Der 11. September hat die Welt nicht verändert…

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Heute jähren sich die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington zum achten Mal und immer wieder wird man mit der Floskel konfrontiert, der 11. September habe die Welt verändert. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, eine neuerliche Spirale der Gewalt, die Wandlung westlicher Staaten zu Hochsicherheitsgebilden, in denen Bürgerrechte mehr und mehr in Frage gestellt werden, seien Folgeentwicklungen dieser unfassbar dramatischen Ereignisse. Und weil man der Überzeugung ist, der 11. September sei ein epochaler Einschnitt, sprießen auch die Zweifler aus dem Boden, die glauben, in den Anschlägen von New York und Washington ein Muster zu entdecken, das auf eine Verschwörung hinweist.

So berechtigt viele Fragen derer auch sein mögen, die an einen inszenierten Terrorismus glauben, so berechtigt der Drang nach Aufklärung der Widersprüche auch ist, um etwas über die Hintergründe in Erfahrung zu bringen, so unbrauchbar sind diese Bemühungen dann aber auch im Ergebnis. Es spielt nämlich überhaupt keine Rolle, wer für die Anschläge verantwortlich zeichnet. Denn nicht der 11. September veränderte die Welt, sondern die Jahre 1989/90. Das Ende der bipolaren Welt war ein viel größerer Schock, als es der 11. September je hätte sein können. Der Politologe Francis Fukuyama sprach in seinem Buch „Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?“ in Anlehnung an den großen Hegel sogar vom Ende derselben, meinte aber genauer das Ende totalitärer Systeme.

Der Kabarettist Volker Pispers sagte einmal sehr treffend, den USA sei mit der Sowjetunion und dem Ostblock als Ganzes 1990 einfach so der Feind davon gelaufen und mit dem nun neu ausgerufenen Kampf gegen den internationalen Terrorismus würde das so schnell nicht wieder passieren. Entscheident ist aber nicht der 11. September 2001, sondern die Entwicklung einer Gesellschaft unter der Bedingung globaler Gleichzeitigkeit seit 1990. Mit der Auflösung der Sowjetunion mussten nicht nur Militärbündnisse neu definiert werden, sondern auch ein Verständnis von Geschichte.

Die Tatsache, dass Deutschland heute aktiv im Kampf gegen den Terrorismus sogar den Abwurf von Nato-Bomben in einem Land irgendwo auf der Welt befehligen kann, rührt nicht daher, dass es ein bestimmtes Bedrohungsszenario gibt, auf welches man zu reagieren habe, sondern daher, dass in das neue vereinigte Deutschland nach 1990 ein Stück Normalität zurückkehren konnte, die glaubhafter zu sein schien, „als jene, die Ludwig Erhard in den sechziger Jahren oder Helmut Kohl in den achtziger Jahren herbeireden wollten.“ (zit. nach Franziska Augstein: Deutschland. Nationalsozialismus und zweiter Weltkrieg – Berichte zur Gegenwart der Erinnerung)

Die direkte Folge von Auschwitz, die deutsch-deutsche Teilung war Geschichte und nur allzugern startete man den Versuch, auch die Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit gleich mit zu entsorgen. Nach 1990 trat ein neues politisch zur Schau getragenes Selbstbewusstsein zu Tage, aus dem heraus sich in der Ära Rot-Grün schließlich auch der Drang nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen äußern sollte. Eine neue Souveränität sozusagen, die es erlaubte, mit den Weltmächten nunmehr auf Augenhöhe zu sein. Unkritisch übernahm man 1992 zum Beispiel die Änderungen zum NATO-Vertrag und erklärte sich damit einverstanden, innerhalb des Bündnisses auch an so gennannten „Out of Area“ Einsätzen teilzunehmen. Erst diese Vereinbarung machte den Krieg unter NATO-Flagge im Kosovo 1999, der weder durch die Feststellung eines Bündnisfalls, noch durch ein UN-Mandat gedeckt war, möglich.

