Gossenjournalismus at its best

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Poroschenko weilt zurzeit in Washington. Berichtet wird darüber kaum, dafür aber über eine angebliche Prahlerei Moskaus, bei Bedarf in ganz Osteuropa einmarschieren zu können.

Spiegel und andere Medien berichten heute ganz groß, dass Putin mit Einmärschen in Riga und Warschau gedroht haben soll. Alle berufen sich dabei auf einen exklusiven Bericht von Daniel Brössler in der Süddeutscher Zeitung. Der wiederum beruft sich auf eine Gesprächszusammenfassung des Auswärtigen Dienstes der EU. Darin sind offenbar Dialoge zwischen Poroschenko und dem EU Kommissionspräsidenten Barroso dokumentiert. Der Informationsgehalt tendiert mal wieder gegen Null.

Barroso hatte Anfang September etwas Ähnliches behauptet, als er Inhalte eines Telefongesprächs mit Putin aller diplomatischen Gepflogenheiten zum Trotz öffentlich machte. Auf den heutigen Bericht der Süddeutschen angesprochen, sagte eine Sprecherin Barrosos, dass die EU keine Diplomatie über die Presse betreibe und auch keine Auszüge aus vertraulichen Gesprächen kommentiere. Das liegt wohl an der unangenehmen Ankündigung des Kremls, das gesamte Gespräch zwischen Putin und dem Kommissionspräsidenten zu veröffentlichen.

Die Quelle heute ist also Poroschenko, der behauptet, dass Putin ihm gegenüber gesagt haben soll, er könne osteuropäische Städte einnehmen wenn er nur wollte. Was von Aussagen des ukrainischen Präsidenten zu halten ist, der schon mehrmals eine russische Invasion in seinem Land fernab von allen Kameras gesehen haben will, sollte inzwischen klar sein. Deutschen Medien offenbar nicht, sie verbreiten munter die Schlagzeile, dass Putin mit Einmärschen in EU und NATO Länder gedroht haben soll.

Wie wäre es denn zur Abwechslung mal mit Fakten? Der ukrainische Präsident ist heute nach Washington gereist. Was macht er da? Welche Diskussionen werden dort geführt? Glaubt man amerikanischen Medien, so soll der Druck auf Poroschenko erhöht werden, damit der seinerseits härter gegenüber Moskau auftritt. Wieso berichten deutsche Medien darüber nicht? Warum schreiben sie nicht über einen ukrainischen Präsidenten, der offenbar seine Sponsoren in den USA besucht und Dienstanweisungen entgegen nimmt? Man wäre so gern schlauer.


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Steinmeier verurteilt eigene Politik

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Der Außenminister ist dagegen, Grenzen in Europa neu zu ziehen. Das dürfe nicht sein, sagte er heute im Bundestag. Während seiner letzten Amtszeit als Außenminister unter Merkel tat er es aber auch. Er will sich nur nicht daran erinnern.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat heute im Bundestag ein dickes Brett gebohrt. „Es kann nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir sieben Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa wieder darangehen, Grenzen zu korrigieren. Das darf nicht sein“, sagte der SPD Politiker. Damit verurteilt er seine eigene Politik aus Amtszeit Nummer eins.

Steinmeier

Seit 1989 werden in Europa ständig Grenzen korrigiert. Als nächstes könnten Schotten, Katalanen und Flamen eine Neufestsetzung fordern. Zuletzt haben sogar die Bundesländer Hessen und Niedersachsen Gebiete getauscht. Aber Spaß beiseite. Wovon redet Steinmeier? Von der Krim, die seiner Meinung nach von Russland völkerrechtswidrig annektiert worden sei.

Eine Theorie, die von fachkundiger Seite bereits als Unsinn enttarnt worden ist. Vielmehr hat Russland nur das wiederholt, was der Westen am 17. Februar 2008 vorgemacht hatte, als das Kosovo seine Unabhängigkeit vom serbischen Zentralstaat erklärte und damit gegen eine UN-Resolution verstieß, die Serbien die Unverletzlichkeit seiner Grenzen garantierte. Einen Tag nach dieser Sezession erkannten England, Frankreich, die USA und drei Tage später auch Deutschland unter dem Außenminister Steinmeier den Kosovo als neuen Staat in Europa an.

Grenzen korrigieren, Das darf nicht sein? Außenminister Steinmeier scheint sich entweder an sein eigenes Handeln nicht mehr zu erinnern oder hat eingestanden, damals falsch entschieden zu haben. Dass der Kosovo als „Blaupause“ zu verstehen ist, hatte bereits Altkanzler Schröder eingeräumt, der seinem Freund Putin zur Seite sprang und zugab, als Kanzler selbst gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben.

