Es gilt das Versteinerungsprinzip

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Der Bundeswirtschaftsminister teilt mit Blick auf den Mindestlohn die Sorgen der deutschen Wirtschaft. Was er damit diese Woche wirklich meinte, war, dass er die Sorgen der deutschen Arbeitgeber teilt. Schon längst herrscht im Bundeswirtschaftsministerium keine ökonomische Kompetenz mehr vor. Die Verwandlung zum reinen Arbeitgeberministerium ist auch hier schon abgeschlossen. Der einstige Bettvorleger der Pharmalobby, Rösler, ist nach seinem Wechsel vom Pharmaministerium zum Arbeitgeberministerium Bettvorleger geblieben. Über seine weiteren beruflichen Ambitionen schweigt sich der gelernte Mediziner mit abgebrochener Fachausbildung zum Augenarzt aus.

Die Frage stellt sich auch gar nicht, da zurzeit das sogenannte Versteinerungsprinzip gilt. Das heißt, die schwarz-gelbe Chaostruppe bleibt geschäftsführend solange im Amt, bis eine neue Koalition die versteinerten Ansichten übernimmt. Deshalb macht es auch nichts aus, wenn die Bundesminister Pofalla und Friedrich der Lüge überführt werden. Zurücktreten, geht ja aus Gründen der Versteinerung nicht, es sei denn, die Regierungschefin stellt Amtsunfähigkeit fest. Daran gibt es objektiv gesehen zwar keinen Zweifel, doch wer will schon objektiv sein, wenn zunächst noch geklärt werden muss, welche subjektiven Wünsche auf Ministerposten in einer künftigen Regierung erfüllt werden können.

Das braucht Zeit. Die Große Koalition hat diese Woche schon bewiesen, wie sie bei der Zusammensetzung des Bundestagspräsidiums zusammenarbeiten kann. Dabei wollten die potenziellen Partner ja erst über inhaltliche Fragen diskutieren bevor man über Köpfe entscheidet. Eine der wichtigsten Fragen, nämlich die nach dem Mindestlohn, hat man vorsorglich ganz nach hinten verschoben, um nicht den Rest der Koalitionsgespräche damit verbringen zu müssen, der Öffentlichkeit zu erklären, warum der eine gegen sein und der andere gegen sein Wahlversprechen verstoßen hat.

Ziel der schrittweisen Wählertäuschung ist natürlich die Herstellung stabiler Verhältnisse. Eine Regierung, auch wenn sie wie die letzten vier Jahre nichts tut, muss stabil zusammenhalten und bei Bedarf auch gegen die eigenen Programme stimmen. Das ist die Überzeugung der Auserwählten, die sich fälschlicherweise Abgeordnete nennen, in Wirklichkeit aber nur wie kastrierte Wackeldackel im Parlament herumhocken und an der kurzen Leine ihres Listenplatzes gehalten werden, während Herrchen und Frauchen im Hinterzimmer den geliebten Konsens auskungeln (höre Pispers).

Das Verhältnis zwischen Exekutive, also der Regierung, und dem Parlament hat sich längst umgedreht. Nicht das Parlament zwingt die Regierung zum Handeln, sondern die Regierung lässt abnicken, was zuvor in kleiner Runde oder auf irgendeinem Gipfel beschlossen wurde. Schon die vergangene Legislaturperiode hat gezeigt, dass es keiner formal in einem Vertrag fixierten stabilen Mehrheit bedarf. Im Zweifel konnte die Regierung Merkel auf eine noch breitere Zustimmung bauen, als ihr nach der Koalitionsvereinbarung eigentlich zustand. Frei nach dem SPD-Motto: Die Kanzlerin macht alles falsch, aber wir unterstützen sie dabei – aus Sorge um Deutschland (siehe Pelzig).

In einer Parlamentarischen Demokratie geht es um Mehrheiten und nicht um Regierungen. Eine spannendere Politik wäre möglich, wenn sich die Abgeordneten darauf besännen und künftig so beschlössen, wie sie vor dem Wähler heucheln. Das geht natürlich nicht, weil das Land unter diesen Umständen unregierbar wäre. Dennoch hat man die Zeit, bis Weihnachten in aller Ruhe (O-Ton Nahles) Koalitionsgespräche zu führen, um krampfhaft an jenen Formulierungen zu feilen, die dabei helfen sollen, das hässliche Gesicht zu wahren, von dem man glaubt, es wirke immer noch anziehend.

