Generationenfolge bietet ein schlechtes Programm

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Ein CSU-Politiker, der auf den Namen Norbert Geis hört und in der Vergangenheit schon mehrfach durch bedenkliche Äußerungen unangenehm aufgefallen ist, lehnt die steuerliche Gleichbehandlung von homosexuellen Partnerschaften neuerdings aus “naturwissenschaftlichen Gründen” ab. Die Privilegierung der Ehe zwischen Mann und Frau liege, so Geis,  darin begründet, dass sie die Generationenfolge sichere. Ja, leider, möchte man angesichts dieses Herrn und dessen geistlos aus dem Gesicht gefallenen Worte sagen.

Was genau befürchtet denn Herr Geis? Dass sich mit einer Gleichstellung vermehrt heterosexuelle Frauen und Männer nun spontan für eine andere Form der Partnerschaft entscheiden, weil es steuerlich günstiger für sie ist?

Da spricht wohl ein treues Schäfchen der katholischen Kirche, dessen Überzeugung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften seien wider Gott und die Natur, um den Aspekt marktkonformer Irrationalität erweitert wurde. Dass das Bundesverfassungsgericht die bisherige Regelung für grundgesetzwidrig hält, kümmert ihn nicht.

“Hier will nun die Fraktion oder will ein Teil der Fraktion dem Verfassungsgericht gewissermaßen zuvorkommen. Ich halte das für falsch, ich bin der Meinung, wir müssen gerade in einer solchen Auseinandersetzung klar machen, auf welcher Seite wir stehen”

Und auf dieser geistlosen Seite steht jedenfalls nicht das Grundgesetz, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zur Ungleichbehandlung von Ehegatten und eigetragenen Lebenspartnern im Grunderwerbssteuerrecht heute mitteilte. Aber das scheint dem Herrn Geis egal zu sein, obwohl ihm Egalität grundsätzlich missfällt.

“Wenn etwas egalisiert wird, dann ist beides egal. Also da muss man schon ein bisschen mehr aufpassen, und da muss man schon auch in der Gesetzgebung den Unterschied wahren.”

Ah ja. Der G(r)eis fürchtet sich also davor, das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden zu können. Nur wen interessieren die Wahrnehmungsschwierigkeiten eines Darstellers, der in einer ziemlich schlechten Generationenfolge spielt? Auf das gebotene Programm kann man gut und gerne verzichten. Nur schalten sie alle – ich auch – mal wieder ein statt ab.

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Die Entscheidung ist so leicht

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Karlsruhe hat heute abzuwägen, ob die Folgen bei einer einstweiligen Anordnung schwerwiegender sind als bei einem Inkrafttreten eines völkerrechtlich bindenden Vertrages, den keine parlamentarische Mehrheit in diesem Land mehr kündigen kann. Dabei geht es noch gar nicht um die Verfassungsmäßigkeit. Diese soll erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden, verkündete Gerichtspräsident Voßkuhle vor Verhandlungsbeginn.

Wenn das aber gilt, müsste die Entscheidung leicht sein und zu Gunsten jener ausfallen, die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines geltenden Gesetzes haben, das später nicht mehr zurückzunehmen ist, selbst dann nicht, wenn die Richter im Hauptsacheverfahren dessen Verfassungswidrigkeit feststellen würden.

Das einzige, was die Regierung nun als Begründung für ihre Position vorzubringen hat, ist bloß eine weitere Verunsicherung der Märkte, die im Falle einer ausgesprochenen einstweiligen Anordnung – also dem vorübergehenden Stopp des Gesetzes – ausbrechen würde. Es drohen erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen mit unabsehbaren Folgen, heißt es vom Mitarchitekten von ESM und Fiskalpakt, Wolfgang Schäuble.

Als Jurist könnte man das Argument leicht mit dem Hinweis zerflücken, dass “unabsehbare Folgen” sowohl etwas Schlimmes wie auch etwas Gutes bedeuten könnte, mit Sicherheit aber eine gewisse Ahnungslosigkeit desjenigen, der sich in diese absurde Begründungsstrategie flüchtet. Doch sollte man Ahnungslosen vertrauen?

Die Unfähigkeit der handelnden Akteure, in der Finanzkrise und bei der Rettung eines Währungssystems etwas absehen zu können, sollte die Alarmglocken bei den Verfassungsrichtern schrillen lassen.

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Einfach nur besser erklären?