Neuer Dreiklang: Sanktionen, Sanktionen, Sanktionen

Es ist noch gar nicht so lange her, da ließ die Kanzlerin durch ihren Sprecher Seibert erklären, sie halte im Umgang mit Russland an einem Dreiklang fest. Hilfen für die Ukraine, Gesprächsangebote für Russland und die Drohung mit neuen Sanktionen. Inzwischen ist daraus ein Sanktionsorchester geworden, bei dem Merkel ungeachtet der Entwicklungen forsch drauflos dirigiert.

Als am Montag die träge EU neue Sanktionen beschloss, der ausgehandelte Waffenstillstand in der Ukraine aber weitestgehend zu halten schien, zog EU-Ratspräsident van Rompuy die Notbremse. Beschluss ja, Umsetzung nein. Absurdes Theater. Merkel legte während der Haushaltsdebatte am Mittwoch im Bundestag nach und forderte eine sofortige Umsetzung der neuen Sanktionen.

Gesagt getan. Und trotz Waffenstillstand, trotz positiver Signale von Poroschenko, der freiwillig einräumt, den Abzug russischer Soldaten gesehen zu haben, treten nun schon am Freitag neue Sanktionen gegen Russland in Kraft. Und das obwohl der Ratspräsident am Wochenende noch verkündete: „Falls die Waffenruhe Bestand hat und/oder die Friedensverhandlungen beginnen, sind wir bereit, diese Sanktionen rückgängig zu machen.“

Merkel war nicht bereit und ihr Wille ist in Brüssel offenbar Gesetz. Sieht so aus, als hätte Deutschland unter Merkel auch Grenzen korrigiert.


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Viele unbekannte Flugobjekte

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Die Gründe für vorschnelle Urteile sowie für die Sanktionen gegen Russland waren falsch. Das hätte die Schlagzeile des Tages sein müssen, nachdem der Zwischenbericht zum Absturz von MH17 vorgelegt worden ist.

Fliegende Objekte, deren Identifizierung nicht möglich ist, werden im Fachjargon UFOs genannt. Um solche muss es sich auch am 17. Juli gehandelt haben, als das Flugzeug der Malaysia-Airlines mit der Nummer MH17 von „high energy objects“ getroffen wurde und infolgedessen über der Südostukraine vom Himmel stürzte. Der Bericht der niederländischen Ermittler lässt eigentlich alle Fragen unbeantwortet und bietet weiterhin reichlich Raum für wilde Spekulationen.

Diese werden von allen Seiten betrieben, auch von den Medien, die nun ihre seit Wochen als Wahrheit verkaufte Indizienkette bestätigt sehen. Der Stern titelt zum Beispiel:

“Russische Rakete hinter Abschuss vermutetDer Verdacht existiert schon seit dem Absturz, jetzt hat er sich erhärtet: Der Absturz des Fluges MH17 über der Ostukraine geschah mutmaßlich durch eine russische Buk-Rakete.”

Der Ermittlungsbericht schürt in Wirklichkeit gar keinen Verdacht, sondern spricht von vielen Objekten, die den Flieger mit hoher Energie getroffen haben müssen, was augenscheinlich ist, wenn man die Bilder von den Wrackteilen betrachtet. Der Bericht gibt insofern keine neuen Informationen an die Hand, sondern lässt sich im Prinzip auf die Aussage reduzieren, die der Postillon heute als Überschrift für seine Satire-Meldung wählte.

“Spektakulärer Zwischenbericht: Flug MH17 vermutlich abgestürzt”

Immerhin ist der Inhalt der Flugschreiber nun bekannt. Ein Fortschritt. Allerdings bleibt es merkwürdig, dass das dürftige Ergebnis des Berichts so lange gebraucht hat, um ans Licht der Öffentlichkeit zu gelangen. Vielleicht liegt es daran, dass die Ermittler gründlich vorgehen wollen, vielleicht daran, dass Informationen weiterhin unterdrückt werden sollen. Wer weiß das schon?

Klar ist eigentlich nur, dass nichts klar ist. Was aber bleibt, ist die Geschichte eines politischen Aktionismus in den vergangenen Wochen, der sich nun genau an diesem Ergebnis messen lassen muss. Die Begründungen für Vorverurteilungen und für Sanktionen waren falsch. Das hätte die Schlagzeile des Tages sein müssen.

Wie die EU gestern noch einmal bewies, gehen ihr selbst die schlechten Gründe allmählich aus. Es wird zunehmend schwieriger, eine absurde Sanktionspolitik, die allen mehr schadet als nützt und auf der Grundlage von mehr oder weniger haltlosen Mutmaßungen und Spekulationen fußt, weiter zu rechtfertigen. Gerade die schwarzen Nullen in Berlin sollten das erkennen. Doch wie sagte Schäuble heute im Bundestag:

„Wir haben keinen Grund, jetzt in voreiligen Pessimismus zu verfallen. Wir müssen allerdings die Realität zur Kenntnis nehmen, und diese ist, dass sich das wirtschaftliche Umfeld etwas eingetrübt hat.“

Was für ein Witzbold, dieser Schäuble.