Dann lieber die Unregierbarkeit, die im Grunde nur verlangt, sich der vorherrschenden Versteinerung zu entledigen. Eine an Inhalten orientierte Politik wäre tatsächlich möglich und nicht nur hohles Geschwätz, das sich ausredend einer verabredeten Mehrheit von nunmehr 80 Prozent zu beugen hat. Das Schlimme ist aber, dass wir uns diesen Scheiß von Verantwortung und stabilen Verhältnissen ab Sonntag auch noch eine Stunde länger anhören können.

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Was wurde eigentlich aus dem Neuner-Gremium

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Das neue Politbüro, in dem Vertraulichkeit herrschen sollte, hätte bereits vor einem Jahr mit dem sogenannten Neuner-Gremium verwirklicht werden können. Schäuble hatte dieses Modell in Karlsruhe leidenschaftlich verteidigt. Das Bundesverfassungsgericht sah es bekanntlich anders, war aber nicht grundsätzlich gegen die Delegation von Beteiligungsrechten des Bundestages an ein Sondergremium. Deshalb wurde es auch relativ unbemerkt von der Öffentlichkeit im vergangenen Juni als Unterabteilung des Haushaltsausschusses gegründet.

Damit reiht sich das Sondergremium, das unter bestimmten Bedingungen über den Ankauf von Staatsanleihen geheim entscheiden darf – wenn die Bundesregierung das für richtig hält – nahtlos neben das ebenfalls geheim tagende Finanzmarktgremium ein, das über das bereits in Vergessenheit geratene 480 Milliarden Euro schwere Banken-Rettungspaket wacht. Dort sitzen auch nur neun Abgeordnete, die sich regelmäßig durch das Finanzministerium über die Verwendung der Gelder informieren lassen und zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

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Fassadendemokratie

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Sahra Wagenknecht im Bundestag zur Abstimmung über die jüngsten „Griechenland-Hilfen“:

„Warum spielen sie alle als brave Marionetten in dieser Fassadendemokratie mit und lassen eine Koalition weiter herumstümpern, die offenbar glaubt, die soziale Realität in Deutschland und Europa ließe sich genauso leicht frisieren wie der Armuts- und Reichtumsbericht?“

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Zwischen Hammelsprung und Karlsruhe

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In diesem Blog habe ich schon mehrfach darauf hingewiesen, dass der Parlamentarismus in Deutschland nicht mehr als eine Posse ist. Der jämmerliche Zustand der Nationalversammlung, wahlweise auch Volksvertretung genannt, ist aber nicht erst seit dem Amtsantritt Angela Merkels virulent, sondern bereits zu jener Zeit offen zu Tage getreten, als Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder das Parlament mit der Begründung auflösen ließ, keine eigenen Mehrheiten für die begonnene Reformpolitik mehr organisieren zu können.

Nachdem Bundespräsident a.D. Horst Köhler den deutschen Bundestag am 21. Juli 2005 auflöste und Neuwahlen anordnete, folgten aber noch Parlamentsdebatten, in denen die rot-grüne Bundesregierung ohne große Auseinandersetzung Beschlüsse fassen konnte, unter anderem die Ausweitung des Afghanistan-Mandates am 28. September 2005 – also rund zehn Tage nach der vorgezogenen Bundestagswahl. Die Sondersitzung des Parlamentes in alter Zusammensetzung war notwendig geworden, weil das Mandat für den Einsatz am Hindukusch am 13. Oktober 2005 – also eine Woche vor der konstituierenden Sitzung des neugewählten Parlaments – ausgelaufen wäre.  

Die fortwährende Präsenz der Bundeswehr wurde damals noch mit der Lüge begründet, keinen Kriegseinsatz, sondern eine Friedensmission durchzuführen. Gleichzeitig setzen sowohl die bereits abgewählte Schröder-Regierung wie auch die damalige Opposition aus Union und FDP auf ein beschleunigtes Verfahren ohne Bundestagsdebatte, um größere Verwirrungen in der Öffentlichkeit zu vermeiden. 

