Stammtisch in Karlsruhe angekommen

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Das Bundesverfassungsgericht hat heute ein Urteil gefällt und die Beschlüsse der EZB zu einem der vielen Staatsanleihekaufprogramme als kompetenzwidrig bezeichnet. Damit kommt das Gericht zu einer anderen Auffassung als der EuGH, der die Praxis der Zentralbank nicht beanstandete. Karlsruhe begründet seine Haltung mit albernen Stammtisch-Argumenten und setzt mit einem ultra-vires-Akt sogar noch einen drauf. Diese Dummheit hat Folgen, aber auch Gründe, für die das Gericht nicht wirklich etwas kann.

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Deal or no Deal

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Das Brexit-Theater bittet zum vermeintlich letzten Akt. Komiker machen sich schon lustig. Das britische Unterhaus würde noch über den Brexit diskutieren, wenn die EU sich schon längst aufgelöst hat (Extra 3). Oder: Der britische Abgang, da verabschiedet man sich, geht aber nicht (Carolin Kebekus). Nach der erneuten Abstimmungsniederlage für die britische Premierministerin Theresa May im Unterhaus ist der Deal mit der Europäischen Union tot. Kommt nun der harte Brexit? Möglich, wahrscheinlicher ist aber ein anderes Szenario.

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Regierungserklärung zur Europapolitik und G20

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Angela Merkel hielt heute Mittag eine Regierungserklärung. Morgen reist sie ja bekanntlich zu einem neuerlichen EU-Gipfel nach Brüssel. Ich will gar nicht so sehr auf die Blamage eingehen, die sich die Bundeskanzlerin eingehandelt hat, als sie mit dem Franzosen-Wicht in Deauville einen Deal schloss, in dem sie erklärte, auf den automatischen Sanktionsmechanismus für Defizitsünder, den sie zuvor vehement gefordert hat, einfach zu verzichten.

Natürlich war klar, dass die Position Merkels und in ihrem Gefolge der europäischen Union, die sich jetzt durch Merkel düpiert fühlt, nie und nimmer hätte umgesetzt werden können, weil damit offen Verfassungsbruch begangen worden wäre. Nicht so klar ersichtlich war aber, wie sich Merkel aus dieser Sackgasse befreien würde. Dass sie nun einfach gesagt hat, machen wir nicht mehr, ist schon ein starkes Stück. Als Erklärung für ihre 180 Grad Wende bot sie heute nur einen Satz:

„Eine deutsch-französische Einigung ist noch nicht alles in Europa. Aber: Ohne eine deutsch-französische Einigung wird vieles nichts.“

Ich würde sagen, bei Frau Merkel ist alles nichts!

Das Zugeständnis der Franzosen, die Deutschen bei dem Bestreben einer EU-Vertragsänderung zu unterstützen, darf dabei getrost als Nebelkerze bezeichnet werden. Denn Merkel selber war es doch, die den Lissabon-Vertrag wasserdicht geredet und als unabänderbar bezeichnet hatte, nachdem die Iren und Tschechen diesem neoliberalen Machwerk doch noch zugestimmt hatten. Die kleinen EU-Staaten werden zudem wohl kaum einer Änderung zustimmen, die besagt, dass sie weitere Kompetenzen abgeben sollen und im Zweifelsfall gar nicht mehr mitreden dürfen.

Aber das nur am Rande. In ihrer Rede ging sie unter anderem auch auf die Ursachen von Defiziten ein und wehrte sich einmal mehr gegen den Vorwurf, Deutschlands Exportüberschuss sei verantwortlich dafür. Sie sagte, dass die Handelsbilanzen den Marktgesetzen des Wettbewerbs unterliegen würden und ein künstlicher Eingriff durch den Staat unter allen Umständen zu vermeiden sei. Sie empfahl einmal mehr, dass andere Länder vom deutschen Beispiel lernen und ihre Wettbewerbsposition verbessern sollten. Damit unterstrich sie erneut ihre geistige Borniertheit.