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Die Posse um das Meldegesetz kommt zur rechten Zeit. Heute verhandeln die Bundesrichter in Karlsruhe über Eilanträge gegen den ESM und den Fiskalpakt. Ausgang offen. Gleichzeitig wird Bundespräsident Joachim Gauck vielbeachtet mit jenem Satz zitiert, der einst auch die Agenda 2010 rechtfertigte. Demnach müssten die politisch Verantwortlichen ihren Angriff auf Grundrechte und Verfassung einfach nur besser erklären. Für Gauck, der scheinbar selbstkritisch zugab, mit seinem wohlwollenden Urteil über die Finanzmarktpolitik der Bundesregierung etwas vorschnell gewesen zu sein, hält das Vorgehen der Regierung dem Grundsatz nach aber immer noch für richtig. Frau Merkel müsse ihr Handeln halt nur besser erklären.

Mit diesem präsidialen Auftrag versehen, wird dann auch niemand mehr darauf achten oder danach fragen, ob die Krisenpolitik überhaupt richtig ist. Deren Scheitern ist ja empirisch leichter zu belegen, als der Versuch Merkels Sprechblasen zu verstehen.

Mehr zu diesem Vorgang auf den NachDenkSeiten:

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Bundesverfassungsgericht folgt in Teilen der Marktlogik

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Ein seltsames Urteil hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das sogenannte „Neuner Gremium“ am Dienstagvormittag gefällt. Die kleine Abordnung des Haushaltsausschusses darf bleiben und im Ausnahmefall geheime Entscheidungen treffen, um die Märkte, wie es heißt, überraschen zu können oder nicht unnötig zu verunsichern, was letztlich geplante Rettungsmaßnahmen konterkarieren könnte. Wenn die Bundesregierung plane, am Finanzmarkt aktiv zu werden, könne ein Nachteil bereits durch das Bekanntwerden der Information entstehen, so die Richter in ihrer Begründung. Damit folgt auch das Bundesverfassungsgericht in Teilen einer kruden Marktlogik und ordnet die Rechte des Parlaments und einzelner Abgeordneter dieser unter.

Wieso kassiert man nicht dieses Gremium ganz und empfiehlt dem Gesetzgeber, endlich dafür zu sorgen, eine strenge Regulierung der Finanzmärkte vorzunehmen?

Karlsruhe hat demnach nicht die Rechte des Bundestages gestärkt, sondern der Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet, Budgetfragen am Parlament vorbei absegnen zu lassen. In einem konkreten Einzelfall wie dem strategischen Anleihekauf auf dem Sekundärmarkt ist das geheim tagende „Neuner Gremium“ aus Sicht des Bundesverfassungsgericht nicht zu beanstanden. In allen anderen Fällen müssen aber die Rechte des Bundestages und der ihm angehörenden Mitglieder beachtet werden. Das ist aber nicht konsequent. Derweil wird sich Schäuble freuen, weil er jetzt definieren darf, wie der erlaubte Einzelfall aussehen kann.

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Gewissenlos

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In dieser Woche wurde darüber berichtet, dass die Abgeordneten des deutschen Bundestags bei einer ganz bestimmten Sachfrage frei nach ihrem Gewissen entscheiden dürften. So etwas käme höchst selten vor. Den Normalfall stelle der sog. Fraktionszwang dar, dem sich das Gewissen des einzelnen Abgeordneten bei Abstimmungen stets unterzuordnen habe. Offiziell ist dann von Empfehlungen die Rede, der ein jedes Mitglied einer Fraktion folgen möge, um die Handlungsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten.

Bei der besagten Entscheidung ging es darum, ob es künftig erlaubt sein soll, im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf Erbkrankheiten untersuchen zu dürfen und ggf. auszusortieren.

Um diese Frage, von der nur wenige Menschen betroffen sind, gewissenhaft entscheiden zu können, verzichteten die Mitglieder des deutschen Bundestages auf den üblichen Austausch von Gemeinheiten, wie Zwischenrufe, Gelächter und polemische Redebeiträge. Denn wenn es um eine Gewissensentscheidung gehe, zähle Sachlichkeit und verantwortungsbewusstes Handeln. Ulrike Flach (FDP) eröffnete daraufhin die Aussprache mit folgender Bemerkung:

“Drei Gruppen aus allen Fraktionen haben mit Leidenschaft und mit Sachlichkeit um die Unterstützung der Abgeordneten geworben. Anhörungen haben stattgefunden, Experten haben sich geäußert, die Medien haben die Debatte verantwortungsbewusst begleitet. Niemand – das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen – hat es sich leicht gemacht. Das ist der Bedeutung dieser Entscheidung absolut angemessen.”

Quelle: Ulrike Flach (FDP), MdB

Wenn an gleicher Stelle binnen kürzester Zeit über Milliardenhilfen für die Banken, gigantische Rettungsschirme und über knallharte Sparprogramme entschieden wird, also Maßnahmen, von denen deutlich mehr Menschen direkt betroffen sind, dann gilt das mit dem freien Gewissen der Abgeordneten und der sachlichen wie verantwortungsbewussten Abwägung natürlich nicht. Wenn die Bundesregierung durch das Parlament unter Aufgabe des eigenen Budgetrechts ermächtigt wird, dauerhaft Steuergelder für oben genannte Zwecke zu verwenden, entscheidet nicht das Gewissen und auch nicht der Kopf, in dem man es vermuten würde, sondern die innere Gehorsamkeit gegenüber dem Fraktionsführer. Der Deutsche folgt halt noch immer blind dem Führer und nie seinem Gewissen.