Neben der militärischen Entwicklung seit 1990 sollte man aber auch die Neuausrichtung ökonomischen Handelns zur Kenntnis nehmen, für das die militärische Option nach dem Wegfall eines gleichstarken Gegeners nunmehr als Werkzeug zur Verfügung steht. Die derzeitig stattfindende Weltwirtschaftskrise ist ebenfalls ein Produkt der Jahre 1989/1990. Denn ohne den Zusammenbruch der sowjetischen Hegemonie, ist die gleichzeitige globale Vernetzung, aus der die Regierungen dieser Welt, unter dem Schlagwort „Globalisierung“, konstruierte Sachzwänge herleiteten, um mit Hilfe angeblich notwendiger Reformen, einem globalen Finanz-Kasino die benötigten Barmittel zu verschaffen, nicht vorstellbar. Die soziale Marktwirtschft ist unter diesen neuen Bedingungen wahrhaftig an ihr Ende geraten. Ihre Beschwörung zum Zwecke der Täuschung indes noch lange nicht.

Fukuyama hatte also unrecht, indem er den alten Hegel-Satz vom Ende der Geschichte bemühte. Er konnte auch nicht richtig sein, weil Hegel selbst schon falsch lag, als er die bürgerliche Gesellschaft erkannte und nach den unvernünftigen Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen nun die Vernunft in der Dämmerung heraufziehen sah. Marx widerlegte Hegels Gedanken vom „Ende der Geschichte“, in dem er die bürgerliche Gesellschaft zu sezieren und deren Widersprüchlichkeit und Krisenhaftigkeit anhand des Klassenbegriffs zu bescheiben begann. Während der Teilung der Welt in Ost und West hatte die Auseinandersetzung mit Marx Hochkonjunktur. Nach 1989/1990 galt er mit dem Scheitern des sozialistischen Versuches als widerlegt und seine Theorie ging mal wieder verloren.

Der 11. September 2001 ist kein Datum, von dem ausgehend man die jetzige Wirklichkeit beschreiben könnte. Die Chiffre 9/11 überstrahlt die gesellschaftliche Realität und blendet das Auge des Betrachters, dem unter Umständen die Frage nach den Steuermännern in den Flugzeugen wichtiger erscheint, als die Frage nach dem gesellschaftlichen Prozess. Die schockierende Orientierungslosigkeit nach 1989/1990 ist aber das bestimmende Ereignis, das den Anschlägen vom 11. September vorausgeht. Hegels Theorie lässt sich auf den Begriff, das Ganze ist das Wahre und immer mehr als die Summe seiner Teile, verdichten. Die Teilwahrheit, so richtig sie auch erscheinen mag, ist immer falsch.

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Die deutsche Afghanistan-Politik passt nicht zur beabsichtigten deutschen Innenpolitik

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Immer wieder tauchen Vorschläge auf, die Bundeswehr auch im Innern einzustzen. Und damit ist jetzt Deutschland gemeint und nicht Afghanistan. Zuletzt wurde auf eine kleine Anfrage der Linkspartei im deutschen Bundestag durch die Bundesregierung bestätigt, dass man sich in Zukunft durchaus das Szenario vorstellen könne, die Bundeswehr zum Beispiel auch bei Streiks oder Massendemos im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) einzusetzen. (Anmerkung at: Leider fehlt in dem oben verlinkten Dokument die Antwort der Bundesregierung. Da sind nur weiße Blätter gespeichert. Ich hoffen nicht mit Absicht. Alternativ können sie sich beispielsweise auf der Hintergrund-Seite über die Antwort der Bundesregierung informieren.)

Irgendwie passt das nicht zur Afghanistan-Politk. Im Bundestag wird gerade darüber debattiert. Da schwafeln die Verantwortlichen plus Opositionsführer Westerwelle einvernehmlich davon, dass man in Afghanistan unbedingt den Aufbau ziviler Sicherheitsstrukturen, will sagen Polizei, weiter unterstützen müsse. Diese Aufgabe sei die Wichtigste überhaupt. Schließlich müsse Afghanistan so schnell wie möglich selbst für Stabilität sorgen können, was schlussendlich der Sicherheit und Freiheit Deutschlands zu Gute käme.

Wenn man sich dann aber die Absichten derselben Leute vor Augen führt, in Deutschland bestehende zivile Sicherheitsstrukturen eben nicht zu verbessern, um sie dann aber bequem durch militärische zu ergänzen, ist das schon ein starkes Stück bzw. eine gewaltige Glaubwürdigkeitslücke innerhalb des eigenen Weltbildes. Diesen Widerspruch müssen die Hardliner in der Bundesregierung mal erklären. Insbesondere Wolfgang Schäuble, der einerseits für die innere Sicherheit Deutschlands und für den Aufbau einer inneren Sicherheit in Afghanistan Verantwortung trägt.

