Ziemlich dick aufgetragen

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Die Morde von Paris seien ein Angriff auf die ganze freie Welt, heißt es. Doch so frei, wie die freie Welt tut, ist sie schon lange nicht mehr.

Die Reaktionen auf den Anschlag in Paris sind aus meiner Sicht übertrieben. In der FAZ spricht Berthold Kohler zum Beispiel von einer Kriegserklärung an die ganze freie Welt und Klaus-Dieter Frankenberger meint beipflichtend, der Mord an Journalisten der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ ziele auf das Herz der Demokratie – die freie Presse. Das ist ziemlich dick aufgetragen.

Pressefreiheit steht schon längst unter Terrorverdacht

Das Herz der Demokratie, schlägt es denn überhaupt noch? In Sachen Pressefreiheit rangiert Frankreich in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen auf Platz 39 und Deutschland auf Platz 14. Diese Ergebnisse zeigen, so Reporter ohne Grenzen, „wie stark die Dominanz der Sicherheitsbehörden die Arbeit von Journalisten in vielen Ländern erschwert. Besonders besorgniserregend ist, dass diese Entwicklung sogar traditionelle Demokratien erfasst hat.“

Whistleblower wie Edward Snowden stammen aus diesen Demokratien. Deren politische Führer halten ihn aber für einen Verräter, dem im Namen des Volkes der Prozess gemacht und die Freiheit genommen werden müsse. Der Journalist Glenn Greenwald, dem Snowden sein brisantes Material anvertraute, sah sich ebenfalls Repressionen ausgesetzt. Sein Lebenspartner wurde zudem am Londoner Flughafen Heathrow stundenlang festgehalten und verhört.

Die britische Regierung rechtfertigte das Vorgehen auf der Grundlage von Anti-Terror-Gesetzen und die Richter in einem späteren Verfahren folgten dieser Einschätzung. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit wogen in diesem Fall nicht so schwer, wie der Terrorism Act der Regierung. Wer sich also auf Pressefreiheit beruft und seine Quellen schützt, ist im Zweifel auch des Terrors verdächtig, so die Botschaft oder sollte man Drohung sagen.

So frei, wie die freie Welt tut, ist sie also nicht. Das kommt schon allein dadurch zum Ausdruck, dass permanent von Werten, statt von Rechten gesprochen wird. Menschen zu erschießen, verstößt aber nicht gegen irgendwelche Werte, die mit allerhand Ideologie bloß aufgeblasen werden, sondern gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Bei uns steht das im Artikel 2 des Grundgesetzes.

Mit Gewalt muss gerechnet werden

Verstöße dagegen werden in einem Rechtsstaat verfolgt und mit Strafen belegt. Dabei ist es egal, an welche Religionen Mörder und Extremisten glauben. Vor dem Gesetz sind sie alle gleich oder sollten es sein. Doch tun wir gerade so, als hätten die Morde von Paris nun eine besondere Qualität. Dabei ist die Gewalt eine Größe, mit der man rechnen muss. Dass es Vororte von Paris gibt, in denen Menschen zum Teil schwer bewaffnet sind, ist schließlich keine Neuigkeit.

Was läuft da schief, wäre eine Frage, die es zu stellen gilt. Sind tatsächlich der Glaube und verletzte religiöse Gefühle die Auslöser für Gewalt? Was ist mit der Perspektivlosigkeit, die eine Demokratie produziert, die offenbar nur noch marktkonform zu sein hat? Was werden wohl die vielen jungen Menschen tun, die in Südeuropa dank Spardiktat keine Chance mehr sehen, jemals wieder Arbeit zu finden? Werden sie ihr Schicksal einfach nur ertragen oder rekrutiert?

Wem folgen die Pegida-Anhänger hierzulande und wohin? Diese Bewegung dürfte nach den Morden von Paris weiteren Zulauf erhalten. Die ersten Wirrköpfe beginnen die Ereignisse bereits, für ihre Zwecke zu missbrauchen. Und Kohler von der FAZ bläst ins selbe Horn wenn er schreibt, dass sich niemand mehr über die Furcht vor dem Islam zu wundern bräuchte, weil in dessen Namen Angst und Schrecken verbreitet würde.

Besonnenheit sieht anders aus. Nach den Anschlägen in Norwegen 2011 sagte der damalige Ministerpräsident Jens Stoltenberg: „Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“ Die Antwort nach Paris lautet offenbar: Wiederaufnahme des Kampfes gegen den Terror und Erneuerung politisch versagender Bündnisse, denen oft auch nicht mehr einfällt, als zur Waffe zu greifen.


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Binninger richtig übersetzt

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Ein Satz des Tages lautet:

„Ein Untersuchungsausschuss sollte nicht in erster Linie parteipolitischer Profilierung dienen, zumal die aufgeworfenen Fragen viele Bürger beunruhigen, gleichzeitig die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der Geheimdienste zu beachten ist. Zum einen ist der Untersuchungsauftrag viel breiter und differenzierter angelegt, zum anderen bin ich unverändert skeptisch, ob uns Snowden – aufgrund seiner eigenen öffentlichen Einlassungen – als Zeuge überhaupt weiterhelfen kann.“

Das kann man auch kürzer und vor allem verständlicher ausdrücken:

“Wir wollen zwar aufklären, gar keine Frage, aber auch die eingeschlagene Richtung im Kreisverkehr nicht verlassen.”