Dabei hatten sich die vielen Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes bewusst Gedanken darüber gemacht, wem die Abgeordneten eines künftigen deutschen Parlaments zu folgen hätten. Sie wussten doch nur zu genau, dass es eine bürgerliche Mehrheit war, die erst Hitler zur Macht verholfen und sich selbst später per Abstimmung aller parlamentarischen und demokratischen Rechte beraubt hat.

Georg Schramm: “Weil wir gerade bei 1933 waren, sollten wir uns in Erinnerung rufen, wie die deutsche Regierung damals auf die Weltwirtschaftskrise reagierte: mit dem Gesetz „zur Beseitigung von Not und Elend des Volkes“, verabschiedet am 24. März 1933, bekannt geworden als „Ermächtigungsgesetz“, das die demokratischen Rechte außer Kraft setzte. Das bürgerliche Lager, inklusive Adenauers Zentrum und dem liberalen Theodor Heuss, haben damals zugestimmt. Der Grund für diese Zustimmung ist rückblickend ungeheuerlich: Hitler hatte ihnen versprochen, die Funktion des Reichspräsidenten Grußaugust Hindenburg zu erhalten.”

Quelle: Financial Crimes Deutschland

Der entsprechende Artikel im Grundgesetz lautet so:

Art 38, Grundgesetz

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Leider wird darüber eher müde lächelnd hinweggeblickt und so getan, als breche gleich das große Regierungschaos aus, wenn jeder im Bundestag so abstimmen könnte, wie er wollte oder genauer gesagt, wie es das Grundgesetz von ihm oder ihr verlangt. Was aber dabei herauskommt, wenn alle so abstimmen, wie es der Rollenverteilung (Regierungsparteien, Oppositionsparteien) entspricht, kann man immer dann erleben, wenn das Bundesverfassungsgericht mal wieder zu dem Ergebnis kommt, dass durch den Bundestag beschlossene Gesetze grundgesetzwidrig sind. (Man kann auch das Beispiel der plötzlichen Wende in der Atomkraftfrage nehmen)

Aktuell müssen sich die Verfassungshüter mit der Griechenland-Hilfe und dem Euro-Rettungsschirm beschäftigen. Dabei geht es erneut um die Frage, ob die Rechte des Parlaments gewahrt wurden, als sich die Bundesregierung nach kurzer Debatte durch eine Mehrheit ermächtigen ließ, über Milliarden an Steuergeldern frei verfügen zu dürfen. Der Prozessbevollmächtigte des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Franz Mayer von der Universität Bielefeld hat in der am Dienstag stattgefundenen mündlichen Verhandlung die Vorwürfe der Beschwerdeführer wie folgt zurückgewiesen: 

Die Beschwerdeführer würden sich auf ein neuartiges Recht berufen, das bisher gar nicht existiere, nämlich ein umfassendes Grundrecht auf Demokratie. Für die Anerkennung eines solchen Grundrechts und eine damit verbundene Ausweitung der Möglichkeiten zur Verfassungsbeschwerde gebe es aber keinen Anlass. Die rechtlichen Vorgaben zur Beteiligung des Bundestages seien eingehalten worden und die Durchführung eines den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Gesetzgebungsverfahrens in kürzester Zeit gerade ein Ausweis für die Leistungsfähigkeit des Bundestages in Krisenzeiten.

Quelle: Deutscher Bundestag

Demokratie sei ein neuartiges Grundrecht, das bisher gar nicht existiere. So gesehen kann der Bundestag im Prinzip auch geschlossen werden. Das lästige Gewissen dürfen sich die Leistungsträger beim Pförtner wieder abholen und unbeschädigt mit nach Hause nehmen.

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Zur Wahlrechtsreform

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Bundestagspräsident Lammert hat einen weiteren Sargnagel für die Demokratie ausfindig gemacht. Drei Jahre lang habe der Gesetzgeber Zeit gehabt, dass bundesdeutsche Wahlrecht so zu gestalten, dass es dem Grundgesetz entspricht. Die Verfassungsrichter hatten  2008 das negative Stimmgewicht im Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Die Sache mit den Überhangmandaten. Bis Ende Juni 2011 wurde die Frist für eine Änderung gesetzt, die die Bundesregierung nun verstreichen lässt.

Interessant sind nun die Reaktionen.

Als „beispiellose Respektlosigkeit“ gegenüber dem Verfassungsgericht kritisierte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann die Verzögerungen. Er rief die Koalition auf, sich einer überparteilichen Lösung zu öffnen.

