Gaucks einsame Pilgerreise

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Bundespräsident Gauck ist auf Pilgerreise in den USA. Er besucht die heiligen Stätten der Demokratie, heißt es in einem Bericht meiner Tageszeitung von heute, die Gauck zitiert. Sanft streichelt das deutsche Staatsoberhaupt die Freiheitsglocke in Philadelphia und bemüht sich um eine Vertiefung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Andere Medien sprechen von Gauck als mahnenden Gast. Doch mahnt er nicht.

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ARD schießt ein Eigentor

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Hauptstadtstudio wirft der Linken vor, zu früh reagiert zu haben. Dabei hat die Redaktion selbst und ganz bewusst entschieden, was vorab veröffentlicht wird. Ein billiger Taschenspielertrick.

Die Gauck-Kontroverse wird immer peinlicher. Nun hat sich auch die ARD in Form von Katja Strippel vom BR in einem Kommentar auf Tagesschau.de zu Wort gemeldet und mehr oder weniger zugegeben, dass die Vorabveröffentlichung eines kleinen Teils des Interviews nur dazu diente, entsprechende Reaktionen zu provozieren.

Da diese erwartungsgemäß eintrafen, heißt es nun im Nachhinein: “Ätsch, hättet ihr mal abgewartet und das gesamte Interview angesehen.” Frau Strippel schreibt:

Und den Vogel schoss der Co-Parteivorsitzende Bernd Riexinger ab. „Präsidenten anderer Länder hätten Worte gefunden, als 4500 Nazis Angst und Schrecken verbreiten. Unser(er) macht Parteipolitik“, twittert Riexinger. Hätte er doch bloß noch ein bisschen gewartet mit seiner Twitter-Nachricht und sich erstmal das komplette Interview angeschaut. Denn Gauck ist in diesem Interview in der Berliner Gethsemanekirche sehr viel ausführlicher auf die Hooligans in Köln eingegangen als auf die Linkspartei in Thüringen.

Hätten Riexinger und Co. tatsächlich abwarten sollen? Die Tagesschau hat doch entschieden, welche wichtigen Äußerungen vorab veröffentlicht werden. Offenbar fanden die Journalisten die ausführlichen Bemerkungen Gaucks zu den Krawallen in Köln nicht so bedeutsam wie seine Meinung zur Regierungsbildung in Thüringen. Warum, liebe ARD-Redaktion?

Weil die Debatte über einen rechten Mob in Köln nicht soviel Klicks und Reaktionen verspricht, wie das Reizthema Vergangenheitsbewältigung in der Linkspartei? Vielleicht sollte sich die ARD mal dieser Debatte stellen und die Frage erörtern, ob sie ihrem Programmauftrag noch gerecht wird, wenn sie vergiftete Köder auswirft, um jene Fische an den Haken zu bekommen, die ihr bei bisherigen Angelversuchen (Interviews) durch journalistische Inkompetenz immer wieder entwischten.


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Zur Unterstellung, Gauck habe ja nur Kritik geübt

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Gaucks Helfer in den Medien glauben, der Bundespräsident habe lediglich Kritik und eine politische Meinung geäußert. Das tat er aber nicht, weil er zum Regierungsprogramm des möglichen rot-rot-grünen Bündnisses gar keine Stellung nahm.

Wie zu erwarten, haben die Aussagen Gaucks eine weitere Kontroverse unter den Schreibenden ausgelöst. Während Heribert Prantl recht klar bei seiner ablehnenden Linie bleibt, und Gauck einen Präsidenten nennt, der aus der Rolle fällt, äußern andere Kommentatoren Verständnis für die Haltung des obersten Grußaugusts. Deren Argumente vermögen aber nicht zu überzeugen, weil sie das Wahlergebnis konsequent ignorieren und dem Staatsoberhaupt zudem unterstellen, er hätte bloß Kritik geübt sowie eine politische Aussage getätigt. Das tat er aber nicht.

Warum nicht? Weil Joachim Gauck zu dem Ergebnis der Sondierungsgespräche gar nicht befragt worden war. Das hätte Deppendorf aber tun müssen, wenn er etwas über die politische Meinung des Bundespräsidenten hätte erfahren wollen.