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Kindergarten über den Ticker

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Derzeit folgt eine Eilmeldung der nächsten und unsere Online-Medien und Radiostationen machen das Kindergartenspiel zwischen Moskau und Kiew munter mit. Was ist passiert?

Als gesichert dürfte gelten, dass Putin und Poroschenko heute miteinander telefoniert haben. Beide Seiten leugnen das nicht. Doch der Kreml meldet zunächst relativ unspektakulär einen Austausch von Meinungen und eine Annäherung, was auch immer das heißen mag. Kiew schwieg recht lange und hat offenbar nach der zweiten Tasse Kaffee und der Sichtung der Telefonabschrift völlig überraschend festgestellt, dass beide Präsidenten sich auf einen Waffenstillstand geeinigt hätten.

Prompt überschlagen sich die deutschen Medien mit Durchbruchsmeldungen, da man Kiew als seriöser Quelle selbstverständlich Glauben schenkt. Alle behaupten nun übereinstimmend, dass so eine Einigung tatsächlich möglich sei. Keiner verschwendete zu diesem Zeitpunkt auch nur einen Gedanken an die bisherige Haltung Moskaus, die da lautet, keine Kriegspartei zu sein. Warum sollte man sie da um die Erlaubnis für eine Waffenruhe bitten? Da müsste Kiew nach Lesart Moskaus schon mit den Separatisten sprechen und verhandeln.

Nachdem die Meldung über einen Waffenstillstand nun aber ins virtuelle Laufband getackert worden war, folgte dann auch wie erwartet das Dementi Moskaus, mit der Begründung, die oben steht. Nun rudern die Medien wieder zurück, bleiben aber dabei, dass eine Waffenruhe möglich sei. Was soll das?

Die Meldung vom angeblichen Waffenstillstand ist mal wieder eine, na nennen wir es mal, Übertreibung der Ukraine. Es scheint so, als wolle der Westen Russland zu etwas zwingen. Lehnt Moskau den Waffenstillstand ab, bleiben sie selbstverständlich Kriegstreiber, obwohl sie nur einer Ente Kiews widersprochen haben. Hätte Moskau auf der anderen Seite gesagt, ja stimmt, es wäre wohl der Beweis für den Westen gewesen, das Russland Kriegspartei ist und bisher immer gelogen hat.

Sie sehen also, Russland kann nur gewinnen, egal wie es sich entscheidet. Da Russland dementiert, ist es wohl auch gegen einen Waffenstillstand. So könnte die Story aus Sicht westlicher Medien weitergehen. Ich sehe schon die Kommentare morgen und heute Abend in den Tagesthemen.

Running Gag Brok ist nicht lustig, sondern peinlich

Der Running Gag im EU-Parlament, Elmar Brok, redet übrigens vom Kalten Krieg in Europa. Er sagte, die EU sei in gewisser Hinsicht ratlos, wie sie Russlands Präsidenten an den Verhandlungstisch bekomme. Der Politiker, der den Beinamen Experte zu Unrecht trägt, scheint nicht mehr zu wissen, dass es auch die EU war, die den Ausschluss Russlands aus der G8-Gruppe begrüßte und geplante Treffen mit Russland absagte.

Übrigens hat gerade die designierte EU-Chefdiplomatin Mogherini Russland attackiert und gesagt, dass Moskau kein strategischer Partner mehr für die EU sei.

Brok meint weiter, dass Putin klar gemacht werden müsse, dass es zu teuer sei, einen Krieg zu führen. Vielleicht sollte er das der ukrainischen Führung sagen. Schließlich war es Poroschenko, der seinen Friedensplan mit dem Panzer in den Südosten der Ukraine zustellen ließ. Brok leidet hingegen an offenkundigen Wahrnehmungsstörungen wenn er betont, dass der Westen keinen militärischen Konflikt wolle und daher weiter auf Sanktionen gegen Moskau setze.

Das heißt konkret. Der Westen wolle zwar keinen militärischen Konflikt, nimmt aber einen Handelskrieg, bei dem die EU selbst nur verlieren kann, billigend in Kauf. Wie viel Dämlichkeit kann die Öffentlichkeit eigentlich noch vertragen?


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Steinmeiers Landbrücken

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Der strategische wie diplomatische Totalausfall im Außenministerium stellt kühne Behauptungen auf.

Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier weiß mehr. Er weiß ganz genau, dass Russland versucht, eine Landverbindung zur Halbinsel Krim herzustellen. Die sei aus seiner Sicht nötig, um die Versorgung der Krimbevölkerung sicherzustellen. Wenn man das so liest, möchte man meinen, die Krim liege irgendwo auf dem Mond. Tatsächlich aber liegt die Halbinsel nur 4 Kilometer vom russischen Festland entfernt, getrennt durch die Straße von Kertsch (auch Kimmerischer Bosporus genannt).