„Wer in fast drei Jahren ein Urteil nicht umsetzt, blamiert sich als Gesetzgeber bis auf die Knochen“, sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck an die Adresse von Schwarz-Gelb dem „Handelsblatt“.

Quelle: Tagesschau

Zunächst einmal ist die schwarz-gelbe Regierung noch nicht einmal zwei Jahre im Amt (mir kommt’s auch wie eine Ewigkeit vor), d.h. die schwarz-rote Vorgängerregierung hätte genauso gut eine Änderung des Wahlrechts bewerkstelligen und damit auch die Bundestagswahl 2009 verfassungskonform ablaufen lassen können. Beides war nicht der Fall. Sich jetzt aufzuregen und über eine beispiellose Respektlosigkeit  dem Verfassungsgericht gegenüber zu jammern, kann sich Herr Oppermann wirklich sparen. Im Jahr 2009 hat die SPD keine Notwendigkeit gesehen, den Regierungspartner zu einer offenen und überparteilichen Lösung in dieser Frage zu bewegen.

Wen wundert’s? Es sind doch dieselben Parteien beteiligt, die mit Blick auf die Hartz-IV-Gesetzgebung geschlossen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts missachten und es stoisch für richtig halten, gegen die ersten Artikel des Grundgesetzes zu verstoßen, nur um die gescheiterten Agenda-Reformer zu schützen. Man braucht sie ja noch für die nächste Bundestagswahl, die, wie ein Verfassungsrichter betonte, zu einer Staatskrise führen könne.

Der langjährige frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm warnte vor einer Annullierung der Bundestagswahl 2013, wenn erneut nach dem von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärten Gesetz gewählt wird. Eine solche Aufhebung der Wahl sei höchst wahrscheinlich und würde bedeuten, „wir hätten dann für eine gewisse Zeit keinen Bundestag“, sagte er im Deutschlandfunk. „Das könnte man eine Staatskrise nennen“, fügte Grimm hinzu.  

Quelle: Tagesschau

Für eine gewisse Zeit keinen Bundestag? Was wäre dann anders? Das aktuelle Parlament ist doch bereits zur Abnickerbude der Exekutive verkommen. Zuletzt hatte die Bundesregierung dem hohen Haus 700 Seiten vorgelegt oder acht Gesetze, die nach drei Tagen beschlossen werden sollten. Dabei ging es um das Atomausstiegsgesetz, die Endlagerfrage, Erneuerbare Energien usw. Welcher Abgeordnete hat das schon genau lesen können?

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Auf welchem Friedhof liegen eigentlich Demokratie und Grundgesetz begraben?

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Das Bundesverfassungsgericht hat vor einem Jahr den Gesetzgeber aufgefordert, die Regelsätze neu und vor allem richtig zu berechnen. Mit Wirkung zum 1. Januar 2011 hätte das dann umgesetzt werden müssen. Das ist nicht geschehen, wie wir wissen. Konkret heißt das aber, dass die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts folgenlos bleibt. Nicht einmal Sanktionen drohen denen, die mutmaßlich gegen das Urteil verstoßen haben, wohingegen Hilfebedürftige noch immer dem rigorosen Bestrafungskatalog des SGB II selbst bei Nichtigkeiten ausgesetzt sind.

Die Bundesregierung verweist immer wieder darauf, dass die Leistungen rückwirkend zum 1. Januar erbracht werden und somit die Frist, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, eingehalten würde. Das ist natürlich Blödsinn, weil die Sicherstellung bestimmter Bedarfe im Rahmen des Existenzminimums, wie zum Beispiel die Nahrungsaufnahme, gar nicht verschoben werden können, um sie dann rückwirkend abzuwickeln.

Ich frage mich schon seit geraumer Zeit, wie Frau von der Leyen die Leistungen aus dem Bildungspaket, also zum Beispiel den Zuschuss zum Schulessen, dem Verfassungsgerichtsurteil entsprechend rückwirkend zum 1. Januar leisten will. Soweit ich weiß, müssen auch „kleine Erwachsene“, die offiziell wieder Kinder genannt werden, jeden Tag essen, um zu überleben. Oder hat Frau von der Leyen vor, das verpasste Essen nach erfolgreicher Novellierung jedem einzelnen Kind nachzuliefern?

Wenn Frau von der Leyen also tatsächlich der Auffassung ist, dass der Zuschuss zum Schulessen etwas mit der Sicherung des Existenzminimums zu tun hat, dann müsste sie dieses Geld sofort zur Verfügung stellen, weil die Leistungen für Ernährung laut Rechtssprechung dann erbracht werden müssen, wenn sie anfallen. Dafür bräuchte sie auch keine Mehrheiten, sondern einfach nur die Behörden entsprechend anzuweisen.

