Wenn der Herrenwitz um sein Überleben kämpft

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Wie sieht die Schwerpunktsetzung bei den überregionalen Themen im Augenblick aus. Auf vielen Blättern konnte man beispielsweise am Dienstag die winkende niederländische Königin als Aufmacher sehen. Was hat die da zu suchen? So royales Zeugs wird halt gelesen, könnte man meinen. Schließlich sind die Livesendungen der öffentlich-rechtlichen und der Privaten mit dauerquasselnden Adelsexperten der Renner im Fernsehen. Weiter geht es dann mit der Sexismus-Debatte, bei der der Herrenwitz offenbar um sein Überleben kämpft. Seit beinahe einer Woche wird das Thema episch behandelt und in den Gazetten ausgebreitet. Lustig fand ich in diesem Zusammenhang einen Kasten des Bonner General-Anzeigers am heutigen Mittwoch, mit der Überschrift, Diskutieren sie mit. Der stand auf einer ganzen Brüderle Seite unten rechts in der Ecke.

General-Anzeiger

Tja, ob diese Story so viel Aufregung wert ist, scheint zumindest fraglich. Inzwischen schreiben Journalisten ja über Journalisten. Es gibt weitaus wichtigere Themen als Brüderles Verhältnis zu Journalistinnen des Stern. Zum Beispiel Brüderles Haltung zur Finanzkrise oder zur Rede von Angela Merkel auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.

Schreiben sie dazu mal ne kurze Meldung, lautete die Aufgabe auf einem Seminar für Journalisten, an dem ich in Bonn zurzeit teilnehme. Heraus kam erwartungsgemäß die Erkenntnis, dass Reden von Politikern im Allgemeinen und von Merkel im Besonderen sehr schwer zu verstehen seien. Viel heiße Luft eben. Die erkannte Nachricht bestand nun darin, dass Merkel Rückhalt für anstehende “Strukturreformen” erbat. Dabei war sie in Davos ausnahmsweise einmal konkret geworden und hat nicht weniger als einen “Pakt des Schreckens” gefordert, verbunden mit der Drohung, Europa dafür nach deutschem Vorbild umbauen zu wollen. Es stünde nicht weniger als die Sicherung von weltweiten Wettbewerbsvorteilen auf dem Spiel. Die Finanzkrise habe diesbezüglich ein Zeitfenster eröffnet, um Druck aufzubauen, der aus Merkels politischer Erfahrung heraus für die Umsetzung jener “Strukturreformen” unerlässlich sei. Mein Einwand bezüglich der Brisanz der gehaltenen Rede wurde von den Kollegen nicht geteilt und eher als zu harte Interpretation meinerseits bewertet.

Kein Wunder, dass sich die Medien in ihrer Mehrheit lieber mit Brüderle und dem Herrenwitz beschäftigen als mit der Merkel-Rede. Von Regierungsseite trägt der Text übrigens die Überschrift “Die Besten als Vorbild”, was für sich genommen schon eine unverschämte Anmaßung ist. Wenn man bedenkt, wohin der von Merkel gelobte und maßgeblich vorangetriebene Konsolidierungskurs in Europa geführt hat, kann man der Kanzlerin sogar eine Falschbehauptung nachweisen. Sie sagte, dass Konsolidierung und Wachstum zwei Seiten derselben Medaille seien. Dabei hat nicht nur die sichtbare und brutale Realität in den Südländern, sondern inzwischen auch der IWF diese kühne These sehr deutlich widerlegt.

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Rückgang von Großspenden

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Laut „Frankfurter Rundschau“ haben die Regierungsparteien im Jahr 2011 weniger Großspenden aus der Wirtschaft erhalten als noch vor einem Jahr. Bei der FDP sind demzufolge ein Drittel weniger Spenden eingegangen. Für die Liberalen ist das aber kein Grund traurig zu sein. Denn unterm Strich hat sich der Wert der Partei um rund 80 Prozent im Vergleich zum Wahlergebnis vor zwei Jahren verringert. Sie käme also, wenn an Neujahr auch Neuwahl wäre mit etwa drei Prozent auf nur noch ein Fünftel von dem, was sie bei der letzten Bundestagswahl erreicht hat.

Wäre Rainer Brüderle jetzt noch Wirtschaftsminister, würde er wohl sagen: “Absolut verloren, aber real gewonnen! Es geht bergauf!” 

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Brüderle, oh Brüderle

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Rainer Brüderle ist bekannt für seine sprachlichen Verrenkungen und blumigen Ankündigungen. Als Bundeswirtschaftsminister hat er den “Aufschwung” das ein oder andere Mal lyrisch umschrieben, weil ihm schlicht die empirischen Belege fehlten. Jetzt ist Brüderle FDP-Fraktionschef und somit weder auf Umschreibungen noch Belege angewiesen. Er hat die Lizenz zum Drauflosreden mit der Wahl zum Fraktionskasper automatisch erhalten. Er darf sich zu allem äußern und seine Meinung dem jeweiligen Thema entsprechend anpassen. Mit Blick auf die Eurokrise sagt er nun:

„Europa braucht beim neuen Stabilitätspakt wirksame Sanktionen. Wenn Länder die Regeln nicht einhalten, müssen ihnen die zugeteilten EU-Mittel gekürzt werden“

Quelle: Welt Online

Bei dieser Bemerkung Brüderles spielt es sicherlich nur eine untergeordnete Rolle, dass besagte Länder EU-Mittel gerade deswegen bekommen, weil sie die Regeln unmöglich mehr einhalten konnten und ohne Hilfe der anderen die Zahlungsunfähigkeit hätten erklären müssen. Wenn nun also Herr Brüderle eine Kappung der Zuwendungen als Bestrafungsaktion vorschlägt, hat er genau was erreicht?