Wirklich beschämend. Hoffentlich kommt kein anderes Land auf die Idee, bei uns den Aufbau und eine Verfestigung von zivilen Strukturen mit Hilfe militärischer Absicherung umsetzen zu wollen. Man weiß ja nie, wohin sich diese verrückte Welt noch dreht. ;)

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Die Terrorangst ist zurück

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Und Horst Schmuda von der Neuen Presse Hannover ruft angesichts des Geständisses im Prozess gegen die so genannten „Sauerlandbomber“ eine neuerliche Warnstufe aus. „Alarmierendes Geständnis“ nennt er seinen Kommentar und will uns damit wohl sagen, dass wir angesichts der geschilderten Motive mehr Obacht geben und künftigen neuen Sicherheitspaketen gegenüber aufgeschlossen sein sollen. Aber lassen wir den wirren Unsinn mal auf uns wirken…

„Der deutsche, zum Islam konvertierte Angeklagte, der als der gefährlichste Terrorist Deutschlands gilt, diktierte den Terrorfahndern quasi ein neues Lehrbuch darüber, wie vom Islamismus verführte junge Menschen sich in einer gefährlichen Mischung aus Hass, Gewaltbereitschaft, Naivität und Verblendung an einem pervertierten Bild des islamischen Dschihad berauschen.[…]
Was für deutsche Ermittler durchaus alarmierend klingen dürfte, und die Frage, wie sicher die Sicherheit hierzulande noch ist, stellt sich deshalb seit gestern doch drängender als bisher.“

Also ein Intellektueller sozusagen, der den Fahndern gerade noch so ins Netz gegangen war und nun aus Gründen der Strafmilderung dem Gericht mal schön erzählt, wie so eine Terroristensache standardmäßig vorbereitet wird.

„Auch wenn die Angeklagten eher als Terror-Deppen dastehen denn als Genies der Verschwörung“

Aha, ein typischer Schmuda wieder. Terror-Deppen! Das ist lustig, denn Lehrbücher diktieren können sie ja. Theorie gut, Praxis schlecht also. Da staunt der Leser sicherlich, wenn er es vor lauter Angst noch merkt. Im Innenteil erfährt man dann vom total ernsten Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach:

„Wir haben vor kurzem eine ärgerliche Gesetzeslücke geschlossen. Die Ausbildung in solchen Terrorlagern ist nun endlich unter Strafe gestellt. Wer dort hingeht, plant keinen Abenteuerurlaub, sondern will mörderisches Terror-Handwerk erlernen. Hier werden verheerende Attentate geprobt, denen möglichst viele Menschen zum Opfer fallen sollen. In der Vergangenheit war das straflos. Wir konnten Wiedereinreise dieser Terror-Sympathisanten nach Deutschland nicht verhindern und mussten sie hier als Top-Gefährder ständig beobachten. In Zukunft wird das anders sein. Dann werden wir sie hinter Schloss und Riegel bringen.“

Da musste ich wieder lachen über den Geisteszustand unserer Volksvertreter. Wie will man denn eigentlich überprüfen, ob jemand das „mörderische Terror-Handwerk“ erlernt hat. Kriegen die in den Camps etwa ein Diplom, das sie auf dem Flughafen bei der Zollkontrolle im roten Kanal anmelden müssen? Bosbach sollte Komiker werden. Aber nein. Die Sache ist ja wirklich ernst gemeint. D.h., der demokratische Rechtsstaat Deutschland leistet sich ein Gesetz, in dem der Aufenthalt in solchen Lagern unter Strafe gestellt werden kann. Zwar müssen die rechtsstaatlichen Ankläger nachweisen, dass der potenzielle Terrorist ein solches Lager nur deshalb aufgesucht hat, um später Anschläge zu verüben, doch das ist, wie wir bei Bosbach oben sehen, kein wirkliches Problem. Zum Abenteuerurlaub führe da eben keiner hin. So einfach ist das mit den Beweisen.