Aber wie ich höre, will die große Hartz-Koalition wieder verhandeln. Man fragt sich nur um was. Ein bisschen mehr oder weniger bedürftig? Das Wahljahr ist schließlich noch jung und der Wahlkampf gerade angelaufen.

Spannend ist natürlich auch die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht noch eine Einrichtung auf der Höhe der Zeit ist. Dem Gesetzgeber scheinen die Urteile aus dieser Richtung jedenfalls völlig egal zu sein. Während die angeblichen Verfassungsfeinde permanent beobachtet und von den Verhandlungen über das Existenzminimum ausgeschlossen werden, zeichnen sich die erklärten und von der Öffentlichkeit akzeptierten Verfassungsfreunde durch die skrupellose Ignoranz ebendieser aus.

Das ist das Selbstverständnis der erklärten Gestalter der Republik. Dabei lohnt es sich, noch einmal Wolfgang Schäuble in Erinnerung zu rufen, der in einem Streitgespräch mit dem ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer im Jahr 2009 dieses Selbstverständnis klar formulierte:

„Den einmaligen Kompetenzen des Verfassungsgerichts entsprechen eine ganz hohe Verantwortung und auch ein hohes Maß an Zurückhaltung mit öffentlichen Äußerungen. Da haben Politiker eine ganz andere Legitimation. Wir müssen in der öffentlichen Debatte ständig Position beziehen. Verfassungsrichter müssen Anspruch auf Respekt haben. Wer Gesetze gestalten will, sollte sich bemühen, Mitglied des Deutschen Bundestages zu werden.

Quelle: FAZ

Mit anderen Worten: Das Bundesverfassungsgericht solle bitteschön so eine Art Grußonkel sein und sogar bei verfassungswidrigen Gesetzen die Klappe halten, da nur dem Gesetzgeber die Gestaltungshoheit in Sachfragen zustünde.

Das scheint sich ja nun bewahrheitet zu haben. Wahrscheinlich sollten wir auch deshalb der bevorstehenden Fusion des Gerichts mit dem juristisch völlig referenz- und talentfreien saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller etwas entspannter entgegensehen. Wer einen Schäuble als Gestalter hat, der braucht einen urteilenden Müller nicht zu fürchten. Denn nach wie vor ist Schäubles perverses Weltbild Grundlage deutscher Verfassungspolitik.

Schäuble bei Anne Will am 25.10.2009:

„Stellen sie sich doch mal vor, die Bundesregierung würde jetzt eine Prüfungskommission einsetzen, wo gerade die Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht stattgefunden hat. Da würde sich die Bundesregierung ja der Lächerlichkeit preisgeben.“

Mit anderen Worten: Nach Dr. Schäuble ist die Tatsache zwar schlimm, dass Kinder in Deutschland auch weiterhin in Armut leben müssen. Aber viel schlimmer wäre es, wenn die Bundesregierung nach außen hin blöd dastünde.

Auf welchem Friedhof liegen eigentlich Demokratie und Grundgesetz begraben?

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Hartz IV: Merkel greift ein

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Nun hat sich auch die Kanzlerin in den Streit um Hartz-IV eingeschaltet und angekündigt, sich dem gemeinschaftlichen Kacken hinter verschlossen Türen des Vermittlungsausschusses anzuschließen. Auf dieser Unisex-Toilette der selbsternannten Zukunfts-Gestalter hocken Politik-Gestalten beider Geschlechter und der fünf Yes-we-Hartz!-Parteien schon seit der Weihnachtszeit, um darüber zu beraten, wie übelriechend der Furz von Frau von der Leyen, genannt Hartz-IV-Reform, denn nun werden soll. Das Problem an Fürzen ist aber, dass sie so schwer zu greifen sind. Vielleicht will deshalb die Kanzlerin dazustoßen, weil sie als gelernte Naturwissenschaftlerin genau weiß, wie man stinkende Gase in eine gemeinsame Lösung verwandelt.

Das hat den Vorteil, dass sie das Endergebnis als Betroffener Sozialleistungsempfänger zwar nicht mehr riechen müssen, aber dennoch saufen sollen, sofern sie an einem Überleben interessiert sind. Ich darf noch einmal an den wahrscheinlich schon vergessenen Referentenentwurf aus dem Sozialministerium erinnern und die darin aufgestellte völlig bizarre „Alkohol raus und Wasser rein“-Berechnung von scheinbar völlig verblödeten Mathematikern, die man früher auf den Schulhof für so einen Streberschwachsinn wahrscheinlich ordentlich verprügelt hätte.

