Da ich heute noch einmal arbeiten musste, lief am Morgen alles wie gehabt. Gegen fünf raus aus den Federn und das Radio eingeschaltet. Neuerdings höre ich am Morgen immer den Deutschlandfunk, weil die zu dieser Uhrzeit schon aktuelles Programm machen. Unter anderem mit einer Presseschau. Zahlreiche Zeitungen beschäftigten sich heute mit einem Jahresrückblick. Der Kommentar der Welt ist mir dann besonders aufgefallen, weil darin eine schönfärberische Perspektive eingenommen wird, wonach das abgelaufene Jahr nicht so schlimm gewesen sei, wie zu Beginn noch befürchtet. Auf einen Satz gebracht, heißt es dann:
Deutschland hat das Krisenjahr glimpflich – und gelassen – überstanden.
Da kann man sich nur an den Kopf fassen. Ich habe es an anderer Stelle bereits geschrieben. Wer einen Einbruch der wirtschaftlichen Leistung um fünf Prozent nicht als das begreift, was es ist, nämlich eine Katastrophe, der hat schlicht nicht mehr alle Tassen im Schrank. Für den Welt-Kommentator ist die Tatsache, dass es zu keinen Massenentlassungen gekommen sei – ich frage mich, was die Quelle-Insolvenz mit knapp 4000 Beschäftigten, die ihren Job verloren haben, anderes war – Grund genug, die Welt positiv zu malen. Auf Spiegel-Online lese ich zudem, dass die deutschen DAX-Konzerne allein im Jahr 2009 mehr als 45.000 Jobs abgebaut haben. Entscheidender Satz:
Tausende Jobs gingen in diesem Jahr verloren, ohne dass darüber berichtet wurde.
Das hat das Springerblatt Welt anscheinend nicht mitbekommen oder man verlässt sich auf die amtliche Statistik der Bundesagentur. Doch die Dummheiten im Welt-Kommentar sind noch viel offensichtlicher. Nehmen sie zum Beispiel die Aussage über den zu erwartenden Exportanstieg im nächsten Jahr:
Die Industrie hat sich behauptet, im nächsten Jahr springt der Export wieder an. Ein Plus von zehn Prozent sagt der Außenhandelsverband voraus.
Da kann man mal wieder sehen, wie mit Zahlen ohne Bezug in manipulativer Weise hantiert wird und der Eindruck erweckt werden soll, als ginge es der Wirtschaft bald wieder gut. Der Welt-Kommentator nennt nämlich nicht den Absturz des Außenhandels und das tiefe Niveau, auf dem er gelandet war. Mit über 23 Prozent ging es im Januar und auch im Februar 2009 im Vergleich zu den Vorjahresmonaten nach unten. Auf der Seite des Statistischen Bundesamts können sie die Vergleichswerte bis einschl. Oktober 2009 in der Pressemitteilung Nr.474 vom 09.12.2009 nachlesen. In Grafiken aufbereitet, sieht das dann so aus:
Leider kann Ihr Browser diese Grafik nicht anzeigen. Direkter Link zur Statistik „Entwicklung der deutschen Exporte seit Oktober 2008 gegenüber Vorjahresmonat (Originalwerte)“
Leider kann Ihr Browser diese Grafik nicht anzeigen. Direkter Link zur Statistik „Entwicklung der deutschen Exporte seit Oktober 2008 gegenüber Vormonat (kalender- und saisonbereinigt)“
Im Schnitt haben wir also beim Außenhandel rund 21 Prozent verloren und nun kommt Springers Welt und will uns ein mögliches Plus von 10 Prozent im nächsten Jahr als solide Wirtschaftsentwicklung verkaufen. Wirkliche Wirtschaftsfachleute mit Ahnung würden sich angesichts dieser Zahlen aber nicht auf die Schulter klopfen und Gelassenheit predigen, sondern alarmiert fragen, was denn nun aus den nach wie vor bestehenden Überkapazitäten wird. Denn der Welt-Kommentator hat ja schon Recht wenn er schreibt, dass ein dramatischer Anstieg bei der Arbeitslosigkeit nicht zu verzeichnen war. Doch die Leute, die mittels Kurzarbeit in ihren Jobs vorerst bleiben konnten, sind der betriebswirtschaftlichen Logik nach, immer noch überflüssig. Wenn der Außenhandel tatsächlich nur um 10 Prozent wachsen sollte und sich gleichzeitig auf dem Binnenmarkt die Dauertalfahrt fortsetzt, werden große Unternehmen mit Exportbezug wie Daimler, Siemens, ThyssenKrupp weiter still und heimlich Jobs abbauen. Dazu braucht man kein Prophet zu sein, sondern einfach nur zur Kenntnis nehmen, dass diese Unternehmen im Jahr 2009 damit schon längst begonnen haben.