Aber das ist nicht das einzige, was dem liberalen Hoffnungsträger aus der Leck geschlagenen Pipeline tröpfelt. Deutschland hat keine Probleme mit der Stabilität, weil man glücklicherweise zu den Ländern gehört, denen trotz hoher Verschuldung gute Kreditbedingungen eingeräumt werden. Und weil das so ist, fordert Brüderle noch mehr Steuersenkungen als alle anderen.

“Union und FDP sind einig, im Herbst Steuerentlastungen für die Bürger zu beschließen. Ich bin da optimistischer und könnte mir mehr Entlastungswirkung vorstellen. Wir wollen ein stabiles Wachstum. Das schafft Arbeitsplätze und entlastet die Haushalte. Dafür brauchen wir ein ordentliches Entlastungsvolumen bei Steuern und Abgaben.”

Quelle: FDP

Ein stabiles Wachstum durch ordentliches Entlastungsvolumen. So einfach geht das vor und während einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die die FDP noch nie wirklich zur Kenntnis genommen hat. Wieso dürfen diese Zaubermethode eigentlich nicht jene europäische Staaten anwenden, die gegen den Stabilitätspakt verstoßen, weil sie so wenig Einnahmen aus Steuermitteln haben, um ihre Schulden zu bedienen? Müsste Brüderle nicht den Griechen, Portugiesen, Spaniern, Iren und Italienern vorschlagen, sich dafür einzusetzen, dass ihre Steuer- und Abgabenbelastung gesenkt werde, weil dadurch ein stabiles Wachstum herbeigezaubert würde, das dann auf wundersame Weise auch zu mehr Steuereinnahmen führe?

Schließlich wollen doch alle, dass sich die Südeuropäer wieder aus eigener Kraft refinanzieren können. Aber daran glauben scheinbar weder die Liberalen noch Konservative oder Linke. Denn alle wollen nicht, dass Deutschland von seiner eigenen Wettbewerbsfähigkeit etwas abgibt. Vielmehr gilt die Devise, Waren und Dienstleistungen überall so billig herzustellen, dass jeder sie über den Export auf dem Weltmarkt verkaufen kann. An wen, spielt zunächst keine Rolle. Der Käufer müsste halt nur bereit sein, sich dafür zu verschulden. Da die Amerikaner mit dem Modell “Kaufe jetzt und zahle später” ordentlich auf die Nase gefallen sind, dürften aus dieser Richtung nur wenig Impulse kommen.

Und alle anderen sollen nach Brüderle eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild erhalten, “damit das ständige Schuldenmachen aufhört.” Deutschland hat es in diesem Jahr mit Schuldenbremse in der Verfassung schließlich auch geschafft, statt 48 Mrd. nur 30 Mrd. Euro neue Schulden aufnehmen zu müssen, wenn sich am “Aufschwung” nix mehr ändert. Im letzten Jahr vor Einführung der Schuldenbremse lag die Neuverschuldung übrigens noch bei 11,5 Mrd. Euro. Nun ist der Anstieg der Staatsverschuldung nicht darauf zurückzuführen, dass die Politik irgendwo eine Milliarde für mehr Kindergeld ausgegeben hätte, die man nach langen Diskussionen vielleicht einmal beschlossen hätte, sondern weil man sehr kurzentschlossen mehrere Hundertmilliarden für die Rettung von Banken ausgegeben hat und nun so tut, als sei die Bankenkrise eine Staatsschuldenkrise, deren Folgekosten unter Verweis auf die Schuldenbremse nur durch weitere Kürzung der bereits gestutzten Sozialausgaben finanziert werden können.

Damals wie heute träumt der Finanzminister wieder vom ausgeglichenen Haushalt, vorausgesetzt kein weiterer Spring-ins-Feld-Teufel durchkreuzt die hehre, aber volkswirtschaftlich völlig nutzlose Absicht, einen Staatshaushalt um jeden Preis, d.h. durch sparen, ausgleichen zu wollen.

Aber auch hier müsste Brüderle mal erklären, wie er eigentlich das ständige Schuldenmachen beenden will, wenn er gleichzeitig großzügige Steuersenkungen auf Pump zum politischen Nahziel erklärt bzw. an unnützen Steuergeschenken, wie das an die Hoteliers festhalten will. Die selbsternannten bürgerlichen Parteien müssen das nicht erklären, gelten sie doch gemeinhin als jene politischen Kräfte, denen man nachsagt, sie könnten mit Geld umgehen.

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Wie der Aufschwung regional ankommt

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In der kostenlosen Anzeigenzeitung meiner Heimatstadt lese ich einen Bericht über die aktuelle Ausgabe des Sozialberichts. Daten und Fakten zu den Lebenslagen in der Region Hannover, heißt es in der Überschrift. Darin enthalten, sind auch Zahlen zur Entwicklung der Beschäftigungssituation. Sehr interessant.