Merkel hätte nämlich auch sagen können, dass die anderen Länder endlich kapieren sollen, dass wir Deutschen keine Massenkaufkraft brauchen. Die Unternehmen machen alles, konsumieren, investieren und exportieren. Wenn man sich das Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute anschaut, kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen. Demnach wird nämlich erwartet, dass die Einkommen im nächsten Jahr um 1,4 Prozent steigen werden. Die Preise aber auch um 1,4 Prozent. Nun soll aber bei unterstellter gleichbleibender Sparquote der Konsum ebenfalls um 1,4 Prozent steigen. Diesen Zaubertrick versteht man nur, wenn man fest daran glaubt, dass die Zuwächse bei Unternehmen und Vermögen, die sich in diesem Jahr auf unverschämte 14 Prozent und im nächsten Jahr auf noch einmal satte 3,6 Prozent belaufen sollen, in privaten Konsum umsetzen werden.

Heiner Flassbeck meinte dazu kürzlich auf den NachDenkSeiten:

„Wenn das in Europa die anderen Länder auch noch kapieren, müssen wir nur noch die Wesen vom Mars davon überzeugen, dass wir von nun an alles produzieren, was sie brauchen, und schon ist die Sache geritzt.“

So gesehen brauchen wir auch keine steigenden Löhne und schon gar nicht einen staatlichen Eingriff in die Handelsbilanzen, der dem freien, zügellosen und perversen Marktgeschehen zuwider läuft. Warum nur verteidigt Frau Dr. Merkel dann ihre zurückliegenden Konjunkturpakete als richtig und notwendig?

In gewisser Weise hatte Frank-Walter Steinmeier mit seiner Feststellung recht, dass der Widerspruch zum Markenkern der schwarz-gelben Regierung gehöre, weil das tatsächliche Handeln immer genau dem Gegenteil von dem entspricht, was vollmundig angekündigt wurde. Aber das ist ja nur die banalste aller Erkenntnisse. Viel treffender wäre ja die Zuspitzung, die Georg Schramm bei seinem Referat am Montag in Stuttgart vortrug. Die Regierung betreibe einen vorsätzlichen Missbrauch der Sprache und niemand hindere sie daran.

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Jetzt drehen Merkel und die Brüsseler Eurofighter vollkommen durch

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Muss man eigentlich zum neuerlich aufgespannten Rettungsschirm der EU noch etwas sagen? Die Bundeskanzlerin schützt unser aller Geld. Das Vorgehen sei mal wieder alternativlos. Schließlich herrsche Krieg. Nein, nicht in Afghanistan, sondern an den internationalen Finanzmärkten. Die Eurozone werde brutal angegriffen, hieß es aus Brüssel. Nicht von Selbstmordattentätern, sondern von Spekulanten, die eine schnelle Mark machen wollen. Und statt diese Angriffe auf dem Spielbrett mit dem Namen „Schiffe versenken“, einfach per Gesetzgebung zu verbieten, wird nun mit Bündeln voller Geld zurückgeschossen, für das sie, lieber Leserinnen und Leser, bürgen. Schließlich haben sie sich ihre Volksvertreter selbst gewählt und damit auch die Regierung, die sie verdienen. ;)

Diese europäischen Regierungen haben nämlich nicht nur beschlossen, ihr Geld den Finanzmärkten zur Verfügung zu stellen, nein, sie haben auch beschlossen, sie, liebe Leserinnen und Leser, dafür bezahlen zu lassen. Ist das nicht toll? In Zukunft wird nämlich noch schärfer darauf geschaut werden, ob in den Staatshaushalten ordentlich gespart wird. Und spätestens dann werden sie, liebe Leserinnen und Leser, genau wissen, wie sich so ein alternativloses Notprogramm anfühlt.