Wenn Sie jetzt denken, häh, wie wollen die denn dann vorankommen und neue Erkenntnisse zu Tage fördern, haben Sie schon eine richtige Frage gestellt, die Ihnen wahrscheinlich ohne Übersetzung nicht eingefallen wäre. Binninger tut nämlich so, als sei Edward Snowden ein unbrauchbarer oder entbehrlicher Zeuge, weil er seine Informationen bereits über die Medien weltweit verbreitet habe. Was Binninger außer Acht lässt, ist aber, dass für Untersuchungsausschüsse im weitesten Sinne die Regeln der Strafprozessordnung gelten.

Jetzt stellen Sie sich vor, ein Richter würde die Vernehmung des Hauptzeugen mit der Begründung ablehnen, dass dessen Aussage bereits in der Zeitung oder auf Facebook nachzulesen sei, er also im Prozess nichts mehr zur Aufklärung beitragen könne. Unvorstellbar. Der Hauptzeuge, und nichts anderes ist Snowden, muss seine Aussage vor dem Ausschuss zu Protokoll geben, damit überhaupt ein Ergebnis zustande kommen kann, das den gängigen Verfahrensregeln eines Rechtsstaates entspricht. Außerdem kann die Glaubwürdigkeit von Edward Snwoden nur in einem solchen Verfahren, das rechtsstaatlichen Vernehmungsregeln folgt, festgestellt werden, etwa mit einer Vereidigung.

Mit der oben getätigten Aussage hat sich Binninger eigentlich als untauglich erwiesen, einem Untersuchungsausschuss vorzustehen oder gar einen anderen Posten in der Architektur des Rechtsstaates zu übernehmen. Man hört ja, er soll Nachfolger von BKA-Chef Ziercke werden. Binninger hat vielmehr selbst eine politische Aussage getroffen, weil er und seine Chefin Merkel vielleicht nicht wollen, dass Snowden in einem rechtsstaatlichen Verfahren aussagt. Der Untersuchungsausschuss hat nämlich aufgrund seiner eigenen Ermittlungsergebnisse das Recht, der Regierung weiterer unangenehme Fragen zu stellen oder die Herausgabe von Akten zu verlangen.

Heute hat Merkel im Bundestag über die Krise in der Ukraine gesagt: „Es ist leider an vielen Stellen nicht erkennbar, wie Russland zur Entspannung der Situation beiträgt.“ Sie mahnte Putin, sich mit der Regierung in Kiew an einen Tisch zu setzen. In Russland sitzt Edward Snowden allein und wartet darauf, dass sich die deutsche Regierung mit ihm an einen Tisch setzt. Doch mit Blick auf die NSA-Affäre ist leider überhaupt nicht erkennbar, was die Bundesregierung zur Aufklärung beitragen will.


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Frohe Weihnachten und machen Sie sich Gedanken

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Ich wünsche allen Lesern ein schönes Weihnachtsfest. Meiden Sie die Weihnachtspredigt des Bundespräsidenten, der doch lieber Pastor hätte bleiben sollen. Er hat einfach nicht das Format für jenes Amt, das er bekleidet, aber nicht ausfüllt. Format hat hingegen Edward Snowden. Ein Mann, der die Verfassung seines Landes ernst genommen und jenen zu Recht Verfassungsbruch vorgeworfen hat, die nun über ihn richten wollen. Auch er zieht Bilanz und sagt:

“The oath of allegiance is not an oath of secrecy,” he said. “That is an oath to the Constitution. That is the oath that I kept that Keith Alexander and James Clapper did not.”

Heißt soviel wie:

“’Der Treueeid ist kein Eid zur Geheimhaltung. Es ist ein Treueeid auf die Verfassung. Diesen Schwur habe ich eingehalten, Keith Alexander und James Clapper nicht.”

Starke und wahre Worte, die sich stellvertretend auch unsere Politiker-Mischpoke hinter ihre Löffel schreiben sollte. Und wir Menschen da draußen sollten die etwas ruhigeren Tage nutzen, um nachzudenken. Vielleicht über diesen Satz Snowdens.

“Because, remember, I didn’t want to change society. I wanted to give society a chance to determine if it should change itself.”

Heißt soviel wie:

“Bedenken Sie, Ich habe nicht die Gesellschaft ändern wollen. Ich wollte der Gesellschaft die Möglichkeit geben, selbst herauszufinden, ob sie sich ändern möchte.”


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Mit dem Firmenjet in die Freiheit

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Es ist schon erstaunlich, was alles außerhalb des Protokolls für einen verurteilten Kriminellen möglich ist. Ein schnelles Visum, ein Privatjet und offenbar eine gesicherte Eskorte vom Flughafen Schönefeld nach nirgendwo. Chodorkowski, der hierzulande von den Medien als politisch Verfolgter betrachtet wird, dem die Menschenrechte aberkannt worden seien, hat deutschen Boden betreten. Gleich nach seiner Entlassung hat ihn ein von Hans-Dietrich Genscher organisierter Privatjet nach Berlin geflogen, angeblich, so vermuteten es die Medien, damit er seine kranke Mutter besuchen könne. Die befindet sich aber gar nicht mehr in Deutschland, sondern in Moskau. Aus der rührseligen Story wird also erst einmal nix.