Künftig zählen halt keine Taten mehr, sondern Absichten. Und welche Absichten jemand verfolgt, das bestimmt Wolfgang Bosbach. Der weiß schließlich ganz genau, wo die Terrorcamps liegen. Die sind wahrscheinlich mit deutschen Ortsein- und -ausgangsschildern gekennzeichnet und mit einer Art Verwaltung bestückt, die unseren Einwohnermeldeämtern ähnelt. Na ja, Spaß beiseite. Irgendwoher müssen ja die Fakten kommen. Na klar. Von den Geheimdiensten vielleicht. Die sind nämlich immer im Bilde. Auch wenn es darum geht, die Gefährdungsstufe zu benennen. Bei Wolfgang Bosbach klingt das heute so:

„Deutschland wurde bereits mehrfach konkret als potenzielles Anschlagsziel genannt und gehört nicht nur wegen der Beteiligung am Afghanistan-Einsatz zu den gefährdetsten Nationen.[…]
Es gibt keinen Grund zur Panik, aber Grund zu erhöhter Obacht. Denn im Vorfeld der Bundestagswahl besteht die Sorge, dass Terroristen versuchen könnten, durch Anschläge Einfluss auf die deutsche Beteiligung am Afghanistaneinsatz zu nehmen.“

Es besteht aber auch die Sorge, dass führende Unionspolitiker wie Bosbach oder Kriegsminister Jung einfach durchgeknallt sind. Franz-Josef Jung hat nach der “Hansa Stavanger”-Freilassung gesagt:

„Wir sollten über eine Verfassungsänderung nachdenken, die der Bundeswehr den Zugriff dann ermöglicht, wenn die Polizei nicht handeln kann, da sie beispielsweise gar nicht am Ort des Geschehens ist.“

Und Bosbach sagt im heutigen NP-Interview:

„Die Verfassungsänderung ist dringend notwendig. Die Bundeswehr soll nicht zu einer Art Bereitschaftspolizei gemacht werden. Aber es gibt hier eine Schutzlücke. Wenn nur die Bundeswehr mit ihren besonderen Fähigkeiten Gefahren abwehren kann, muss die Bundeswehr auch helfen dürfen. Die Bevölkerung darf in bestimmten Situationen nicht schutzlos sein. Schon heute kann die Bundeswehr im Katastrophenfall im Innern im Spannungsfall oder beim inneren Notstand eingesetzt werden. Aber gegen die akuteste Bedrohung, den Terrorismus, nicht. Das müssen wir durch eine Änderung des Grundgesetzes ändern.“

Wenn man so etwas Gedankenloses hört, gibt es nicht nur Grund zu erhöhter Obacht, sondern auch zum aktiven Handeln. Solche Wahnsinnigen, die 64 Jahre nach Hitler nichts mehr dabei finden, das Militär wieder zu einer innenpolitischen Waffe zu machen, gehören aus ihren Ämtern gejagt. Eine gute Gelegenheit bieten die kommenden Wahlen. Solche „bürgerlichen Biedermänner“ waren es schließlich auch, die am 23. März 1933 dem Ermächtigungsgesetz oder wie es auch hieß Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich zustimmten. Georg Schramm bezeichnete diesen deutschen Versuch aus der Weltwirtschaftkrise zu kommen mit den Worten:

„Der Roosevelt hat in Amerika den Staatskapitalismus ausgerufen und eingeführt und die Reichen geschröpft, und bei uns hat das bürgerliche Großkapital und die Hochfinanz einen Schlägertrupp engagiert, damit die systemische Bedrohung in den Griff gekriegt wird.“

Am 24. März 2009 erinnerte Georg Schramm in „Neues aus der Anstalt“ an diese historische Wahrheit. Schauen sie sich den folgenden Zusammenschnitt an, der auch Tonausschnitte der Rede von Otto Wels vom 23.März 1933 sowie eine verhöhnende Erwiderung des Reichskanzlers Hitler enthält. Denken sie dann bitte noch einmal über die Frage nach, welche Funktion der Terrorismus in Zeiten einer neuerlichen Weltwirtschaftskrise übernehmen könnte.

