Zum TV-Dreikampf im Ersten – Wahlwerbung für die FDP

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Gestern Abend lief eine Wahlkampfsendung mit den Spitzen der drei Oppositionsparteien im deutschen Bundestag in der ARD. Moderatoren und Fragensteller waren Jörg Schönenborn vom WDR und Sigmund Gottlieb vom Bayerischen Rundfunk. Vorweg, ich habe in die Sendung hineingeschaltet und nicht alles von Anfang an gesehen. Dennoch sind mir einige Merkwürdigkeiten aufgefallen. Zunächst einmal zu Herrn Schönenborn, der für die ARD eigentlich Umfragen präsentiert und gestern wie erwartet als dummer Einfaltspinsel auffiel. Zum Beispiel stellte er die Rentenfrage. Und zwar wandte er sich an Jürgen Trittin mit der Frage, warum man vor dem Hintergrund der Einführung der Rente mit 67 nicht einfach sagen könne, da hätte jemand an die Zukunft gedacht. Künftige Generationen müssten nicht die Zeche zahlen. Zum Zweiten sagte Schönenborn wahrheitswidrig, in Sachen Abschaffung der Rente mit 67 seien sich alle Oppositionsparteien einig.

Die Neue Presse Hannover spricht heute auch von der einen Gemeinsamkeit in Bezug auf die Abschaffung der Rente mit 67. Ohne Umschweife, das ist versteckte Wahlwerbung für die FDP. Denn wenn man Guido Westerwelle genau zugehört hat, wird man vielleicht bemerkt haben, wie er seine Vorstellung einer gerechten Rente begründet. Im Sinne der Versicherungswirtschaft nämlich. Die Branche hat mittlerweile ja erkannt, dass sich Geringverdiener eine private Zusatzrente erstens nicht leisten können und zweitens nichts von ihr haben, da der Gesetzgeber die Privatrente im Alter mit der Grundsicherung verrechnet. Die Pointe mit der Riester-Rente hatten ja die Kollegen von Monitor 30 Jahre zu früh verraten. Und das ist sehr wichtig, um zu verstehen, warum Westerwelle einen geheuchelten sozialen Schwenk vollzieht und nunmehr für ein höheres Schonvermögen eintritt.

Das ist doch glasklar. Die Leute sollen weiter die Renditen der großen Versicherer und Finanzinstitute bezahlen und nicht auf die Idee kommen, dass ihnen die vielen Zusatz-Sinnlosversicherungen nichts weiter bringen als Kosten und Ärger. Logischerweise muss man dann auch der immer größer werdenden Gruppe von Arbeitslosen einen höheren Schonbetrag lassen. Denn Westerwelle will das Geld nicht für den Staat, sondern für die Finanzindustrie, als dessen Anwalt er in Wirklichkeit immer wieder auftritt. Ich fand es schade, dass Lafontaine dieses miese Drecksspiel nicht offen angesprochen hat, zumal er Herrn Schönenborn harsch anging, als dieser mit Zahlen vom Versicherungslobbyisten Raffelhüschen kam und wieder so tat, als seien die einer seriösen Forschung entsprungen. Auch daran können sie sehen, dass Schönenborn als Vertreter der Meinungsforschung im Fernsehen einfach untragbar ist.

Es ist unerträglich, wie sich Westerwelle als Vorkämpfer einer Mittelschicht inszeniert, aber in Wahrheit die Interessen der immer gleichen Klientel bedient. Das können sie in einigen Ärzte-Wartezimmern der Republik unter Umständen sehen. Die Partei eigene Initiative Ärzte empfehlen FDP – Und die FDP empfiehlt den Ärzten Infomaterial hat bereits Anklang gefunden und zahlreiche niedergelassene Ärzte pflastern ihre Wände und Türen in den Praxen mit dem FDP-Müll zu. Diese Klientel zum Beispiel würde von dem eiskalten Neoliberalismus profitieren. Wenn die Patienten mehr und mehr Rechnungen selbst bezahlen müssten, ließen sich traumhafte Renditen erzielen.

Gestern sagte Westerwelle entschlossen, mit der FDP in der Regierung höre die Gesundheitspolitik der Ulla Schmidt endlich auf. Das müssen sie als Drohung begreifen, auch wenn sie zu Recht mit der Arbeit von Ulla Schmidt unzufrieden waren. Die FDP begründet in ihrem Wahlprogramm auf Seite 6 die beabsichtigten Steuersenkungen nämlich so.

Unser einfacher und verständlicher Drei-Stufen-Tarif von 10, 25 und 35 Prozent senkt die Steuerbelastung und schafft den dringend benötigten finanziellen Spielraum für Bürger und Unternehmen: Für mehr privaten Konsum, für Vorsorge für Alter, Gesundheit und Pflege, als Impuls für Wachstum und Investitionen.

Das heißt ganz klar, dass das Gerede von mehr Netto vom Brutto nur dem einen Ziel dient. Sie sollen die durch den Staat und die gesetzliche Sozialversicherung künftig eingespaarten Kosten, gefälligst selber tragen und aus privater Tasche zahlen. Dafür werden schließlich Steuern und Abgaben gesenkt. So einfach ist das Weltbild der FDP. Glauben sie bitte ja nicht, dass sie mit einer privaten Absicherung von Gesundheitsrisiken billiger fahren, als unter dem Ordnungsprinzip einer Sozialversicherung und Solidargemeinschaft.

Es ist wirklich schade, dass keiner es vermag, den Westerwelle zu entzaubern und mit den harten Fakten und seiner Interessenverflechtung zu konfrontieren. Im Gegenteil: Die angeblichen Journalisten jagen lieber Oskar Lafontaine, um ihm dann noch dreist zu sagen, dass sie nicht bedauern würden, wenn der Chef der Linkspartei sich aus der Politik zurück zöge. Das geht doch nun überhaupt nicht. Dann hätte man statt Schönenborn und Gottlieb auch Kai Diekmann und Hugo Müller-Vogg hinstellen können.

