Angst vor den Wählern

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Am 1. September ist ein regulärer Wahltermin. In drei ostdeutschen Bundesländern wird zum Urnengang aufgerufen. Eine Hochzeit der Demokratie? Nein. Die Angst vor den Wählern ist mal wieder groß. Diese Angst ist es dann auch, die die Ampel in Berlin trotz allen Streits und fehlender Geschäftsgrundlage immer noch zusammenhält, meint jedenfalls der Spiegel. Und so verkehrt ist das nicht.

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Ge- statt Verbote oder der Kanzlerin einen Gefallen tun

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In Thüringen sollen ab dem 6. Juni die Corona-Einschränkungen wieder aufgehoben werden. „Das Motto soll lauten: Von Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortetem Maßhalten“, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow der Bild am Sonntag. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Von einem „hochgefährlichen Experiment“ (Bayerische Staatskanzlei) bis hin zu Wahnsinn (Karl Lauterbach) ist die Rede. Diese Äußerungen zeigen allerdings nur, wie wenig man der Bevölkerung vertraut.

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Bündnis aus Linke und CDU

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Die Hängepartie in Thüringen setzt sich fort. Der Vorschlag von Bodo Ramelow, die ehemalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht für den Übergang von 70 Tagen zur Regierungschefin zu wählen, mag taktisch klug gewesen sein. Die Reaktion der CDU-Fraktion war aber ebenso erwartbar. Hier spielt man auf Zeit und will Neuwahlen angesichts der katastrophalen Aussichten in den Umfragen unbedingt vermeiden. Damit bleibt nur ein Weg übrig. Bodo Ramelow kandidiert im Landtag erneut und lässt sich wählen und zwar diesmal als Regierungschef eines Bündnisses aus Linken und der CDU.

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Thüringen: Eine vorläufige Bilanz

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Nach der gewollt verunglückten Ministerpräsidentenwahl in Thüringen ist lange nicht klar gewesen, welchem Zweck das Manöver wohl gedient haben könnte. Mittlerweile ist aber deutlich geworden, dass die Zusammenarbeit zwischen CDU, FDP und AfD nicht zufällig zustande kam und es Kooperationen dieser Art, allen Beteuerungen und Unvereinbarkeitsbeschlüssen zum Trotz, auch weiterhin geben wird. Während das Verhältnis zur AfD also sichtbar gelockert wurde, hat auf der anderen Seite eine verschärfte Abgrenzung gegenüber der Linkspartei stattgefunden. Ein linker Ministerpräsident, der bis weit in die konservativen Kreise der Gesellschaft anerkannt war und immer noch ist, wird allein auf der Grundlage eines dezidiert westdeutschen Antikommunismus unmöglich gemacht.

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Rücktritt geht nur schriftlich

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Es soll ja einen Rücktritt im Landtag von Thüringen gegeben haben oder so etwas Ähnliches. Die Medien recherchieren da leider nicht mehr so genau, weil die Effekthascherei, Klicks in den asozialen Netzwerken und das Gerede über Demokratie irgendwie wichtiger ist, als die Fakten, die einen etwas klarer sehen lassen würden. Nun, es hat keinen Rücktritt des gewählten Ministerpräsidenten gegeben. Denn so etwas hätte nach § 4 des geltenden Ministergesetzes schriftlich gegenüber der Präsidentin des Landtages erfolgen müssen. Der Herr Kemmerich erklärte indes nur, dass ein Rücktritt unumgänglich sei. Das reicht aber nicht.

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Unbeschreibliche Elitenverwahrlosung

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Der gestrige Tag hat schon kurios mit der State of the Union Ansprache des US-Präsidenten vor dem Kongress begonnen. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses zerriss demonstrativ das Manuskript der Rede, obwohl sie an einigen Stellen artig mitpatschte und sich erhob, wie es offenbar so üblich ist im Land der Auserwählten, die nach Gutdünken und ohne Prozess Todesurteile per Knopfdruck vollstrecken oder jeden, der nicht spurt, mit Sanktionen überziehen. Es ist halt eine Show, gerade von den Demokraten, die sich bei den Vorwahlen, wo es nur geht, ordentlich blamieren. Ihnen wäre eine zweite Amtszeit Trumps in Wahrheit lieber, als ein Präsident, der Bernie Sanders heißt. Hier zeigt sich eine Form der Elitenverwahrlosung, die es aber nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland gibt. Ein Blick in den thüringischen Landtag genügt.