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Nichts gelernt, das Ziel bleibt "Minimalstaat"

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Das können sie sehr schön aus zwei Meldungen dieser Tage herleiten. Zum einen möchte Merkel in der Tradition der Chicago Boys, auch in der Krise die Steuern weiter senken und auf weitere staatliche Impulse zur Unterstützung der Konjunktur verzichten. Zum anderen möchte Innenminister Schäuble mit Billigung Merkels eine Grundgesetzänderung herbeiführen, die es künftig zulässt, dass die Bundeswehr auch polizeiliche Aufgaben übernehmen kann. Das Ganze läuft etwas verschleiert unter dem Schlagwort „Priatenabwehr“.

Aus diesen beiden Meldungen kann man nun die Grundkonzeption der Union beschreiben. Nach wie vor geht es hier um eine ganz bestimmte Vorstellung vom Staat. Es geht um den „Nachtwächterstaat“, dessen Kennzeichen idealerweise darin besteht, auf polizeiliche Aufgaben reduziert zu sein, zum Schutz von Personen und deren Eigentum. Die Schieflage bei der Verteilung von Eigentum und Vermögen interessiert dabei nicht, da die Verteilung per Definition ein Ergebnis von Selbstregulierung ist. So kann es auch nicht verwundern, dass Hilfsprogramme für die Verlierer der gesellschaftlichen Umverteilung im Ergebnis kritisch betrachtet werden. Folgt man zum Beispiel Albert O. Hirschman so bedeuten soziale Hilfsprogramme, dass sie die Armut verschlimmern, statt sie zu verringern (siehe Hirschman, The Rhetoric of Reaction, dt: Denken gegen die Zukunft)

Für die Chicago Boys um Milton Friedman ist der Kapitalismus stabil. Gerade das Eingreifen des Staates hat nach Auffassung dieser Denkschule die Destabilisierung verursacht. Sie finden diesen Ansatz in der Union, vor allem aber bei der FDP und auch in der SPD. Die Zurückhaltung Konjunkturprogrammen gegenüber fußt also auf dem theoretischen Verbot, massive staatliche Interventionen zur Überwindung von wirtschaftlichen Krisen zuzulassen. Denn wenn die staatliche Intervention notwendig ist, bedeutet das in der Konsequenz, dass der Kapitalismus instabil ist. Und das wäre für unsere marktgläubigen Anhänger die Desavouierung ihres Leitbildes. Das ist der Kern der Auseinandersetzung. Es geht also weniger um Staatsschulden und das Gerede vom Leben über Verhältnisse, als vielmehr um die Wahrung von Weltanschauungen, die durch ein Systemversagen, wie wir es gerade erleben, fundamental bedroht werden.

Die Geldpolitik ist der einzige Bereich, bei dem die Dogmatiker dem Staat Handlungsspielraum zugestehen. Die Aufgabe über die Geldmenge zu wachen, finden sie aktuell wieder bei unserem Starökonomen im Bundes-HRE-Ministerium. Peer Steinbrück lässt keine Gelegenheit aus, vor der Gefahr einer Inflation zu warnen, obwohl die Deflation so sichtbar vor der Türe steht. Die Geldmenge muss stabil bleiben, lautet die Botschaft. Und die EZB folgt dieser Parole schon seit Jahren nur allzu gern. Der „Minimalstaat“ ist nach wie vor das Ziel herrschender Politik. In dieser Konzeption ist es unausweichlich, dass der öffentliche Sektor noch grundsätzlicher zur Disposition gestellt werden wird, als es ohnehin schon der Fall war. Im Augenblick erleben wir in Deutschland den Versuch, die Erschütterung der dogmatischen Weltanschauung mittels einer konservativen Reaktion zu begegnen, die im Gewandt einer Täuschung daherkommt und die Chiffre „Neue Soziale Marktwirtschaft“ oder plump „Mitte“ trägt.

Die von schwarz-gelb favorisierte Steuer- und Sicherheitspolitik, die von der der Großen Koalition favorisierte Schuldenbegrenzungspolitik sind Merkmale dieser folgenschweren Reaktion und ein Alarmzeichen für die Beständigkeit der Begriffe öffentlich, Sozialstaat und Daseinsvorsorge. Die Bedeutung des „Privaten“ wird ganz im Sinne der Chicago Boys in erheblichem Umfange zunehmen. Das können sie aktuell an einem Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD unter dem Titel „Faire Wettbewerbsbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften schaffen“ erkennen. Die Förderung von PPP ist auch in der Krise noch immer eine zentrale Aufgabe dieser Regierung. Und das, obwohl die Rechnungshöfe bereits angemahnt haben, dass öffentlich private Partnerschaften vor allem den öffentlichen Partner viel kosten.