Sie müssen sich das mal vorstellen. Gerade hat sich die EU eine Verfassung gegeben, über die sie, liebe Leserinnen und Leser, nie haben abstimmen dürfen und die nun bereits derart umgedeutet wird, wie man sich das beim Grundgesetz in über 60 Jahren nicht getraut hätte. Dennoch wirken die Entscheidungen von gestern auf Grundlage dieser EU-Verfassung, über die sie nie haben abstimmen dürfen, unmittelbar in unser Leben hinein. Ich halte das, was da beschlossen wurde, ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar.

Denn mit Bezug auf den Artikel 122 des Lissabon-Vertrages und der offensichtlichen Klassifizierung der Finanzkrise als „Naturkatastrophe“ haben die EU-Großhirne nun eine Regelung gefunden, die man so umdeuten konnte, um die No-Bailout-Regel, also das faktische Beistandsverbot, auszuheblen. Unter der gigantischen Summe von 500 Mrd. Euro plus der weiteren 250 Mrd. Euro vom IWF wankt nicht nur unsere Verfassung, sondern auch der in dubiosen Gelddingen so erfahrene Dr. Wolfgang Schäuble. Er verabschiedete sich wohl rechtzeitig von der Party.

An dieser Stelle empfehle ich die Frau, vor der jeder Deutsche, wenn es nach dem Establishment geht, Angst haben soll, weil sie eine böse Kommunistin ist. Sahra Wagenknecht im Deutschen Bundestag zur Griechenland-Hilfe: Sie bringt auf den Punkt, vor wem man in diesem Land Angst haben muss…

Und abschließend Egon W. Kreutzer zum Unsinn der Alternativlosigkeit in Verbindung mit den unabsehbaren Folgen:

In ihrer vollkommenen Ahnungslosigkeit flüchten sich Verantwortliche immer öfter in die Formel von den unabsehbaren Folgen. Dass man diesen unabsehbaren Folgen (und unabsehbar heißt nichts anderes als: wir haben keine Ahnung) dann mit alternativlosen Maßnahmen begegnen will, die sich allesamt auf den Nenner bringen lassen:

„Solange der Drache nicht satt ist, müssen wir ihm jede nur greifbare Jungfrau zum Fraß vorwerfen, dazu gibt es keine Alternative, denn die Folgen wären unabsehbar!“

Und mit solchen geistvollen Begründungen werden in diesen Tagen schon wieder 750 Milliarden Euro Drachenfutter zubereitet.

Davon könnte man allen deutschen Beschäftigten die Löhne um 10% erhöhen und diese Erhöhung sechs Jahre lang finanzieren! Aber das geht nicht, denn solche unverantwortlichen Lohnerhöhungen gefährden die Wettbewerbsfähigkeit und schüren die Inflation.

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EU-Parlament kippt das Swift-Abkommen

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Mal eine gute Nachricht aus Straßburg. Das Europäische Parlament stoppt das bereits in Kraft getretene Abkommen mit den USA über den Zugriff auf Millionen Bankdaten unter dem Aspekt der Terrorabwehr. Sie erinnern sich. Deutschland hatte sich bei der Abstimmung im Ministerrat in Brüssel enthalten und somit den Weg für Swift erst freigemacht. Die FDP konnte sich mit ihrer ablehnenden Haltung nicht gegen CDU-Innennminister de Maizière durchsetzen und brach einmal mehr eines ihrer Wahlversprechen. Nun jubeln die Liberalen, dass das Europäische Parlament gegen das Abkommen stimmte. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament, Silvana Koch-Mehrin, verkündet stolz:

„Ich bin hoch erfreut darüber, dass das Europäische Parlament weder vor den USA noch vor der EU-Kommission kuscht. Das SWIFT-Abkommen war nicht tragbar und wurde völlig zu recht abgelehnt.
Ausdrücklich danke ich den Abgeordneten von CDU und CSU im Europäischen Parlament, die sich anders als die Union in Deutschland gegen das SWIFT-Abkommen gestemmt haben. Sie haben sich dem massiven Druck der Konservativen in Berlin nicht gebeugt, sind nicht umgefallen und haben damit geholfen, einen Angriff auf die Freiheit der Bürger Europas abzuwehren.
Jetzt geht es darum, ein neues, gutes Abkommen zwischen der EU und den USA auszuhandeln, das die Persönlichkeitsrechte respektiert und wirksamen Schutz vor Datenmissbrauch bietet.“