Diese Meerenge erscheint unserem Außenminister offenbar als unüberwindbar, obwohl selbst die deutsche Wehrmacht die Stelle 1943 für den Rückzug geeignet hielt. Die Russen betreiben mit dem Port Kavkaz dort seit Jahren einen Hafen mit Fährverbindungen und Eisenbahnanschluss. Die Hafenanlage soll nun laut dem russischen Ministerpräsidenten Medwedew ausgebaut werden und auch eine Brücke über die Meerenge für rund zwei Milliarden Euro ist wieder im Gespräch.

Was sollen diese Planungen der russischen Regierung, die der deutschen Öffentlichkeit gar nicht erst mitgeteilt werden, wenn die Absicht laut Steinmeier darin bestehe, den Süden und Südosten der Ukraine zu besetzen, um Korridore anzulegen?

Jedenfalls kann sich die Bevölkerung auf Fehmarn schon einmal warm anziehen. Denn sollte die einzige Verbindung zum deutschen Festland, nämlich die Fehmarnsund-Brücke den aktuellen Belastungstest von Experten nicht mehr bestehen, drohen wohl existenzielle Versorgungsschwierigkeiten. Das steht zwar so noch nicht in den Zeitungen, aber denken sie an Steinmeier, der meint, dass die Versorgung einer Insel aus der Luft oder übers Wasser heutzutage fast unmöglich ist.

Die Dänen sollten gewarnt sein, wenn sie 2021 ihren Tunnel unter dem Fehmarnbelt fertiggestellt haben sollten. Es könnte sein, dass Deutschland die Versorgung der Insel über dänisches Staatsgebiet sicherstellen möchte, weil die große Koalition in Berlin immer noch über die Finanzierung der maroden Infrastruktur streitet.


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Konkret unkonkret

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Die EU lässt sich von Poroschenko am Nasenring durch die Manege ziehen.

Gestern ist das Ultimatum der EU an Russland abgelaufen. Das Land hätte konkrete Schritte zur Deeskalation des Konflikts in der Ostukraine unternehmen sollen. Nach Meinung des ukrainischen Präsidenten hat es das nicht. Die einseitig erklärte Waffenruhe ist auf innenpolitischen Druck für beendet erklärt worden. Poroschenko machte unter anderem Russland dafür verantwortlich. Nun ist die EU am Zug, die in den letzten Tagen versucht hatte, mit Lob für Russland auf eine Verlängerung der Waffenruhe hinzuwirken. Jetzt muss sie den von Kiew eingeschlagenen Eskalationskurs aber weiter unterstützen und nach Gründen suchen.

Doch in Brüssel wie auch in Berlin bleibt es erst einmal ruhig und die neuerliche Pleite für den deutschen Außenminister Steinmeier unkommentiert. Das war abzusehen. Denn schon die Formulierung des Ultimatums auf dem EU-Gipfel am vergangenen Freitag kann nur als Farce bezeichnet werden. Die EU fordert von Russland konkrete Schritte und droht im Gegenzug eine Verschärfung der Sanktionen an, die aber nicht näher erläutert werden, also unkonkret bleiben. Das ist keine Außenpolitik, sondern eine Lachnummer. Es wird immer deutlicher, dass ein Regime in Kiew unbedingt Krieg führen und einen Flächenbrand entfachen will.

Noch am Montag hatte es eine große Telefonschalte zwischen allen Beteiligten gegeben und die Einigung darauf, einen Fünf-Punkte-Plan auszuarbeiten. Demnach habe Russland nach der Freilassung der OSZE-Beobachter auch einer stärkeren Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze zugestimmt. Außerdem sollte Russland „substanzielle Verhandlungen“ über den Friedensplan Poroschenkos aufnehmen. Dies wird durch das Ende der Waffenruhe konterkariert. Poroschenko lässt lieber feuern als zu verhandeln. Gegenüber dem Westen spricht er aber weiter von einem Friedensplan, während er das eigene Volk auf einen Kampf gegen Terroristen, Freischärler und Marodeure einschwört.

Die EU lässt sich vom ukrainischen Präsidenten am Nasenring durch die Manege ziehen. Brüssel muss reagieren und den unkonkreten Drohungen Taten folgen lassen. Dass Russland zur Deeskalation beigetragen und Forderungen erfüllt hatte, wird entweder ignoriert oder weiter geleugnet. So fordert der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestagsausschusses, Norbert Röttgen, weitergehende Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Die EU müsse, wenn sie glaubwürdig bleiben wolle, nun neue Strafmaßnahmen gegen Russland verhängen. Das Land habe nach einer inzwischen ausgelaufenen nochmaligen Verlängerung der Waffenruhe nicht die von der EU gestellten Forderungen erfüllt, so Röttgen im Deutschlandfunk.