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Rot-Rot-Grün kann in Thüringen weitermachen

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Hoppla, die Linke in Thüringen hat deutlich gewonnen, die rot-rot-grüne Regierung hat aber keine Mehrheit mehr, so das Ergebnis. Abgewählt sind Linke, SPD und Grüne aber gerade nicht, wie einige behaupten, die sich zu einer ominösen Mitte zählen. Bodo Ramelow kann selbstverständlich weitermachen, entweder geschäftsführend bis zur nächsten Wahl in fünf Jahren oder per Tolerierung. Ein Bündnis von Linkspartei und CDU, wie das vor allem die Medien wollen, ist dagegen überhaupt nicht notwendig und zudem total abwegig.

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Politischer Selbstmord mit Ankündigung

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Das Ergebnis der SPD in Thüringen ist die Folge der Entscheidung vor fünf Jahren, einen Politikwechsel für Posten zu opfern.

Um das Thüringer Ergebnis bei der Landtagswahl richtig einordnen zu können, ist ein Exkurs in die jüngere Vergangenheit erforderlich. Denn das gestrige Resultat ist auch die Folge der unsäglichen Machtspielchen von vor fünf Jahren. Damals gab es ebenfalls nur Gewinner. Althaus, Ramelow und Matschie. Alle drei wollten Ministerpräsident werden, am Ende kam Lieberknecht.

Mastschie

Vor fünf Jahren brannte die siegestrunkene SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Christoph Matschie ein Feuerwerk ab. 18,5 Prozent hatte der Sozialdemokrat geholt und sich dafür feiern lassen, das System Althaus beseitigt zu haben. Als Drittplatzierter wollte Matschie dann auch mitregieren. Mit der CDU klar, aber ohne Althaus. Mit Linken und Grünen erst nicht, da im Wahlkampf ausgeschlossen und dann doch, aber nur unter der Bedingung, selbst Ministerpräsident zu werden.

Es gab sogar Sondierungsgespräche für ein Linksbündnis und am Ende sogar das Zugeständnis von Ramelow, auf den Posten des Regierungschefs zu verzichten, wenn es Matschie ebenso täte. Der Kuhhandel scheiterte erwartungsgemäß, ein anderer kündigte sich an. Denn nachdem Althaus zurückgetreten war, sollte Christine Lieberknecht nun Ministerpräsidentin werden, eine Frau aus dem Kabinett Althaus und damit unzweifelhaft auch zu dessen System zugehörig.

Politikwechsel gescheitert

Der SPD-Führung in Thüringen reichte das aber, um alle inhaltlichen Versprechungen aus dem Wahlkampf über Bord zu werfen und mit der CDU ein Bündnis einzugehen. An der SPD-Basis formierte sich Widerstand. Die Koalitionsvereinbarung wurde schließlich auf einer Delegiertenversammlung mit 148 Ja-Stimmen, bei 44 Gegenstimmen und sieben Enthaltungen angenommen.

Anstatt wie versprochen die CDU in die Opposition zu schicken, übernahm Matschie die Rolle des stellvertretenden Ministerpräsidenten und das Ressort Bildung, Wissenschaft und Kultur. Nennenswerte Erfolge in dieser Funktion sind nicht überliefert. Wie auch, das System Althaus setzte sich unter Lieberknecht fort. Die Antipathie beider Fraktionen war nicht zu leugnen. Hinzu kamen Skandale.

Die offizielle Lesart der Sozialdemokraten ist nun, sie seien im Wahlkampf zwischen CDU und Linkspartei irgendwie zerrieben worden. Das ist natürlich eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit. Es hat auch nicht an der offen gehaltenen Koalitionsaussage gelegen, wie die Medien kolportieren, sondern schlicht daran, dass die SPD vor fünf Jahren einen Politikwechsel angekündigt, stattdessen einen Selbstmord begonnen und nun die Quittung dafür kassiert hat.

