf und sechs Millionen Menschen in diesem Land einen richtigen Arbeitsplatz suchen und etwa neun Millionen sich mehr Arbeit wünschen und damit auch Jobs mit mehr Gehalt.

Fachkräftemangel und anhaltende Massenarbeitslosigkeit, die zwar geleugnet, aber nicht durch fingierte Statistiken weggezaubert werden kann, passen einfach nicht zusammen. Glaubt wirklich jemand an eine vermeintliche Unattraktivität von Stellen, die dem Vernehmen nach beste Karrierechancen bieten? Der Brüderle wahrscheinlich. Der glaubt auch an den Weihnachtsmann und an Vollbeschäftigung im Jahr 2015. Prost!

Nach einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags haben bereits 70 Prozent der Unternehmen Probleme, offene Stellen zu besetzen. Nach Einschätzung der Unternehmen wird sich der Fachkräftemangel in den kommenden fünf Jahren noch verstärken – über alle Qualifikationsniveaus hinweg.

Dieser Schwachsinn des DIHK ist natürlich ein beliebter Aufhänger für Journalisten, die sich keine Arbeit machen wollen und so vollkommen kritikfrei zum PR-Sprachrohr der Arbeitgeberlobby werden. Wenn es wirklich stimmte, dass 70 Prozent der Unternehmen offene Stellen besetzen müssten, bleibt die Frage zu klären, warum dieselben Unternehmen langjährige Angestellte mit Aussteigerprogrammen locken, wie z.B. das Unternehmen Siemens. Das stand auch im Spiegel, Frau Backhaus, vor gerade einmal sechs Wochen, also mitten im Aufschwung XL:

Quelle: Spiegel

Siemens greift tief in die Tasche, um ältere Mitarbeiter seines Tochterunternehmens SIS zum vorzeitigen Ausscheiden zu bewegen.

Was steckt dahinter? Fanden die Bosse ihre Mitarbeiter plötzlich zu „unsexy“? Wer will das Gejammer der Arbeitgeber eigentlich noch hören? Der beklagte Fachkräftemangel ist ein Mythos nichts weiter. Real sind hingegen hohe Anforderungen, schlechte Arbeitsbedingungen und mickrige Löhne, die nach gängiger Glaubenslehre sein müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Exportwirtschaft zu sichern. Unter diesen Bedingungen würde in Wirklichkeit keiner arbeiten wollen, aber weil die eigene Existenz davon abhängt und nur die persönliche Ware Arbeitskraft verkauft werden kann, müsste es jeder tun.

Es kann also nicht daran liegen, dass eine Stelle zu „unsexy“ ist, sondern nur daran, dass Arbeitgeber keine Bewerber akzeptieren, die entlohnt werden und eine sichere Perspektive haben wollen. Vor allem die Exportwirtschaft verlangt nach passfertigen Arbeitskräften, die zu möglichst geringen Kosten nur dann zur Verfügung stehen sollen, wenn sie gebraucht werden und ansonsten dahin zurückgehen, wo sie hergekommen sind. Warum sonst schreit die Arbeitgeberlobby ständig nach ausländischen Fachkräften, obwohl sie sich nur aus der bestehenden nationalen Reservearmee von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten zu bedienen bräuchte? Sind die Sozialgesetze etwa noch nicht hart genug und die Leiharbeit zu unflexibel?

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Zur Frage der Lohnangleichung

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Meine gestrige Kritik an Gregor Gysis Forderung nach einer Lohnangleichung der ostdeutschen Löhne unter der Parole gleicher Lohn für gleiche Arbeit hat zu ebenfalls kritischen Reaktionen geführt. Zum Kommentar von Ormuz möchte ich mich näher äußern:

Die Ausplünderung der DDR ist mittlerweile 20 Jahre her und von Produktivitätsunterschieden kann meines Erachtens nach keine Rede mehr sein.
Aber selbst wenn, die Leute im Osten müßen genau so viel arbeiten, müßen die selben Mieten bezahlen und auch das selbe für Lebensmittel, Strom etc.
Es ist also nicht zu rechtfertigen, daß im Osten noch immer deutlich weniger Lohn gezahlt wird, denn die Lebenshaltungskosten sind ja auch keineswegs deutlich niedriger.