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Ein lausiger Sonntagabend im Ersten, Zweiten, bei RTL und Sat.1

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Über die Kontrahenten im TV-Duell möchte ich mich eigentlich gar nicht äußern, sondern zunächst einmal die Frage stellen, warum auf der anderen Seite immer dieselben Kandidaten der vier großen TV-Anstalten stehen und zum Teil dämliche Fragen stellen. Peter Limbourg zum Beispiel. Nachdem Frau Merkel erklären durfte, warum sie gegen einen gesetzlichen Mindestlohn ist und gleichzeitig ihr Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, dass Frisörinnen im Osten zum Teil nicht hinnehmbare 3,50 Euro verdienen, fragte der hellwach wirkende Sat.1 Mann den Herausforderer doch glatt, wie er den möglichen Verlust von Arbeitsplätzen, wie eben in solchen Frisörbetrieben, verantworten könne.

Da hätte man am liebsten die erste Dose Ravioli in den Fernseher geschmissen. Offenbar scheinen einige Journalisten angesichts der Realtität in diesem Land, dass Arbeitnehmer zunehmend ausgebeutet werden und sittenwidrige Löhne hinzunehmen haben, nicht mehr klar denken zu können. Wie kann man aus der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn nur einen Vorwurf konstruieren, der gerade mit dem Wegfall von jenen Arbeitsplätzen begründet wird, die es in einer sozialen Marktwirtschaft eigentlich gar nicht geben dürfte? Warum fragen diese angeblichen Topjournalisten die verantwortliche Regierungschefin nicht nach deren Gesundheitszustand oder Weltbild, wenn diese zu einer solchen bedrückenden Wirklichkeit nur mit einer Floskel des Bedauerns antwortet, aber ansonsten mit dem Geplapper Vorfahrt für Arbeit punktet.

Oder nehmen sie Herrn Plaßberg, der Steinmeier beim Thema Gesundheit eine Falle stellte und sich dann diebisch darüber freute, als dieser hinein stolperte und von selbst das Thema Dienstwagen ansprach. Wirklich albern. Wer im ZDF die Nachberichterstattung gesehen hat, wird vielleicht die Schalte in ein Krankenhaus gesehen haben. Dort gab es dann von einer Ärztin einen konkreten Hinweis darauf, was man beim Thema Gesundheitspolitik dringend hätte ansprechen sollen. Nämlich die Einführung des betriebswirtschaftlichen Denkens und seine Folgen für die Gesundheitsversorgung. Hoch aktuell, wenn man sich die letzten Meldungen anschaut, wonach niedergelassene Ärzte Patienten gegen entsprechendes Schmiergeld in Krankenhäuser haben einweisen lassen. Die Reporterin vor Ort hat das natürlich nicht verstanden und sofort etwas vom lieben Geld gefaselt, um dass es ja immer gehen würde. Erbärmlich!

Oder nehmen sie abschließend Frau Illner vom ZDF, die bei ihren Fragen zum Teil länger sprach, als die Duellanten. Vielleicht könnte Herr Priol in der Anstalt die Redezeit von Frau Illner mal nachmessen und vielleicht ein Zimmer vorbereiten. Auch im Anschluss schwärmte die ZDF-Ikone über Belanglosigkeiten. Schrecklich! Doch am allerschärfsten war mal wieder das kollektive Versagen der Wahlforschung. Zunächst einmal hatte man erwartet, dass das Duell ein Straßenfeger würde. Heute wissen wir, dass sechs Millionen weniger zugeschaut haben, als beim letzten Mal.

Doch nun zu den Hardcore-Facts von infratest dimap, Forschungsgruppe Wahlen und Forsa. Frau Merkel sei syphatischer, kompetenter und noch irgendwas. Überall lag sie vor Steinmeier. Doch dann kam die Frage, wer insgesamt besser überzeugt habe und schwupps lag Steinmeier vorne. Keinem der Beteilligten war das suspekt oder keiner fragte einmal kritisch zurück, wie man denn zu solch unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann und ob da vielleicht etwas mit den Fragen oder der Methode nicht stimme. Eine zweite Lachnummer war die Frage nach richtigem Duell oder sachlicher Diskussion. Zwei Prozent empfanden das Gesehene als richtiges Duell. Eine tendenziöse Frage, die man sich angesichts der tendenziösen Berichterstattung im Vorfeld hätte sparen können, wie die komplette Veranstaltung überhaupt.

Aber das war ja allen auch klar, wie im Nachhinein auf sämtlichen Kanälen enttäuschend festgestellt wurde. Besonders bemerkenswert fand ich dann noch Helmut Markworts Statement im ZDF, dass die Schreibenden, also unter anderem auch er, angesichts der kaum feststellbaren Unterschiede, ja ohnehin dazu beitragen, die Menschen zu beeinflussen. Danach war bei mir Schluss. Aus Anne Will im Ersten habe ich jetzt nichts behalten, außer die schiefe Brille auf der Nase von Günther Jauch.

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Nachtrag zur angeblichen Stabilisierung der deutschen Wirtschaft

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Wie sie vielleicht gestern in den Nachrichten gehört haben, gibt es aus dem Schlüsselindustriezweig Maschinenbau sehr schlechte Nachrichten. Ein massiver Stellenabbau drohe, weil die Auftragseingänge dramatisch zurückgegangen seien. Im Juli brachen den zehnten Monat in Folge die Aufträge weg – minus 43 Prozent, so der Branchenverband VDMA. Die Maschinenbauer waren bisher vor allem vom Export abhängig. Die Auslandsnachfrage bleibt aber weiterhin aus. Aus diesem Grund müssten mehr Stellen gestrichen werden. Bis Ende des Jahres könnten es dann 42.000 Jobs sein.

Gegen diese erschreckende Prognose müssen sie jetzt das Geschwafel von zu Guttenberg, Merkel und Steinbrück setzen, die in einer geringfügigen Erholung der Konjunktur bereits eine erfreuliche Trendwende sehen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen dabei weit auseinander. An den Daten der Maschinenbauer können sie nun nachvollziehen, wie dramatisch sich der vorangegangene konjunkturelle Einbruch um über sechs Prozent real auswirkt. Ohne Nachfrage, braucht es auch keine Produktion. Im Ergebnis bedeutet das dann Arbeitsplatzabbau. Die zuletzt festgestellte geringfügige Erholung der deutschen Wirtschaft reicht demnach überhaupt nicht aus, die bereits vorhandenen Kapazitäten auszulasten.