Wieso denke ich jetzt bloß an Edward Snowden, der ja wirklich ein politisch Verfolgter ist und, so irre das auch klingen mag, ausgerechnet beim Putin Asyl bekommen hat? Nicht in Deutschland. Da ließ das Außenministerium nach Rücksprache mit dem Innenministerium vermelden, dass Snowden kein politisch Verfolgter sei, damit die Voraussetzungen für eine Aufnahme fehlen würden und wenn überhaupt, er nur Asyl beantragen könne, wenn er sich im Land befände.

Hätten wir also den alten Kämpfer für Freiheit, Genscher, fragen sollen? Wohl kaum, denn der deutsche Oberliberale Christian Lindner meinte damals: “Die Gewährung von Asyl wäre das Kündigungsschreiben für die transatlantische Partnerschaft mit den USA.” Und die SPD, im November noch nicht in der Regierung, sondern in Verhandlung mit der Union, lieferte einen typischen Merkelsatz nach dem Muster: “Wir müssen auf europäischer Ebene eine gemeinsame Lösung finden.”

Ein Whistleblower ist eben etwas anderes als ein Kreml-Kritiker. Gregor Gysi hatte in seiner – inzwischen vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard Karls Universität Tübingen ausgezeichneten – Rede vor dem Deutschen Bundestag am 18. November wohl Recht, als er Christa Wolf zitierte:

“Und dass wir lieber den bestrafen, der die Tat benennt, als den, der sie begeht.”

Gregor Gysi, Deutscher Bundestag, 18. November 2013

Letzteren, einen verurteilten Straftäter, empfangen wir sogleich mit offenen Armen, weil er besser zu unserer Vorstellung einer marktkonformen Demokratie passt und zu unseren Interessen an Rohstoffen, die uns nicht gehören, die wir aber gerne hätten. Das kann der andere nicht bieten. Der hat nur brisante Informationen, unangenehme Informationen, mit denen er sich auch in Russland strafbar machen könnte, wenn er sie denn weiter preisgebe. Aber da haben wir ja kein Problem mit der zweifelhaften Menschenrechtslage in Putins Land, die wir im Fall Chodorkowskis so beklagen.

In den Tagesthemen wird Genscher nachher sagen, dass er zwar kein russisch verstehe, aber die Telefongespräche von Chodorkowski mit seinen Angehörigen ihm eine anrührende Szene im Auto bot. Er habe den Anwälten Chodorkowskis geholfen, weil es um eine humanitäre Maßnahme ging, die man immer und überall unterstützen müsse.

Jens Berger weist auf den NachDenkSeiten darauf hin, dass Chodorkowski nicht ausschließlich wegen Steuerhinterziehung, sondern wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Unterschlagung und Geldwäsche eine lange Haftstrafe zu verbüßen hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah übrigens keine politische Motivation im Fall Chodorkowski und wies dessen Klage ab. Das russische Vorgehen gegen ihn sei allenfalls ungerecht gewesen, was auch bedeuten kann, dass gegen andere Oligarchen, die auf ähnliche Weise wie Chodorkowski zu Schürfrechten, Geld und Macht gekommen sind, keine Anklage erhoben wurde.

Unser neuer Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) scheint das alles nicht zu wissen oder öffentlichkeitswirksam auszublenden. Er sagte in Berlin zur Entlassung des Oligarchen: „Das ist eine gute Nachricht. Das ist aber auch eine Nachricht, die uns darauf hinweist, dass wir die Gespräche mit Russland über Rechtsstaat und Menschenrechte auch in den nächsten Jahren mit Engagement weiterführen müssen.“

Sehr interessant. Was will Steinmeier damit erreichen? Eine Haftverschonung für Leute, die nach unseren Gesetzen genauso hart bestraft worden wären, wie Chodorkowski für seine Vergehen in Russland? Steinmeier reklamiert Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Das sagt der Außenminister, der auch schon mal Kanzleramtschef war und eine zumindest zweifelhafte Rolle im Fall Murat Kurnaz spielte. Vielleicht sind wir auch nur, wie Albrecht Müller schreibt, auf den Weg zurück in den Kalten Krieg. Dann müsste man die Freilassung des Oligarchen als Art Agententausch verstehen. Jetzt müssen die USA nur noch sagen, den Snowden dürft ihr behalten.

Das wird aber nicht passieren. Wenn überhaupt sind wir in einem klimagewandelten Krieg, in dem sogar der Pilot der Maschine, die Chodorkowski ausflog, in den Online-Medien dieser Republik für sich und sein Unternehmen werben darf. Mit dem Firmenjet in die Freiheit, wenn man erstens die richtige Einstellung und zweitens die richtigen Kontakte hat. So etwas fehlt eben Leuten wie Snowden und Kurnaz.

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