So bestätigt der Sozialbericht, dass es in der Region Hannover immer weniger sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsplätze gibt (minus 3,3 von 2003 bis 2009). Dafür ist im gleichen Zeitraum der Anteil der Teilzeitbeschäftigungen (plus 20,8 Prozent) und der geringfügig Beschäftigten gestiegen (plus 109,8 Prozent im Nebenjob, plus 13,8 Prozent im Haupterwerb).

Quelle: Wunstorfer Stadtanzeiger, abgeschrieben von Hannover.de

Darüber hinaus heißt es in dem Bericht, dass kaum Bewegung bei der Zahl der Langzeitarbeitslosen festzustellen ist. Wer einmal in das Hartz-IV-System abgerutscht ist, kommt selten wieder heraus. Die Arbeitsmarktmaßnahmen versagen auf ganzer Linie.

Mit Blick auf die Arbeitslosigkeit in der Region Hannover zeigt sich, dass sich die Situation speziell für die Empfängerinnen und Empfänger von SGB-II-Leistungen (Arbeitslosengeld II), die Ende 2009 einen Anteil von 72,0 Prozent aller Arbeitslosen ausmachten, kaum verändert hat. „Vieles deutet darauf hin, dass sich die Arbeitslosigkeit hier verfestigt hat, weil viele Menschen trotz Maßnahmen keine existenzsichernden Beschäftigungsverhältnisse finden“, sagte Sozialdezernent Erwin Jordan von der Region Hannover. 

Insgesamt liege eine starke Spreizung zwischen arm und reich vor.

So sieht die Schnellstraße in der Region aus, auf deren Überholspur die liberalen Wirtschaftsminister Brüderle und Rösler ihren Aufschwung abfeiern.

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Brüderle unter Strom

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Als der Protokollfehler Brüderle der Atomwirtschaft versicherte, dass Angelas Moratorium nur ein Wahlkampfgag war und im Prinzip alles so bleiben würde wie bisher, wenn sich erst einmal die Aufregung um Fukushima gelegt hätte, konnte noch keiner ahnen, dass sich die schwarz-gelben Energiewendewenderevoluzzer tatsächlich zu einem Ausstieg aus der Atomkraft entschließen würden.

Nachdem die Union Wahlen verloren hat und ihr klassischer Mehrheitsbeschaffer, die FDP, von der politischen Bedeutungslosigkeit auf der Schnellstraße ins außerparlamentarische Nirwana endlich eingeholt und überholt wurde, besann sich Frau Merkel notgedrungen auf eine neue Strategie. Die Atomenergie soll zu Gunsten der erneuerbaren Energien weichen, dafür stehe sie mit ihrem Namen. Frau Hipp, Verzeihung, Frau Bundeskanzlerin garantiere, dass es zu keinen Blackouts kommen werde. Eine kühne Versicherung. Will sie etwa mit ihrer persönlichen Strahlkraft aushelfen, falls es einmal eng werden sollte?

Offensichtlich scheinen die schwarz-gelben Irrlichter schon wieder angesprungen zu sein. Denn auch in den eigenen Wendehalsreihen gibt es bereits wieder Stimmen, die das soeben beschlossene Ausstiegsgesetz torpedieren. Rainer Brüderle war nie sonderlich überzeugt vom Ausstiegsgedanken. Er hat vor allem den gnadenlos günstigen Strompreis im Blick, der durch die vier Besatzungsmächte, Verzeihung, Stromkonzerne den Kunden derzeit angeboten wird.

Sollten die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, so Brüderle, werde das sehr teuer.

„Der Ausstieg aus der Atomenergie ist nicht zum Nulltarif zu haben“, sagte Brüderle. „Das müssen wir den Leuten ehrlich sagen.“ Strom aus erneuerbaren Energien sei wesentlich teurer als Atomstrom. Zudem würden der Netzausbau und der Neubau von Gaskraftwerken zusätzlich Geld kosten. „Bezahlen müssen wir alle, die Stromkunden, die Steuerzahler“, sagte der FDP-Politiker.

Quelle: Spiegel Online

Ja, das muss man den Leuten ehrlich sagen, sonst glauben die noch, dass sie für Castortransporte, die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll bzw. für die Sanierung maroder Lagerstätten deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen, als für Investitionen in Infrastrukturen, die langfristig Versorgungssicherheit garantieren und damit eine gesellschaftliche Rendite abwerfen. Vielleicht sollte man Herrn Brüderle einfach einen Jutesack mit verbrauchten Brennstäben an die Türklinke seines zu Hauses hängen mit der freundlichen Aufforderung, bei seinem täglichen Gang zum Altglascontainer, auch den angefallen Atomstrommüll mit zu entsorgen.

Der Ausstieg sei nicht zum Nulltarif zu haben, so Brüderle. Schon klar, seit 2002 haben allein die drei Versorger Eon, RWE und EnBW über 100 Mrd. Euro Gewinn erzielt. Natürlich sind diese Gelder vor dem Zugriff geschützt. Wieso wurde eigentlich nicht investiert, wie es unternehmerische Tradition wäre? Was ist denn mit den Gewinnen passiert? Wurden sie verwendet, um die marktbeherrschende Position innerhalb Europas weiter auszubauen, damit die Abhängigkeit von diesen Konzernen selbst dann noch gewährleistet sein würde, wenn sich die ohnmächtige Politik zu einer Energiewende entschließen sollte?