Wenn man das aber nun vorher wissen kann, warum tut man dann nichts gegen das sich abzeichnende Desaster? Peer Steinbrück bewies zuletzt mal wieder, dass er mit volkswirtschaftlichen Denken nicht viel anfangen will oder kann. In einem Papier an die Finanzminister und Zentralbankchefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) setzt sich der deutsche Finanzminister dafür ein, staatliche Konjunkturhilfen möglichst bald wieder einzustellen, um einer möglichen Inflationsgefahr vorzubeugen. Der hat vielleicht Sorgen, möchte man da meinen. Während Tausende Jobs flöten gehen, sieht unsere Regierung teilnahmslos zu und warnt stattdessen vor einem Inflationsphantom.

Dabei hieß es doch bei Frau Merkel, dass die Exportindustrie für das Land äußerst wichtig sei. Nur warum hilft man dann den Maschinenbauern zum Beispiel nicht mit einer aktiven Konjunkturpolitik? Weil man von staatlichen Hilfen, die nicht gerade für den Finanzsektor bestimmt sind, nun einmal nichts hält. In der realen Wirtschaft soll der Aufschwung vor allem durch weitere Konstensenkungen und eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden. Das müssen sie sich an dieser Stelle mal vorstellen. Die Logik heißt, man muss den Preis für eine Ware nur immer weiter senken und das Angebot wird schon irgendwie geräumt. Solange müssten die Beschäftigten halt in den sauren Apfel beißen und es hinnehmen, dass Löhne gekürzt und Arbeit weiter flexibilisiert würde.

Das können sie auch so im Wahlprogramm der FDP nachlesen oder im zu Guttenberg Papier der Union. Die Tatsache aber, dass der weltweite Nachfrageeinbruch auch damit zu tun haben könnte, dass sich riesige außenwirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen stark exportierenden Volkswirtschaften wie Deutschland und stark importierenden Staaten wie den USA aufgetürmt haben, findet im Denken unerer bornierten Regierungsmannschaft keinen Platz. Dort zählt nur das sture „Weiter so“. Dogmatisches Denken eben. Und regelrecht albern wird es, wenn Dogmatiker Wahlkampf betreiben.

Frank Walter Steinmeier, Kanzlerkandidat der SPD und Architekt der Agenda 2010, deren Umsetzung er nach wie vor für richtig und wichtig hält und damit zum Beispiel auch die Ausweitung der Leiharbeit (Hartz I), darf im Interview gegen ein drohendes schwarz-gelbes Bündnis Folgendes sagen:

„Schwarz-Gelb würde den Kündigungsschutz schleifen, die Leiharbeit ausweiten, die Unternehmenssteuer senken und die Mehrwertsteuer erhöhen. Eine Regierung Merkel/Westerwelle würde soziale Kälte für unser Land bedeuten und die soziale Balance, die unser Land stark gemacht hat, zerstören.“

Diese von Steinmeier beschriebene soziale Kälte hat unter seiner aktiven Mitwirkung bereits längst Einzug gehalten. Man müsste CDU und FDP eigentlich in Schutz nehmen, wenn man nicht genau wüsste, dass die Hartz-Gesetze im Vermittlungsausschuss unter Beteiligung von CDU und FDP ausgehandelt und schließlich beschlossen worden waren. Steinmeier liefert also nicht mal eine gute Show, sondern abscheuliches Theater auf dem Rücken der Menschen, die nichts dafür können, dass sie ihren Job verlieren, keinen neuen mehr finden und unter der Androhung eines Sanktionsapparates eingeschüchtert werden.

Auf der anderen Seite darf ein Manager, wie Karl-Gerhard Eick, Ex Arcandor-Vorstand, der gerade mal ein halbes Jahr im Amt war und nicht mehr als die Insolvenz eines riesigen Unternehmens in seiner Bilanz stehen hat, dennoch 15 Millionen Euro Abfindung abgreifen und sich noch als edlen Spender feiern lassen, während die rund 45.000 Beschäftigten des Konzerns einer ungewissen Zukunft entgegen sehen. Versteht man das etwa unter einer „geordneten Insolvenz“, lieber Herr zu Guttenberg und liebe Medienleute?

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Die SPD außer Rand und Band

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Können sie sich noch an die derbe Wählerkritik von Müntefering erinnern? Im Juni 2009 warf er den Bürgern vor, sich nicht genügend zu engagieren. Gezeichnet von dem schlechten Ergebnis der SPD bei den Wahlen zum Europäischen Parlament sagte Müntefering in der Welt am Sonntag…

„Es gibt ein Gefühl bei manchen, dass derjenige, der nicht handelt, mit dem, was passiert, nichts zu tun hat. Aber das ist nicht so. Wer nicht handelt, ist genauso verantwortlich.“

Seit Sonntag können wir nun sehen, wie die Wähler handeln und dennoch nichts passiert. In Thüringen und im Saarland gab es die Aussicht auf eine machtpolitische Option, die eine Alternative zum „Weiter so“ darstellte. Die Wahlbeteiligung stieg. Mehr Menschen gingen zu beiden Wahlen und die vorliegenden Ergebnisse deuten klar auf eine Wechselstimmung hin. Doch wie von mir bereits vermutet, wird es damit nichts.

Bereits unmittelbar nach den Wahlen wurde deutlich, dass die SPD an der Durchsetzung der propagierten inhaltlichen Wende gar nicht interessiert ist. In Thüringen konnte man das an dem SPD-Spitzenkandidaten Matschie sehr schön studieren. Dieser hatte noch einmal bekräftigt, sich an das halten zu wollen, was er vor der Wahl versprochen habe. Die SPD-Führung in Berlin reklamierte sogar den Posten des Regierungschefs für den unterlegenen Matschie mit der absurden Begründung, dieser hätte ja vor der Wahl gesagt, den Spitzenkandidaten der Linken nicht zu wählen.

