In der vergangenen Woche war der Besuch der Bundeskanzlerin in China ein großes Thema. Sie reiste nicht allein, sondern mit ihrem halben Kabinett sowie Vertretern der deutschen Wirtschaft. Die konnte sich über den Abschluss von Milliarden-Deals freuen und zeigte sich ansonsten sehr devot gegenüber jenem Geschäftspartner, der die Spielregeln regelmäßig zu seinen Gunsten ändert. Gleichzeitig stellte die Kanzlerin in Aussicht, persönlich bei der EU-Kommission darauf hinzuwirken, dass der schwelende Handelskonflikt wegen der Lieferung chinesischer Solarmodule auf harmonische Weise und nicht durch eine Klage entschärft würde.
Wenn man das Treffen mit Ministerpräsident Wen Jiabao noch einmal Revue passieren lässt, könnte man meinen, Merkels Draht nach Peking ist besser als zu Obama nach Washington. Die Chinesen wollen bei der Rettung des Euro helfen, während die Amerikaner weiter darauf drängen, dass Europa selbst die Kurve kriegt und vor allem an der Beseitigung seiner internen Handelsungleichgewichte arbeitet. Das missfällt dem Exportweltmeister, der einerseits seine Überschüsse als Ausdruck volkswirtschaftlicher Stärke feiert und andererseits die dafür notwendigen Defizite anderer als verwerfliches Leben über deren Verhältnisse geißelt.
Merkels Politik setzt weiterhin auf einen radikalen Schrumpfungsprozess, der zwar für die Bevölkerungen ärgerlich sei, aber an dem auf lange Sicht kein Weg vorbeiführe. Doch selbst die Chinesen sparen nicht mit Kritik. Die Bemerkung Wen Jiabaos, wonach die bisherigen Krisenmaßnahmen in Europa nicht sehr zufriedenstellend verlaufen seien, nahm die Kanzlerin regungslos zur Kenntnis. Dabei wird sie hierzulande und in Brüssel nicht müde zu betonen, dass ihr Austeritätskurs richtig und von Erfolg gekrönt sei. Einen besseren Beweis für die sprichwörtliche Isolation der vermeintlich mächtigsten Frau der Welt hätte man nicht finden können.
In ihrer Not klammert sich auch die deutsche Exportwirtschaft an die chinesischen Märkte. Skurrile Bilder von handzahmen deutschen Managern, die ihre Worte so sehr wogen, dass es sogar den chinesischen Ministerpräsidenten verwunderte. Wen Jiabao sah sich genötigt, als Stichwortgeber wenigstens den Anschein von Partnerschaft zu erwecken, in der man sich gleichberechigt alles sagen könne. Die deutsche Seite hatte sich aber längst ergeben. Dennoch sprechen deutsche Sonntagsblätter (FAS) im Rückblick von Neid und Missgunst, von der all jene befallen seien, die nicht wie Deutschland Überschüsse produzieren würden. In diesem Zusammenhang könne man nicht verstehen, warum die EU über Sanktionen für leistungsstarke Länder nachdenke.
Das Heranrücken an China werde demzufolge als notwendiger Schritt betrachtet, der von beiderseitigem Interesse geleitet sei, aber den Konflikt mit den schwächeren Staaten in der Eurozone weiter verstärken könnte. Das ist natürlich eine Sicht ganz auf Linie der Bundesregierung. Doch China hat kein Interesse an einer Partnerschaft mit Deutschland, unter der der Rest der Eurozone zu leiden hätte. Die Chinesen sind da schon viel weiter als die deutsche Presse, die sich vor Ort immer wieder über schlechte Arbeitsbedingungen beklagt. Sie sehen den europäischen Markt gerade wegen der absurden Deflationspolitik Merkels als Ganzes bedroht. Sicherlich fällt der Tadel für die Krisenpolitik verhaltener aus, dennoch ist es töricht anzunehmen, die Chinesen verstünden nichts von volkswirtschaftlichen Zusammenhängen.
Das Problem ist nur, dass Merkel und die Bundesregierung Gefangene ihres eigenen Tuns sind. Sie gehen lieber einen Pakt mit dem Teufel ein, als von ihrem bisherigen Irrweg abzuweichen. Aus innenpolitischem Kalkül hat Merkel die chauvinistische Karte längst gespielt und latente Vorurteile gegen andere Völker Europas bedient. Ihr letzter Versuch, diese Entwicklung wieder einzufangen, indem sie ihre Mitstreiter zum sorgfältigen Abwägen von Worten ermahnte, ist jämmerlich gescheitert. Doch auch die Vereinbarung mit China erfordert einen Kurswechsel Merkel bereitet ihren nächsten Schwenk schon vor. Dieser wird allerdings unter gleichzeitiger Akzeptanz eines diktatorischen Wirtschaftsmodells vollzogen. Für die Hilfe Chinas wirft Merkel nicht nur demokratische Prinzipien über Bord, sondern ist auch bereit, europäisches Recht hintanzustellen. Die deutsche Solarbranche, bisher immerhin ein Wachstumsmarkt, muss sich ziemlich veräppelt vorkommen, wenn deren Interessen mal eben durch Merkel verraten werden. Nach deutscher Lesart sollen sie aber ein Opfer bringen, damit ein Handelskrieg mit China verhindert werden könne. Da verfolge die Bundeskanzlerin offenbar ein höheres Ziel, als jene politisch gewollte Energiewende, an deren Gestaltung deutsche Unternehmen in der Solarbranche mitwirken wollten.
Mitten im Entwicklungsprozess wird eine innovative Industrie durch Merkels Exportfixiertheit nun aber einfach abgewickelt. Die Lösung des Problems habe Zeit und könne auf dem Verhandlungswege erreicht werden, sagte Merkel in Peking. Dabei ist Zeit genau das, was die massenhaft wegsterbenden Solarfirmen in Deutschland nicht haben. Der Kanzlerin scheint das und eine Zunahme der Arbeitslosigkeit aber billigend in kauf zu nehmen. Sie glaubt wohl tatsächlich daran, mit China in einen Export-Wettbewerb treten zu können. Im Sommerinterview der ARD ließ sie die deutsche Öffentlichkeit ja bereits wissen, dass sie in asiatischen Think Tanks mitlese und eine Abkehr vom europäischen Sozialstaatsmodell für richtig halte.
Warum also sollte die EU Maßnahmen gegen einen von China geführten Dumping-Wettbewerb beschließen, wie es beispielsweise die USA mit Schutzzöllen getan haben? Vielmehr müsse sich Europa aus Sicht von Merkel wahrscheinlich an China orientieren und ähnliche Arbeitsbedingungen schaffen, die es wiederum ermöglichen, im Wettbewerb mitzuhalten.
Diese Weltwirtschaftskrise zeigt daher zwei fatale Seiten. Die einen betreiben mit Schutzzöllen die bereits befürchtete Marktabschottung und die anderen versuchen mit einem race to the bottom im freien Fall nach unten die beste Figur zu machen. Wichtig sind Marktanteile und die Sicherung des Wohlstands einiger weniger, bei denen es egal ist, wo sie leben, solange sie dort Menschen vorfinden, die alternativlos für sie arbeiten.
SEP