Der Strompreis, der beim Kunden erhoben wird, ist doch längst nicht mehr von der Art der Energiegewinnung und des Transports abhängig. Der Preis wird von den Energieversorgern diktiert, die den Markt mit Hilfe der Politik unter sich aufgeteilt haben. Selbst wenn die erneuerbaren Energien in Zukunft die Atomkraft ablösen, stehen dahinter bereits die großen Vier, die ihre marktbeherrschende Position auf dieses Gebiet natürlich längst ausgedehnt haben (Offshore Windparks).

Deshalb bleibt die Forderung an die Protestbewegung, nicht nur für den raschen Atomausstieg einzutreten und sich damit zufrieden zu geben, dass es gelungen ist, die Politik ein Stück weit in die Knie zu zwingen, sondern es sich zur Aufgabe zu machen, gegen die Abhängigkeit vom privaten Energiekartell zu kämpfen, das durch seine finanziellen Mittel auch über die Macht verfügt, die politischen Entscheidungen unter allen vorherrschenden Bedingungen maßgeblich zu beeinflussen.

Und damit schöne Pfingsten.

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Brennelementesteuer vor dem Aus

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Als vor gut einem Jahr Merkel und Schäuble ihr Jahrhundertsparpaket mit einem Umfang von 80 Mrd. Euro bis 2014 vorstellten, versuchten sie ihrem reinen Sozialstaatskürzungsprogramm eine gewisse Ausgewogenheit dadurch zu verleihen, indem sie behaupteten, auch die Wirtschaft zur Finanzierung der Krisenkosten heranzuziehen.

Wie sie sicherlich noch wissen, bildete die Brennelementesteuer den Kern dieses Vorhabens. Sie sollte dem Bundesfinanzminister jährlich 2,3 Mrd. Euro einbringen. Im Gegenzug durften die Energiebosse über die Laufzeit ihrer Atommeiler selbst bestimmen. Morgens gegen halb sechs erlaubte man dann der Regierung, den Atomkompromiss(t) im heißen Herbst der Entscheidungen zu unterzeichnen. RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz plauderte damals ohne scheu aus, wie es zum Geheimvertrag mit der Regierung kam.

Quelle: FTD 

Tobias Münchmeyer von Greenpeace will wissen, wer denn garantiert, dass die Konzerne wirklich ihre Zusatzgewinne aus längeren Atomlaufzeiten abgeben. Die Konzerne hätten schließlich schon einmal einen Vertrag gebrochen, den Atomkonsens mit Rot-Grün nämlich. Es ist die Art von Frage, die Schmitz gar nicht leiden kann. Das sei eine Unterstellung, schimpft er. Und im Übrigen hätten die Konzerne die Vereinbarung mit der Bundesregierung noch in der Nacht paraphiert. „Um 5.23 Uhr morgens.“ Schmitz zeigt auf Umweltstaatssekretär Jürgen Becker, der in der ersten Reihe sitzt. „Auch Sie, Herr Staatssekretär, haben wir dafür noch mal aus dem Bett geholt.“

Jetzt ist die Nachricht in der Welt. Und sie wirft viele Fragen auf. Was steht in diesem Geheimvertrag? Hatte die Regierung nicht immer versprochen, keinen Deal mit den Konzernen zu schließen? Und warum haben die Kanzlerin und ihre Minister in all den Pressekonferenzen seit Montagmorgen nichts verraten?

Nun soll die Brennelementesteuer, die nicht nur als Beitrag zur Sanierung des Haushalts erhoben werden sollte, sondern auch zur Sanierung des maroden Atommüllendlagers Asse, wieder verschwinden und im Gegenzug die Laufzeitverlängerung zurückgenommen werden. Das sieht nach dem berühmten Tisch aus, über den sich die Regierungshampelmänner und Frauen gerne ziehen lassen.

RWE-Chef Jürgen Großmann poltert schon mal drauf los und meint, dass die Bundesregierung keine fixen Termine für eine Zukunft nennen solle, „in der keiner der heutigen Entscheider noch regieren wird“ (Quelle: SpOn). Ein Brüller. Denn genau dasselbe hat schon Rot-Grün gemacht, mit dem Ergebnis, dass der Beschluss kurzerhand durch eine andere Regierung rückgängig gemacht wurde. Großmann sorgt sich also ums Image. Er will vermeiden, dass der Gesetzgeber im Nachhinein wieder begründen muss, wann Entscheidungen, die er einmal auf demokratischen Wege herbeigeführt hat, rückabgewickelt werden können. Da hat es ja peinliche Situationen mit dem Projekt Stuttgart 21 gegeben. Ein Bahnhof ist schließlich kein AKW.

Quelle: Klaus Stuttmann

Großmann plädiert dafür, die Projekte der Energiewende alle drei Jahre zu überprüfen. So könne bei Bedarf Tempo gemacht oder gebremst werden, zitiert Spiegel Online weiter. D.h., dass die Kernkraftwerksbetreiber auch in Zukunft den Abschalttermin, wenn überhaupt, festlegen wollen.