Wäre die politische Meinung des Bundespräsidenten tatsächlich von Interesse gewesen, hätte sich Gauck zu Punkten wie Investitionen in Sportanlagen, Abschaffung des Landeserziehungsgeldes und dafür Einführung eines beitragsfreien Kita-Jahres äußern und erklären müssen, was er dagegen einzuwenden habe oder dagegen, den unter anderen Regierungen außer Kontrolle geratenen Verfassungsschutz, der rechte Straftaten mit V-Leuten unterstützt hat, zurecht zu stutzen.

Abneigung ist keine politische Meinung

Dem Fragensteller Deppendorf scheint auch nicht aufgefallen zu sein, dass sich in der Zusammenfassung der Sondierungsgespräche ein Punkt wiederfindet, der Gauck unbedingt gefallen müsste. „Thüringen arbeitet die DDR-Geschichte auf und unterstützt die Opfer des DDR-Unrechts“. Eine Regierung unter einem linken Ministerpräsidenten will also die Opferberatung finanziell besserstellen und die Gedenkstätten baulich instandsetzen und dazu die wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR Geschichte vorantreiben.

Was Gauck dagegen haben könnte, erfahren wir nicht. Dennoch wird behauptet, das Staatsoberhaupt hätte ja nur eine politische Meinung getätigt. Nein, er hat seiner grundsätzlichen Abneigung Ausdruck verliehen und damit bewiesen, dass er weder zu einer politischen Meinung fähig ist noch die Eignung zum Staatsoberhaupt besitzt. Bei der Vertuschung dieses peinlichen wie offensichtlichen Mangels erhält Gauck nun wieder Schützenhilfe.

In vielen Wortmeldungen ist daher von dem SED Erbe zu lesen, mit dem der ein oder andere oder alle ein Problem hätten, die in der DDR gelebt haben. Einen Beleg dafür bleiben aber auch die Kommentatoren schuldig. Sie sagen einfach, Gauck war Ossi und Widerstandskämpfer und wisse es daher am besten. Demnach weise Gauck zurecht auf die Bauchschmerzen der Opfer hin. Doch um die Opfer scheint es nicht zu gehen, sondern eher um die Lust an der Provokation.

Gauck sorgt sich um die Bauchschmerzen der Wahlverlierer

Denn wer Gaucks Charakter kennt – er war ja nicht immer der nette Präsident zum Anfassen – weiß wie sehr er die herablassende Verurteilung und das Vorführen seiner ausgesuchten Opfer mochte. Deshalb schreiben einige auch verwundert, Gauck mache sich nichts aus der Kritik. Richtig, weil er fest damit gerechnet hat.

Er sucht die Konfrontation um seiner selbst willen. Er benutzt die Opfer des SED Regimes, um seiner persönlichen Eitelkeit Ausdruck zu verleihen und das Ergebnis einer Wahl zu desavouieren. Eine Wahl, zu der kaum einer hingegangen ist und die dennoch ein Ergebnis brachte. Eines, das vielen nicht schmeckt.

Die Frage ist daher, welche Bauchschmerzen Gauck tatsächlich meint. Die der SED Opfer oder die der Abgewählten, die glauben die Staatskanzleien dieser Republik auf ewig gepachtet zu haben. Er äußert daher keine politische Meinung, sondern lässt sich vor einen parteipolitischen Karren spannen. Souverän wirkt das nicht.

Gaucks Claquere ahnen das und versuchen mit einem medialen Ablenkungsmanöver sowie stinkenden roten Socken über die Unzulänglichkeiten ihres Präsidenten hinwegzutäuschen. Die Linke scheint jedenfalls deutlich regierungsfähiger zu sein als der Bundespräsident in der Lage zu repräsentieren.


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Lasst Gauck links liegen!

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Wenn sich zwei alte Betonköpfe in einer Kirche treffen, um 25 Jahre nach dem Fall der Mauer miteinander Vorurteile auszutauschen, ist statt hinhören, abschalten oder mitlachen angesagt. Von Bedeutung ist das aber nicht.

Der Bundesbürgerpräsident hat Bedenken gegen einen linken Ministerpräsidenten geäußert. Das schürt den Zorn, was aber vollkommen überflüssig ist, wenn man weiß, dass Gauck eigentlich nichts zu sagen hat. Er ist nur Grußonkel, den einige, wie Berliner Journalisten vom Schlage Deppendorf dennoch für besonders wichtig halten und sich deshalb in einer Kirche zum Gespräch treffen, um lieb gewonnene Vorurteile auszutauschen. Zwei Deppen unter sich.

