Der Aufschwung geht weiter, tönt es aus dem Nürnberger Bunker unter dem Befehl des Reserveoberst Frank-Jürgen Weise, der im Nebenjob helfen darf, die Bundeswehr umzustrukturieren. Der Aufschwung geht weiter, tönt es auch aus der gemütlichen Weinstube des Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle.
„Der Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt ist nicht zu stoppen. Der Frühlingsaufschwung treibt den Arbeitsmarkt zu neuen Bestmarken. Die gute Konjunktur, verstärkt durch die Frühjahrsbelebung, sorgt dafür, dass die Zahlen für die Erwerbstätigkeit weiter in die Höhe gehen; die Arbeitslosigkeit nimmt erneut spürbar ab. Besonders erfreulich ist, dass die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung so stark steigt. 700.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mehr als vor einem Jahr sind ein stolzes Zeugnis unseres anhaltenden Beschäftigungsaufschwungs.“
Quelle: BMWi
Und auch die Bundesarbeitsministerin sieht die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit als Beleg für eine solide Entwicklung. Der Arbeitsmarkt sei so aufnahmefähig wie ein Schwamm. Beim Auswringen scheinen aber immer noch drei Millionen Menschen hinaus zu tröpfeln. Doch was ist dran an der Einschätzung der offiziellen Verlautbarungsorgane? Im Prinzip nichts, denn seit längerem ist bekannt, dass die Arbeitslosenstatistik durch und durch manipuliert ist.
Neben der offiziellen Zahl der Erwerbslosen, die im Monat April einen Stand von 3.078.000 erreicht haben soll, gibt es die Zahl der sog. Unterbeschäftigten, eine Kategorie, in der Arbeitslose gezählt werden, die zum Zeitpunkt der Zählung entweder erkrankt waren oder unter 25 bzw. über 58 oder als Arbeitslose von privat organisierten Menschenhändlern mittels Vermittlungsgutschein betreut werden. Herausgerechnet werden auch Erwerbslose, die eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme absolvieren und zum Beispiel als ausgebildete Ingenieure lernen, wie man Landschaften und Räume pflegt, um anschließend in einer Arbeitsgelegenheit für einen symbolischen Euro die Stunde der Allgemeinheit zu dienen.
Insgesamt haben im April laut Monatsbericht der BA (Seite 51) 7.346.165 Menschen entweder ALG I, II oder Sozialgeld bezogen.
- ALG I: 831.356 (-113.052)
- ALG II: 4.751.306 (+5.062)
- Sozialgeld: 1.763.503 (-640)
Auffallend ist, dass die Bundesagentur die meisten Zahlen als Hochrechnungen und Schätzungen verkauft. Insofern trägt auch die Methode kaum zur Klarheit bei. Wie viele Menschen nun tatsächlich erwerbslos sind und ob sich die Beschäftigungsentwicklung auf neue Rekordstände zubewegt, kann weder durch verlässliche Daten untermauert, noch als solide Entwicklung bezeichnet werden.
Was aber einmal mehr deutlich wird, ist die Diskrepanz zwischen der offiziellen Arbeitslosenzahl (3.078.000) und aller erwerbsfähigen Leistungsbezieher (5.582.662). Das heißt, es werden nur etwa 55 Prozent aller Leistungsbezieher auch als arbeitslos gezählt oder geschätzt. Warum?
Wie man an der Entwicklung der ALGII-Bezieher sieht, ändert sich kaum etwas an der Langzeitarbeitslosigkeit. Zwar vermeldet die Bundesagentur stolz, dass die Gruppe der Langzeitarbeitslosen auf 897.000 geschrumpft sei, aus der Statistik wird aber deutlich, dass aus dem Rechtskreis SGB II (also Hartz-IV) sehr viel weniger Betroffene in den ersten Arbeitsmarkt einschl. Selbstständigkeit zurückfinden (3,8 Prozent) als Arbeitslose, die weniger als 12 Monate erwerbslos waren (15,8 Prozent). Und noch etwas:
Weil der Rückgang der Gesamtarbeitslosenzahl größer war, hat sich der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen um 1 Prozentpunkt auf 32 Prozent erhöht.
(siehe Seite 13)
Was sagt uns das? Es kommt auf die Betrachtungsweise an. Was spielt es schon für eine Rolle, dass Deutschland mit einem Langzeitarbeitslosenanteil von 32 Prozent wahrscheinlich immer noch den fünf höchsten Wert aller 15 Alt-EU-Länder aufweist? Angeblich sei Deutschland Wachstums- und Beschäftigungslokomotive innerhalb der EU. Für die Langzeitarbeitslosen gilt das jedenfalls nicht. Beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit bleibt Deutschland mehr oder weniger Schlusslicht, obwohl man sich durch die Arbeitsmarktreformen etwas anderes versprochen hatte.
Deshalb werden diese aber nicht als gescheitert angesehen, sondern behauptet, sie seien Grundlage für den Beschäftigungserfolg. In der Tat gibt es eine Zunahme der Beschäftigung. Im Monatsbericht steht auch detailliert, in welchen Bereichen es eine besondere Zunahme gegeben hat. Besonders die Leiharbeit steht mit einem Plus von 31,9 Prozent an erster Stelle. Interessant ist auch, dass es im Bereich Erziehung und Unterricht einen Rückgang gab. Und das in Zeiten, in denen Politikern die Bildung immer noch besonders am Herzen liegt.
Zudem arbeiten immer mehr Menschen in diesem Land als Mini-Jobber. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll Ende September 2010 erstmals die Marke von sieben Millionen überschritten worden sein. Spiegel Online berichtete kürzlich darüber. In der Statistik wird die Zahl der Mini-Jobber im Februar nun mit 4,84 Mio. ausgewiesen. Dazu kommen 2,41 Mio., die neben ihrem Hauptjob einer geringfügig entlohnten Tätigkeit nachgehen (Seite 8). Seit der Lockerung der 400-Euro-Job Regeln im Jahr 2003 haben besonders die Nebentätigkeiten zugenommen. Jedes vierte Beschäftigungsverhältnis ist damit ein Mini-Job.
Wenn man also von einer soliden Entwicklung reden will, dann doch bitteschön von der soliden Entwicklung eines prekären Beschäftigungssektors, dessen Schaffung erklärtes Ziel der Arbeitsmarktreformer immer gewesen ist.
APR