Nun ist Althaus zurückgetreten und eine wesentliche Bedingung der SPD erfüllt (Abwahl des „System Althaus“), um nun doch eine große Koalition schmieden zu können. Sie können also wählen, was sie wollen, sie bekommen im günstigsten Falle immer eine Große Koalition. Das ist auch die eigentliche Botschaft des SPD-Wahlkampfes, der an Absurdität kaum noch zu überbieten ist. Da freut sich ein Kanzlerkandidat darüber, schwarz-gelbe Bündnisse verhindert zu haben, um dann als Alternative die offiziell nicht gewollte Große Koalition den Wählern zu präsentieren.

Wieso wundert sich Müntefering eigentlich darüber, dass die Menschen nicht mehr wählen gehen, wenn das Wählervotum derart verzerrt wird. Gestern konnte man das Theater noch einmal bei „Hart aber Fair“ im Ersten sehen. Eine Sendung übrigens, die immer alberner und überflüssiger wird. Sigmar Gabriel und Renate Künast versuchten die Abgrenzung zur Linkspartei auf Bundesebene wie erwartet damit zu erklären, dass die Partei Militäreinsätze und den EU-Reformvertrag ablehne. Deshalb sei grundsätzlich keine Zusammenarbeit möglich. Lafontaine stimmte dieser Sicht zu, konnte die Haltung seiner Partei aber auch nachvollziehbar begründen, während Gabriel einen riesigen Erklärugsbogen bis hin zu Hitler und Stalin schlug, um Militäreinsätze zu rechtfertigen.

Er verglich das alliierte Vorgehen gegen Nazi-Deutschland mit den aktuellen Einsätzen der Bundeswehr im Anti-Terrorkampf. Eine infame Entgleisung, die vom Moderator und den Medien mal wieder unbeachtet blieb. Als nächstes kommt noch die verteidigende Begründung, wir müssten Kriege halt deshalb führen, um einen neuen Hitler zu vermeiden, als Lehre aus der Geschichte sozusagen. Es ist nicht mehr zu verstehen, was im Augenblick mit der SPD los ist. Lesen sie dazu einen Erklärungsansatz von Albrecht Müller auf den NachDenkSeiten mit der These: SPD-Spitze arbeitet für andere. In meinen Augen gar nicht so abwegig.

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Wahlnachlese

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Eine schöne Analyse der drei Landtagswahlen finden sie wie immer auf den NachDenkSeiten. Wolfgang Lieb begründet anhand der Ergebnisse einmal mehr die These, dass eine höhere Wahlbeteiligung nur dann erreicht werden kann, wenn auch politische Alternativen im Vorfeld angeboten werden.

„Die unterschiedlichen Wahlbeteiligungen sind ein Beleg für die These, dass die Wählerinnen und Wähler sich überall dort, wo sie eine realistische Chance für einen Politikwechsel sehen, mobilisieren lassen und vermehrt zur Wahlurne gehen.“

In Sachsen zum Beispiel gab es diese Alternative nicht. Die SPD dort ruhte sich auf der bisherigen Regierungsbeteiligung aus und fuhr eine Kampagne gegen schwarz-gelb. Selbst bot man aber nichts an, wie im übrigen auch die Bundes-SPD, die einen ähnlichen Wahlkampf betreibt, wie die SPD in Sachsen. Die Wahlbeteiligung sank demnach auch um sieben Prozent auf einen historischen Tiefstand von 52,2 Prozent.

Infolge dessen ist es auch nicht verwunderlich wenn die NPD abermals flächendeckend über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Denn je weniger Menschen zur Wahl gehen, desto höher schlägt sich der Stimmenanteil für die NPD im Endergebnis nieder. Auch darüber sollte die Wahlkampfführung der SPD in Sachsen einmal nachdenken. Schwarz-gelb nicht verhindert und der NPD zum Wiedereinzug verholfen – tolle Bilanz. An Sachsen kann man auch sehr schön sehen, wie es für Herrn Matschie in Thüringen enden kann, wenn er die Wähler nun betrügen sollte und Althaus zum Ministerpräsidenten wählt. In den Medien wird die Große Koalition für Thüringen bereits unter dem Stichwort „Ypsilanti-Falle“ ins Spiel gebracht.

Gestern habe ich ja schon den absurden Auftritt von Matschie zu beschreiben versucht, als ihm die Frage nach einem rot-roten Bündnis wieder und wieder gestellt wurde. Matschie betonte jedesmal, dass er das macht, was er vor der Wahl gesagt hat. Er will seine Inhalte umsetzen, die deckungsgleich zu jenen von Linkspartei und Grünen sind, aber keinen Ministerpräsidenten aus der Linkspartei wählen. So eine strategisch bornierte Haltung kapiert kein Mensch. Dennoch erklären Politikwissenschaftler wie Peter Lösche diese beknackte Ausgangslage so:

„Es kommt sehr auf die Koalitionsfindung in Thüringen an: Dort darf die SPD nicht in die Ypsilanti-Falle hineinlaufen. Eine Zusammenarbeit mit der Linken, ohne den Ministerpräsidenten zu stellen, hat die SPD dort ausgeschlossen. Ein Wortbruch wie in Hessen wäre schädlich für Frank-Walter Steinmeier.

Schon wieder das Wortbruch-Gerede. Anstatt zu fragen, warum die SPD sich überhaupt solche Fußfesseln anlegen muss, wenn man gleichzeitig eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht mehr ausschließt, konstruiert der Wissenschaftler nun wieder eine Tugend aus dem bloßen Einhalten eines Versprechens, das in der Konsequenz die Umsetzung der inhaltlichen Ziele von SPD und Grünen gefährdet. Und damit auch die Option einer politischen Alternative. Laut Lösche würde ein absehbarer Verlust an Glaubwürdigkeit allein aus der Tatsache des Wortbruches entstehen, nicht aber daraus, dass die SPD wie auch die Grünen abermals ein Zustandekommen einer politischen Alternative verhindern, weil personelle Fragen wichtiger sind als inhaltliche.