Doch Springers Welt blickt nicht auf die personelle Entwicklung oder die volkswirtschaftlichen Daten, sondern auf den Aktienkurs:
Die Börse feiert das Comeback der großen Mittelständler und Konzerne schon jetzt. Der Leitindex Dax legte im Jahresverlauf um knapp 24 Prozent zu. Ein Krisenjahr sieht anders aus.
Auch das ist ein Beleg für Dummheit und Lernunfähigkeit. Es wird weiter so argumentiert wie vor der Krise und behauptet, wenn es den Kursen gut geht, geht es auch der Wirtschaft und den Menschen gut. Dabei ist die aktuelle Kursrally eben zunächst mal wieder eine Rally an der Börse, bei der Spekulanten, Banken und Ratingagenturen das Tempo bestimmen und nicht die Realwirtschaft.
Allenfalls der Herdentrieb bei den Managern in den großen DAX-Unternehmen, die Kosten unbedingt drücken zu müssen und Löhne zu kürzen, wirkt dort hinein. Das tut nämlich dem Aktienkurs gut, nicht aber der Volkswirtschaft. Zum volkswirtschaftlichen Nutzen eines solchen Vorgehens noch einmal sehr anschaulich Heiner Flassbeck am Beispiel Daimler:
„Nehmen wir den mittlerweile klassischen Fall. Der Autokonzern Daimler macht Verluste. Er kürzt daher die Arbeitszeit der Mitarbeiter, die nicht in Kurzarbeit sind, im Einvernehmen mit den Gewerkschaften um zehn Prozent. Im Gegenzug verzichtet das Unternehmen auf Kündigungen. Folglich sinkt die Lohnsumme der betroffenen 90.000 Arbeitnehmer um zehn Prozent. Dies ergibt bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 4000 Euro eine Kostensenkung für das Unternehmen von etwa 400 Millionen Euro. Immerhin werden dadurch die erwarteten Verluste von Daimler erheblich reduziert.
Die gesamtwirtschaftliche Rechnung sieht dagegen anders aus: Die 400 Millionen Euro verringern die Kaufkraft der Daimler-Mitarbeiter. Wenn die Beschäftigten den Gürtel enger schnallen, wirkt sich das auf die Nachfrage nach Gütern anderer Unternehmen aus. Die zu erwartenden Verluste dieser Firmen steigen also genau in dem Ausmaß, wie sich die von Daimler erwarteten Verluste vermindern. Für die Volkswirtschaft als Ganzes bringt die Sparmaßnahme des Autokonzerns und seiner Gewerkschaften folglich schon im ersten Zug keine Verbesserung. Wenn nun andere Firmen wegen der erwarteten Verluste dem Daimler-Beispiel folgen und die Löhne kürzen, dann führt das direkt in die Katastrophe.“
Quelle: Süddeutsche
Folglich sinken nicht nur Kaufkraft, sondern auch Preise. Das nennt man dann Deflation und die gibt der Wirtschaft und der Gesellschaft den Rest. Dass die Preise nicht mehr gestiegen sind, konnten sie im Jahr 2009 auch beobachten. Mindestens zweimal fielen die Verbraucherpreise im abgelaufenen Jahr. Im September um 0,3 und im Juli um 0,5 Prozent (niedrigster Stand seit 1987, siehe abermals destatis). Für das Jahr 2009 rechnet das Statistische Bundesamt mit einer Teuerungsrate von +0,4 Prozent. In der Pressemitteilung Nr.512 vom 29.12.2009 heißt es dann auch:
Aufgrund starker Preisrückgänge bei Kraftstoffen und leichtem Heizöl sowie bei Nahrungsmitteln und einer überwiegend moderaten Preisentwicklung bei anderen Waren und Dienstleistungen wurden für die einzelnen Monate des Jahres 2009 sehr niedrige Inflationsraten gemessen; im Juli 2009 erreichte die Inflationsrate mit 0,5% den niedrigsten Stand seit 1987.
