Detlef Esslinger kommentiert heute in der Süddeutschen das Elend der SPD. Für ihn besteht es im ewigen Hadern der Partei mit sich selbst. Die Sozialdemokraten erzählen nicht, was sie erreicht hätten, sondern jammern darüber, was sie nicht durchsetzen können. Damit reiht sich Esslinger in die Liga derer ein, die bereits vergessen haben, was die SPD ihrer Wählerschaft in der Vergangenheit zugemutet hat und offenbar noch zumuten will. Er verdreht die historische Wahrheit, wonach die SPD mit viel Verve eine ökonomisch unsinnige Politik betrieben und diese mit noch mehr öffentlichem Tamtam nach außen hin vertreten hat. Sie hielt eben nicht hinter dem Berg, sondern brüstete sich mit dem Erreichten, wollte aber die Kampfansage an die eigenen Wähler nicht erkennen.
Wer links blinkt und dann aus angeblichen Sachzwängen oder reiner Alternativlosigkeit heraus rechts abbiegt, macht sich unglaubwürdig. So einfach ist das. Esslingers Gerede über Programme, die nur Wunschzettel seien und sich am Ende in einem Koalitionsvertrag gemessen am Wahlergebnis nur fragmentarisch widerspiegeln können, ist neoliberales Geschwätz, das vor allem jenen nutzt, die auf ein Programm gleich ganz verzichtet haben und stattdessen den Satz platzierten: „Meine Damen und Herren, sie kennen mich.“
Esslinger unterstellt, dass es der Union ja genauso schwer fallen müsste, mit der SPD am Kabinettstisch zu sitzen wie es umgekehrt der SPD schwerfalle Herrn Dobrindt zum Minister zu machen. Das thematisiere nur niemand. Ja weil es vollkommen absurd ist. Die Union kann sehr wohl und sehr gut mit einer SPD am Kabinettstisch leben, auf die man das künftige Versagen der gesamten Regierung wieder abladen kann. Esslinger tut ja gerade so, als wären die Regierungen, die Angela Merkel seit 2005 mit ihrer Richtlinienkompetenz zu verantworten hat, erfolgreich im Amt bestätigt worden. Sind sie aber nicht. Vielleicht sollte sich das Herr Esslinger erst in Erinnerung rufen bevor er das Gedächtnis der anderen aufzufrischen versucht.
Würde Esslinger seine Ausführungen selber ernst nehmen, dass Politiker nämlich nicht um ihrer selbst willen da seien, müsste er für eine Minderheitsregierung der Union eintreten. Nur dann wäre die auch gezwungen, sich um die Menschen zu bemühen, die sie zu vertreten beansprucht. Sie müsste ein politisches Programm entwerfen und für eine Mehrheit im Parlament kämpfen, statt sie bloß zu erwarten. Merkel wäre zum Regieren gezwungen, anstatt über den Dingen zu schweben.
Esslinger hätte sich vielleicht einmal die Frage stellen sollen, warum die Kanzlerin auf einer Gewerkschaftsveranstaltung mehr Applaus erhält als die alte und neugewählte Führung der Arbeitnehmervertreter. Er hätte sich fragen können, warum Merkel, egal wo sie sich auch hinbegibt, als Mainevent gefeiert wird, obwohl ihre rhetorischen Fähigkeiten arg begrenzt und die Inhaltsleere ihre Aussagen weiter zunimmt, während bei der Auswahl von Themen und Überschriften Beliebigkeit vorherrscht. Er hätte sie auch an ihrem Programm oder dem messen können, was sie bisher erreicht zu haben scheint.
Das tut Esslinger aber nicht, sondern fabuliert lieber über ein Treffen auf halben Wege und plappert etwas von jenen nur symbolisch gemeinten 50 Prozent, die die SPD doch angeblich durchsetzen könne, wenn sie sich vom kaum noch erkennbaren Rest einer Haltung verabschieden würde. Dass Journalisten nicht rechnen können, ist allgemein bekannt. Mir geht es da ähnlich. Doch ich möchte schon gern wissen, was sich auch nur symbolisch hinter den 50 Prozent verbirgt. Entweder kann oder will Herr Esslinger nicht richtig hinsehen. Sonst würde auch er erkennen, dass es nur der SPD-Parteiführung um ihrer selbst willen geht, wenn sie für die Große Koalition wirbt und vorgibt, etwas für die Menschen zu tun.
Diesem Grundsatz vertraut offenbar auch die Geschäftsleitung der Süddeutschen Zeitung GmbH, die sich laut Bild mit einem Brief an die Abgeordneten des Bundestags gewandt haben soll. Darin soll die Bitte formuliert sein, bei der möglichen Einführung des Mindestlohns Augenmaß walten zu lassen. Da sind wohl noch ganz andere nur ihrer selbst willen politisch unterwegs. Dazu später mehr.
NOV.