Von wegen Durchbruch

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Der Gesetzesentwurf für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern wird von der zuständigen Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) als Durchbruch gefeiert. Das neue Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit gebe Frauen konkrete Mittel zur Durchsetzung ihrer Ansprüche an die Hand. Das reiche bis hin zur Klage vor Gericht, sagte die SPD-Politikerin im ARD-Morgenmagazin. Das wird in der Praxis wohl kaum funktionieren. Ein echter Durchbruch wäre es hingegen, das Arbeitnehmerdisziplinierungsinstrument Hartz IV endlich abzuschaffen.

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Das neoliberale Weltbild bleibt intakt

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Deutschland sei Hüter der Spielregeln, während die anderen sie immer nur brechen. So retten die Italiener fröhlich ihre Banken, obwohl doch neuerdings die Anleger haften sollen und Portugals Linksregierung macht schon wieder Schulden ohne Ende, obwohl sie doch eigentlich eisern sparen sollte. Und die Griechen sind mal wieder bockig. Nur Deutschland sei ein Musterschüler, fahre Rekorde beim Export ein, schaffe ausgeglichene Haushalte mit schwarzer Null und halte eine Schuldenbremse vorbildlich ein. So oder so ähnlich hört man es schon wieder von deutschen Qualitätsjournalisten, die sich allenthalben darüber beklagen, dass Fakten immer seltener zur Kenntnis genommen würden. Dabei sind sie es, die einen Glauben predigen, nur um das neoliberale Weltbild über die Zeit zu retten.

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Treffen ohne Ergebnisse

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Quelle: ARD Deutschlandtrend

Quelle: ARD Deutschlandtrend

Der Koalitionsausschuss am gestrigen Donnerstag ist harmonisch verlaufen. Schon wieder. Alle haben sich lieb und lassen jene Themen wortlos liegen, die sonst zwischen den Treffen im Kanzleramt die Schlagzeilen dominieren.

Da war doch was mit Obergrenze und einem Seehofer, der drohte, mit Merkel endgültig zu brechen, falls die sich in der Flüchtlingsfrage nicht bewege. Ein heißer Herbst wurde angekündigt. Doch zum Popcorn-Kino reichte es auch dieses Mal nicht. Große Aufgaben zu meistern, heißt inzwischen, sich auf eine strengere Bestrafung von Einbrechern zu verständigen. Wie langweilig. Dietmar Bartsch schreibt auf Facebook, die Große Koalition sei spürbar in ihrem Trennungsjahr angekommen. Was für ein Irrtum. Die machen doch gemeinsam weiter.

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Kurz notiert: Miese Made aus Germany

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  • Die miese Made aus Germany: Der VW Konzern hat Abgaswerte manipuliert und damit gezeigt, worauf der Erfolg der deutschen Wirtschaft im Ausland beruht. Auf Betrug. Bislang wollten viele Politiker und Ökonomen das nicht wahrhaben. Sie meinten gebetsmühlenartig, deutsche Qualität sei unschlagbar. Nachdem klar ist, dass Automobilkonzerne wie VW ihre Kunden im Ausland bescheißen, könnte ja langsam auch die Erkenntnis reifen, dass der Beschiss auch die deutschen Löhne hierzulande betrifft. Die sind nämlich viel zu niedrig, was der deutschen Exportwirtschaft einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschafft.
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Die fehlende Sachkenntnis ist oftmals das Problem

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Alles spricht von „Lügenpresse“ und dem Vorwurf einer bewussten Täuschung durch Journalisten. Wer aber solch ein Verhalten unterstellt, unterstellt auch Sachkenntnis, die nötig ist, um Wahrheit verdrehen oder leugnen zu können.

Viele Leitartikler blamieren sich aber nicht, weil sie um die Wahrheit Bescheid wüssten, sie blamieren sich, weil sie die Wirklichkeit eben nicht kennen und lieber darauf vertrauen, was seit Jahren falsch geglaubt und vorgebetet wird.