Grundsätzlich sei eine Energiewende zwar zu schaffen – aber nur gemeinsam in Europa, nicht mit einem deutschen Alleingang. Er warnte vor einer „Ökodiktatur“.

Das wird die Kanzlerin am Ende wahrscheinlich auch so sagen. Denn wie bei der Finanztransaktionssteuer gilt das Prinzip, dass nur eine gemeinsame europäische Lösung, die es aller Erfahrung nach kaum geben wird, die vernünftigste aller alternativlosen Alternativen sein kann.

Wirtschaftlicher Erfolg, Stabilität und nicht zuletzt die Demokratie hingen von längeren Laufzeiten ab, so Großmann weiter. Sie wissen schon, weil sonst die Lichter schneller ausgehen, als sie gucken können. Derzeit laufen aus diversen Gründen nur noch vier Atomkraftwerke in diesem Land und Großmann hat recht. Damit ich diese Zeilen schreiben kann, muss mein Hamster Überstunden schieben.

Deshalb vertraue ich auch auf die Weisheit und den Weitblick der Vorstände aus den vier großen Energiekonzernen, die sich im, wie heißt das nochmal, ach ja, Wettbewerb befinden. Die werden schon wissen, was in die neue Vereinbarung mit der Regierung hineingehört. Wie hat es Johannes Teyssen, Chef von Eon, im Anschluss an die Bekanntgabe des Moratoriums so schön formuliert. Nach drei Monaten begänne das Spiel mit der Bundesregierung und um die Atomkraftwerke neu. Und wer den wandelnden Protokollfehler Brüderle beim Wort nimmt, weiß genau, dass das ganze irrationale Theater ohnehin nur wegen der Wahlen stattgefunden hat. So what?

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Die Fortsetzung der Aufschwungspropaganda

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Der neue Wirtschaftsminister Philipp Rösler ist gestern an seinen neuen Arbeitsplatz gezogen und heute darf er schon freudig verkünden, dass sich der Aufschwung der deutschen Wirtschaft kraftvoll fortsetze:

„Der Einstieg ins Jahr 2011 ist hervorragend gelungen. Der Aufschwung setzte sich im ersten Vierteljahr ausgesprochen kraftvoll fort. Die Zahlen belegen, dass die deutsche Wirtschaft weiter an Fahrt gewinnt. Deutschland ist der Wachstumsmotor unter den Industrieländern – und das nicht nur in Europa.“

Quelle: BMWi

Dabei hatte ich gedacht, Röslers erste Amtshandlung würde darin bestehen, Kisten mit leeren Weinflaschen zum Altglascontainer zu bringen. Offenbar ist das nicht der Fall. Rösler Dr. Philipp Rösler setzt auf Recycling. Er präsentiert uns nicht etwa alten Wein in neuen Schläuchen, sondern in den alten Flaschen seines Vorgängers. „Fürchtet euch nicht“, hatte dieser auf dem zur Stunde stattfindenden Parteitag der FDP den jungen Liberalen zugerufen. Man müsse zu den „Brot-und-Butter-Themen“ zurückfinden, so Brüderle. 

Ausgangspunkt der Euphorie ist die Meldung des statistischen Bundesamts, wonach die deutsche Wirtschaft schwungvoll in das Jahr 2011 gestartet sein soll. Dabei kann von einem Schwung wohl kaum die Rede sein, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die letzten beiden Quartale davor mit 0,8 und 0,4 Prozent Wachstum in der Tendenz deutlich nach unten zeigten.

Die Statistiker führen einen schlechten Zaubertrick vor. Sie nehmen sich das schwächste der vier Quartale des XXL-Aufschwungjahres 2010 mit einem Wachstum von 0,4 Prozent und vergleichen es mit dem abgelaufenen Quartal 01/2011. Und schon ist wie durch Magie oder blumiges Zureden von Brüderle und nunmehr Rösler der (Auf)Schwung wieder da.

Er war ja auch nie weg. Der Aufschwung war nicht weg, als die Kommunen ein Rekorddefizit von 10 Mrd. Euro für das Jahr 2010 meldeten und der Staat eine Neuverschuldung von über 300 Mrd. Euro, weil er Geld für die Bankenrettung ausgeben musste. Der Aufschwung war auch nicht weg, als die erste Krankenkasse in der Geschichte Deutschlands Konkurs anmeldete, die zweite bereitet ihre Insolvenz gerade vor. Und der Aufschwung war auch nicht weg, als die Statistiker erneut einen Einbruch der Einzelhandelsumsätze vermelden mussten. Das ist gerade mal zwei Wochen her.

Trotzdem wird weiter behauptet, der Aufschwung stünde vor allem auf dem Bein des privaten Konsums. Alle Fakten sprechen dagegen. Selbst die Statistiker schreiben richtig.

Im vierten Quartal 2010 hatte es nur ein moderates Wirtschaftswachstum gegeben (+ 0,4% gegenüber dem dritten Quartal 2010), was allerdings zum Teil witterungsbedingt war und folglich auch den Anstieg im ersten Quartal 2011 positiv beeinflusst hat.     

Quelle: destatis

Mit anderen Worten, hier wird nicht mehr als ein Nachholeffekt beschrieben. Das Wetter wird besser, die Bautätigkeit nimmt wieder zu. Und das soll jetzt ein Aufschwung sein?

Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Außenhandel ist ja nicht über Nacht verschwunden. Sobald die Nachfrage unserer wichtigen europäischen Handelspartner aufgrund der Austeritätsverpflichtung im Zuge der Euro-Krise wegbricht, stürzt auch die angebliche Lokomotive der Europäischen Union wieder in jene tiefe Schlucht, in die sie schon einmal im Jahr 2009 fiel.

Maßnahmen zur Verhinderung dieser erneut absehbaren Katastrophe wurden nicht getroffen. Es gibt weder einen Mindestlohn, noch adäquate Erhöhungen der Einkommen sowie Sozialleistungen, die den Verlust der Massenkaufkraft über weit mehr als zehn Jahre auch nur ansatzweise ausgleichen könnten. Stattdessen erhöhen sich die Preise, obwohl die reale Nachfrage fehlt und die EZB steht Gewehr bei Fuss, die Konjunktur mit unnötigen Zinsschritten zusätzlich abzuwürgen. Bisher lebt das Binnenwachstum nur von Investitionen in Ausrüstungen und in Bauten, wie das statistische Bundesamt schreibt. Die privaten Konsumausgaben hätten darüber hinaus zum Teil deutlich zugelegt.

Wahrscheinlich haben sie deutlich zugelegt, weil durch die Beendigung der Kurzarbeit, die Beschäftigten wieder ihren normalen Lohn erhalten. Diesen Trick hatte schon Rainer Brüderle immer wieder angewandt, um eine Zunahme des privaten Konsums zu suggerieren.

In Wahrheit sollen die Tariflöhne laut Vorausschätzung der besten Ökonomen dieses Landes in diesem Jahr um gerade mal zwei Prozent steigen. Die Preise sollen sich nach Auffassung derselben Spitzendenker um 2,4 Prozent nach oben verändern. Das hieße aber, dass die Beschäftigten mit Tarifbindung, was in diesem Land auf nur noch 53 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse überhaupt zutrifft, erneut einen Reallohnverlust in Kauf nehmen müssten (siehe Michael Schlecht, MdB). Bisher hat es eine Erhöhung der Tariflöhne um 0,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gegeben. Die Teuerung lag zuletzt bei 2,4 Prozent.

Der Witz ist aber nun, dass dieselben Ökonomen der Auffassung sind, der Aufschwung würde plötzlich durch eine Ausweitung des privaten Konsums getragen. Wie soll das aber gehen, wenn erstens die Kaufkraft weiter sinkt und zweitens die Exporte beständig über die Importe dominieren?

Die Expansion von Exporten und Importen setzte sich ebenfalls fort

Deutschlands Wirtschaft setzt weiterhin auf die bestehenden Ungleichgewichte innerhalb der EU und profitiert davon auf Kosten der anderen. Damit ist eine der Hauptursachen der fortwährenden Krise nicht beseitigt. Für die stetige Verbesserung der Wettbewerbsposition können sich die deutschen Arbeitnehmer, Sozialleistungsempfänger, Rentner, Kinder usw. immer noch nichts kaufen, weil sie mit dem Engerschnallen ihrer Gürtel vollends beschäftigt sind. Schuldverschreibungen der Defizitländer kann man einfach nicht essen. Man muss sie am Ende sogar selber bezahlen, wenn die Handelsungleichgewichte fortbestehen und der Exportfetischismus unter dem Decknamen “Qualität, Made in Germany” zum ideologischen Dogma erklärt wird.

“Was ist ein Aufschwung wert, wenn der Einzelhandelsumsatz im März um real 3,5 Prozent sinkt? Dieser Wirtschaftsaufschwung bestraft diejenigen, die durch ihre Arbeitsleistung die zusätzlichen Waren und Dienstleistungen hergestellt haben. Die ungleiche Verteilung bei Einkommen und Vermögen nimmt dadurch weiter zu. Ein solches Wachstum vergrößert die Außenhandelsungleichgewichte und verschärft so die Eurokrise weiter. Es ist ein Skandal, dass gerade sich durch die unsolidarische Politik der Bundesregierung der Außenhandelsüberschuss im März ausgerechnet gegenüber den EU-Partnern überproportional vergrößern konnte.”

Quelle: Sahra Wagenknecht (DIE LINKE)

Fürchtet euch nicht? Brüderle hat Recht, vor dem schwarz-gelben Ende brauchen wir uns nicht zu fürchten. Unsere Hoffnungen ruhen darauf.

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Jetzt mal kurz zur FDP

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Das ist ja nicht zum Aushalten. Alle Versager und Versagerinnen dürfen nach dem Super-Gau bei den Landtagswahlen bleiben, nur auf anderen Positionen. Der havarierte Guido wurde bekanntlich nur teilweise stillgelegt, der Altmeiler und nicht absturzsichere Rainer rotiert an die Fraktionsspitze, damit der neue Parteichef Rösler künftig den Aufschwung auf der Überholspur sowie gute Stimmung verkünden darf und die langsam brütende Birgit soll nun stellvertretende Parteichefin werden. Über diesen Generationenwechsel dieses Postengeschacher in der FDP kann man sich nur noch kaputtlachen.