Wolfgang Lieb ordnet übrigens die gestrigen Jubelschreie im Willy Brand Haus ähnlich ein wie ich:

„Die Beschönigung von Wahlergebnissen durch Müntefering und Steinmeier ist man seit der endlosen Kette von Wahlniederlagen inzwischen gewöhnt, der Jubel in der SPD-Parteizentrale über den gestrigen Wahlausgang kann angesichts der Fakten nur noch aus Wahnvorstellungen gespeist sein. Man feiert die Verluste der Union so, als habe man davon profitiert, und man verdrängt offenbar, dass man selbst nicht aus dem Tief herauskommt.

Offenbar ist das einzige Wahlziel der SPD nur noch die Verhinderung von Schwarz-Gelb. „Schwarz-Gelb ist in Deutschland nicht gewollt“ posaunt Steinmeier hinaus und will daraus Honig saugen. Er unterschlägt dabei allerdings, dass eine Große Koalition aus CDU und SPD nach allen Umfragen noch viel weniger gewollt ist.“

So steht dann auch abschließend zu befürchten, dass die Bundes-SPD aus ihren wahnhaften Zustand nicht mehr erwachen wird. Die Bundestagswahl wird unter dem Eindruck der Alternativlosigkeit stattfinden. Denn jeder Mensch bei klarem Verstand weiß, dass die SPD ohne die linke Option nur die Große Koalition erreichen kann und das auch so will. Steinmeier spielt auf Platz, weil er die Linke auf Bundesebene nicht für koalitionsfähig hält. Unter anderem begründet die SPD-Führung das ja mit dem Nein der Linken zu Kriegseinsätzen und der Ablehnung des EU-Reformvertrags.

Wenn ihnen, liebe Leserinnen und Leser ein SPD-Wahlkämpfer mit dieser Begründung kommt, fragen sie ihn doch mal, was die Ablehnung von Kriegseinsätzen und des EU-Reformvertrages beispielsweise mit der Durchsetzung des Mindestlohnes zu tun hat. Den will die SPD doch unbedingt haben. Dafür bräuchte es aber keinen Koalitionsvertrag mit der Linkspartei, sondern einfach nur die Zustimmung der aktuellen Parlamentsmehrheit in den verbleibenden vier Wochen der Legislaturperiode. Mit der CDU wird es keinen Mindestlohn geben, sondern wie die SPD richtig auf ihren Wahlplakaten schreibt – Dumpinglöhne würden CDU wählen.

Warum, also zum Teufel, verabschiedet man keinen Mindestlohn im Bundestag? Es kann der SPD doch nun egal sein, ob sie Koalitionsbruch begeht und ein Gesetz beschließen, dass rund 70 Prozent der Bevölkerung wollen. Eine solche günstige Mehrheit für ihr Programm kriegen sie doch nie wieder…

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Die wahren Wendehälse

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Während sich das ZDF im Sommerinterview an Oskar Lafontaine und seinem Rücktritt 1999 abarbeitet, statt nüchtern festzustellen, dass seine damaligen Positionen auch die heutigen sind, hat Sebastian Dullien von der Frankfurter Rundschau einmal untersucht, wer vor der Krise am lautesten nach Deregulierung schrie. Dazu hat der Autor einen Index erstellt. Das Ergebnis ist nicht weiter überraschend. Leider schlägt sich das nicht in den Umfrageergebnissen nieder. Da dominieren genau jene Gestalten, die vor dem Crash jenen Rezepten das Wort geredet haben, die heute öffentlich verurteilt werden.

Selten hat sich ein Sinneswandel so schnell vollzogen: Nicht einmal vier Jahre ist es her, dass viele Politiker in Deutschland gar nicht rasch genug den staatlichen Einfluss über die Wirtschaft abbauen wollten.
Noch im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2005 schrieb die CDU/CSU: „Wir entschlacken die Vorschriften zum Kreditwesengesetz und führen die bestehende Überregulierung bei der Bankenaufsicht auf das notwendige Maß zurück.“

Das können sie übrigens auch im aktuellen Koalitionsvertrag nachlesen. Auf der Seite 86 f. finden sie unter dem Punkt „3. Finanzmarktpolitik“ folgende Passagen:

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum ist ein international wettbewerbsfähiger „Finanzplatz Deutschland“. Er ist die Grundlage für effiziente Finanzdienstleistungen für den Verbraucher und eine gute sowie kostengünstige Kapitalversorgung der Wirtschaft. Der deutsche Finanzmarkt besitzt ein großes Potential, das unter Beachtung der ständigen Fortentwicklung der globalen Finanzmärkte in der kommenden Legislaturperiode weiter ausgebaut werden soll. Dazu wollen wir:
[…]
Überflüssige Regulierungen abbauen. Dazu werden wir eine interministerielle Arbeitsgruppe einrichten, die im Dialog mit Markteilnehmern ein „Möglichkeitspapier“ zum Bürokratieabbau im Finanzsektor vorlegen soll. Bestehende Gesetze, Verordnungen und sonstige Regulierungen sind darauf zu überprüfen, ob sie ihr Ziel kostengünstig erreichen oder noch erforderlich sind. Als Startprojekt bietet sich die anstehende Novelle des Investmentgesetzes an.

Aber heute behauptet jeder Politiker, schon immer gewusst zu haben, dass der Finanzsektor deutlich mehr Regulierung und staatliche Aufsicht brauche. Die Studie von Dullien klärt auf:

„Für die Studie wurden dazu Reden, Gastbeiträge und Interviews führender Wirtschaftspolitiker in 34 tonangebenden deutschen Tages- und Wirtschaftsmedien ausgewertet. Aus diesen Daten wurde ein Index errechnet, der angibt, wie deutlich sich eine Persönlichkeit für Deregulierung stark gemacht hat.