Das ist verständlich, Ormuz.

Nur ändert das eben nichts an der Tatsache, dass die Währungsunion von 1990 mit der Umstellung von schwacher Ost-Mark auf die starke D-Mark sowie die schnelle Angleichung der Ost-Löhne richtig vergeigt worden war. Dieser ökonomische Irrsinn hatte fatale Folgen. Die Ost-Betriebe verloren ihre Wettbewerbsfähigkeit reihenweise und die Menschen im Osten ihre Jobs sowie eine Perspektive. Die gutausgebildeten migrierten in den Westen (meine Familie gehörte dazu) und die zumeist weniger gut ausgebildeten Menschen blieben als Chancenlose zurück.

Während dieses Ausblutens ganzer Regionen, erhöhten sich entsprechend die Marktanteile der West-Betriebe innerhalb einer gemeinsamen Volkswirtschaft, da ja die gleiche Währung galt. Es wurde einfach versäumt, den notwendigen Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft fachlich zu begleiten.

Der Oberhammer war aber, dass die selben Idioten, die das Ausmaß ihres Tuns spätestens 1994 erkennen konnten, da die Arbeitslosigkeit im Osten einerseits weiter zunahm und andererseits die Migrationsbewegung von Ost nach West neue Höhen erreichte, dass diese Leute derweil die nächste Währungsreform (Euro) nach dem selben fatalen Muster planten und, wie wir heute wissen, ebenfalls gehörig in den Sand setzten.

Die politische Lösung in beiden Fällen, um die Auswirkungen falscher Wirtschaftspolitik einzudämmen, heißt Solidarität. Ohne Transferleistungen geht es innerhalb Deutschlands nicht, aber auch nicht innerhalb Europas. Doch das Gegenteil ist der Fall. In Deutschland klagt man lauthals über die Belastungen durch den Solidaritätszuschlag und mit Blick auf Europa klagt man, der Zahlmeister für Defizitsünder wie Griechenland sein zu müssen. Dabei ist die Rolle des Zahlmeisters die logische Konsequenz aus dem Verhalten einer starken Volkswirtschaft, die sich auf Kosten der im Aufholprozess befindlichen Ökonomien bereichert hat.

Mit Blick auf die Wirtschaftsleistung innerhalb Deutschlands lässt sich jedenfalls festhalten, dass die ostdeutschen Betriebe noch immer aufholen müssen. Die Wirtschaftsleistung Ostdeutschlands liegt erst bei 70 Prozent der westdeutschen. Um diese Lücke schließen zu können, bedarf es einer höheren Produktivitätsentwicklung als im Westen, die aber nur mit zusätzlichen staatlichen Hilfen angeschoben werden könnte. Erst dann ist es möglich, dass auch die Löhne im Osten stärker steigen als die im Westen. Ohne Subventionen geht es aber nicht und vor allem geht es nicht ohne einen Flächentarifvertrag, der den Lohnzuwachs für alle gleich regelt, also für Unternehmen mit hoher Produktivität und für die mit weniger Produktivität.

Wer hingegen das Lied von der Flexibilisierung der Tarife und Löhne fröhlich vor sich hin trällert, kapiert nicht, dass er die Marktwirtschaft außer Kraft setzt. Wenn jeder Betrieb nur noch dafür aufkommt, was er sich selber wirtschaftlich leisten kann, gibt es keine Nachfrage mehr, weil es permanent darum geht, die Lohnkosten zu drücken, um sich Marktanteile zu sichern. Daher sind steigende Löhne und vor allem ein gesetzlicher Mindestlohn als Nachfragegröße enorm wichtig, damit die Wirtschaft überhaupt gesund funktionieren kann. Die Parole „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ ist hingegen falsch, weil es eben darauf ankommt, an welchem Ort der Lohn gezahlt wird. Es gilt daher der Satz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort!“

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Nachtrag zur Haushaltsdebatte

