Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien, Türkei und Indonesien geraten in Währungsturbulenzen. Die Investoren flüchten, so lauten die Nachrichten seit ein paar Tagen und Wochen. Nur warum flüchten die Investoren, die doch eigentlich als Spekulanten bezeichnet werden müssten? Ist es nicht die Aufgabe der Schwellenländer, künftig die Exportüberschüsse Deutschlands zu finanzieren? Dafür benötigen die aber Geld und zwar das der Investoren Spekulanten. Die wiederum flüchten aber nicht aus rationalen Gründen, wie uns jene Börsenheinis weißmachen wollen, die auch behaupten, dass die Aktie gerade wieder als Altersvorsorge tauge. Sie flüchten eigentlich nur, weil es die Herde tut. In Panik sozusagen.
Es ist schon erstaunlich, wie sich das Blatt in der öffentlichen Diskussion mal wieder gewendet hat. Plötzlich haben die Wirtschaftsredaktionen die Problematik anhaltender Leistungsbilanzdefizite entdeckt. Heiner Flassbeck weist am Beispiel der FAZ darauf hin.
In der Türkei, schreibt Gerald Braunberger, riefen das Leistungsbilanzdefizit und die Auslandsverschuldung Sorgen hervor. Na so etwas, Sorgen haben auf einmal Länder, die Leistungsbilanzdefizite und Auslandsverschuldung aufweisen. Wo doch gerade die FAZ in den vergangenen Wochen nicht müde wurde zu betonen, wie ungefährlich, ja geradezu gut die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse für die ganze Welt sind. Wie können dann Defizite und Verschuldung schlecht sein, wenn Überschüsse und Forderungen doch durchweg gut sind? Sind die deutschen Überschüsse vielleicht gar nicht von dieser Welt? Sind es doch Mars und Venus, die die Defizite machen, die den deutschen Überschüssen gegenüberstehen?
An den Börsen wird erzählt, dass die Entscheidung der FED, die Geldschleusen langsam zu schließen, das Angstbarometer der Anleger wieder steigen lasse. Die Defizite der Schwellenländer würden nun sichtbar und das Risiko für die Anleger sei plötzlich zu hoch. Dabei waren die Leistungsbilanzdefizite schon vorher sichtbar, wurden aber absichtlich oder aus Unwissenheit übersehen, weil es die Anleger ja toll fanden, in die Schwellenländer und vor allem in die gut verzinste Währung zu investieren.
Hier zeigt sich wieder, wie absurd der Meinungsmainstream funktioniert. Das Interesse der Anleger gilt ja nicht irgendeiner wirtschaftlichen Entwicklung, sondern der Möglichkeit, mit billig geliehenem Kapital die höchst mögliche Rendite zu erzielen. Nicht Investition, sondern Spekulation ist die Triebfeder des Kapitalmarkts. Die Zinsunterschiede versprachen einen Profit unter der Bedingung der lockeren Geldpolitik (Carry-Trades). Diese neigt sich im Dollarraum nun allmählich dem Ende zu, so scheint es aber nur. Die Probleme der Schwellenländer sind daher nicht der Grund für eine Kapitalflucht der Spekulanten, sondern bloß ein Anlass, den man der zahlenden Öffentlichkeit als Brocken hinwirft.
Hinzu kommen bestimmte Automatismen, die an der Börse selten eine Erwähnung finden. Bei den dort berichtenden Journalisten herrscht der Glaube vor, dass selbst Anleger mal tief enttäuscht sein dürften und ihre seit Monaten vorhandene gute Stimmung vorübergehend verlieren können. Ich frage mich nur, wo genau das menschliche Gefühl der tiefen Enttäuschung in den Algorithmen der Superrechner versteckt sein soll, die blitzschnell über Kauf und Verkauf entscheiden.
Diese angenommene Emotionalität als Grundlage von Entscheidungen ist eine abwegige Vorstellung, die immer dann besonders deutlich wird, wenn Unfälle an den Marktplätzen dieser Welt passieren und die Börsenkurse plötzlich rasant zu fallen beginnen und der Handel sogar ausgesetzt werden muss. Mehr als 70 Prozent der amerikanischen und bis zu 50 Prozent der deutschen Aktiengeschäfte werden nicht von realen Anlegern oder Investoren getätigt, sondern von Computerprogrammen im Nanosekundenbereich. Das Ganze nennt sich Hochfrequenzhandel, auf den die Börsenheinis selbst schon einmal hingewiesen hatten.
Dieser Hochfrequenzhandel ist fehlerhaft und führt auch dazu, dass sich die Herde von Spekulanten davon natürlich beeinflussen lässt und ihre Geschäfte dem ausgelösten Druck entsprechend panisch anzupassen versucht. Das kann auch ein Gefühl erzeugen, nämlich nicht zu denen gehören zu wollen, die den Anschluss an die Herde verpassen. Der Hochfrequenzhandel bildet beschleunigt daher nur das ab, was auch im normalen Handel maßgeblich ist. Es sind keine Unternehmensdaten oder Nachrichten zur konjunkturellen Lage, die das Geschehen bestimmen, sondern ein simples Herdenverhalten basierend auf Gerüchten, Glauben und technischen Pannen.
Im Ergebnis wird einfach nur weitergezockt, ohne Rücksicht auf Schäden für die reale Volkswirtschaft, die am Ende nicht die Spekulanten zahlen. Das öffentliche Erkennen von Leistungsbilanzdefiziten als Problem passt da nur ins Bild, um die Zocker einerseits als rational denkende Anleger beschreiben zu können und die ahnungslosen Börsenheinis als seriöse Journalisten erscheinen zu lassen. Die bejubeln aber weiterhin den fulminanten Jahresauftakt der deutschen Industrie, die aber ihre Aufträge doch gerade aus jenen Ländern erhalten haben muss, die als neue Problemstaaten jetzt gebrandmarkt werden.
Statt von einem Aufschwung hier zu faseln, müsste die Journaille vor einem wirtschaftlichen Absturz warnen. Denn was sind die optimistischen Prognosen noch wert, wenn die deutsche Exportwirtschaft neben den Absatzmärkten der Eurozone nun auch noch die in Lateinamerika und Asien verlöre?
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FEB