Ein Wert von 100 Prozent bedeutet, dass der entsprechende Politiker sich in allen untersuchten Themenfeldern für einen Rückbau des Staates ausgesprochen hat, ein Wert von null, dass er bei keiner der untersuchten Fragen für weniger Staat plädierte.“

Nun raten sie mal, wer nach dieser Messung einen Wert von „Null“ erreicht? Richtig, Oskar Lafontaine. Und wer steht ganz oben? Guido Westerwelle mit einem Wert von 100 Prozent. Dahinter reiht sich die gesamte schwarz-gelbe Garde. Erschreckend auch, dass Deutschlands Ökonomen im Schnitt bei 92 Prozent landen. Kein Wunder also, dass es ein breites Bündnis aus Deregulierungsverfechtern geben musste. Fazit:

„Werte in der Größenordnung von 100 Prozent oder knapp darunter sind bedenklich, weil sie darauf hindeuten, dass in allen Politikfeldern weniger Staat gefordert wurde. Da wir heute wissen, dass zumindest auf den Finanzmärkten etwas mehr Regeln wohl besser gewesen wären, deutet dies auf ein gewisses pauschales „Deregulierungs-Vorurteil“ der Experten hin.“

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Angebliche Erholung der deutschen Industrie

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Auftragseingänge steigen um 4,4 Prozent

Deutsche Industrie erholt sich

Mit dem größten Auftragsplus seit fast zwei Jahren nährt die deutsche Industrie die Hoffnung auf ein Ende der Rezession. Die Firmen verbuchten im Mai 4,4 Prozent mehr Bestellungen als im April.

„Die Aussichten auf eine breiter angelegte Stabilisierung der Industrieproduktion haben sich damit gefestigt“, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit.

Quelle: Tagesschau

Diese Meldung ist absolut nicht zu verstehen. Entweder haben die Journalisten sich bereitwillig täuschen lassen oder schlicht die Daten des statistischen Bundesamtes nicht richtig verstanden. Dabei liefern die zu ihrer Jubelmeldung die Grafik über den dramatischen Verlauf der Auftragseingänge doch mit.

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Vergessen scheint schon wieder der katastrophale Einbruch Ende letzten Jahres und zu Beginn 2009. Um 20 Prozent brach der Umsatz im verarbeitenden Gewerbe ein, wie das Statistische Bundesamt am 13. März 2009 mitteilte. Die Auftragseingänge in der Industrie gingen ebenfalls sehr dramatisch zurück und landeten auf dem Niveau des Jahres 2000. In der Tabelle der Bundesbank zu den Konjunkturindikatoren finden sie eine umfassende Darstellung der Entwicklung der Auftragseingänge. Sie sagt mehr über die reale Welt aus, als die Nachrichten uns weismachen wollen.

Allein im ersten Quartal 2009 sanken die Auftragseingänge zum Vergleichsvolumen 2005 auf rund 81 Prozent. Im zweiten Quartal 2008 waren es noch 123,1 Prozent, im vierten Quartal 2008 schon 96,3 Prozent. Gemessen an der Produktivitätssteigerung wirkt dieser Einbruch bei den Auftragseingängen verheerend. Denn eine Stagnation bzw. der Rückgang von Nachfrage hat unweigerlich einen Investitionsstopp zur Folge und viele Arbeitsplätze werden schlicht überflüssig, da weniger produziert wird.

Mir bleibt es nun aber ein Rätsel, wie man von einem Anstieg der Bestellungen um 4,4 Prozent jetzt schon von einer Erholung sprechen kann. Das ist doch schlichte Volksverdummung. Nach wie vor sind Arbeitsplätze bedroht, weil der Absturz zu Beginn des Jahres einfach zu tief war und die Güternachfrage immer noch viel zu gering ist. Der enorme Anstieg der Kurzarbeit zeigt das beispielhaft. Es ist auch kaum anzunehmen, dass sich das ändert. Von einer Trendwende kann überhaupt nicht die Rede sein.

In dem Anstieg zeigt sich nämlich vor allem ein Effekt. Die Wirkung eines Sonderkonjunkturprogramms für die Autoindustrie. Das sollte man unbedingt betonen, wenn nun genau jene Leute, die immer die Unsinnigkeit staatlicher Konjunkturprogramme herausgestrichen haben, aktuell mit den obigen Daten die Wende verkünden und feiern. Wenn es nämlich so ist, dass ein einzelnes branchenspezifisches Konjunkturprogramm zu einer Verbesserung der Auftragslage beiträgt und damit auch zu einer Verbesserung der Nachfragesituation insgesamt, wieso verschließt man sich dann eigentlich vor einem viel deutlicherem konjunkturellen Impuls, wie ihn etwa der DGB fordert? Diese Frage sollten die berichtenden Kollegen mal dem grinsend dreinblickenden Wirtschaftsminister Freigeist zu Guttenberg stellen. Der hält weitere staatliche Konjunkturprogramme ja nach wie vor für unangebracht.

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Das Grundgesetz ist passé

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Nach 60 Jahren ist das Grundgesetz dejure nicht mehr unsere Verfassung – zumindest würde ich das jetzt so sehen. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben in ihrem heutigen Urteil über die Vereinbarkeit des EU-Reformvertrages mit dem Grundgesetz keinen Widerspruch erhoben. Der so genannte Lissabon-Vertrag ist demnach mit dem Grundgesetz vereinbar. Damit beschneidet das oberste deutsche Gericht auch die eigene Stellung. Der EuGH urteilt nun als letzte Instanz auf Grundlage des EU-Vertrages. Denn der Vorrang von EU-Recht vor den Verfassungen der Mitgliedsstaaten ist Bestandteil dieses Vertrages.

Im Augenblick titeln zahlreiche Medien irreführend mit Stopp des Ratififzierungsprozesses. Dabei geht es nur um eine kleine Korrektur hinsichtlich der Mitspracherechte von Bundestag und Bundesrat. Danach darf der Ratifizierungsprozess abgeschlossen werden. Die Große Koalition hat diesbezüglich bereits ein schnelles Vorgehen angekündigt. Ausgerechnet an meinem Geburtstag, dem 8. September, wollen die Flachpfeifen im Bundestag über die Änderung des Begleitgesetzes abstimmen. Das wird sicherlich ein trauriger Tag. Auch weil man mal wieder feststellen muss, dass ein Gesetz zügig durchgepeitscht werden kann, auch ohne das gängige Abspulen nerviger Klagelieder, wie das von der Sommerpause zum Beispiel. Man fühlt sich da an das Ermächtigungsgesetz für Steinbrück im letzten Jahr erinnert, das ihm erlaubt, über Milliarden von Steuergeldern frei verfügen zu dürfen, ohne dem Parlament und der Öffentlichkeit dabei Rechenschaft ablegen zu müssen.