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Okay, die Rede Gregor Gysis von heute über die Lobby-Kanzlerin sollte man gehört haben, zumal in den Medien, die ich jetzt noch zur Kenntnis nehmen konnte, wie üblich kaum etwas über den Inhalt mitgeteilt wird. In einem Punkt würde ich Gysi sogar widersprechen und zwar darin, dass die Löhne und Gehälter in Ostdeutschland an die im Westen endlich angeglichen werden müssten. Bei aller ökonomischen Kompetenz, die immer wieder in den Reden Gysis mitschwingt, in diesem Punkt siegt wohl die rhetorische Versuchung über den ansonsten scharfen Verstand. Denn es geht doch nicht um die Anpassung von Lohnniveaus, damit hatten sich doch schon die Gewerkschaften während des Vereinigungsprozesses unter der Parole „Lohnangleichung-Ost“ ordentlich verhoben. Es geht doch in erster Linie um einen funktionierenden Flächentarifvertrag, der unter Berücksichtigung des Produktivitätsfortschritts für eine gerechte Lohnfindung sorgt.

Oskar Lafontaine könnte das vielleicht als großer Skeptiker der deutschen Einheit bestätigen. Denn es ist nunmal auch ein volkswirtschaftlicher Unterschied zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost zu machen, bei dem gerade die Lohnentwicklung nicht für sich allein betrachtet werden darf. Gerade im Osten muss es doch auch um das Produktivkapital gehen, welches nach der Wende nahezu vollständig an die Treuhandanstalt des Bundes übertragen wurde. Diese Vermögensverhältnisse waren doch keineswegs vergleichbar mit denen im Westen. Die Leistungskraft des eingesetzten Kapitals unterschied sich doch deutlich. Wer nun ausschließlich auf eine reine Lohnanpassungsstrategie setzt, verkennt, dass ein zu stark ansteigender Lohn im Verhältnis zur Leistungskraft des eingesetzten Kapitals, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe gefährdet, die sich gerade von Plan- auf Marktwirtschaft umzustellen hatten.

Diesen Zusammenhang hatte in der Vergangenheit – mit Ausnahme westdeutscher Arbeitgeber, die die Situation für sich zu nutzen wussten und Konkurrenz aus dem Osten ausschalten konnten – kaum einer begriffen und schon gar nicht die damalige Bundesregierung samt Opposition, die einzig und allein die Privatisierung und Verscherbelung ostdeutscher Vermögenswerte im Blick hatten. Der wirtschaftspolitische Sachverstand beschränkte sich bloß auf die Floskel von den blühenden Landschaften und einer populistisch betriebenen, schnellen Angleichung der Einkommen. Die reale Performance der ostdeutschen Wirtschaft wurde dabei kaum zur Kenntnis genommen, vor allem nicht die Unterlegenheit gegenüber Deutschland-West, das in der Folge zum bis heute andauernden Transferproblem führte. Das kann man auch ganz aktuell innerhalb Europas zwischen Nord und Süd und unter der Bedingung einer gemeinsamen Währung wiederfinden.

Die Frage nach der Lohnangleichung ist also gar nicht so einfach zu beantworten. Aber dafür war wahrscheinlich die Redezeit zu kurz.

Viel interessanter fand ich hingegen die Rede von Gesine Lötzsch vom Dienstag und ihre Bemerkung über das Informationsbedürfnis der im Bundestag vertretenen Parteien zur Causa HRE. Auch das ist in der Berichterstattung irgendwie untergegangen…

Am Wochenende wurde bekannt, dass die Hypo Real Estate zusätzliche Bürgschaften in Höhe von 40 Milliarden Euro braucht. Wir als LINKE können diese Geheimhaltungspolitik überhaupt nicht akzeptieren. Der Bundestag ist nicht informiert worden. Ich war schon sehr erstaunt, als ich am Wochenende die Stellungnahmen der Vertreter der anderen Parteien hörte, die sich darüber erregten, sie wären nicht informiert worden, denn der Vertreter unserer Fraktion, Roland Claus, hat in der Sommerpause immer wieder Sitzungen des Gremiums eingefordert – am 26. Juli, am 16. und 30. August. Die Sitzungen wurden stets mit der Begründung abgelehnt, dass die erforderliche Mehrheit von drei Mitgliedern, die eine Sitzung wünschen, nicht erreicht worden sei. Also ich sage nochmal: Der Skandal ist, dass die Abgeordneten aller anderen Fraktionen, einschließlich SPD und Grüne, offensichtlich gar nicht informiert werden wollten.