In dem kurzen Welt-Kommentar über das Jahr 2009, der mir, wie sie sicherlich merken, tierisch auf die Nüsse geht, wird es zum Ende hin geradezu albern.
Der befürchtete starke Anstieg der Arbeitslosigkeit blieb aus. Im internationalen Vergleich steht Deutschland hervorragend da. Der Sozialstaat funktioniert und hat die Krise abgefedert. Auch deshalb haben die Deutschen so ruhig weiter konsumiert. Die Beruhigung an der Preisfront dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben.
Ich habe das Datum schon, an dem das Statistische Bundesamt die Zahlen für den privaten Konsum veröffentlichen wird. Am Freitag, den 8. Januar um 8:00 Uhr, gibt’s die Einzelhandelsumsätze für den Monat November 2009 und die Zahl der Insolvenzen für den Monat Oktober. Ich zitiere noch einmal aus der letzten Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts zu den Umsätzen im Einzelhandel vom 01.12.2009 (Nr.461):
Von Januar bis Oktober 2009 wurde im deutschen Einzelhandel nominal 2,5% und real 1,8% weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum umgesetzt.
Die Deutschen haben nicht ruhig weiter konsumiert, sondern weiterhin deutlich weniger konsumiert. Seit ich die Aufzeichnungen bewusst verfolge, habe ich noch kein Jahr gesehen, in dem mehr konsumiert bzw. umgesetzt wurde, als im Jahr davor. Mit dem privaten Konsum geht es seit Jahren abwärts. Wer da immer noch davon spricht, dass es sich hierbei um eine Stütze der Volkswirtschaft handelt, hat wiederum einen an der Waffel. Den privaten Konsum zu stützen, wäre eine dringende Aufgabe, die es anzugehen gilt. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der schwarz-gelben Regierung zählt eindeutig nicht dazu.
Doch der allergrößte Mist im Welt-Kommentar ist die Schlussformel, die der Autor aus seiner vorangegangenen Traumdeutung zu ziehen versucht.
Was heißt das für 2010? Die Deutschen sollten nicht nur gelassen bleiben, sondern wieder mehr Mut fassen. Schon allein statistische Basiseffekte werden dafür sorgen, dass die Wirtschaft stärker wächst als von vielen angenommen. Weitere positive Überraschungen sind programmiert. Wenn das kein Grund für gute Laune ist!
Dass die Wirtschaft stärker wachsen werde, ist wahrscheinlich unbestritten. Aber auch hier greift der Autor wieder zu dem bereits oben erwähnten manipulativen Trick. Er lässt die Bezugsgröße einfach weg. Selbst wenn die Wirtschaft im Jahr 2010 um zwei Prozent wachsen sollte, so muss man den Absturz im Jahr 2009 von mindestens minus fünf Prozent dazunehmen, um eine qualitative Aussage treffen zu können. Täte man das, könnte man nie zu der Überzeugung gelangen, dass gute Laune und Gelassenheit angesagt wäre. Ganz im Gegenteil!
Protest und Widerstand ist angesagt! Vor allem gegen eine Regierung, die es sich weiterhin erlaubt, teure Klientelpolitik zu betreiben und die Kosten der von ihr mitverursachten Krise auf die Schultern der Allgemeinheit fast schon still und heimlich abzuladen. Es ist wie Freimut Kahrs in einem Gastbeitrag bei Egon W. Kreutzer schreibt:
„Das Jahr 2010 kann zum Wendepunkt der Geschichte werden, wenn wir uns nicht länger als Verfügungsmasse der Politiker und Wirtschaftsführer, sondern als denkende und handelnde Menschen begreifen.“
In diesem Sinne, einen guten Rutsch und als Vorsatz für’s neue Jahr:
Packen wir’s an!
DEZ