Roberto De Lapuente hat mal treffend geschrieben, Gauck sei ein Präsident von gestern, der im Heute überfordert ist und diese Überforderung mit eloquenter Rhetorik vertuscht. Mit anderen Worten, er ist ein Dummkopf, der mit seiner Sprache die Dummheit nur zu überspielen versteht. Sowohl in der Fragestellung Deppendorfs wie auch in der Antwort des Bundespräsidenten wird deutlich, dass die Mauer in beiden Köpfen nie gefallen, sondern immer wieder neu errichtet worden ist.

Dass Deppendorf es nicht besser weiß und eine Frage stellt, die mal wieder die Linke als alleinige Trägerin eines SED Erbes stigmatisiert, ist bekannt. Dass Gauck darauf hereinfällt und sich zu einer persönlichen Äußerungen verleiten lässt, weil er sich in der Gemeinschaft der Deppen sicher fühlt, die er mit „viele andere auch“ umschreibt, war zu erwarten und unterstreicht die Überforderung eines Präsidenten, der sein Amt einst als Lehrling mit fürstlichen Bezügen und Aussicht auf lebenslangen Ehrensold antrat.

Würde er die Beschreibung zur Amtsführung des Bundespräsidenten kennen, die auf der Internetseite seines Hauses zu finden ist, er hätte es beim Respektieren des Wählerwillens belassen sollen, anstatt darüber Kenntnis zu heucheln, was Menschen in seinem Alter, die die DDR miterlebten, nun denken und fühlen würden. Ein Anwalt vor Gericht würde sagen, dass so etwas unmöglich ist. Ein Demoskop würde sagen, dass es einfach nicht stimmt, da Befragungen das Gegenteil beweisen.

Gauck hat das Klassenziel noch immer nicht erreicht. Er bleibt eine peinliche Nummer, die sich hinter Beliebtheitswerten und den Zuspruch jener Eliten versteckt, die ihn in einem überstürzten Akt üblichen Geschachers ungewaschen ins Amt hievten. Er ist ohne Kontakt zur Außenwelt, glaubt sie aber zu kennen, weil eine breite Mehrheit der Bundesversammlung ihn einst zum Präsidenten kürte.

Nur ihr fühlt er sich offenbar verpflichtet. Nur von ihr lässt er sich vorschreiben, was er zu sagen hat. Daher lasst ihn reden über Gott und die Welt. Hört hin oder hört weg. Lacht lieber über zwei alte Herren, die in einer Kirche sitzen und sich 25 Jahre nach dem Fall der Mauer an einem intellektuellen Gespräch versuchen. Lasst sie einfach sitzen oder noch besser links liegen.


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Glosse: Bild blockiert Diäten-Erhöhung

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Überraschende Ankündigung dient offenbar der Verbesserung des angeschlagenen Images.

Das Boulevard-Blatt Bild blockiert die bereits durch den Bundestag beschlossene Diäten-Erhöhung. Wie das Gesicht der Zeitung Joachim Gauck (Yes, We Gauck) heute verkünden ließ, soll das Gesetz erst einmal nicht unterzeichnet werden. Bild erhofft sich dadurch eine Verbesserung des eigenen Images. Das hatte zuletzt unter dem Vorwurf der Kriegshetze arg gelitten.

Wie bei der Aufstellung der DFB-Auswahl, ist auch bei der Bezahlung von Abgeordneten die Zustimmung von Bild grundsätzlich erforderlich. Dabei bedient sich das Blatt eines bewährten Tricks, um von sich selbst abzulenken. “Spitzen-Juristen” im Bundespräsidialamt seien mit der Prüfung des Gesetzes beauftragt und hätten Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit geäußert. 

Konstruierte Gründe sind: Jede Diäten-Erhöhung müsse öffentlich beschlossen werden. Mit dem neuen Gesetz wäre das aber nicht mehr der Fall, da hier ein Automatismus zum Tragen komme, welcher sich an der Entwicklung der Löhne und Gehälter von Normalbürgern orientiere. Die “Spitzen-Juristen” haben aber noch ein weiteres Detail entdeckt, und zwar die grundgesetzlich verankerte Unabhängigkeit der Abgeordneten.