Quelle: Die Linke

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Haushaltsdebatte als Farce – der Lobbyismus als Staatsprinzip

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Im letzten Jahr saß Frau Merkel bei Anne Will und beschrieb sich und ihre Amtsführung mit folgendem Satz:

„Ich bin mal liberal, mal christlich-sozial, mal konservativ.“

Man könnte das für ein schönes Beispiel Merkelscher Beliebigkeit halten, und ich habe das anfangs auch gedacht, in Wirklichkeit aber folgt ihre Politik nur einem ganz konkreten Muster. Und zwar den Lobbyismus zum Staatsprinzip zu erklären. Quasi unter Ausschaltung des deutschen Bundestages dürfen Banken und Finanzwirtschaft darüber bestimmen, was sie zu zahlen haben und was sie vom Staat bekommen. Ferner dürfen Pharmaunternehmen und private Krankenkassen bestimmen, was sie zu bezahlen haben und was sie vom Staat bekommen. Und nun ist auch klar, dass die Atomwirtschaft bestimmt, was sie zu bezahlen hat und was sie vom Staat bekommt.

Geheimabkommen machen es möglich. Das ist nicht neu. Wahrscheinlich erinnert sich noch jemand an den tollen Deal der SPD-Gesundheitministerin for ever Ulla Schmidt mit den Apothekern. Dafür, dass nämlich die Menschen dank Praxisgebühr und Medikamentenzuzahlung weniger Pillen konsumierten und damit für Einsparungen bei den Arzneimittelkosten sorgten, mussten die Apotheker natürlich aus den nunmehr entstandenen Einsparungen/Gewinnen entschädigt werden, weil die ja auf dem ganzen Pillendreck sitzen geblieben waren. Dieser Vertrag mit der rot-grünen Bundesregierung trug auch die Unterschriften von Union und FDP und regelte die Existenzsicherung der Apotheken auf deren Umsatzbasis aus dem Jahre 2002. Toll oder? Da hätte man die Pillen auch gleich weiterfressen können, meinte Georg Schramm in seinem damaligen Kabarettprogramm Thomas Bernhard hätte geschossen und fügt sehr scharf hinzu, dass das selbe Argument für Hartz IV-Empfänger freilich und bewusst nicht gegolten habe, weil die Existenzsicherung des Einzelnen in Zeiten der Globalisierung angeblich nicht mehr möglich sei.

Das wiederum gilt auch heute in Zeiten der scheinbaren Merkelschen Beliebigkeit. Wenn es um Kürzungen im Sozialetat geht, wird die Debatte sehr offen im Parlament und in der Bild-Zeitung geführt. Da gibt es keine geheimen Deals und Absprachen. Der Pöbel soll sich schließlich aufregen und seine Wut gegen jene richten, die noch weniger haben, als man selbst. Klassenkampf im Armenhaus lautet da das Motto. Mit dummen Argumenten und absurden Zusammenhängen wird demenstprechend die aktuelle Haushaltsdebatte geführt. Allein schon der Auftritt – es müsste viel eher das Aufrollen heißen – von Dr. Wolfgang Schubladen-Schäuble ist albern durch und durch. Gerade mal einen oder zwei Tage nach der erneuten 40-Mrd. Garantie an die HRE schwafelt der Finanzminister von der dringenden Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung.

Es gäbe halt keine Alternative, um die HRE langfristig zu sanieren. Das ist schon klar, wenn man sich vor Augen hält, dass die HRE bis dato jedesmal mit der Pleite drohte, um weitere Garantien vom Staat zu erpressen. Wer garantiert denn, dass die Banker in Staatsdiensten nicht noch einmal 40 Mrd. oder vielleicht ein bissel mehr fordern? Wonach richten sich überhaupt die Zusagen für weitere Staatsgarantien, die immer sehr zügig am Parlament vorbei gewährt werden? Dazu schweigt Schäuble bzw. heuchelt Verständnis für die vielleicht etwas verstörte Bevölkerung. Aber der Mann für Finanzen hat ja den Sozialbereich, der sich prima zum Vorführen öffentlicher Kürzungsorgien eignet. Da ist jeder mit dabei, kann mitreden und glaubt wahrscheinlich auch, gar nicht zu jenen zu gehören, die am Ende beim Tritt in die Wichteile betroffen sein werden.