Ein Beispiel: Meine Tageszeitung hat sich im heutigen Leitartikel (leider nur im Abo vollständig abrufbar) für das Thema Tarifpolitik entschieden. Darin beschäftigt sich der Autor mit den gleichzeitig anstehenden Verhandlungen in zahlreichen Branchen. Ihm fällt dabei auf, dass es den Gewerkschaften nicht mehr so sehr um Prozente gehe. „Als Konsens haben sich 5,5 Prozent durchgesetzt.“ (die ver.di-Forderung von 11 Prozent hat der Autor im Artikel nicht genannt)

Das Denken wird abgebrochen

Im Vergleich zu anderen Jahren klinge das nicht nach viel, fährt er fort. Statt aber diesen Anflug eines komischen Gefühls weiter zu ergründen und sich zu fragen, warum es eigentlich mehr an Entgeltforderung sein müsste, bricht der Autor das Denken ab und bringt die einfach anmutende wie gängige These an: „Allerdings wären gewaltige Steigerungen auch nicht zu begründen.“ Das muss er natürlich erklären und schreibt dann vermeintlich sicher:

Lohnerhöhungen sollen in erster Linie dem Inflationsausgleich dienen und erreichte Produktivitätssteigerungen abbilden. Nur: Ersterer nähert sich gerade der Nulllinie, und Letztere bewegen sich vielleicht bei etwas mehr als einem Prozent. Hinzu kommt, dass Deutschland in den vergangenen Jahren bei der Reallohnentwicklung kräftig aufgeholt hat – die Tarifgehälter also deutlich schneller stiegen als die Inflation und die Saläre im europäischen Nachbarland.“

Was fängt man jetzt damit an? Offensichtlich weiß der Autor nicht, dass die Entwicklung der Inflationsrate, die 2014 im Schnitt bei 0,9 Prozent lag, von der Entwicklung der Lohnstückkosten (also Lohnkosten im Verhältnis zur Produktivität) abhängig ist. Es gibt also einen unbestritten engen Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen. Die Preise steigen nun aber weniger stark als früher und der Autor schließt dennoch daraus, dass ein kräftiger Aufholprozess bei den Reallöhnen stattgefunden haben muss. Irre.

Dabei zeigt die sinkende Inflationsrate gerade das Gegenteil an, nämlich das irgendetwas bei der Entwicklung der Löhne schiefgelaufen sein muss, sonst wäre die Teuerung höher ausgefallen. Der Autor vergisst auch zu erwähnen, dass es innerhalb der Eurozone eine Zielinflationsrate von 1,9 Prozent gibt, an die sich alle, auch Deutschland eigentlich hätten halten sollen. Taten sie aber nicht, was zu den Verwerfungen, also Überschüsse einerseits und Defizite andererseits sowie den zahlreichen Rettungspaketen führte.

Wo das Wissen fehlt, wuchert die üble Nachrede

Die goldene Lohnregel, die der Autor oben anspricht (Lohnerhöhung = Zielinflationsrate + Produktivitätssteigerung), hätte er mal auf Einhaltung hin überprüfen sollen. Er hätte festgestellt, dass Deutschland schon sehr lange unter seinen Verhältnissen lebt und zugelassen hat, dass die Leistungsbilanzen innerhalb der Eurozone weit auseinander drifteten. Um diesen Prozess nachhaltig umzukehren, müssten sich die hiesigen Tarifpartner folglich auf außerordentlich hohe Abschlüsse verständigen. Schlussfolgerung: Eine gewaltige Steigerung wäre durchaus zu begründen, ja sogar vernünftig.

Stattdessen hängen Bundesregierung, Mainstream-Ökonomen und weite Teile der Presse weiter an den Überschüssen. Sie vertrauen also darauf, dass sich das Ausland bei uns verschuldet und Defizite anhäuft, während in Berlin der ausgeglichene Haushalt gefeiert wird. Ein Widerspruch, der selten in den Kommentarspalten thematisiert wird.

Dass die Gewerkschaften mit ihrer Haltung und ihren bescheidenen Lohnforderungen die Position der eigenen Mitglieder weiter schwächen, wäre durchaus mal eine Erwähnung wert. Stattdessen wird auf Frank Bsirske von ver.di an anderer Stelle wieder eingedroschen, weil er für den öffentlichen Dienst ein Lohnplus von bis zu 11 Prozent fordert, in der Hoffnung bei 5,5 zu landen. Und da die Sachkenntnis auch hier wieder fehlt, wird mit Schaum vorm Mund gnadenlos diffamiert. Fehlt nur noch ein Foto vom Privathaus und die Durchwahl zum Büro des ver.di Chefs.