Tolle Einstellung: Die Glaubwürdigkeit von Institutionen, die sich mit falschen Entscheidungen in eine missliche Lage manövriert haben, ist wichtiger als die Vernunft.


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Ist Europa noch zu retten?

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Die Europäer sind sich einig. Kein Herumgerede, kein Ringen um windelweiche Formulierungen. Der Konflikt in der Ukraine taugt zum Schulterschluss unter den gleichsam Empörten, die bisher in kaum einer Frage etwas Verbindendes zu Stande brachten.

Zurzeit wird ein Konflikt an der europäischen Peripherie weiter befeuert und billigend in Kauf genommen, um von der ökonomischen Krise abzulenken, die man seit fünf Jahren nicht in den Griff bekommt. So einig Europa gegenüber Russland auftritt, so gespalten ist es im Innern. Trotz aller Beschönigungen und Lobeshymnen auf eine durch und durch gescheiterte Rettungspolitik hat der Zerfall längst begonnen. Daran wird auch das militärische Säbelrasseln im Osten nichts ändern. Es stellt sich daher die bedrückende Frage, ist Europa überhaupt noch zu retten?

Die Europäer sind sich einig. Kein Herumgerede, kein Ringen um windelweiche Formulierungen. Der Konflikt in der Ukraine taugt zum Schulterschluss unter den gleichsam empörten Europäern, die bisher in kaum einer Frage etwas Verbindendes zu Stande brachten. So nutzt der Zerfall der Ukraine den Europäern, den bereits begonnenen Zerfall ihrer Union zu überspielen. Denn nach wie vor demonstrieren auch in europäischen Städten Menschen gegen ihre Regierungen, gegen Spardiktate und gegen Bevollmächtigte, die weder gewählt noch auf eine andere Art und Weise demokratisch legitimiert worden sind und dennoch über die materielle Existenz von Millionen entscheiden dürfen.

Die Krise in der Ukraine wirkt auf absurde aber bekannte Weise stabilisierend. Ein Konflikt an der Peripherie und ein klares Feindbild auf der Gegenseite, das schweißt die Elite zusammen und lenkt von den inneren Problemen ab. Die Krise innerhalb der Europäischen Union, ihre Zerrissenheit zwischen Nord und Süd und das sichtbare Erstarken nationalistischer Parteien, die bei der Wahl des Europaparlaments im Mai eine mächtige Stimme erhalten könnten, all das verliert an Bedeutung durch den äußeren Konflikt. Der Schauplatz Ukraine soll offenkundig herhalten, um das Image einer europäischen Elite aufzupolieren, die sich seit Ausbruch der ökonomischen Krise auf ganzer Linie blamiert und einen Misserfolg nach dem anderen abliefert.

Deshalb sitzen die europäischen Staatschefs freudestrahlend an einem Tisch mit dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama, dessen Administration nicht müde wird, Öl ins Feuer zu gießen. Seine Geheimdienste spionieren auch weiterhin überall auf der Welt und denken nicht daran, die Verletzung nationaler Gesetze und allgemeiner Grundrechte einzustellen. Es wird auch weiter so sein, dass NSA und GCHQ wie selbstverständlich alles sammeln, was die Bürger „befreundeter“ Staaten am Telefon besprechen, in E-Mails schreiben oder sonst wo posten. Der Konflikt in der Ukraine stellt nur alles in den Schatten und führt die „Koalition der Willigen“ wieder zusammen. Doch bei diesem Säbelrasseln kann Europa, das sich eine eigene vernünftige Haltung spart, wie Ausgaben im Haushalt, nur verlieren.

Und Deutschland, so schreibt Heiner Flassbeck, verkraftet seine Rolle als „starkes Land“ in Europa nicht. „Man spricht an der Spitze des Staates von militärischem Engagement als sei es ein Spaziergang, man verweigert jedes Eingeständnis einer Mitschuld an der europäischen Krise und man beschwört die deutsche Rolle als Führungsmacht. Und das gilt querbeet für die Parteien und ihre Führungspersonen, die insgesamt etwa drei Viertel der Abgeordneten im Deutschen Bundestag stellen. Da muss jedem, der noch seine fünf Sinne beisammen hat, Angst und Bange werden.“

Die zunehmende Radikalisierung hat also vor allem unsere Eliten erfasst, die euphorisch, chauvinistisch und selbstüberschätzend wie vor 100 Jahren auftreten und offenbar einen Krieg herbeisehnen, von dem sie annehmen, ihn im Spaziergang gewinnen zu können. Noch immer ist in den Nachrichten von gefangen gehaltenen OSZE Beobachtern die Rede, die zwar inzwischen mit dem Zusatz „Militär“ versehen worden sind, aber immer noch als Beobachter gelten, die angeblich in legitimer Mission unterwegs gewesen waren. Doch stimmt das überhaupt? Entgegen der Darstellung in den meisten Medien scheint die „Sightseeing Tour“ eben nicht durch das Wiener Dokument gedeckt zu sein. Es fehlen nicht nur Antworten, sondern auch die Fragen von Journalisten, die vorgeben, den Mächtigen auf die Finger zu schauen.

