Eine der am wenigsten zur Kenntnis genommenen Nachrichten am gestrigen Mittwoch war das Coming-Out von Finanzminister Wolfgang Schäuble, der im Anschluss an eine Unterredung mit seinem amerikanischen Amtskollegen Jack Lew einmal mehr offenbarte, dass er von Finanzen und Wirtschaftspolitik keine Ahnung hat. Schäuble wies die Kritik von Lew an den hohen deutschen Handelsüberschüssen, die im November laut statistischem Bundesamt noch einmal zulegten, erwartungsgemäß zurück. Die Begründung bleibt abenteuerlich.
Schäuble machte gar nicht erst den Versuch, die nachweislich nur so vor sich hin dümpelnde Binnenkonjunktur als wesentliche Stütze der Wirtschaft und damit als Gegenargument groß aufzublähen (ich komme weiter unten darauf zurück), er meinte vielmehr in einem Akt der Hilflosigkeit, dass das amerikanische Defizit nicht dadurch geheilt werden könne, wenn Deutschland auf seine Überschüsse verzichten und die Eurozone als Ganzes ebenfalls ein Defizit ausweisen würde. Dem deutschen Finanzminister scheint immer noch nicht klar zu sein, dass alle weder Überschüsse noch Defizite zur gleichen Zeit in ihren Handelsbilanzen haben können.
Die simple Logik, dass der Defizitsünder solange existieren muss, wie sich der Exportsünder an seine Überschüsse klammert, braucht nicht länger wiederholt zu werden, sondern dürfte inzwischen jedem klar sein. Ein Abbau der deutschen Überschüsse hätte entgegen der Behauptung Schäubles direkte Auswirkungen auf die Leistungsbilanz anderer Staaten, die dann erst in die Lage kämen, die über Jahre angehäuften Forderungen der Deutschen, nichts anderes sind die erzielten Überschüsse ja, Schritt für Schritt zurückzuzahlen.
Für Schäuble ist das allerdings keine Alternative. Er zündet lieber Nebelkerzen und behauptet, dass das Modell der Haushaltskonsolidierung erfolgreich und auch nachhaltig sei. Die mickrigen Wachstumsraten von 0,7 Prozent in 2012, erwarteten 0,4 Prozent für 2013 und völlig unrealistischen 1,8 Prozent für 2014 sprechen aber eine andere Sprache. Der Sparkurs der Bundesregierung wird scheitern, während sich die expansive Geldpolitik der Amerikaner mit durchschnittlichen Wachstumsraten um die zwei Prozent in den Jahren 2010 bis 2013 weiterhin auszahlen wird.
Amerika steht deutlich besser da als Deutschland. Hiesige Medien sprechen dennoch von einem Duell der Meister, bei dem eisernes Sparen auf der einen Seite und die Geldflut auf der anderen Seite gleichermaßen zur Überwindung der Finanzkrise beigetragen hätte. Der volkswirtschaftliche Analphabetismus hierzulande verstellt dabei den Blick auf die Realitäten. Wenn der Außenbeitrag infolge des Spardogmas innerhalb Europas schrumpft, laut Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute wird der Saldo aus Ex- und Importen mit 0,3 Prozent auf das Wachstum drücken, wirkt natürlich der im Vergleich zu 2012 nahezu gleich gebliebene Wachstumsbeitrag des privaten Konsums von 0,5 Prozent wie eine starke Stütze der Konjunktur.
Um aber dem negativen Effekt des Außenbeitrages etwas entgegensetzen zu können, ist eine sehr viel höhere Binnennachfrage notwendig. Eine Steigerung von Konsum und Investitionen ist aber nur dann realistisch, wenn auch die Löhne deutlich zulegen. 2013 stiegen die Nettolöhne laut Herbstgutachten um 2,9 Prozent mit dem Ergebnis, dass der private Konsum mit 0,5 Prozent zur Wirtschaftsentwicklung beitragen soll. Für 2014 gehen die Experten nun von einem Anstieg der Nettolöhne um 3,1 Prozent aus und verknüpfen damit gleichzeitig einen fantastischen Sprung des privaten Konsum-Beitrages auf 0,8 Prozent. Kombiniert mit einer erwarteten Zunahme der Investitionen in Anlagen um 0,9 Prozent (-0,1 Prozent in 2013) ergibt sich dann ein prognostiziertes Gesamtwachstum von 1,8 Prozent.
Die kaum hinterfragten Schätzungen der amtlich bestellten Konjunkturexperten, die nicht nur widersprüchlich argumentieren, sondern in beständiger Regelmäßigkeit daneben liegen, haben dennoch dazu geführt, dass alle wieder von einem bevorstehenden Aufschwung reden und etwas anderes unmöglich erscheint. Die Amerikaner bezweifeln das und finden, dass die Bundesregierung mehr für eine Stärkung der Binnennachfrage tun müsse, um auch Impulsgeber für die in der Rezession verharrende europäische Wirtschaft aber auch die Weltkonjunktur zu sein. Dabei mutet es schon komisch an, wenn Schäuble auf den Mindestlohn und Investitionen in die Infrastruktur verweist, die noch lange nicht beschlossen sind und über deren Ausgestaltung gerade ein Kampf quer durch die Koalitionsfraktionen tobt.
Wir führen unsere Gespräche nicht, um uns gegenseitig Zensuren zu verteilen, sondern um uns besser zu verstehen, sagte Schäuble schließlich. Diese Worte dürften den Südeuropäern einschließlich Frankreich als sonderbares Coming Out erscheinen. War es doch bisher gerade die Politik der Deutschen, einseitig Zensuren, Empfehlungen und Auflagen zu verteilen, nicht um Verständigung zu erzielen, das haben die Rechthaber in Berlin ja nicht nötig, sondern um den anderen zu verstehen zu geben, wer in Europa 100 Jahre nach Ausbruch des ersten Weltkrieges wieder etwas zu Sagen haben will.
JAN