“Ausgaben für Nahrung und alkoholfreie Getränke gehören zum unverzichtbaren Grundbedarf und damit zum physischen Existenzminimum. Deshalb werden die von den Referenzhaushalten hierfür durchschnittlich getätigten monatlichen Verbrauchsausgaben – wie bereits in der entsprechenden Sonderauswertung 2003 – in voller Höhe (100,0%) als regelbedarfsrelevant berücksichtigt. Insgesamt ergeben sich für das Jahr 2008 in Abteilung 01 regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben in Höhe von 128,46 Euro, einschließlich des eingerechneten Betrags für die Substitution der durch den Konsum von alkoholischen Getränken konsumierten Flüssigkeitsmenge durch alkoholfreie Getränke. In der Sonderauswertung EVS 2003 waren in Abteilung 02 alkoholische Getränke zu 100 % regelsatzrelevant. Alkohol stellt allerdings ein gesundheitsgefährdendes Genussgift dar und gehört als legale Droge nicht zu dem das Existenzminimum abdeckenden Grundbedarf. Daher wird Alkoholkonsum nicht mehr als regelbedarfsrelevant berücksichtigt. Wird auf Alkohol verzichtet, muss die damit verbundene Flüssigkeitsmenge allerdings zumindest zum Teil durch alkoholfreie Getränke ersetzt werden. Daher wird statt der Ausgaben für Alkohol in Abteilung 01 ein zusätzlicher Betrag für alkoholfreie Getränke anerkannt.

Dieser Betrag berechnet sich folgendermaßen:

Nach der Sonderauswertung wurden für Einpersonenhaushalte der Referenzgruppe im Jahr 2008 durchschnittliche Verbrauchsausgaben von 8,11 € für alkoholische Getränke ermittelt. Davon entfielen – nach dem Wägungsschema des allgemeinen Preisindex – rechnerisch 11,35 % für Spirituosen, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht dem Zweck der Flüssigkeitsaufnahme dienen. Es verbleiben dann von den 8,11 € noch 7,19 € für alkoholische Getränke, die durch alkoholfreie Getränke zu substituieren sind.

Es gibt für die Umrechnungen des Preises alkoholischer in alkoholfreie Flüssigkeitsmengen keine Vorgaben, so dass hier eine Plausibilitätsrechnung erforderlich ist. Für 7,19 € lassen sich etwa 12 Liter preiswertes Bier kaufen. Im Durchschnitt sind Bier oder gar Wein deutlich teurer, so dass sich ein deutlich niedrigeres Volumen an zu substituierender Flüssigkeit ergeben würde. Ausgehend von 12 Litern Flüssigkeitsbedarf ergibt sich das maximal durch alkoholfreie Getränke zu substituierende Flüssigkeitsvolumen. Da die Flüssigkeitsmenge mit einem preisgünstigen Getränk berechnet wurde, ist es angemessen, auch die alkoholfreien Getränke mit dem niedrigpreisigem Mineralwasser anzusetzen. Für die anzusetzenden 12 Liter Mineralwasser wurde ein Betrag von 2,99 € eingesetzt, für den Supermärkte flächendeckend eine entsprechende Menge Mineralwasser anbieten. Legt man die Preise der preisgünstigen Discounter für 1,5 Liter Mineralwasserflaschen zugrunde, ergibt sich für 12 Liter Mineralwasser sogar nur ein Preis von 1,52 €. Bei den als regelbedarfsrelevant berücksichtigten 2,99 € ist also bei preisbewusstem Einkauf durchaus Spielraum für Saft oder andere alkoholfreie Getränke. Diese 2,99 Euro werden bei Abteilung 01 zusätzlich berücksichtigt.”

Quelle: BMAS oder hier im Blog

Sie müssen sich jetzt einmal vorstellen, wie lange schon über eine Erhöhung der Regelsätze gestritten wird. Also das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde vor ziemlich genau einem Jahr gefällt. Immerhin seit dem Spätherbst wissen wir schon, was bei der Neuberechnung herausgekommen ist und seit Weihnachten ist der Gesetzgebungsprozess vorerst gestoppt, weil die Opposition ein wenig Demokratie spielen will.

Sie können mich ja für verrückt halten, aber im Prinzip hätte sich doch keiner darüber beschweren dürfen, wenn man die Regierung wegen Verschleppung eines verfassungswidrigen Zustands aus dem Amt gejagt hätte. Das ist natürlich nicht passiert, weil der Verfassungsschutz mit der Beobachtung der Linkspartei bereits ausgelastet ist.

Eine Entscheidung über das Existenzminimum ist politisch verdammt schwer. Das müssen sie einfach verstehen. Bei etwa 6,5 Millionen Beziehern von Hartz IV oder Sozialgeld muss genau gerechnet werden. Wenn alle gleichermaßen in den Genuß einer Erhöhung von fünf Euro kämen, würde dass den Steuerzahler fast 400 Mio. Euro kosten. Und wenn sich die SPD mit ihren elf Euro durchsetzen könnte, würde das die Staatskasse im schlimmsten Fall um die 860 Mio. Euro kosten. Das sind natürlich Größenordnungen, bei denen die Parlamentarier ganz genau hinschauen und prüfen wollen.