Quelle: pressrelations

Dass sich aber die Berliner FDP dem Druck beugen musste, unterschlägt Frau „Nichtanwesend“, die trotzdem gerne abkassiert, natürlich wissentlich. Übrigens wollten die deutschen Christdemokraten ursprünglich doch zustimmen, um nicht in der „Neinsagerecke“ stehen zu müssen.

„Wir wollen nicht in der Neinsager-Ecke stehen. Wenn jetzt Bewegung in die Sache kommt, kann die Zustimmung erfolgen“, sagte der stellvertretende Fraktionschef der Konservativen im Europäischen Parlament, Manfred Weber.

Quelle: FTD

Ein Antrag der konservativ-christdemokratische EVP-Fraktion (Europäische Volkspartei), wonach die Abstimmung über das Swift-Abkommen bis März verschoben werden sollte, um in einem weiteren Arbeitskreis „offene“ Fragen zu klären, fand ebenfalls keine Mehrheit. Richtig so. Solche manipulativen Hinhaltespielchen funktionieren vielleich in Deutschland, aber offenbar nicht auf parlamentarischer EU-Ebene. Wollen wir mal hoffen, dass die scheinbare Unbestechlichkeit des EU-Parlaments noch eine Weile anhält. Dann hätte der umstrittene EU-Vertrag doch noch etwas Gutes bewirkt.

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Merkels Rede vor dem Kongress

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Wie ich gerade meiner Tageszeitung, der Neuen Presse Hannover, entnehme, sei der Auftritt der Bundeskanzlerin vor dem Kongress ganz gut gelaufen. Udo Harms hält aber in seinem heutigen Leitkommentar auf Seite 1 scheinbar kritisch fest:

„Merkel ist den komplizierten Fragen lieber aus dem Weg gegangen. Mehr Hilfe für die USA in Afghanistan? Im Anti-Terror-Kampf? Der Druck der Amerikaner auf Deutschland ist gewachsen, seit mit Obama ein Friedensnobelpreisträger regiert, der Unterstützung für seine Visionen fordern kann.“

So wie immer, nüchtern und ausweichend sei die Kanzlerin gewesen. Doch so ganz ausweichend schien sie dann doch nicht gewesen zu sein, wie die Presse uns Glauben machen will. Wolfgang Lieb von den NachDenkSeiten hat sich die Rede der Kanzlerin genauer angeschaut und kommt zu dem Ergebnis, dass sie ausgerechnet zur militärischen Ausrichtung der nun sicheren Reformvertrags-EU konkreter Stellung bezog als zu Hause.

Merkel gibt ein uneingeschränktes Bekenntnis zur NATO ab, ohne ein Wort darüber zu sagen, wie die Weiterentwicklung des Sicherheitskonzeptes dieses Militärbündnisses aussehen soll. Sie gibt eine Blankovollmacht, dass Europa sich militärisch noch stärker engagieren wird. Es ist schon bemerkenswert, dass sie ein heikles Thema, das im Rahmen der Diskussion über den EU-Verfassungsvertrag stets verschwiegen wurde, nun gerade im Ausland anspricht: nämlich dass dieser Vertrag militärische Kampfeinsätze zum integralen Bestandteil künftiger europäischer Außenpolitik macht (Art. 42 EUV). Merkel sagte unverblümt: „Wir Europäer können dazu (zur NATO) in Zukunft sogar noch mehr beitragen. Denn wir Europäer sind in diesen Wochen im Begriff, unserer Europäischen Union eine neue vertragliche Grundlage zu geben.“