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Und täglich grüßt das Murmeltier

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Privater Konsum im Wandel einer Woche: Vom unbelegten Hoffnungsschimmer zum größten Umsatzeinbruch seit Jahren. Alle tun zu Unrecht überrascht.

Vor einer Woche sahen die Medien noch einen Hoffnungsschimmer für die Konjunktur. Denn der GfK-Index stieg erstmals wieder. Trotz der internationalen Krisen habe sich die Laune der deutschen Verbraucher aufgehellt, hieß es. Nachdem das Statistische Bundesamt heute seine monatlichen Zahlen zu den Umsätzen im Einzelhandel veröffentlicht hat, herrscht weiter unten in den Nachrichten Katzenjammer. „Größter Umsatzeinbruch seit Jahren“, ist da jetzt zu lesen. Überraschend ist das aber nicht.

Wer das Murmeltier kennt, weiß auch, dass es täglich von neuem grüßt. Nur die Medien begreifen es nicht, dass der gefühlte Konsumklimaindex der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) keinerlei Aussage zum Kaufverhalten tätigt, sondern ähnlich unwissend ins Blaue schießt, wie die Wirtschaftsweisen mit ihren teuren Gutachten zweimal im Jahr.

Nun wirken alle wieder überrascht. Die Rahmenbedingungen seien doch gut. „Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit drei Jahren nicht mehr, die Beschäftigung auf Rekordhoch, die Löhne steigen deutlich stärker als die Preise und erhöhen die Kaufkraft“, heißt es bei der Tagesschau. Vielleicht stimmt ja etwas mit der Bewertung der Rahmenbedingungen nicht?

Richtig hinschauen, hilft beim Sehen

Möglicherweise ist die Arbeitslosigkeit nicht so niedrig wie behauptet, sondern nur die Zahl, die vorgibt, sie zu messen. Möglicherweise ist die Beschäftigung ja auf einem Rekordhoch. Doch was heißt das schon, wenn nicht klar ist, wie viel Arbeitsstunden diese Beschäftigung umfasst. Möglicherweise sind die Löhne „deutlich“ gestiegen. Nur wieso liegt dann die Lohnquote rund fünf Prozentpunkte niedriger als im Jahr 2000?

Mag das vielleicht daran liegen, dass die Gewinneinkommen seit 2000 um rund 66 Prozent gestiegen und die Bruttoentgelte der Arbeitnehmer im gleichen Zeitraum lediglich um 27 Prozent zulegten? Das macht preisbereinigt einen Anstieg in 14 Jahren um gerade einmal 1,8 Prozent. Mag es vielleicht daran liegen, dass der Beschäftigungszuwachs vor allem dort zu verzeichnen ist, wo in Teilzeit mit vergleichsweise schlechter Bezahlung gearbeitet wird?

Ist es nicht eher so, dass sich sechs Prozent mehr Beschäftigte eine nur geringfügig höhere Lohnsumme teilen, was unterm Strich dazu führt, dass die Arbeitnehmerentgelte je Beschäftigten statt deutlich gestiegen eher deutlich gesunken sind? Statistiken muss man schon richtig lesen können, um nicht ständig Gefahr zu laufen, von der Realität überrascht zu werden.

Laut IAB-Berechnungen sind im Zeitraum von 2000 bis 2013 rund 1,7 Millionen Vollzeitstellen weggefallen und dafür 4,2 Millionen Jobs in den Bereichen Leiharbeit, Teilzeit, Minijobs, 1 Euro Jobs und Solo-Selbstständige entstanden. Wer diese Entwicklung kennt, wird sich nicht wundern, dass das wenige Geld der Verbraucher nicht mit vollen Händen ausgegeben werden kann.

Doch das interessiert die Überraschten nicht. Sie freuen sich aufs Weihnachtsgeschäft, das den erhofften Schub schon bringen wird. Sie verteilen Durchhalteparolen und Fotos mit vollen Konsumtempeln. Das Murmeltier wird dann nach dem Fest wieder zu sehen sein, wenn klar ist, das auch dieses Jahr wieder genauso beschissen verlaufen ist, wie das davor und das davor und das davor.