Besonders widerwärtig war dann auch Schäubles Behauptung, mit dem Sparpaket der Bundesregierung würde sich die Politik vertärkt darauf konzentrieren, dass die Menschen wieder Arbeit aufnähmen. Konkret steht in dem Kürzungsprogramm aber drin, dass gerade die Eingliederungshilfen der Arbeitsagentur, die, wie der Name es schon sagt, für die Eingliederung Arbeitsloser/-suchender in den Arbeitsmarkt als Versicherungsleistung bisher vorgesehen waren, einfach ersatzlos gestrichen werden sollen. Was ist das nun?

Liberal? Christlich-Sozial? oder konservativ?

Oder einfach nur dummes Geschwätz? Es muss wohl an den Genen liegen, dass so viel Unsinn vor einer breiten Öffentlichkeit vorgetragen wird. Herr Sarrazin hat sich übrigens ebenfalls mit einem Deal von seinem Bundesbanker-Posten verabschiedet. Die aktive Rolle der Bundesregierung, wird dabei natürlich wieder dreist geleugnet. Rund 1000 Euro mehr Rente und der Rückzug war perfekt. Da fragt man sich, wie viele Dosen Ravioli und warme Pullover sich ein Herr Sarrazin eigentlich zulegen möchte, um über die Runden zu kommen. Das wird den Stammtisch aber wieder nicht interessieren. Was sind schon 1000 Euro mehr für einen Banker. Peanuts! Aber ein auf Steuerzahlerkosten finanzierter Rollkragenpullover für einen Hartz IV-Empfänger, das geht nicht. Auf diesem Niveau in etwa bewegen sich die Denk- und Hasshorizonte der von Sarrazin und auch Schäuble verseuchten Massenhirne.

Und nur der Gysi warnt…

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Nachwehen des Atomkompromiss(t)es

Geschrieben von:

Offensichtlich kam es zu später Stunde am Wochenende zu einen Geheimvertrag zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgern. Zuerst berieten sich die Koalitionsspitzen stundenlang, um dann im Telefongespräch gegen 23 Uhr am Sonntag mit den Finanzvorständen von eon, RWE, Vattenfall und EnBW die abschließenden Bedingungen einer Vereinbarung festzuzurren. Gegen Montagmorgen sei sogar der Staatssekretär im Umweltministerium Jürgen Becker durch die Energieriesen aus dem Bett geklingelt worden, um ihm die Entscheidung der Konzerne mitzuteilen. RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz hat sich verplappert:

Quelle: FTD

Tobias Münchmeyer von Greenpeace will wissen, wer denn garantiert, dass die Konzerne wirklich ihre Zusatzgewinne aus längeren Atomlaufzeiten abgeben. Die Konzerne hätten schließlich schon einmal einen Vertrag gebrochen, den Atomkonsens mit Rot-Grün nämlich. Es ist die Art von Frage, die Schmitz gar nicht leiden kann. Das sei eine Unterstellung, schimpft er. Und im Übrigen hätten die Konzerne die Vereinbarung mit der Bundesregierung noch in der Nacht paraphiert. „Um 5.23 Uhr morgens.“ Schmitz zeigt auf Umweltstaatssekretär Jürgen Becker, der in der ersten Reihe sitzt. „Auch Sie, Herr Staatssekretär, haben wir dafür noch mal aus dem Bett geholt.“

Jetzt ist die Nachricht in der Welt. Und sie wirft viele Fragen auf. Was steht in diesem Geheimvertrag? Hatte die Regierung nicht immer versprochen, keinen Deal mit den Konzernen zu schließen? Und warum haben die Kanzlerin und ihre Minister in all den Pressekonferenzen seit Montagmorgen nichts verraten?