Schließlich ist „Hartz-IV“ keine bad bank, wie die HRE, der man relativ rasch mit hohen Milliardenbeträgen aushilft, sobald ein verstörter Bankenchef aus München öffentlich darüber klagt, dass sein Goldesel unter der Last des vielschichtigen Toilettenpapiers mit einstigem Toprating zusammengebrochen ist. Da wird nicht groß beraten oder getagt, sondern einfach demokratisch und überparteilich abgenickt.

Karikatur: Klaus Stuttmann
Quelle: Klaus Stuttmann

Mein Tipp: Das Thema Hartz-IV taugt bestimmt noch für den Wahlkampf. Ich könnte mir vorstellen, dass alle beteiligten Hartz-Parteien ein Interesse daran haben, das Thema so lange wie möglich für ihre Zwecke ausschlachten zu können.

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Sollte Peter Müller Verfassungsrichter werden?

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Natürlich nicht! Aber nur, weil er CDU-Politiker ist, reicht ja nicht als Begründung. Ganz toll fand ich die Begründung, die ich via NachDenkSeiten auf law blog gefunden habe:

Der Job am Bundesverfassungsgericht ist sicher so was wie ein juristischer Olymp. Schon von der Natur der Sache her sollten, ja müssen dort erstklassige Juristen sitzen. Gehört Peter Müller dazu? Die Zeit hat nach die Spuren von Müllers juristischer Karriere gesucht und ist auf nichts gestoßen, was man spektakulär nennen könnte.

Im Prinzip ist Müller gelernter Politiker. Das reicht offensichtlich als Qualifikation. Ich bin begeistert über die Durchlässigkeit unserer Leistungsgesellschaft. Fehlt nur noch, dass der gelernte Jurist ohne nennenswerte praktische Erfahrung Westerwelle nach dem Untergang der FDP zum Generalbundesanwalt ernannt wird.

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Weihnachtsbotschaften

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Wie hätte wohl eine Bundespräsidentin Ursula von der Leyen ihre Weihnachtsansprache gestaltet? Sie hätte in jedem Fall auch gestanden, wie vor gut zwei Monaten, als sie ihre ganz speziellen Arbeitslosenzahlen noch vor allen anderen verkündete und meinte, dass es sich hierbei um einen großen Erfolg der Regierung Merkel handeln würde. Oder können sie sich noch an die Zeit erinnern, als von der Leyen Bundesfamilienministerin war und sich zur Schirmherrin der Tafeln kühren ließ? Damals sprach sie ebenfalls stehend genau denselben Mist in die Mikrofone wie der aktuelle Bundespräsidentenversuch Wulff, der meinte, dass es Menschen bräuchte, denen Menschlichkeit wichtig sei.

von der Leyen (2006)

„Für mich ist einer der Schlüsselbegriffe für die Zukunft unseres Landes die Verantwortung – das heißt auch Verantwortung für die Menschen, die Hilfe benötigen. Eine Zivilgesellschaft muss in der Lage sein, gemeinschaftliche Fürsorge aktiv wahrzunehmen. Dafür ist die Tafel-Bewegung ein Musterbeispiel. Eine einfache und gute Idee wird zielstrebig und konsequent umgesetzt. Diese Erfolgsgeschichte zeigt, dass unsere Zivilgesellschaft funktioniert. Wir sehen, wie viele Menschen bereit sind, sich für Andere einzusetzen und uneigennützig zu helfen.“

Quelle: Bundesfamilienministerium (BMFSFJ)

Wulff (Weihnachten 2010)

„Der Staat kann im Rahmen seiner Möglichkeiten Menschen in Not finanziell unterstützen. Aber jemandem Mut zusprechen, jemandem auf die Schulter klopfen, jemandem die Hand reichen: Dafür braucht es Menschen, für die Menschlichkeit wichtig ist.“

Quelle: Bundespräsidialamt

Dumm nur, dass weder der stehende Wulff noch die stehende Frau von der Leyen mit ihren Einschätzungen auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen. Denn wie das Bundesverfassungsgericht zu Beginn dieses Jahres unmissverständlich feststellte, dürfe sich der Staat nicht einfach aus seiner Verantwortung stehlen und darauf verweisen, dass es schließlich so etwas wie ein zivilgesellschaftliches oder ehrenamtliches Engagement gäbe, welches den Bedürftigen helfen würde.

„Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist.“

Quelle: BverfG

Statt an den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu appellieren, der sich auf privatwirtschaftliches Engagement stützen soll und gegen das die Bedürftigen dann keine einklagbaren Rechte mehr besitzen, hätte spätestens Herr Wulff den Spruch der Richter zu Hartz IV genauer kennen können, um dann zu fordern, dass der Staat eben nicht nur im Rahmen seiner Möglichkeiten den Bedürftigen helfen könne, sondern verpflichtet sei, Bedürftigen so zu helfen, dass deren Grundrechte nicht verletzt werden.

