Der Fall Hoeneß kam offensichtlich sehr überraschend für die Berliner Politik. Die einen zeigten sich menschlich enttäuscht, aber in der Sache wenig kompromissbereit und die anderen verwandelten die Vorlage aus Bayern souverän ins eigene Tor. In der Frage der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung bereitet Bundeskanzlerin Angela Merkel nun ihren nächsten Schwenk um 180 Grad vor. Nachdem CDU und FDP eine Woche lang auf das falsche Pferd gesetzt hatten, soll nun eine Arbeitsgruppe unter Wolfgang Schäuble das Umdenken organisieren. An Merkel wird wie immer nichts haften bleiben.
Nach dem Motto, mir nach, ich folge euch, fällt auch dieses Schauspiel unter das alte Schema des plötzlichen Kurswechsels. Die Liste der Kehrtwenden ist lang. Zuletzt plädierte Merkel für die steuerliche Gleichstellung der Homo-Ehe. Die Schwenks in der Atompolitik, bei der Wehrpflicht, bei der Eurorettung oder beim Mindestlohn sind hinlänglich bekannt und haben der Kanzlerin nie geschadet. Es scheint so, als hätte Merkel die politische Wende von 1989, über die sie immer so gern erzählt, auf ihr Handeln als Regierungschefin einfach übertragen.
Natürlich sind die Kurswechsel nicht immer ernst gemeint, sondern folgen einem Plan zur Verbesserung des Images. Merkel musste vergangene Woche feststellen, dass nahezu alle Deutschen, mit Ausnahme derer, die ein Konto in der Schweiz haben, es nicht gut finden, wenn Steuerbetrüger straffrei ausgehen. Auf Dauer ließ sich also die bisher vertretene Position nicht aufrecht erhalten. Mit dem albernen Vorschlag, nun eine Arbeitsgruppe einzusetzen, gewinnt die Kümmerin mal wieder Zeit und sicherlich auch Ansehen. Die Tatsache aber, dass der Regierungssprecher, der ja für Merkel spricht und nicht für sich selbst, bereits kräftig auf die Bremse getreten ist und vor einem Schnellschuss warnte, fällt da nicht weiter ins Gewicht.
Es ist wie immer. Merkel täuscht an und alle fallen darauf herein. Denn warum sollte das Umdenken in einer ziemlich einfachen Frage Monate dauern und wahrscheinlich kurz vor der Bundestagswahl entschieden werden? Wahltaktik? Natürlich nicht. Der Grund ist banal. Die Abgeordneten, die ihren Verstand offenbar an der Garderobe abgegeben haben, müssen die internen Sprechblasenautomaten neu programmieren und Sätze erfinden, die das Gegenteil vom bisher Gesagten ausdrücken. Das dauert halt. Doch wenn die Führung eine andere Meinung vorgibt, muss man sich als gewissenhaft arbeitender Parlamentarier eben anpassen.
APR