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Zum neuerlichen Fall der Einzelhandelsumsätze

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Die deutschen Einzelhandelsunternehmen setzten im März 2011 nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) nominal 2,0% und real 3,5% weniger um als im März 2010. Beide Monate hatten jeweils 27 Verkaufstage. Im Vergleich zum Februar 2011 ist der Umsatz im März 2011 unter Berücksichtigung von Saison- und Kalendereffekten (Verfahren Census X-12-ARIMA) nominal um 1,8% und real um 2,1% gesunken.

Quelle: destatis

Was ist nur los? Am Mittwoch ließ Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle noch vollmundig und süffig verkünden, dass der private Konsum eine entscheidende Stütze der Konjunktur bleiben werde.

„Die Reaktorkatastrophe in Japan, steigende Energie- und Rohstoffpreise und die anhaltenden Unruhen in Nordafrika und der arabischen Welt haben zwar ein paar Wolken am Konsumhimmel aufziehen lassen. Gleichwohl zeigt aber das weiterhin hohe Niveau des Konsumklimas, dass die Verbraucher die Auswirkungen dieser Ereignisse auf die deutsche Wirtschaft bislang als begrenzt beurteilen. Diese Einschätzung steht auch im Einklang mit Ergebnissen aus jüngsten Unternehmensbefragungen. Der Aufschwung in Deutschland steht auf einer soliden Grundlage. Der private Konsum wird in diesem Jahr eine entscheidende Stütze bleiben.“

Quelle: BMWi

Ich frage mich zwar noch immer, welche Auswirkungen die Reaktorkatastrophe in Japan und anhaltende Unruhen in der arabischen Welt auf den privaten Konsum in Deutschland haben sollen, aber vielleicht haben auch bei der GfK (Gesellschaft für Konsumübertreibung) und dem Brüderle ein paar Wolken oder sollte man sagen, eine trübe Suppe die Hirne vernebelt.

Demnach müsste man doch annehmen, dass der durchschnittliche deutsche Verbraucher Probleme mit der Umstellung seiner bisherigen Ess- und Trinkgewohnheiten hat. Denn natürlich war es doch bisher so, dass er mit Vorliebe japanische und arabische Importprodukte konsumierte, die nun ja wegen Fukushima einerseits und den Gadaffis andererseits nicht mehr den Weg nach Deutschland und in die Einkaufskörbe der Verbraucher finden. Denn laut statistischem Bundesamt sparen die Deutschen noch immer an Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren.

Der Einzelhandel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren setzte im März 2011 nominal 2,8% und real 4,8% weniger um als im März 2010. Dabei lag der Umsatz bei den Supermärkten, SB-Warenhäusern und Verbrauchermärkten nominal um 3,0% und real um 4,9% niedriger als im Vorjahresmonat. Im Facheinzelhandel mit Lebensmitteln wurde nominal 1,5% und real 3,2% weniger als im März 2010 umgesetzt.

Die Langzeitenwicklung spricht Bände. Von einer Konjunkturlokomotive, die der private Konsum nun schon seit Jahren sein soll, fehlt weiterhin jede Spur. Trotzdem geht das Aufschwunggerede unwidersprochen weiter. Vorgestern das Konsumwumder, gestern das Jobwunder und heute einmal mehr die Ernüchterung, die kaum kritisch beachtet werden wird.

Einzelhandel bis März 2011

In vielen Meldungen ist mal wieder von unerwarteten Rückgängen die Rede. Die Überraschung ist nicht zu verstehen, zumal jedem halbwegs wachen Journalisten ein simpler Zusammenhang hätte auffallen können. Joachim Jahnke weißt in seinem Infoportal auf einen Verlust der Massenkaufkraft hin.

Der Rückgang des Einzelhandelsumsatzes folgt dem realen Einbruch der Massenkaufkraft. Im Januar 2011 lagen die Tarifverdienste nominal nur um 0,9% über dem Vorjahr, während die Inflation bei 2,0% angekommen war, also ein realer Verlust von 1,1%.

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Zur offiziellen Arbeitslosen- und Erwerbstätigenschätzung

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Der Aufschwung geht weiter, tönt es aus dem Nürnberger Bunker unter dem Befehl des Reserveoberst Frank-Jürgen Weise, der im Nebenjob helfen darf, die Bundeswehr umzustrukturieren. Der Aufschwung geht weiter, tönt es auch aus der gemütlichen Weinstube des Bundeswirtschaftsministers Rainer Brüderle.

„Der Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt ist nicht zu stoppen. Der Frühlingsaufschwung treibt den Arbeitsmarkt zu neuen Bestmarken. Die gute Konjunktur, verstärkt durch die Frühjahrsbelebung, sorgt dafür, dass die Zahlen für die Erwerbstätigkeit weiter in die Höhe gehen; die Arbeitslosigkeit nimmt erneut spürbar ab. Besonders erfreulich ist, dass die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung so stark steigt. 700.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mehr als vor einem Jahr sind ein stolzes Zeugnis unseres anhaltenden Beschäftigungsaufschwungs.“

Quelle: BMWi

Und auch die Bundesarbeitsministerin sieht die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit als Beleg für eine solide Entwicklung. Der Arbeitsmarkt sei so aufnahmefähig wie ein Schwamm. Beim Auswringen scheinen aber immer noch drei Millionen Menschen hinaus zu tröpfeln. Doch was ist dran an der Einschätzung der offiziellen Verlautbarungsorgane? Im Prinzip nichts, denn seit längerem ist bekannt, dass die Arbeitslosenstatistik durch und durch manipuliert ist.