In Zukunft wird der Gesetzgeber die Frage beantworten müssen, wie die immensen Kosten der Krise finanziert werden sollen. Die Antwort wird zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme ausfallen. Einmal mehr wird die Vorstellung bemüht, der Sozialstaat sei schädlich. Den Schwachen dürfe keine Hilfe zu Teil werden, da sie sonst zur Gewohnheit würde. So einfach wird die Begründung ausfallen, wenn die Dogmatiker des Monetarismus sich neu formieren, um dem Freihandelsextremismus, der Deregulierung und dem Wettbewerbsdenken abermals oder verschlüsselt das Wort zu reden.

Daneben wird bürgerliches oder zivilgesellschaftliches Engagement an die Stelle staalicher Verantwortlichkeit treten. Die Woche des Ehrenamts können sie gerade in der ARD bestaunen. Nicht, das daran etwas auszusetzen wäre. Nur liegt hier der Verdacht nahe, dass mit Hilfe der Diskussion um das bürgerliche Engagement, das künftige Zurückweichen des Staates vorbereitet werden soll. Gestern zum Beispiel bei Anne Will. Dort war Ursula von der Leyen wieder in der Sendung zu Gast. Laut Focus hält sich die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 2005 am Häufigsten von allen Politikern in solchen Talkrunden auf. Da kann man sich jetzt seinen Teil zu denken.

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Nachtrag zu von der Leyens Internetsperren

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Im Fall der vorgesehenen Internetsperren zeichnet sich die eigentliche Absicht der Bundesregierung zunehmend deutlicher ab. Es geht schlicht um Überwachung. Und zwar wird erwogen, die Stoppschild-Zugriffe festzuhalten und die entsprechenden Nutzer-IP-Adressen den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen. Das bestätigt ein Sprecher des Bundesjustizministeriums gegenüber heise online.

Pikant dabei ist, dass Familienministerin von der Leyen noch immer behauptet, dass keine Auswertung von Daten stattfinden werde. Der Sprecher des Justizministeriums sagt nun dies…

Laut Gesetzentwurf ist es Staudigl zufolge den Strafverfolgungsbehörden nicht immer möglich, „retrospektiv auf gespeicherte Daten zugreifen, sodass nur eine sogenannte Echtzeitüberwachung in Betracht kommt“. Die funktioniere dann „ähnlich wie bei einer inhaltlichen Telekommunikationsüberwachung. Die auf den Stopp-Server zulaufenden Anfragen, also zum Beispiel die IP-Adresse des Nutzers, werden als Kopie live an eine Überwachungsanlage der Strafverfolgungsbehörde ausgeleitet und dort verarbeitet“. Eine solche Maßnahme könne aber nur durch richterlichen Beschluss angeordnet werden, betonte er.

Zur Klarstellung: Jeder, der also eine Seite aufruft, die zu dem Stoppschild führt, ob nun beabsichtigt oder nicht, muss mit Strafverfolgung rechnen. Ein Anfangsverdacht sei mit dem Ansurfen bereits gegeben. Und ob nun eine strafbare Handlung vorliegt, müssten dann Ermittlungen abklären, zu denen auch Hausdurchsuchungen zählen können.

Ursula von der Leyen stellt sich derweil dumm und sorgt mit ihren PR-Aussagen für Verwirrung.

„Der zufällige Versuch, da machen Sie sich nicht strafbar. Sonst müsste jeder, der eine Spam-Mail bekommt oder etwas Falsches eingibt, sich sofort strafbar machen.“
[…]
„Es gibt eine DNS-Sperre, da wird nichts gespeichert.“
[…]
„Das Gesetz, das jetzt im Bundestag ist, lässt grundsätzlich offen, dass, wenn kompliziertere Sperrtechniken verwendet werden, und die obersten Strafbehörden, zum Beispiel die Staatsanwaltschaft, das brauchen, grundsätzlich Spuren verfolgt werden könnten.“

Hier können sie sehr schön sehen, wie die PR-Masche funktioniert. Erst dumm stellen und Beruhigungspillen verteilen. Und dann so tun, als sei es doch normal, dass sich aus dem Beschlossenen bestimmte Konsequenzen ergeben.