Die sei durch das Gesetz gefährdet, da es die bisherige Parlamentsordnung völlig auf den Kopf stellen würde. Jeder wisse schließlich, dass der Abgeordnete frei und unabhängig entscheiden können muss, wie das etwa beim Umgang mit Lobbyisten oder bei der Auswahl von Arbeitgebern, für die er Nebentätigkeiten ausübt, üblich ist.

Wie lange Bild die Blockade aufrecht erhalten will, ist noch unklar. Das hängt offenbar von der “genauen” Prüfung der “Spitzen-Juristen” ab, die bei anderen Gesetzen, wie beispielsweise dem Euro-Rettungsfonds ESM, dem Fiskalpakt oder der Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht erforderlich war. Dieses Gesetzespaket wollte Bild-Sprecher Gauck bereits unmittelbar nach Verabschiedung im Bundestag unterzeichnen, wurde seinerzeit aber vom Bundesverfassungsgericht, das mehrere Klagen prüfte, vorsorglich eingebremst.


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Frohe Weihnachten und machen Sie sich Gedanken

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Ich wünsche allen Lesern ein schönes Weihnachtsfest. Meiden Sie die Weihnachtspredigt des Bundespräsidenten, der doch lieber Pastor hätte bleiben sollen. Er hat einfach nicht das Format für jenes Amt, das er bekleidet, aber nicht ausfüllt. Format hat hingegen Edward Snowden. Ein Mann, der die Verfassung seines Landes ernst genommen und jenen zu Recht Verfassungsbruch vorgeworfen hat, die nun über ihn richten wollen. Auch er zieht Bilanz und sagt:

“The oath of allegiance is not an oath of secrecy,” he said. “That is an oath to the Constitution. That is the oath that I kept that Keith Alexander and James Clapper did not.”

Heißt soviel wie:

“’Der Treueeid ist kein Eid zur Geheimhaltung. Es ist ein Treueeid auf die Verfassung. Diesen Schwur habe ich eingehalten, Keith Alexander und James Clapper nicht.”

Starke und wahre Worte, die sich stellvertretend auch unsere Politiker-Mischpoke hinter ihre Löffel schreiben sollte. Und wir Menschen da draußen sollten die etwas ruhigeren Tage nutzen, um nachzudenken. Vielleicht über diesen Satz Snowdens.

“Because, remember, I didn’t want to change society. I wanted to give society a chance to determine if it should change itself.”

Heißt soviel wie:

“Bedenken Sie, Ich habe nicht die Gesellschaft ändern wollen. Ich wollte der Gesellschaft die Möglichkeit geben, selbst herauszufinden, ob sie sich ändern möchte.”


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Neoliberale Pfeifen können es nicht lassen

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Der Bundes-Gauck und zahlreiche Medien, wie etwa die Frankfurter Allgemeine bewundern Lettland, das demnächst gegen den Willen seiner eigenen Bevölkerung der Eurozone beitreten wird, für seine wirtschaftliche Entwicklung. Klaus-Dieter Frankenberger schreibt in der FAZ:

Die Nachricht ist deswegen vergleichsweise schön, weil zum Jahresbeginn ein Land den Euro einführen wird, das nach einem scharfen Wirtschaftseinbruch als Folge der Finanzkrise ein erfolgreiches Gesundungsprogramm absolviert hat, das also ein Beispiel dafür ist, dass die Kombination von strenger Haushaltsdisziplin und Wirtschaftsreformen durchaus funktioniert.

Dieses Wachstum stärkt, auch das ist eine nette Begleiterscheinung, die Fraktion derer, die solide Staatsfinanzen nicht für wachstumsfeindlich oder für eine deutsche Obsession halten.

So ähnlich hat sich auch der Bundespräsident auf seiner Reise durchs Baltikum ausgedrückt. Doch was ist dran an der Behauptung, Lettland habe ein erfolgreiches Gesundungsprogramm absolviert und Haushaltsdisziplin mit Reformen kombiniert? Lettland musste mit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 den stärksten Wirtschaftseinbruch aller EU-Staaten hinnehmen (-4,6 Prozent und –18 Prozent im Jahr 2009). Die Arbeitslosenquote stieg auf 21 Prozent. Es folgte ein radikales Kürzungsprogramm, das bei einigen hierzulande offenbar die Freudentränen in die Augen treibt. Rund 30 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurden entlassen und dem Rest das Gehalt um 40 Prozent gekürzt.