Doch warum ist dieses Urteil von heute so problematisch? Man kann ja durchaus die Auffassung vertreten, eine EU-Verfassung sei vom Grundgedanken her gar nicht so verkehrt. Das stimmt auch. Nur kennt kaum jemand diesen speziellen Vertrag, der eigentlich aus zweien besteht (EUV und AEUV) sowie deren Protokolle und endlosen Anhänge mit langen Paragraphen und Fußnoten. Schon allein die bloße Umbenennung der beim abstimmenden Wahlvolk kläglich gescheiterten EU-Verfassung in „Lissabon-Vertrag“ oder „EU-Reformvertrag“ und die anschließende Promotiontour von Frau Merkel, die so tat, als hätte sie etwas Neues anzubieten, sollte endlich einmal aufgearbeitet werden. Welche Interessen stecken hinter diesen Bemühungen?

Warum werden Transparenz und demokratische Kontrolle so erschwert? Warum thematisiert man nicht die widersprüchliche Struktur des Vertrages? Wieso werden die Grundrechte nachrangig behandelt? Warum widersprechen sich Artikel und zusätzliche Erläuterungen? Zum Beispiel Artikel 2, Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union:

Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

In dem anhängenden Zusatzprotokoll steht dann aber Folgendes:

Die Bestimmungen des Artikels 2 der Charta entsprechen den Bestimmungen der genannten Artikel der EMRK (Europäischen Menschenrechtskonvention, Anm. d. Verf.) und des Zusatzprotokolls. Sie haben nach Artikel 52 Absatz 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite. So müssen die in der EMRK enthaltenen „Negativdefinitionen“ auch als Teil der Charta betrachtet werden:

a) a) Artikel 2 Absatz 2 EMRK:

„Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um
[…]

c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen“.

b) b) Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK:

„Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; diese Strafe darf nur in den Fällen, die im Recht vorgesehen sind, und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewendet werden …“.

Das ist ein krasser Widerspruch! Hier können sie nachvollziehen, wie Grundrechte ausgehölt und für unverbindlich erklärt werden, indem man die Regelungen versteckt und die Öffentlichkeit so darüber täuscht. Warum tut man das? Misstraut man seinen Bürgern? Wieso toleriert das Bundesverfassungsgericht solche grundsätzlichen Widersprüche bei den Grundrechten? Nach Art. 23, Abs. 1, Satz 1 Grundgesetz verpflichtet sich Deutschland, Mitglied in einer Europäischen Union zu sein, deren Menschenrechtsschutz dem des Grundgesetzes vergleichbar ist. Die obige Regelung spricht klar dagegen. Oder messen die Verfassungshüter dem Wort „vergleichbar“ eine besondere Deutungsvielfalt zu? Am Ende scheint es so wie immer. Das Grundgesetz schwindet unter dem Einfluss der Interessen. Das war schon bei der Kirchensteuer so und ist eben heute, wenn es um die ganze Verfassung geht auch so.

Die zahlreichen Zusatzprotokolle, Sonderregelungen und Erklärungen belegen jedenfalls, dass es in der EU kaum Einigung gibt. Worüber man sich offensichtlich aber sehr einig ist, ist die wirtschaftsliberale Ausrichtung. Wettbewerbsfähigkeit und militärische Aufrüstung stehen konkret im Vertrag. Ein Amt für Rüstung unter dem tollen Namen „Europäische Verteidigungsagentur“ arbeitet ja bereits. Die Verflechtung mit dem Militärbündnis NATO ist besiegelt. Wollen die EU-Bürger das eigentlich? Haben sie überhaupt jene Gestalten gewählt, die im Verfassungskonvent die Verträge ausgearbeitet haben? Haben sie, liebe Leserinen und Leser, jemals einen Stimmzettel zu Gesicht bekommen, auf dem der Name Roman Herzog stand, der für Deutschland in den Konvent entsandt wurde, um die EU-Charta auszuhandeln?

Demokratische Entwicklungen und Legitimationen sehen anders aus. Kein Wunder, dass der Bundeshorst oder Christian Wulff plötzlich medienwirksam mehr direkte Demokratie in Deutschland fordern. Das hat ja einen Grund. Sie wollen nicht mehr Demokratie wagen, sondern es nur so aussehen lassen. Denn mit dem EU-Reformvertrag können die Nationalstaaten so viel direkte Demokratie praktizieren, wie sie wollen. Das letzte Wort hat Brüssel!

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Die alten bekloppten Rechnungen

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Wie von mir prognostiziert, kommen angesichts der katastrophalen Haushaltslage unsere Qualitätsjournalisten um die Ecke gebogen und beklagen sich nun darüber, dass vor der Krise die Haushalte nicht Ordnung gebracht worden seien. Die Neue Presse Hannover lässt heute zwei widersprüchliche Kommentare des Berliner PR-Büros Slangen+Herholz zu, zu denen ich auch aus dem Urlaub Stellung nehmen möchte. Christoph Slangen pickt sich die gesetzliche Krankenversicherung heraus und beschwert sich über die Ankündigung mehrerer Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben zu wollen. Slangen rechnet seinen Lesern mal wieder etwas vor:

“Richtig ist, dass es irgendwann in der Zukunft zu Zusatzbeiträgen kommen wird, die die Versicherten neben ihrem Beitrag aus eigener Tasche werden zahlen müssen – so ist der Gesundheitsfonds angelegt, falls eine Kasse die Ausgaben nicht im Griff hat. Doch aktuell gilt: Ab 1. Juli wird der Krankenversicherungsbeitrag aus Staatsmitteln um 0,6 Prozent auf 14,9 gesenkt, als Instrument gegen die Krise. Dass die Krise Einnahmen kostet, ist erst einmal falsch. Denn was fehlt, wird durch Steuergelder ausgeglichen.“

Wenn die Krankenkasse also in Geldnöten steckt, dann hat sie nach Slangens krankhafter Wahnvorstellung folgend immer ihre Ausgaben nicht im Griff. Aha. Da können sie mal sehen, wie dieser Vogel denkt. In seiner Logik ist dann auch klar, dass eine Krise nie Einnahmen kostet, weil der Staat ja ausgleicht. Woher dieses Geld stammt, ist dem Slangen natürlich Wurscht. Und was eine Wirtschaftskrise mit einem Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts um sechs Prozent vor allem für die Einnahmesituation der gesetzlichen Sozialversicherung bedeutet auch. Darum kümmert sich sein Kollege im Nachbarkommentar Rasmus Buchsteiner. Der beklagt sich darüber, dass die Krise nie und nimmer allein schuld daran ist, dass die Haushaltslage des Bundes so beschissen aussieht. Nein, das alte Dogma muss Recht behalten, wonach die Regierung nicht richtig spart.