Also ich rege mich jetzt nicht darüber auf, dass die Korruption zum alltäglichen politischen Geschäft gehört. Ich rege mich viel mehr darüber auf, dass sich keiner der Beteilligten mehr die Mühe macht, sein illegales Tun zu verbergen. Inzwischen wird sich einfach verplappert oder die Wahrheit nach dem Motto hinausposaunt, jawohl ihr werdet von uns verarscht, was wollt ihr dagegen tun? Wie immer nichts, denn das Volk ist ja mit Sarrazin beschäftigt. Den hat man schließlich extra bestellt.

Finanzminister Schäuble war auch nicht schlecht, als er zu der steuerlichen Absetzbarkeit der bis 2016 befristeten Brennelementesteuer meinte, dass das ja gar kein Problem für den Fiskus sei, weil die Energiekonzerne durch den Atomkompromiss schließlich auch höhere Gewinne machten. Wie jetzt? Doch Klientelpolitik, weil der Gesetzgeber den Konzernen höhere Gewinne ermöglicht, während die übrige Bevölkerung, mit Ausnahme der neuen Einkommensmillionäre, den Gürtel weiter enger schnallen soll?

Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten kommentiert sehr treffend:

„So offen wie in der letzten Meldung wurde regierungsoffiziell meines Wissens noch nie zugegeben, dass der „Atomkompromiss“ den Atomkraftwerksbetreibern höhere Gewinne sichert.
Schlimmer noch ist allerdings das Verhältnis von demokratischem Staat und wirtschaftlicher Macht, das hier zum Ausdruck kommt: Der Begriff „Revolution“, den Kanzlerin Merkel im Zusammenhang mit der Laufzeitverlängerung benutzte, erfährt angesichts dieser geheimen Vereinbarung seine ursprüngliche historische Bedeutung, nämlich im Sinne eines „Umsturzes“. Der Geheimvertrag ist das Eingeständnis, dass der demokratische Staat gegenüber den wirtschaftlich Mächtigen nicht mehr das „Gewaltmonopol“ hat, das heißt sich nicht mehr mit hoheitlicher Macht durchzusetzen vermag, sondern dass er bestenfalls noch Verhandlungspartner gegenüber wirtschaftlicher Macht ist.
Das zeigt sich in Formulierungen wie z.B. „Schäuble konnte sich nicht gegenüber der Atom-Lobby durchsetzen“ oder „den ganzen Sonntag über verhandeln die Koalitionsspitzen im Kanzleramt. Sie stehen in engem Kontakt mit den Finanzvorständen der Konzerne, die in ihren Berliner Büros sitzen und ausrechnen, welche Belastung sich wie stark auswirkt. Um 23 Uhr rufen die drei Parteichefs bei den vier Konzernchefs an. Gemeinsam klären sie die Bedingungen“.
Da sitzen also auf der einen Seite die Regierung und auf der anderen Seite die Konzernbosse und klären per Telefon die Konditionen; und das Parlament darf dann bloß noch den geheimen Deal sozusagen der demokratischen Form halber absegnen.
Eine ganz ähnliche Erpressung der Regierung durch die Banker hatten wir bei der Rettung der HRE erlebt.“

Im Augenblick regen sich ja viele Menschen darüber auf, dass sich Muslime nicht an Recht und Ordnung halten würden und härtere Strafen für Zuwanderer, egal ob sie bereits einen deutschen Pass haben oder nicht, zwingend erforderlich seien. Wie steht es eigentlich mit dem offenkundig verfassungswidrigen Verhältnis zwischen den wirtschaftlich Mächtigen in diesem Land und den politischen Hampelmännern und Frauen, die uns auf der Bühne der Berliner Puppenkiste Demokratie vorspielen (Zitat: Georg Schramm)? Gegen die kann man natürlich nix machen. Das ist halt so, gelle. Die machen doch eh, was sie wollen. Aber den Nachbarn, der anders aussieht und mehr Kinder hat, da könne man sich wahrscheinlich vorstellen, aktiv zu werden, wenn sich die Gelegenheit böte. :roll:

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