Ob so ein Gesundungsprogramm Herr Frankenberger von der FAZ auch akzeptieren würde? Er würde wohl auswandern und genau das taten auch rund 340.000 Letten. Das sind etwa 14 Prozent der Gesamtbevölkerung, die der baltische Staat seit dem Jahr 2000 verlor. Die Arbeitslosenrate sank also, weil die Menschen fluchtartig das Land verließen. Wären diese Menschen noch da, es gäbe nichts zu bejubeln für die neoliberalen Pfeifen aus der FAZ und dem Schloss Bellevue. Lettland gehört zwar zu den Staaten der EU, in denen die Wirtschaft am rasantesten wächst. Allerdings nimmt auch die Armut im Vergleich am schnellsten zu. Weit über 20 Prozent der lettischen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze oder müssen erhebliche materielle Einschränkungen in Kauf nehmen.

Die Behauptung, da hätte etwas funktioniert, stimmt auch aus ökonomischer Betrachtung nicht. Fakt ist, dass ein völlig normaler Aufholprozess der lettischen Wirtschaft nach dem Einbruch stattgefunden hat. In Deutschland war das auch zu beobachten. Dennoch ist das Vorkrisenniveau längst nicht erreicht. Preisbereinigt lag das lettische BIP 2012 um etwas mehr als 12 Prozent unter dem Wert von 2007. Die aktuellen Wachstumsraten haben sich wie in den anderen Ländern Europas ebenfalls verlangsamt. Das Niveau bleibt also niedrig und die Leistungsfähigkeit insgesamt ist von der volkswirtschaftlichen Entwicklung der europäischen Partner abhängig, die ihrerseits mit Austeriätsprogrammen geknechtet werden.

Bei näherer Betrachtung fällt weiterhin auf, dass der lettische Staat gänzlich auf eine progressive Einkommenssteuer verzichtet und stattdessen das lineare Modell einer flat tax bevorzugt und vor allem auch Unternehmen und Kapital aus dem Ausland günstige Rahmenbedingungen bietet, die zuletzt im Fall Zyperns noch verteufelt wurden. Das Steueraufkommen und damit die Staatseinnahmen sind mit 27 bis 28 Prozent vom BIP dementsprechend niedrig (EU-Schnitt: 38,4 Prozent). Insgesamt ist die Steuergesetzgebung des Landes äußerst fragwürdig und sollte gerade aus Stabilitätsgesichtspunkten verstärkt unter die Lupe genommen werden. Wie sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit Blick auf Zypern so schön? Deren Geschäftsmodell sei gescheitert. Nun, Lettland betreibt ein ähnliches Modell, doch hier scheint die Bewunderung mal wieder zu überwiegen.

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Nur noch ein Nischenprodukt

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Das Grundgesetz ist zum Schirmständer des ESM geworden. So karikiert Klaus Stuttmann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. In dieser Woche als Medien-Event angekündigt, entpuppt sich die alles-oder-nichts Entscheidung des BverfG bei genauerer Betrachtung doch als wenig spektakulär. Sicherlich dürfen jetzt nach oben hin begrenzte Mittel über den ESM an Staaten ausbezahlt werden. Doch welchen Sinn hat der begrenzte ESM überhaupt noch, wenn daneben die EZB damit droht, die Bazooka mit unbegrenzter Feuerkraft auszupacken? Hinter der Zentralbank verkommt der ESM zum reinen Nischenprodukt. Viel Lärm um Nichts, könnte man sagen.

Vielleicht will Bundesfinanzminister Schäuble ja deshalb gegen die EZB klagen, weil er um die Bedeutung eines hart erkämpften Mechanismus bangt, in dem die Bundesregierung noch das Sagen hat. Dabei will auch die EZB Staatsanleihen nur dann wirklich aufkaufen, wenn sich die Krisenländer an eine wie auch immer geartete Austeritätspolitik halten. Hier geht es doch nur um Spielchen, die den Wähler beeindrucken sollen. 