Ich fürchte, dass wir auf eine schreckliche Katastrophe zusteuern. Das liegt aber nicht daran, weil ich häufiger als andere pessimistisch denke, sondern weil sich etwas verändert hat, dass eigentlich selbstverständlich geworden war. Kabarettisten beklagen das hin und wieder in ihren Programmen. Das Verschwinden der Demokratie. Ohne sie ist Europa definitiv nicht zu retten.


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Spaßbremse

Geschrieben von:

Und während das Volk freudetrunken und zunehmend gedankenlos in den Mai tanzen wird, verschließen wir alle die Augen vor der Radikalisierung unserer Eliten, die euphorisch, chauvinistisch und selbstüberschätzend wie vor 100 Jahren auftreten und offenbar einen Krieg herbeisehnen, von dem sie annehmen, ihn im Spaziergang gewinnen zu können.

Früher reichte ein erschossener Habsburger, um das Fass zum Überlaufen zu bringen, heute sind es wohl festgehaltene OSZE Beobachter, von denen man inzwischen weiß, dass sie gar nicht für die OSZE beobachten, sondern für die deutsche Bundeswehr. Aber dafür müssen sie die Artikel der Kollegen auf Tagesschau oder Spiegel Online bis zum Ende lesen.

Tagesschau: Bei den festgehaltenen OSZE-Beobachtern handelt es sich um ein sogenanntes „Military Verification Team“. Es ist nicht offiziell von der OSZE entsandt, aber offenbar auf Einladung der Regierung in Kiew im Land.

SPON: Die OSZE sei aber nicht der Verhandlungspartner für die prorussischen Kräfte, da es sich bei den Festgehaltenen nicht um Mitglieder der eigentlichen Beobachtermission handle. Es sei eine bilaterale Mission unter Leitung des Verifikationszentrums der Bundeswehr auf Einladung der ukrainischen Regierung.

Übrigens melden die Nachrichtensprecher folgendes:

“Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums sollen gestern wiederholt russische Militärflugzeuge in den ukrainischen Luftraum eingedrungen sein.”

Quelle: Deutschlandradio

Ich wusste gar nicht, dass das Pentagon, welches sich rund eine Erdhalbkugel von der ukrainisch-russischen Grenze entfernt befindet, so genau Bescheid wissen kann. Viel schlimmer ist aber, dass diese Propaganda, ob sie nun stimmt oder nicht, ungefiltert und unkommentiert in unseren Medien wiedergegeben wird.

Zum Glück bleiben ja alle im Gespräch. Klaus Stuttmann hat das mal in einem Bild festgehalten.

Quelle: Klaus Stuttmann

Quelle: Klaus Stuttmann


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Mit dem Firmenjet in die Freiheit

Geschrieben von:

Es ist schon erstaunlich, was alles außerhalb des Protokolls für einen verurteilten Kriminellen möglich ist. Ein schnelles Visum, ein Privatjet und offenbar eine gesicherte Eskorte vom Flughafen Schönefeld nach nirgendwo. Chodorkowski, der hierzulande von den Medien als politisch Verfolgter betrachtet wird, dem die Menschenrechte aberkannt worden seien, hat deutschen Boden betreten. Gleich nach seiner Entlassung hat ihn ein von Hans-Dietrich Genscher organisierter Privatjet nach Berlin geflogen, angeblich, so vermuteten es die Medien, damit er seine kranke Mutter besuchen könne. Die befindet sich aber gar nicht mehr in Deutschland, sondern in Moskau. Aus der rührseligen Story wird also erst einmal nix.

Wieso denke ich jetzt bloß an Edward Snowden, der ja wirklich ein politisch Verfolgter ist und, so irre das auch klingen mag, ausgerechnet beim Putin Asyl bekommen hat? Nicht in Deutschland. Da ließ das Außenministerium nach Rücksprache mit dem Innenministerium vermelden, dass Snowden kein politisch Verfolgter sei, damit die Voraussetzungen für eine Aufnahme fehlen würden und wenn überhaupt, er nur Asyl beantragen könne, wenn er sich im Land befände.

Hätten wir also den alten Kämpfer für Freiheit, Genscher, fragen sollen? Wohl kaum, denn der deutsche Oberliberale Christian Lindner meinte damals: “Die Gewährung von Asyl wäre das Kündigungsschreiben für die transatlantische Partnerschaft mit den USA.” Und die SPD, im November noch nicht in der Regierung, sondern in Verhandlung mit der Union, lieferte einen typischen Merkelsatz nach dem Muster: “Wir müssen auf europäischer Ebene eine gemeinsame Lösung finden.”