Neben der offiziellen Zahl der Erwerbslosen, die im Monat April einen Stand von 3.078.000 erreicht haben soll, gibt es die Zahl der sog. Unterbeschäftigten, eine Kategorie, in der Arbeitslose gezählt werden, die zum Zeitpunkt der Zählung entweder erkrankt waren oder unter 25 bzw. über 58 oder als Arbeitslose von privat organisierten Menschenhändlern mittels Vermittlungsgutschein betreut werden. Herausgerechnet werden auch Erwerbslose, die eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme absolvieren und zum Beispiel als ausgebildete Ingenieure lernen, wie man Landschaften und Räume pflegt, um anschließend in einer Arbeitsgelegenheit für einen symbolischen Euro die Stunde der Allgemeinheit zu dienen.

Insgesamt haben im April laut Monatsbericht der BA (Seite 51) 7.346.165 Menschen entweder ALG I, II oder Sozialgeld bezogen.

  • ALG I: 831.356 (-113.052)
  • ALG II: 4.751.306 (+5.062)
  • Sozialgeld: 1.763.503 (-640)

Auffallend ist, dass die Bundesagentur die meisten Zahlen als Hochrechnungen und Schätzungen verkauft. Insofern trägt auch die Methode kaum zur Klarheit bei. Wie viele Menschen nun tatsächlich erwerbslos sind und ob sich die Beschäftigungsentwicklung auf neue Rekordstände zubewegt, kann weder durch verlässliche Daten untermauert, noch als solide Entwicklung bezeichnet werden.

Was aber einmal mehr deutlich wird, ist die Diskrepanz zwischen der offiziellen Arbeitslosenzahl (3.078.000) und aller erwerbsfähigen Leistungsbezieher (5.582.662). Das heißt, es werden nur etwa 55 Prozent aller Leistungsbezieher auch als arbeitslos gezählt oder geschätzt. Warum?

Wie man an der Entwicklung der ALGII-Bezieher sieht, ändert sich kaum etwas an der Langzeitarbeitslosigkeit. Zwar vermeldet die Bundesagentur stolz, dass die Gruppe der Langzeitarbeitslosen auf 897.000 geschrumpft sei, aus der Statistik wird aber deutlich, dass aus dem Rechtskreis SGB II (also Hartz-IV) sehr viel weniger Betroffene in den ersten Arbeitsmarkt einschl. Selbstständigkeit zurückfinden (3,8 Prozent) als Arbeitslose, die weniger als 12 Monate erwerbslos waren (15,8 Prozent). Und noch etwas:

Weil der Rückgang der Gesamtarbeitslosenzahl größer war, hat sich der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen um 1 Prozentpunkt auf 32 Prozent erhöht.

(siehe Seite 13)

Was sagt uns das? Es kommt auf die Betrachtungsweise an. Was spielt es schon für eine Rolle, dass Deutschland mit einem Langzeitarbeitslosenanteil von 32 Prozent wahrscheinlich immer noch den fünf höchsten Wert aller 15 Alt-EU-Länder aufweist? Angeblich sei Deutschland Wachstums- und Beschäftigungslokomotive innerhalb der EU. Für die Langzeitarbeitslosen gilt das jedenfalls nicht. Beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit bleibt Deutschland mehr oder weniger Schlusslicht, obwohl man sich durch die Arbeitsmarktreformen etwas anderes versprochen hatte.

Deshalb werden diese aber nicht als gescheitert angesehen, sondern behauptet, sie seien Grundlage für den Beschäftigungserfolg. In der Tat gibt es eine Zunahme der Beschäftigung. Im MonatsberichBeschäftigungsaufbau April 2011t steht auch detailliert, in welchen Bereichen es eine besondere Zunahme gegeben hat. Besonders die Leiharbeit steht mit einem Plus von 31,9 Prozent an erster Stelle. Interessant ist auch, dass es im Bereich Erziehung und Unterricht einen Rückgang gab. Und das in Zeiten, in denen Politikern die Bildung immer noch besonders am Herzen liegt.

Zudem arbeiten immer mehr Menschen in diesem Land als Mini-Jobber. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll Ende September 2010 erstmals die Marke von sieben Millionen überschritten worden sein. Spiegel Online berichtete kürzlich darüber. In der Statistik wird die Zahl der Mini-Jobber im Februar nun mit 4,84 Mio. ausgewiesen. Dazu kommen 2,41 Mio., die neben ihrem Hauptjob einer geringfügig entlohnten Tätigkeit nachgehen (Seite 8). Seit der Lockerung der 400-Euro-Job Regeln im Jahr 2003 haben besonders die Nebentätigkeiten zugenommen. Jedes vierte Beschäftigungsverhältnis ist damit ein Mini-Job.

Wenn man also von einer soliden Entwicklung reden will, dann doch bitteschön von der soliden Entwicklung eines prekären Beschäftigungssektors, dessen Schaffung erklärtes Ziel der Arbeitsmarktreformer immer gewesen ist.

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