Immer dasselbe Gericht

Damals galt es noch als illoyal und dumm dem Wähler gegenüber, einem möglichen Linksbündnis als Juniorpartner beizutreten. Dass damit aber das ebenfalls ausgeschlossene Rechtsbündnis alternativlos übrigbleiben musste, interessierte die Spitzengenossen in Erfurt und Berlin herzlich wenig. Sie überhöhten nicht nur die verbohrte wie alberne Standhaftigkeit von Matschie, sondern nahmen auch vier Ministerposten dankbar an.

Der Wähler blieb erneut mit der Erkenntnis zurück: Du kannst wählen was du willst und bekommst trotzdem immer das gleiche Gericht. Versprochene Politikwechsel und Überzeugungen werden für Posten geopfert. Auch das ist ein Grund, warum immer weniger Menschen, gerade im Osten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Auf sie zu schimpfen, ist leicht, erfasst aber nicht den Kern des Problems.

Am Wahlabend säuselte Christoph Matschie in die Mikrofone, er und seine Partei müssten erst einmal nach Gründen suchen, um das schlechte Abschneiden zu erklären. Das braucht er nicht. Denn die jetzigen Gründe sind die gleichen wie vor fünf Jahren. Auf die Konsequenzen kommt es an. Wobei das bei Toten nun auch keine Rolle mehr spielt.

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Zwischen Marx und Ackermann

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Lieber einen Marx in den Landtag tragen, als einen Ackermann im Bandeskanzleramt hofieren.

Für einen ungewöhnlichen Wahlaufruf hat die Kanzlerin gestern in Thüringen gesorgt. Dort warnte sie vor allem die Grünen vor einem Bündnis mit Linken und der SPD. Merkel griff tief in die Mottenkiste, die sie als Geschichte versteht, bemühte den Freiheitsbegriff und meinte, mit einem linken Ministerpräsidenten zöge Karl Marx in die Staatskanzlei ein. Ein typischer PR-Coup der Kanzlerin, der am Ende allerdings nach hinten losgehen könnte.

Quelle: Bodo Ramalow (Facebook-Profil)

Denn statt die Kanzlerin – die zu DDR-Zeiten ganz selbstverständlich ein Bündnis mit Marx, darüber hinaus auch mit Engels und Lenin einging, wie wir alle, die aus dem Osten kommen – für ihren Wahlkampfauftritt zu kritisieren, nutzt Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linken in Thüringen, die Vorlage von Merkel. Warum den Marx nicht in den Landtag tragen, fragt beispielsweise einer seiner Unterstützer, der Liedermacher Konstantin Wecker. Da gehört er doch auch hin, sagt er.

Noch viel deutlicher ist mein Vergleich. Lieber einen Marx in den Landtag tragen, als einen wie Ackermann im Bundeskanzleramt hofieren. Das sollte eigentlich reichen, um die Wähler zu mobilisieren, die für einen Politikwechsel sind. Ich fürchte nur, dass die Wahlbeteiligung ähnlich katastrophal ausfallen wird, wie in Sachsen vor zwei Wochen. Wer auch immer gewinnt, er wird nicht zu den Siegern zählen.

Ein linker Ministerpräsident ist dabei noch längst nicht ausgemacht. Die SPD und die Grünen sind bekannt dafür, sich dem Willen der Kanzlerin zu beugen. Nirgendwo ist die Fremdsteuerung so ausgeprägt, wie in diesen beiden Parteien. Dabei gelte doch für den Osten noch immer die Lesart, hier seien die Linken moderat und nicht so radikal wie die im Westen. Jetzt wo es ernst werden könnte, wird natürlich gekniffen.

Sie folgen dann wohl lieber einer amtierenden Ministerpräsidentin Lieberknecht, die nicht ganz frei von Skandalen ist und einer Kanzlerin, die nicht mehr mit Marx, aber dafür mit anderen zeitgenössischen Figuren ein strahlendes Bündnis pflegt und dabei verkündet, zum Wohle aller Menschen Politik zu betreiben.

Merkel RWE

Quelle: Neues aus der Anstalt


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