Quellenangabe: Die Daten zur Lohnentwicklung habe ich aus den Dossiers von Michael Schlecht entnommen, MdB, Wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke.


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SPD muss schlechten Kompromiss jahrelang verteidigen

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Was die Mindestlohnregelung tatsächlich wert ist, wird schon ein paar Tage nach der freudetrunkenen Unterzeichnung des Koalitionsvertrages deutlich. Medien und politische Gegner arbeiten bereits kräftig an der Desavouierung des Punktes, der den Sozialdemokraten angeblich über alles geht (siehe auch hier im Blog). Die Genossen hätten wissen können, was auf sie zukommt und darauf bestehen müssen, den Mindestlohn sofort zu beschließen, anstatt häppchenweise irgendwann gegen Ende der Legislaturperiode. Stattdessen hat sich die SPD auf einen jahrelangen Abwehrkampf eingelassen, den sie mit der Union an ihrer Seite niemals gewinnen kann und damit die Wähler auch nicht beeindrucken wird.

Für Saisonarbeiter, Praktikanten, Ehrenamtliche und Rentner dürfe der Mindestlohn nicht gelten, so CSU-Chef Horst Seehofer wenig überraschend in der Welt am Sonntag. Seehofer wörtlich: “Ich möchte den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Ich werde aber aufpassen, dass er nicht zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führt.” Heißt konkret, Seehofer möchte doch keinen Mindestlohn, weil dieser seiner Meinung nach der Lebenswirklichkeit vieler Menschen widerspricht. Diese besteht zum Beispiel darin, dass Rentner ihre aus Seehofers Sicht wohl üppigen Altersbezüge lediglich aufbessern möchten und daher ja gar keinen Mindestlohn bräuchten. Warum aber ein Rentner, der nach Definition eigentlich sein Einkommen ohne Arbeitsleistung erzielen müsste, weil er dafür schließlich auch versichert ist und Ansprüche erworben hat, dennoch arbeiten muss, beantwortet Seehofer nicht.

So normal ist es schon geworden, dass Rentner inzwischen wieder arbeiten gehen. Das müssten die späteren Rentner übrigens auch, wenn der Mindestlohn von 8,50 Euro Wirklichkeit werden würde. Er kommt viel zu spät und ist nach heutigen Maßstäben schon viel zu niedrig bemessen, um der Altersarmut zu entkommen. Ausnahmen wird es nicht geben, kontert Andrea Nahles und spricht von Fluchtfantasien auf Seiten der Union. Sie garantiere, dass ab dem 1. Januar 2017 niemand weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienen werde. Von dieser Garantie ist in etwa so viel zu halten, wie von ihrem Wahlkampfversprechen, mit der Union kein Bündnis eingehen zu wollen. Das alles war vorhersehbar. Der demoskopisch festgestellten Freude über die Große Koalition dürfte recht bald die Ernüchterung folgen. Viele werden sich dann erinnern und sagen, die machen ja an der Stelle weiter, wo sie vor vier Jahren aufgehört hatten, als wir uns die GroKo zum Teufel wünschten.

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Verdrehte Überschriften

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Was fällt Ihnen beim Anblick dieser Überschrift in der FAZ ein?

Mindestohn_Furcht_Ökonomen

Sie ist falsch und müsste richtiger Weise lauten:

Mindestlohn fürchtet Ökonomen ohne Sachverstand

Besser ist natürlich die Überschrift von Arnold.

Ökonomen ohne Sachverstand fürchten Mindestlohn

Was hat der arme Mindestlohn nur getan? Den Ökonomen mit angeblichen Sachverstand gilt er als Massenvernichtungswaffe. “Der hohe Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze.” Schon allein diese Formulierung stößt sauer auf, da nicht der Mindestlohn, sondern der Arbeitgeber das Kündigungsschreiben unterzeichnet. Die “Ökonomen mit Sachverstand” im folgenden nur kurz ÖmS genannt, kritisieren die mangelnde Flexibilität des Mindestlohns. Sie vermissen also die bei Merkel bestellte flexible Lohnuntergrenze, die nach Branchen und Regionen gestaffelt zahlreiche Ausnahmetatbestände zulässt.