“Doch müssen sich die Protagonisten der Großen Koalition schon fragen lassen, warum sie vor Ausbruch der Krise nicht konsequenter an der Sanierung der Staatsfinanzen gearbeitet haben. Und weil in guten Zeiten die Beiträge gesenkt wurden und deshalb versäumt wurde, ein dickeres Polster anzulegen, wird der Steuerzahler schon bald wieder bei der Bundesagentur für Arbeit einspringen müssen. Unter dem Strich fällt die Haushaltslage weit schlechter aus als zu Anfang der Großen Koalition.“

Das ist nun sehr interessant. Während der eine Volldepp uns erklären will, dass eine Absenkung von Sozialversicherungsbeiträgen keine Einnahmeausfälle der Träger zur Folge hätten, weil ja der Staat mit Steuermitteln einspringt, will uns der andere Idiot mit Presseausweis ängstigen, dass der Staat mit seinem Eingreifen aufgrund der Absenkung von Beiträgen an der Ruinierung der Staatsfinanzen zu Lasten der Steuerzahler kräftig mitwirkt. Das ist übrigens eine erstaunliche Wendung. Vorher hieß es aus dem Berliner PR-Büro immer, die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge sei oberstes Gebot, weil dadurch unendlich viele Arbeitsplätze entstehen würden. Georg Schramm hat übrigens am Dienstag in der Anstalt diese Theorie überprüft und anhand einer Grafik verdeutlicht, wo Arbeitsplätze entstanden sind und wo sie abgebaut wurden.

Der Leser bleibt hier ratlos zurück. Einerseits bekommt er wieder die alte Leier aufgetischt, dass die Regierung im Vorfeld nicht richtig gespart hätte, um die Staatsfinanzen zu sanieren und andererseits wird ein Aufschrei der Krankenkassen wegen drohender Einnahmeausfälle mit dem Hinweis auf Staatshilfen als unbegründet abgebügelt. Deutlicher kann man den erbärmlichen Zustand unserer Medien nicht mehr darstellen. Kein Wunder, wenn einer Studie zu Folge immer mehr Deutsche, den Journalisten nicht mehr trauen und von deren Leistung schlicht enttäuscht sind.

Und was ist eigentlich mit dem positiven Insolvenzgelaber? Wieso beschwert sich Buchsteiner überhaupt darüber, dass die Agentur für Arbeit Steuerzuschüsse braucht? Dank „geordneter Insolvenzen“ und der Ausweitung von Kurzarbeit werden wir alle zur Kasse gebeten. Aber zum Glück hat der telegene Baron aus Bayern uns davor bewahrt, eine Insolvenz mit Millionen Steuergeldern abwenden zu müssen. Dafür zahlen wir doch nun gern die sozialen Kosten einer geordneten Insolvenz. Diese Millionenzuschüsse hat schließlich auch ein Ministerkollege aus der SPD zu vertreten. Damit passt die Sache dann auch wieder für das PR-Büro Slangen und Herholz…

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Riester Rente: Staatsgeld fürs Kasino

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Am 15. Mai 2009 wurden laut Bundessozialministerium rund 1,6 Milliarden Euro staatlicher Zulagen an Riester-Sparer ausgezahlt. Das sei die höchste Summe, die bisher zu einem Zahlungstermin förderfähigen Altersvorsorge-Verträgen gutgeschrieben wurde. So steht es auf der Seite der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, kurz: Ihre Vorsorge. Insgesamt seien bereits 5,3 Mrd. Euro an Riester-Sparer geflossen.

Doch was haben die Sparer eigentlich davon? Niedrige Renditen bis gar keine aufgrund unrealistischer Sterbetafeln und lediglich eine Bestandsgarantie für einbezahlte Beiträge. Dabei ist zu beachten, dass ein einbezahlter Beitrag, der auch letztendlich angelegt wird, jener ist, der übrig bleibt, wenn der private Versicherer seine Kosten abgezogen hat. Und die können weit über 10 Prozent des Gesamtbeitrags ausmachen. So gesehen fördert der Staat nicht die Sparer, sondern vor allem die Versicherer.

Wenn ich mir die aktuelle Bilanz der Deutschen Rentenversicherung angucke, stelle ich für den Zeitraum Januar bis April 2009 ein Minus von rund 1,376 Mrd. Euro fest. Wenn man also die bejubelte Rekordsubvention für die Versicherungsbranche in Höhe von 1,6 Mrd. Euro lieber in die umlagefinanzierte Rentenversicherung gesteckt hätte, statt der Finanzbranche und dem angeschlossenen Kasino zu überlassen, wäre ein Defizit in der gesetzlichen Rentenversicherung vermeidbar gewesen. So aber finanzieren wir alle mit unseren Steuergeldern das Defizit der gesetzlichen Rente und die Gewinne der Versicherungsunternehmen mit.

Wo ist da eigentlich sicher fürs Alter vorgesorgt? Übrigens weist die Statistik der Deutschen Rentenversicherung bei den Ausgaben in Höhe von rund 68,6 Mrd. Euro einen Verwaltungskostenanteil von lediglich 1,1 Mrd. Euro aus. Das sind nur 1,6 Prozent Kosten. Eine ziemlich günstige Versicherung, finden sie nicht?

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