Man könnte ja auch zu der spannenden Frage kommen, wie ein verfassungskonformer Rettungsschirm mit Zahlungsverpflichtung zu einer ebenfalls verfassungskonformen Schuldenbremse passt. Die Antwort darauf liegt wie immer im Sozialetat, den zu kürzen bis jetzt noch jede Regierung als alternativlos betrachtet hat.

Das Grundproblem wird bei all dem Geschnatter über ESM und Fiskalpakt schlichtweg ausgeblendet. Wenn sich keiner an die vereinbarte Zielinflationsrate hält, funktioniert auch die Eurozone nicht. Wer Überschüsse für erstrebenswert und richtig hält, muss auch die Defizite der anderen akzeptieren. Doch der starre Blick auf nationale Haushalte und die Inlandsverschuldung, die, wenn man wollte, ja beherrschbar wäre, führt zu einer substanziellen Wahrnehmungsstörung.

Die Defizite der Krisenstaaten sind durch den Transfer von Auslandskapital ja überhaupt erst entstanden. Der freie Waren- und Kapitalverkehr gehört zu den Grundpfeilern der Europäischen Union. Innerhalb der Eurozone sind dann aber nicht nur die Kreditnehmer, sondern auch die Kreditgeber als Teil derselben Gleichung zu betrachten. Das ist sicher schlecht für deutsche Arbeitnehmer, denen jahrelang weisgemacht wurde, ihr Konsumverzicht hätte irgendeinen tieferen Sinn. Um die Illusion aber aufrecht zu erhalten, wonach ein Schuldschein mehr wert sei, als reale Waren und Güter, betreibt die Bundesregierung die größte Gläubigerrettungspolitik aller Zeiten.

Die Forderungen müssen ihren Wert behalten, damit der deutsche Michel am eingeschlagenen Irrweg ja nicht zweifelt und artig seinen Gürtel noch ein Stückchen enger schnallt. Immer in der Hoffnung, irgendwann einmal dafür belohnt zu werden. Bundespräsident Gauck faselte neulich bei starker Sonneneinstrahlung: „Wir stehen vor Unsicherheiten, aber nicht vor dem Abgrund“. Er kann das freilich behaupten, er stand ja nicht, sondern saß auf dem Podium.

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Einfach nur besser erklären?

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Die Posse um das Meldegesetz kommt zur rechten Zeit. Heute verhandeln die Bundesrichter in Karlsruhe über Eilanträge gegen den ESM und den Fiskalpakt. Ausgang offen. Gleichzeitig wird Bundespräsident Joachim Gauck vielbeachtet mit jenem Satz zitiert, der einst auch die Agenda 2010 rechtfertigte. Demnach müssten die politisch Verantwortlichen ihren Angriff auf Grundrechte und Verfassung einfach nur besser erklären. Für Gauck, der scheinbar selbstkritisch zugab, mit seinem wohlwollenden Urteil über die Finanzmarktpolitik der Bundesregierung etwas vorschnell gewesen zu sein, hält das Vorgehen der Regierung dem Grundsatz nach aber immer noch für richtig. Frau Merkel müsse ihr Handeln halt nur besser erklären.

Mit diesem präsidialen Auftrag versehen, wird dann auch niemand mehr darauf achten oder danach fragen, ob die Krisenpolitik überhaupt richtig ist. Deren Scheitern ist ja empirisch leichter zu belegen, als der Versuch Merkels Sprechblasen zu verstehen.

Mehr zu diesem Vorgang auf den NachDenkSeiten:

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Bild.de schaltet Anzeige

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Bild.de schaltet endlich die bereits erwartete Anzeige des Springer-Produkts Gauck. Die Gelegenheit beim Besuch des obersten Werbemaskottchens der Republik des Verlagshauses im nahen Osten war günstig. Ob die Eigen-PR-Kampagne nach der Schlagzeile, “Wer will unseren Papst stürzen”, zündet, wird sich wie immer an der Doofheit der deutschen Mittelschicht entscheiden, die auf den Konsum des Boulevardblattes noch weniger verzichten kann, als diejenigen, denen es immer vorgeworfen wird.  

Gauck rückt Wulffs Aussage zurecht

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