Ein Whistleblower ist eben etwas anderes als ein Kreml-Kritiker. Gregor Gysi hatte in seiner – inzwischen vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard Karls Universität Tübingen ausgezeichneten – Rede vor dem Deutschen Bundestag am 18. November wohl Recht, als er Christa Wolf zitierte:

“Und dass wir lieber den bestrafen, der die Tat benennt, als den, der sie begeht.”

Gregor Gysi, Deutscher Bundestag, 18. November 2013

Letzteren, einen verurteilten Straftäter, empfangen wir sogleich mit offenen Armen, weil er besser zu unserer Vorstellung einer marktkonformen Demokratie passt und zu unseren Interessen an Rohstoffen, die uns nicht gehören, die wir aber gerne hätten. Das kann der andere nicht bieten. Der hat nur brisante Informationen, unangenehme Informationen, mit denen er sich auch in Russland strafbar machen könnte, wenn er sie denn weiter preisgebe. Aber da haben wir ja kein Problem mit der zweifelhaften Menschenrechtslage in Putins Land, die wir im Fall Chodorkowskis so beklagen.

In den Tagesthemen wird Genscher nachher sagen, dass er zwar kein russisch verstehe, aber die Telefongespräche von Chodorkowski mit seinen Angehörigen ihm eine anrührende Szene im Auto bot. Er habe den Anwälten Chodorkowskis geholfen, weil es um eine humanitäre Maßnahme ging, die man immer und überall unterstützen müsse.

Jens Berger weist auf den NachDenkSeiten darauf hin, dass Chodorkowski nicht ausschließlich wegen Steuerhinterziehung, sondern wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Unterschlagung und Geldwäsche eine lange Haftstrafe zu verbüßen hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah übrigens keine politische Motivation im Fall Chodorkowski und wies dessen Klage ab. Das russische Vorgehen gegen ihn sei allenfalls ungerecht gewesen, was auch bedeuten kann, dass gegen andere Oligarchen, die auf ähnliche Weise wie Chodorkowski zu Schürfrechten, Geld und Macht gekommen sind, keine Anklage erhoben wurde.

Unser neuer Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) scheint das alles nicht zu wissen oder öffentlichkeitswirksam auszublenden. Er sagte in Berlin zur Entlassung des Oligarchen: „Das ist eine gute Nachricht. Das ist aber auch eine Nachricht, die uns darauf hinweist, dass wir die Gespräche mit Russland über Rechtsstaat und Menschenrechte auch in den nächsten Jahren mit Engagement weiterführen müssen.“

Sehr interessant. Was will Steinmeier damit erreichen? Eine Haftverschonung für Leute, die nach unseren Gesetzen genauso hart bestraft worden wären, wie Chodorkowski für seine Vergehen in Russland? Steinmeier reklamiert Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Das sagt der Außenminister, der auch schon mal Kanzleramtschef war und eine zumindest zweifelhafte Rolle im Fall Murat Kurnaz spielte. Vielleicht sind wir auch nur, wie Albrecht Müller schreibt, auf den Weg zurück in den Kalten Krieg. Dann müsste man die Freilassung des Oligarchen als Art Agententausch verstehen. Jetzt müssen die USA nur noch sagen, den Snowden dürft ihr behalten.

Das wird aber nicht passieren. Wenn überhaupt sind wir in einem klimagewandelten Krieg, in dem sogar der Pilot der Maschine, die Chodorkowski ausflog, in den Online-Medien dieser Republik für sich und sein Unternehmen werben darf. Mit dem Firmenjet in die Freiheit, wenn man erstens die richtige Einstellung und zweitens die richtigen Kontakte hat. So etwas fehlt eben Leuten wie Snowden und Kurnaz.

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Chodorkowski sei ein „Beispiel für politische Willkürjustiz“

Geschrieben von:

Das meint der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP). Und zahlreiche Medien auch. Heute hörte ich nach der Arbeit im Deutschlandradio die letzten Minuten der Gesprächsrunde Journal am Vormittag. Ein Anrufer beklagte sich über den Ausfall der Medien, die ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht und ihn in ihrer gleichgerichteten Bereichterstattung an die DDR-Zeit zurückerinnern würden. Diese berechtigte Kritik wurde von den Anwesenden einmal mehr als Hirngespinnst zurückgewiesen und mit der Bemerkung quittiert, dass man sich ausreichend informieren könne, wenn man nur wollte.