Zitat ÖmS: „Die Bundesregierung will ein Mittel verschreiben, von dem sie nicht weiß, wie es wirkt.” ÖmS weiß natürlich wie der Mindestlohn wirkt und führt nicht näher bestimmte theoretische und empirische Literatur zu Mindestlöhnen an. Darin steht, dass hohe Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten. Dann muss es also stimmen, obwohl kein Land dieser Welt, das Mindestlöhne hat, dies bestätigen könnte. Wenn die Arbeitslosigkeit wie im Süden Europas steigt, dann ganz sicher nicht wegen des Mindestlohns, sondern wegen einer Austeritätspolitik, die die Nachfrage rasiert.

Besonders schräg und zugleich menschenverachtend ist die Aussage von ÖmS: „Sie [eine Lohnkommission, Anm. tau) sollte auch einen Gestaltungsspielraum haben, bestimmte Gruppen durch Ausnahmeregeln zu schützen.“ Schutz wovor? Vor dem Vernichtungsfeldzug des Mindestlohns. Bestimmte Gruppen müssen vor allzu hoher Bezahlung beschützt werden, meint ÖmS. Das hat ja wirklich einen edlen Klang, ist aber nichts anderes als ein schäbiges Stück, das auch noch den Anspruch erhebt, wissenschaftlich zu sein. 

Gerade eben hat das Statistische Bundesamt einen Rückgang der Reallöhne verkündet. Und das mitten im Aufschwung und mitten in der alljährlich in den Köpfen von Leuten wie ÖmS stattfindenden Kaufrauschsause vor Weihnachten. Gleichzeitig präsentiert der Paritätische Wohlfahrtsverband eine neue Studie, die belegt, dass jeder siebte Haushalt als arm oder armutsgefährdet gilt. Doch das interessiert ÖmS nicht die Bohne, solange der Arme eine Arbeit hat. Deshalb fordert ÖmS auch ein Stimmrecht für sich und seinesgleichen in der geplanten Lohnkommission. Erst dann wäre die Unabhängigkeit gewahrt und eine vernunftbehaftete Entscheidung über den an sich gefährlichen Mindestlohn erst möglich.

Denn, so ÖmS, die Wissenschaft dürfe nicht von politischen Interessen instrumentalisiert werden. Auf welchem Instrument ÖmS wohl spielt, dürfte klar sein. Die SPD kann sich jetzt schon mal warm anziehen. Denn das Trommelfeuer gegen den Mindestlohn hat längst begonnen. Er wird es nicht überleben, auch wenn die Genossen das in ihre grenzenlosen Naivität, mit der sie am Rockzipfel der Kanzlerin hängen, sicherlich noch anders sehen.

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Kompromisse beim Mindestlohn kann es nicht geben

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Die Geschäftsführung der Süddeutschen Zeitung GmbH soll sich laut Bild mit einem Brief an alle Bundestagsabgeordneten gewandt und darin die Bitte geäußert haben, beim Beschluss über den Mindestlohn Augenmaß walten zu lassen. Gäbe es einen Mindestlohn, gäbe es auch Risiken bei der Zeitungszustellung vor allem im ländlichen Raum, heißt es. Mit anderen Worten: Ein flächendeckender Mindestlohn gefährdet die flächendeckende Zustellung der Süddeutschen Zeitung. Dabei dürfte aber nicht der Mindestlohn Abos kosten, sondern die Haltung des Verlages, Austräger mit Recht schlecht zu bezahlen.

Mit der Meinung, der Mindestlohn stelle eine Gefahr für die flächendeckende Versorgung mit Printprodukten dar, steht der Verlag sicherlich nicht allein da. Dass Zeitungszusteller vom Mindestlohn ausgenommen werden sollen, wird ja offenbar zwischen Union und SPD diskutiert. Inzwischen geistern mehrere Entwürfe des Koalitionsvertrages durch die Redaktionsstuben. In den ersten Entwürfen, die an die Öffentlichkeit lanciert wurden, hieß es noch, dass der Mindestlohn nicht nur nicht für Zeitungszusteller gelten solle, sondern auch nicht für Langzeitarbeitslose, Rentner und Erntehelfer. Auch Schüler und Praktikanten sollen außen vor bleiben, obwohl für letztere noch zu Beginn der Koalitionsverhandlungen ebenfalls eine Mindestlohnreglung verkündet wurde.

