Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, Torsten Albig, fordert eine Sonderabgabe für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur. Kritik gibt es von allen Seiten. Die übliche Begründung: der Staat schwimme im Geld. Tut er aber nicht.
Während die SPD in Berlin zusammen mit ihrem Koalitionspartner einen nahezu ausgeglichenen Haushalt bejubelt, bleiben die Löcher in den Straßen bestehen oder werden immer größer. Denn die lassen sich mit einer schwarzen Null im Etat nicht stopfen. Das hat auch die rote SPD erkannt. Der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Torsten Albig, fordert daher eine pauschale Sonderabgabe von 100 Euro im Jahr für alle Autofahrer. Und täglich grüßt das Murmeltier.
Vielleicht begreift ja jetzt der ein oder andere, dass Ausgaben, die notwendig sind, um ein Gemeinwesen am Leben zu erhalten, auch bezahlt werden müssen. Wenn diese Kosten ein Finanzminister aber nicht übernehmen will, weil ihm die schwarze Null wichtiger ist und er lieber auf Steuereinnahmen verzichtet, muss es jemand anderes tun, unabhängig davon, ob es seine finanzielle Situation zulässt oder nicht.
Eine Sonderabgabe zu fordern, ist nicht sonderlich populär, die Reaktionen zeigen es, aber der übliche Weg, um aus der Sackgasse einer bloß fortgesetzten falschen Haushaltspolitik herauszukommen. Der Plan: Die Rechnung bestimmten Teilen der Gesellschaft vorlegen, während andere geschont werden. Der Begriff Kopfpauschale ist da durchaus passend. Sie sieht irgendwie gerecht aus, ist es aber freilich nicht, weil Gebühren, die einkommensunabhängig erhoben werden, jene begünstigen, die es sich leisten können.
Beliebte Floskeln hüben wie drüben
Das Ansinnen Albigs regt deshalb Freund und Feind gleichermaßen auf. Aber nicht, weil ein Staat dazu da ist, Aufgaben wie eine funktionierende Infrastruktur bereitzustellen, sondern weil es der Politik offensichtlich nicht gelingt, in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen, genug Geld für Straßen im Haushalt zu finden. Der Staat müsse lernen, mit den bestehenden Einnahmen auszukommen, lautet eine beliebte Floskel. Denn noch immer herrscht der Glaube vor, hohe Steuereinnahmen seien hohe Steuereinnahmen nur weil sie höher sind als im Jahr davor. Diese Perspektive verstellt aber den Blick auf die Kürzungspolitik, die im Geiste der schwarzen Null längst Realität geworden ist und in den Debatten beständig an Schärfe hinzugewinnt.
Jeder sieht, dass die Straßen bundesweit im Eimer sind. Leugnen ist zwecklos. Enorme Investitionen sind nötig. Albig hat das noch einmal vorgerechnet. Doch, so der mediale Kurzschluss, 620 Milliarden Euro Steuereinnahmen im Jahr müssten doch reichen. Auch wird immer wieder die Frage gestellt, warum die Einnahmen aus Kfz-Steuer und Mineralölsteuer nur zu einem Teil in den Erhalt und Ausbau von Straßen fließen, der weit größere Batzen aber im Bundeshaushalt für andere Zwecke verwendet wird. Nur auf die einfache Antwort kommt niemand.
Die Einnahmen des Staates reichen eben nicht aus, damit er seine Aufgaben erledigen kann. Im Wahlkampf hatte die SPD das noch erkannt und höhere Steuern gefordert. Doch damals wie heute wehren sich Teile der Politik, Medien und eine Mehrheit in der Bevölkerung dagegen mit dem Scheinargument der bereits vorhandenen hohen Steuern. Sie wollen nicht akzeptieren, dass ein absolut steigender Wert eben real betrachtet auch zu wenig sein kann. Ein genauer Blick auf die berechnete Steuerquote zeigt aber, dass gemessen am Bruttoinlandsprodukt die Einnahmen in diesem Jahr sogar zurückgehen sollen, mittelfristig mindestens stagnieren oder nur langsam steigen.
Quelle: Arbeitskreis Steuerschätzung (via Bundesfinanzministerium)
Die Wahrheit ist, dass der Staat auf Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verzichtet und im Gegenzug riesige Finanzlöcher bei den Gebietskörperschaften akzeptiert bzw. als Vorwand benutzt, um notwendige Ausgaben zum Beispiel im sozialen Bereich noch weiter senken zu können. Allein durch Steuerhinterziehung gehen dem Staat schätzungsweise 50 bis 100 Milliarden Euro jährlich verloren. Große Konzerne wie Apple, Google und Amazon fahren hohe Gewinne ein, zahlen aber so gut wie keine Steuern. Die Gewinne beim Verkauf von Unternehmensteilen und Beteiligungen sind immer noch steuerfrei. Eine Vermögenssteuer wird nicht erhoben und die unter der letzten Großen Koalition reformierte Erbschaftssteuer begünstigt den Nachwuchs einer vermögenden Bevölkerungsschicht.
Verschiebung von Kosten
Dennoch steht die schwarze Null, ob theoretisch oder praktisch, spielt dabei keine Rolle. Die Politik meint, so für Generationengerechtigkeit sorgen zu können. Verschuldung dürfe den Kindern und Enkeln nicht hinterlassen werden, heißt es gebetsmühlenartig. Vermögen für wenige und Schlaglöcher für alle hingegen schon. Der Preis für einen relativ gesehen verarmenden Staat mit ausgeglichenem Haushalt ist die Verschiebung von allgemeinen Kosten in den privaten Sektor. Viele sehen daher in Albigs Vorschlag ein worst case Szenario, das sich mit einem Mautsystem vielleicht abmildern lässt.
Deutlich wird dabei nur eins. Straßen werden auf Seiten der Politik und weiten Teilen der Öffentlichkeit schon lange nicht mehr volkswirtschaftlich, sondern rein betriebswirtschaftlich betrachtet. Trotz Widerspruchs der Rechnungshöfe werden sie zunehmend als Investitionsobjekte angeboten. Nicht ohne Absicherung für den privaten Investor einer solchen Öffentlich-Privaten-Partnerschaft ÖPP/PPP. Ein Teil der künftigen Mauteinnahmen fließt ja nicht mehr dem Staatshaushalt zu, sondern wandert als feste Einnahme auf das Konto des privaten Partners, der die Straße einen Zeitraum lang betreibt.
Dass die Infrastruktur zerfällt, ist vielleicht Absicht, genau wie die Schuldenbremse, die staatliche Investitionen bald unmöglich macht. Was als alternativlos erscheinende Lösung übrigbleibt, ist die Privatisierung von Staatseigentum, das der Staatsbürger, der dann zum Kunden gemacht wird, gegen Gebühr natürlich weiter nutzen darf. Deshalb kommt auch immer nur eine Ausweitung von gebührenpflichtigen Strecken in Betracht oder eine Vergrößerung des gebührenpflichtigen Nutzerkreises, um Finanzierungsbedarfe zu decken und Schlaglöcher zu stopfen. Dabei ist der Ausbau und Erhalt eines Verkehrswegenetzes keine Privatangelegenheit, sondern bleibt eine öffentliche Aufgabe.
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