Beim Thema Iran griff Merkel sogar zu unsinnigen Drohgebärden, obwohl sich doch nun endlich eine fruchtbare Dialogbereitschaft auch von Seiten Irans abzuzeichnen begann, die gerade von Deutschland unter Merkel 1.0 auch immer wieder eingefordert wurde. Nun also andere, schärfere Töne. Das hätte man schon mal ansprechen können in der Berichterstattung. Für die Neue Presse berichtete, na sie dürfen raten, richtig, das PR-Büro Slangen und Herholz. Andreas Herholz war mit in Washington und fand nichts Wichtigeres als die rührselige „American Dream-Story“ eines ostdeutschen Mädchens, das nach dem Mauerfall zur Kanzlerin aller Deutschen aufstieg, wiederzukäuen. Okay, ihr Image als Klimaretterin musste auch wieder aufgewärmt werden.

Hier noch mal das Foto mit Merkel vor den Gletschern Grönlands im Jahr 2007, damit wir das vor lauter Krieg und Krise auch ja nicht wieder vergessen.

Die Klimakanzlerin auf Grönland 2007

Jedenfalls dürfen wir auf die erste Regierungserklärung von Merkel am kommenden Dienstag gespannt sein. Ob es da dann auch so viel Freiheitsgebrabbel ohne den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ zu benutzen geben wird oder ein klares Bekenntnis zur neuen Militärmacht Europa?

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Das Grundgesetz ist passé

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Nach 60 Jahren ist das Grundgesetz dejure nicht mehr unsere Verfassung – zumindest würde ich das jetzt so sehen. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben in ihrem heutigen Urteil über die Vereinbarkeit des EU-Reformvertrages mit dem Grundgesetz keinen Widerspruch erhoben. Der so genannte Lissabon-Vertrag ist demnach mit dem Grundgesetz vereinbar. Damit beschneidet das oberste deutsche Gericht auch die eigene Stellung. Der EuGH urteilt nun als letzte Instanz auf Grundlage des EU-Vertrages. Denn der Vorrang von EU-Recht vor den Verfassungen der Mitgliedsstaaten ist Bestandteil dieses Vertrages.

Im Augenblick titeln zahlreiche Medien irreführend mit Stopp des Ratififzierungsprozesses. Dabei geht es nur um eine kleine Korrektur hinsichtlich der Mitspracherechte von Bundestag und Bundesrat. Danach darf der Ratifizierungsprozess abgeschlossen werden. Die Große Koalition hat diesbezüglich bereits ein schnelles Vorgehen angekündigt. Ausgerechnet an meinem Geburtstag, dem 8. September, wollen die Flachpfeifen im Bundestag über die Änderung des Begleitgesetzes abstimmen. Das wird sicherlich ein trauriger Tag. Auch weil man mal wieder feststellen muss, dass ein Gesetz zügig durchgepeitscht werden kann, auch ohne das gängige Abspulen nerviger Klagelieder, wie das von der Sommerpause zum Beispiel. Man fühlt sich da an das Ermächtigungsgesetz für Steinbrück im letzten Jahr erinnert, das ihm erlaubt, über Milliarden von Steuergeldern frei verfügen zu dürfen, ohne dem Parlament und der Öffentlichkeit dabei Rechenschaft ablegen zu müssen.

Doch warum ist dieses Urteil von heute so problematisch? Man kann ja durchaus die Auffassung vertreten, eine EU-Verfassung sei vom Grundgedanken her gar nicht so verkehrt. Das stimmt auch. Nur kennt kaum jemand diesen speziellen Vertrag, der eigentlich aus zweien besteht (EUV und AEUV) sowie deren Protokolle und endlosen Anhänge mit langen Paragraphen und Fußnoten. Schon allein die bloße Umbenennung der beim abstimmenden Wahlvolk kläglich gescheiterten EU-Verfassung in „Lissabon-Vertrag“ oder „EU-Reformvertrag“ und die anschließende Promotiontour von Frau Merkel, die so tat, als hätte sie etwas Neues anzubieten, sollte endlich einmal aufgearbeitet werden. Welche Interessen stecken hinter diesen Bemühungen?