Bezeichnende Diskussion

Inzwischen ist der Mindestlohn im Eiltempo von der Maut überholt worden. Dennoch ist die Diskussion bezeichnend für das drohende Bündnis aus Union und SPD. Die Union will eigentlich keinen Mindestlohn, die SPD dagegen schon. Ein Kompromiss zwischen diesen beiden Positionen muss scheitern, weil es ein bisschen Mindestlohn genauso wenig geben kann wie ein bisschen Schwangerschaft. Dennoch werden Union und SPD ein Kunststück vollführen wollen. Gestritten wird nur noch um die richtige Formulierung. Angela Merkel gab zu Protokoll, dass es einen flächendeckenden Mindestlohn geben werde. Die Medien interpretieren diese Äußerung völlig falsch als Kompromissbereitschaft und tappen in die Falle der Spindoktoren.

Die geschäftsführende Bundeskanzlerin sprach nämlich auch von Modalitäten, die es beim Mindestlohn noch zu regeln gebe. Damit hat sich an der Haltung Merkels nichts geändert. Sie betreibt lediglich Umetikettierung. Raider heißt jetzt Twix und sonst ändert sich nix. Damit lässt sich der Urnenpöbel dank der schnarchenden Medien sicherlich begeistern. Ihr Modell der Lohnuntergrenze mit zahlreichen Ausnahmen und einer Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die künftig über die Höhe entscheiden sollen, ist weiterhin das Ziel – etwas anderes auch nicht wirklich erkennbar. Der SPD wird also nur gelingen, dass die Lohnuntergrenze der Union künftig als flächendeckender Mindestlohn bezeichnet werden darf.

Angst bestimmt das Handeln

Die Angst vor Arbeitsplatzverlusten, die von der Öffentlichkeit auch ohne empirische Belege geteilt wird, diszipliniert die SPD. Doch warum bestimmte Berufsgruppen in einer Volkswirtschaft durch politische Unterlassung weniger verdienen sollen, bleibt ein Rätsel. Wenn ein Unternehmen der Meinung ist, dass der Vertrieb seiner Produkte zwingend erforderlich ist, muss er diesen auch bezahlen oder die Dienstleistung anders organisieren. Die Tatsache, dass es seit Jahren möglich war, gerade im Bereich der Zustellung an der Lohnkostenschraube immer wieder zu drehen, kann ja keine Begründung sein. Wo die einzelwirtschaftliche Sichtweise vielleicht nachvollziehbar erscheint, bleibt sie volkswirtschaftlich unsinnig.

Denn niedrige Löhne kosten eben auch Geld und zwar das der Allgemeinheit oder kurz der Steuerzahler, die beim Aufstocken aushelfen müssen. Über diese Beträge redet nur keiner. Dabei stehen diese Steuergelder für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung. Daran sollte man denken, wenn die künftigen Koalitionäre wie auch die Medien mal wieder über angeblich zu hohe Ausgabenwünsche und fehlende Gelder jammern. Außerdem sind die Kosten der einen immer auch die Einnahmen der anderen.

Wenn also die Süddeutsche ihre Zusteller anständig bezahlen würde, könnten die sich etwas mehr leisten, vielleicht einen regelmäßigen Restaurantbesuch. Dessen Besitzer hat höhere Umsätze und kann wiederum seiner Kellnerin mehr Gehalt überweisen. Die ist unter Umständen bereit, ein Abo der Süddeutschen Zeitung abzuschließen, weil sie besser informiert sein will und die Reportagen der Seite 3 sehr schätzt, aber bisher nicht genießen konnte, weil ihr wegen der Zweit- und Drittjobs schlicht die Zeit zum Lesen fehlte.

Die ökonomische Welt ist sicher viel komplexer, aber eins ist sicher. Der Binnenmarkt kann nur dann funktionieren, wenn es verfügbare Einkommen gibt, mit denen Nachfrage hergestellt und Kaufkraft entwickelt werden kann. Nur dann lohnt es sich auch für Unternehmen Kapital zu investieren und Menschen einzustellen, um gemeinsam mit ihnen Waren zu produzieren oder Dienstleistungen anzubieten. Eine Volkswirtschaft ist eben mehr als die Summe aller betrieblichen Einzelinteressen. Leider verlässt sich die Politik auf Letzteres.

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