Ich war die letzten Tage durch eine Mittelohrentzündung kombiniert mit einem fiesen Husten außer Gefecht gesetzt und habe jetzt erst rund 135 aufgelaufene Mails checken können. Es kann also noch etwas dauern, bis hier wieder mehr Beiträge erscheinen. An das letzte woran ich mich erinnern kann, ist ein Interview von Angela Merkel bei NDR-Info. Vielleicht war das ja der Auslöser für die schmerzhafte Entzündung des Gehörgangs.
In dem Interview äußerte sich die Volkskanzlerin auch zu ihrer Krisenbewältigungsstrategie. Die lässt sich auf die Formel bringen, Solidarität nur gegen Bedingungen („Solidarität gibt’s nur im Austausch für Solidität„). Der angestrebte Fiskalpakt sei dabei eine notwendige, aber noch nicht ausreichende Maßgabe, um Wohlstand für die Menschen zu bekommen. Natürlich, so die Kanzlerin, dürfe das Wachstum als zweite Säule nicht aus den Augen verloren werden. Dies könne aber nicht nur durch staatliche Konjunkturprogramme, sondern vor allem durch Strukturreformen erzeugt werden.
„Wachstum kostet eben nicht immer Geld, wenn ich eine Rentenreform oder Arbeitsmarktreform mache wie wir mit der Agenda 2010. [ ] Durch die Hartz IV Reform haben wir heute mehr Menschen in Arbeit, als je zuvor. [ ] Das alles hat Deutschland kein Geld gekostet, aber sehr geholfen. [ ] Ich habe als deutsche Bundeskanzlerin darauf gedrängt, Wachstumsfragen zum Thema zu machen. [ ] Aber ich sage noch einmal, nicht nur Wachstum durch Konjunkturprogramme, sondern auch Wachstum durch Strukturreformen.“
In diesem Interview zeigte die deutsche Bundeskanzlerin ihr marktkonformes Zerrbild einer für sie erstrebenswerten europäischen Zukunft. Kennzeichnend dafür sind Zynismus und Ignoranz, die sich in den Worten Merkels verbergen, wenn sie beiläufig darüber spricht, dass die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes auch zu Lohndumping geführt habe, einem bedauerlichen Problem, dem man sich ja nun (nach sieben Jahren und einem Verfassungsgerichtsurteil zur Berechnung der Regelsätze) annehme. Dafür und für ihren halbkaltherzigen Vorschlag, einen Mindestlohn einführen zu wollen, wenn die Tarifpartner sich irgendwie einigen, sollte man ihr wohl noch dankbar sein.
Interessant waren in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse der ILO-Studie (Internationale Arbeitsorganisation), die den angeblich so nützlichen und Wachstum fördernden Strukturreformen eine zerstörerische Wirkung attestieren.
„Die Strategie des Sparens und Regulierens sollte zu mehr Wachstum führen, was jedoch nicht geschieht“, sagte der ILO-Direktor für internationale Arbeitsmarktstudien und Hauptautor des Berichts, Raymond Torres, in Genf. Die Spar-Strategie sei damit „kontraproduktiv“ gewesen. Torres bescheinigte den EU-Staaten, „wenig durchdachte“ Sparprogramme aufgelegt zu haben. Als Beispiel nannte er Spanien, wo das Haushaltsdefizit trotz drastischer Einsparungen nur von gut neun Prozent im Jahr 2010 auf 8,5 Prozent 2011 gesunken sei.
Quelle: Stern Online
Den Deutschen werfen die Arbeitsmarktexperten vor allem vor, ihr Jobwunder auf atypischer und unsicherer Beschäftigung aufzubauen (Minijobs und Leiharbeit). Das wurde zunächst auch kritisch als Botschaft durch die Medien am Morgen verbreitet. Am Mittag hieß es aber schon, dass sich das Beschäftigungswachstum in Deutschland, laut der Studie, auf einem hohen Niveau befinde und schon war die neoliberale Welt der marktkonformen Demokratie samt ihrer Lohnschreiber wieder in Ordnung. Immerhin wurde noch im Abspann erwähnt, dass Deutschland höhere Reallöhne benötige. Aber wer hört da noch so genau hin?
Toll wäre es also gewesen, die Kanzlerin in einem Interview mit der Wirklichkeit ihrer eigenen Politik oder die, die sie für nachträglich richtig hält, zu konfrontieren, um ihr unpassendes Loblied darauf mit den Worten kontraproduktiv und wenig durchdacht zu quittieren. Doch NDR Info Programmchefin und NDR Hörfunk Chefredakteurin Claudia Spiewak tat das nicht. Statt Merkel bezeichnete sie lieber den französischen Präsidentschaftskandidaten Hollande als jemanden, der große Töne spuckt. Vielleicht wollte sie der geistigen Luftpumpe Merkel, die ohne Rücksicht auf demokratische Gepflogenheiten in den französischen Wahlkampf eingriff, damit auch nur gefallen. Schließlich kommt die Staatsratsvorsitzende ja nicht oft zum Gespräch im Sendehaus des NDR vorbei.
MAI