Da es bei der Gesetzesinitiative nie darum ging, gegen Kinderpornographie im Netz vorzugehen, sondern nur darum, ein neues Überwachungsinstrumentarium einzuführen, ist es ebenfalls nur konsequent, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sie sich diesen Stasi-Methoden nicht einfach so ausliefern müssen. Sie müssen nicht den künftig manipulierten DNS-Server ihres Anbieters nutzen. Wählen sie in ihren Einstellungen einfach ein unabhängiges Internet-Telefonbuch aus, das ihre Seitenanfragen bearbeitet, ohne dass Strafverfolgungsbehörden in Echtzeit mit protokollieren.

Der Chaos Computer Club hat eigens dafür eine Seite eingerichtet, auf der beschrieben steht, wie sie die simple Änderung in ihren Einstellungen vornehmen können.
Quelle: CCC

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Apropos "Rechte Gewalt"

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Wo ist eigentlich Wolfgang Schäuble? Sonst reagiert der doch immer ziemlich flink, wenn Gefahr in Verzug ist. Besonders wage terroristische Bedrohungen nimmt der Minister so bitter ernst, dass nicht einmal das Grundgesetz vor ihm sicher ist. Überwachung, Einschränkung der Bürgerrechte mehr Befugnisse für Polizei, Geheimdienste und Bundeswehr, alles zu unserem Schutz. weiterlesen

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Die NP und das BKA-Gesetz

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Es ist schon lustig mit der Neuen Presse. Heute kommentiert Petra Rückerl auf Seite Eins das BKA-Gesetz. Ziemlich deutlich wertet sie den Kompromiss zwischen Bund und Ländern herab und sagt voraus, dass das Gesetz durch das Bundesverfassungsgericht kassiert werden wird. Ihre Bedenken sind allesamt berechtigt. Schließlich greift das Gesetz derart in die Privatsphäre und die Rechte von Berufsgeheimnisträgern ein, dass Karlsruhe dort sicher auch eingreifen wird.

Lustig bzw. irritierend ist die Geschichte deshalb, weil Petra Rückerl am 19.11.2008 ebenfalls einen Kommentar über das geplante BKA-Gesetz schrieb. Damals wurde ja bekannt, dass einige SPDler aus den Bundesländern diesem Gesetz nicht zustimmen würden. Daraufhin verwandte Rückerl zweidrittel ihres Textes darauf, gegen die „Blockierer“ zu hetzen und sich mit Machtspielchen und Wahlkampftaktiken auseinanderzusetzen. Erst in den letzten beiden Sätzen ihres Kommentars kam Petra Rückerl dann zu dem Ergebnis, dass das geplante BKA-Gesetz eigentlich recht fragwürdig sei. :crazy:

Beim heutigen Kommentar hat sie dagegegen alle Sinne wieder beieinander und wohlgeordnet. Allerdings fordert sie am Schluss vom Gesetzgeber endlich eine Definition des Begriffes „Internationaler Terrorismus“. Dabei gibt es die schon. Und zwar wurde mit der Einrichtung der Anti-Terror-Datei 2006 auch der Terrorismusbegriff definiert. Und zwar im „Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtdiensten des Bundes und der Länder (Gemeinsame-Dateien-Gesetz)“, wenn ich mich nicht irre. Nachzulesen im Bundesgesetzblatt, Teil 1, Nr.66 auf Seite 3409.

Darin werden diejenigen als Terroristen eingestuft, die „rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen…“ .

Folgt man dieser vom Parlament am 22.12.2006 beschlossenen Lesart, fallen darunter zum Beispiel Mitglieder des deutschen Bundestags, der noch amtierende Präsident der USA, George Bush, und der ehemalige britische Premierminister, Tony Blair. Wahrscheinlich ist das im Weihnachtstaumel des Jahres 2006 oder aufgrund der berauschenden Spätfolgen des Sommermärchens etwas untergegangen. Frau Rückerl will ich diesbezüglich mal keinen Vorwurf machen… ;)

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