Journal am Vormittag

Kontrovers
Das Jahr 2010 – Die Wutbürger
und die Politik
Studiogäste:
– Sabine Adler, Deutschland-
radio, Leiterin des Haupt-
stadtstudios
– Thomas Steg, Kommunikations-
und Politikberater
– Hans-Hermann Tiedje, ehema-
liger Bild-Chefredakteur und
Kohl-Berater
Moderation: Stefan Heinlein

Quelle: Deutschlandradio

Leider hat es der Anrufer versäumt, die Diskutanten mit konkreten Beispielen in Erklärungsnot zu bringen und festzunageln. Dabei liegen die auf der Straße herum. Sei es der Riester-Renten-Betrug, die Demografie-Lüge, das Hochschreiben von Karl-Theodor zu Guttenberg, dem man sogar die Bemerkung, Deutschland müsse Wirtschaftskriege führen, nicht übel nehme, während ein Bundespräsident für die gleiche Aussage seinen Sessel räumen musste. Oder eben die Tatsache, wie seit Tagen über den Prozess gegen Michail Chodorkowski berichtet wird. Mit Journalismus hat das nämlich nix zu tun, sondern mit einem regelrechten Reinfallen deutscher Medien und Politiker auf gelungene PR-Arbeit.

Ist der Prozess gegen Chodorkowski politisch motiviert. Sicherlich. Ist er aber unschuldig. Sicherlich nicht, wenn man sich einmal die Umstände seines Aufstiegs und seiner Verhaftung vor Augen führt. In der deutschen Medienlandschaft findet diese Aufarbeitung aber nicht statt, weil sie sich in der Rolle gefällt, ein scheinbar undemokratisches System in Russland vorführen und kritisieren zu können. Wenigstens zeigt die Justiz in Russland Zähne während sich deutsche Kapitalverbrecher wie zum Beispiel Steuerhinterzieher aus dem Strafmaß herausdealen dürfen.

Die Präsidentschaft Putins, der mit Sicherheit auch kein lupenreiner Demokrat ist, stand unter dem Stern, die gigantische russische Privatisierung zurückzuführen. Sie hat nämlich dazu geführt, dass russische Milliardäre wie Pilze aus dem Boden schossen. Jeder Fußballfan weiß das, wenn er sich in Erinnerung ruft, wie diese neureichen Oligarchen Fußballclubs in ganz Europa aufkauften und unter massiven Kapitaleinsatz für den eigenen Zeitvertreib nach ihren Vorstellungen umbauten. Der bekannte Milliardär „aus dem Nichts“ und Eigentümer des Chelsea FC, Roman Abramowitsch, musste unter Putin sogar den Gouverneur der Region Tschukotka spielen, einer Provinz im äußersten Nordosten Russlands, um seine patriotische Gesinnung gegenüber dem russischen Staat zu beweisen.

Denn als Putin Präsident wurde, gab es einen Deal mit den Superreichen, deren kriminellen Aufstieg und dubiose Geschäfte juristisch nicht zu verfolgen, solange sie sich im Gegenzug aus der Politik heraushielten. Diese Vereinbarung konnte natürlich nicht halten, weil wirtschaftliche Interessen immer auch das Politische berühren.

Chodorkowski wurde mit seinem Yukos-Konzern so mächtig, dass er es wagen konnte, mit dem Kreml zu brechen. Er wollte sich mit viel Geld in die geschlossenen Kreise Washingtons einkaufen und bot den Amerikanern im Gegenzug nicht weniger als den direkten Zugriff auf die üppigen russischen Erdölreserven an, die er mit seinem Konzern zu einem Großteil kontrollierte. Putin konnte nicht zulassen, dass der größte Ölkonzern der Welt, Exxon, 40 Prozent an Yukos Oil übernimmt.

Es ging also nie um Demokratie oder um Rechtsstaatlichkeit, die hier so jammernd beklagt wird, sondern ganz konkret um die Kontrolle von Erdölreserven. Also um wirtschaftliche Interessen. Und da sollten gerade deutsche Medien und deutsche Politiker einen Gang zurückschalten, wenn sie den Russen die Verletzung von Menschenrechten vorwerfen. In Deutschland gehört es doch inzwischen zum guten Ton, für wirtschaftliche Interessen sogar Kriege zu führen. Immerhin haben die Russen darauf verzichtet und vielleicht sogar verhindert, dass sich die Amerikaner mit russischen Oligarchen verbünden, um sich so den Zugriff auf wichtige Rohstoffe zu sichern.

Michail Chodorkowski glaubte daran, ein russischer Rockefeller zu werden, der mit viel Geld und Einfluss auch die politische Richtung hätte vogeben können. Aber das hat nicht geklappt. Ihn jetzt als Märtyrer oder Volkshelden zu stilisieren, ist nicht nur irgendwie komisch, sondern auch bitter, weil es zeigt, wie gestört oder beeinflussbar die Wahrnehmung der Menschen doch ist.

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Quellen:

Netstudien
AG Friedensforschung an der Uni Kassel

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