So hätte sich Herr Wulff statt ehrenamtlichen Helfern Sozialleistungsempfänger, also Opfer einer politisch vorangetriebenen Spaltung der Gesellschaft, einladen sollen, um sich bei diesen Menschen zu entschuldigen, dass sie seit Einführung der Agenda 2010 unter einem verfassungswidrigen Zustand zu leben haben und eine dauerhafte Verletzung ihrer Grundrechte hinnehmen müssen, die auch zum 1. Januar 2011 noch Bestand haben wird, weil die derzeitige Bundesministerin für Arbeit und Soziales und Beinahe-Präsidentin Ursula von der Leyen noch immer nicht verstanden hat, worum es bei dem in der Verfassung verankerten Sozialstaatsgebot eigentlich geht.

Sie wolle mit der SPD im Vermittlungsausschuss nicht um die Höhe des künftigen Regelsatzes „feilschen“, heißt es heute in einer Sonntagszeitung. Mit solchen Botschaften heizt die ehemalige Schirmherrin der Tafeln und erklärte Botschafterin für zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt die Spaltung innerhalb der Gesellschaft weiter an. Denn es nimmt nicht nur die Aggression und die Abneigung gegen Sozialleistungsempfänger sprunghaft zu, sondern auch die Bereitschaft der noch Bessergestellten rapide ab, Bedürftigen überhaupt zu helfen. Auch da ist Deutschland unter den großen Volkswirtschaften der Welt inzwischen spitze oder Schlusslicht, je nach dem wie herum man das betrachten will.

Wie gut, dass es da mit dem „ProChrist“ Christian Wulff einen Bundespräsidenten gibt, der wie ein Prediger in der Kirche einfach Realitäten auszublenden vermag und daran glaubt, dass ein Schulterklopfen genügt, um die soziale Schieflage in diesem Land, dessen Existenz er gar vermeidet anzusprechen, zu beseitigen.

„Von Weihnachten geht die Botschaft des Friedens und der Zuversicht aus. Was vor 2000 Jahren auf den Feldern von Bethlehem als Gruß der Engel an die Hirten erklang, das ersehnen wir uns auch heute: Friede auf Erden.“

Und seit 2000 Jahren besteht der elendige und nie aufgeklärte Widerspruch zwischen dem angeblich gerechten und zärtlichen Gott und dem Schrecken ewiger Qualen. Von wegen Friede auf Erden. Ein Bundespräsident, der nach Aufklärung, Revolutionen und Säkularisierung den fragmentarischen Rest einer christlichen Religion widerbeleben will und so tut, als könne Gott eine Antwort geben, während aktuell die schwarz-gelbe Koalition als weltliche Verbrecherbande Gesetze gegen jedes Menschenrecht mit dem Segen des Staatsoberhaupts erlassen darf, der hat einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank.

„Wie kann Gott, der doch später das Menschengeschlecht durch den Tod seines einzigen Sohnes erlöst, oder der vielmehr, selbst zum Menschen geworden, für die Menschen stirbt, wie kann er, sag‘ ich, eben jenes Menschengeschlecht, für das er gestorben, fast ohne Ausnahme dem Schrecken ewiger Qualen preisgeben?

Es macht Gott entweder zur Bosheit selbst, und zwar zur unendlichen Bosheit, die denkende Wesen geschaffen, um sie ewig unglücklich zu machen, oder zur Ohnmacht und Blödsinnigkeit selbst, die das Unglück ihrer Geschöpfe weder vorher zu sehen, noch zu verhüten vermocht.“ (Voltaire: Ueber das Gute und das Böse in der physischen und in der moralischen Welt.)

Ja, man könnte auch sagen, der Mann am Kreuze hat sichs bequem gemacht. Das ließ jedenfalls Georg Büchner seinen Danton aussprechen, damit er dann fragen konnte, „Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?“ Wulff und von der Leyens christlicher Gott hat darauf nämlich keine Antwort. Das muss er auch nicht, weil er nur als Blendwerk dient, um die frevelhaften Taten einer Regierung, die im Sinne des Volkes zu handeln vorgibt, zu verdecken.

In diesen Tagen sollte man nicht auf die Grüße der Engel warten, sondern ergründen, ob es eigentlich noch einen Unterschied gibt, zwischen dem einstigen klaren System der direkten Beherrschung und der Demokratie, deren gewählte Vertreter die einst gegen Kirche und Adel erkämpften Menschen- und Grundrechte wieder mit Füßen treten, weil sie glauben, dass Banken systemrelevanter sind als der in der Verfassung stehende Souverän.

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