Warum werden Transparenz und demokratische Kontrolle so erschwert? Warum thematisiert man nicht die widersprüchliche Struktur des Vertrages? Wieso werden die Grundrechte nachrangig behandelt? Warum widersprechen sich Artikel und zusätzliche Erläuterungen? Zum Beispiel Artikel 2, Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union:

Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

In dem anhängenden Zusatzprotokoll steht dann aber Folgendes:

Die Bestimmungen des Artikels 2 der Charta entsprechen den Bestimmungen der genannten Artikel der EMRK (Europäischen Menschenrechtskonvention, Anm. d. Verf.) und des Zusatzprotokolls. Sie haben nach Artikel 52 Absatz 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite. So müssen die in der EMRK enthaltenen „Negativdefinitionen“ auch als Teil der Charta betrachtet werden:

a) a) Artikel 2 Absatz 2 EMRK:

„Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um
[…]

c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen“.

b) b) Artikel 2 des Protokolls Nr. 6 zur EMRK:

„Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, die in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden; diese Strafe darf nur in den Fällen, die im Recht vorgesehen sind, und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewendet werden …“.

Das ist ein krasser Widerspruch! Hier können sie nachvollziehen, wie Grundrechte ausgehölt und für unverbindlich erklärt werden, indem man die Regelungen versteckt und die Öffentlichkeit so darüber täuscht. Warum tut man das? Misstraut man seinen Bürgern? Wieso toleriert das Bundesverfassungsgericht solche grundsätzlichen Widersprüche bei den Grundrechten? Nach Art. 23, Abs. 1, Satz 1 Grundgesetz verpflichtet sich Deutschland, Mitglied in einer Europäischen Union zu sein, deren Menschenrechtsschutz dem des Grundgesetzes vergleichbar ist. Die obige Regelung spricht klar dagegen. Oder messen die Verfassungshüter dem Wort „vergleichbar“ eine besondere Deutungsvielfalt zu? Am Ende scheint es so wie immer. Das Grundgesetz schwindet unter dem Einfluss der Interessen. Das war schon bei der Kirchensteuer so und ist eben heute, wenn es um die ganze Verfassung geht auch so.

Die zahlreichen Zusatzprotokolle, Sonderregelungen und Erklärungen belegen jedenfalls, dass es in der EU kaum Einigung gibt. Worüber man sich offensichtlich aber sehr einig ist, ist die wirtschaftsliberale Ausrichtung. Wettbewerbsfähigkeit und militärische Aufrüstung stehen konkret im Vertrag. Ein Amt für Rüstung unter dem tollen Namen „Europäische Verteidigungsagentur“ arbeitet ja bereits. Die Verflechtung mit dem Militärbündnis NATO ist besiegelt. Wollen die EU-Bürger das eigentlich? Haben sie überhaupt jene Gestalten gewählt, die im Verfassungskonvent die Verträge ausgearbeitet haben? Haben sie, liebe Leserinen und Leser, jemals einen Stimmzettel zu Gesicht bekommen, auf dem der Name Roman Herzog stand, der für Deutschland in den Konvent entsandt wurde, um die EU-Charta auszuhandeln?

Demokratische Entwicklungen und Legitimationen sehen anders aus. Kein Wunder, dass der Bundeshorst oder Christian Wulff plötzlich medienwirksam mehr direkte Demokratie in Deutschland fordern. Das hat ja einen Grund. Sie wollen nicht mehr Demokratie wagen, sondern es nur so aussehen lassen. Denn mit dem EU-Reformvertrag können die Nationalstaaten so viel direkte Demokratie praktizieren, wie sie wollen. Das letzte Wort hat Brüssel!

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