Warum erzähle ich das? Weil es in einem Parlament um Mehrheiten geht und um die Aufgabe der Regierung, diese nach einem Verfahren, das man Debatte nennt, zu organisieren. Damals im Jahre 2005 zeichnete sich schon ab, welche Funktion die jeweils amtierende Exekutive dem Parlament künftig zugestehen wollte. Die ganz große Koalition, die sich bereits im Vermittlungsausschuss zum Thema Agenda 2010 hinter mehr oder weniger verschlossenen Türen freundschaftlich und einig zusammenfand, sollte nun auch im deutschen Bundestag beim sturen Abnicken der Regierungsvorlagen ihre Fortsetzung finden.

Die neben der großen Koalition ebenfalls vorhandene Mehrheit im 16. deutschen Bundestag für eine Politik, die die SPD in ihren Wahl- und Parteiprogrammen immer wieder ankündigte, blieb jedoch ungenutzt. Die SPD stand lieber treu als Juniorpartner an der Seite der Union und erteilte beispielsweise eigenen Vorlagen zum Mindestlohn eine Abfuhr, nur weil sie die Linkspartei taktisch geschickt ins Plenum einbrachte. Gleichzeitig warf die SPD als Partei mit einem Programm jener sich im Gründungsprozess befindlichen Linken vor, keines zu haben. Doch was nützt auch ein Programm, wenn man es gar nicht ernst nimmt, sondern in Wirklichkeit mit dem konform geht, was sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung richtet.

Unter Angela Merkel ist das Parlament dann mit dem Vermerk “alternativlos” und der konsequenten Einführung der marktkonformen Demokratie an den Rand des Geschehens gedrängt worden. Doch auch hier hatte die SPD, mit ihrem Finanzminister Steinbrück – auch bekannt als best Krisenmanager ever – ihren Anteil, indem sie ein Ermächtigungsgesetz nach dem anderen für die schwächelnde Finanzindustrie durchpeitschte und später noch die verharmlosenden Vokabeln Rettungsschirm und Krisenmechanismus erfand. Doch was sollte gerettet werden? Nicht der Parlamentarismus, sondern der Euro, an dem alles, letztlich auch die bis zur Unkenntlichkeit deformierte Demokratie, irgendwie herumbaumelt.

Was war nun am Hammelsprung um das Betreuungsgeld und andere Gesetze so besonders? Hat das Parlament plötzlich seine Krallen gezeigt? Mitnichten. Wenn man weiß, dass es interfraktionelle Vereinbarungen über den Proporz bei Abstimmungen gibt, sieht die Sache anders aus. Falls nämlich in den Regierungsfraktionen Mitglieder fehlen, entsendet die Opposition immer nur soviel Abgeordnete wie nötig sind, um die Mehrheitsverhältnisse bei vollem Haus widerzuspiegeln. Das nennt man dann Geschäftsordnung oder parlamentarische Fairness. Jedoch hätte die ach so unfaire Opposition bei der Abstimmung über das Betreuungsgeld auch ein paar mehr eigene Mitglieder mobilisieren können, um eine überraschende Mehrheit gegen das Vorhaben der Bundesregierung zu organisieren.

Das tat sie aber nicht, weil die Feststellung der Beschlussunfähigkeit keiner der im Bundestag vertretenen Parteien einen größeren Schaden zufügt – das Verfahren über das Betreuungsgeld ist ja bloß verschoben –, sondern ausschließlich dem Parlament. Und das kann seine abermalige Beschädigung durch seine Mitglieder offenbar vertragen, wohingegen ein Verlust der Gesichter auf Seiten der Fraktionen hüben wie drüben unbedingt vermieden werden muss.

Wieso sollte das Theater eigentlich nicht abgesprochen gewesen sein? Unterm Strich hat man doch Zeit gewonnen – also das, was Bundeskanzlerin Merkel und die ihr ergebenen Fraktionen seit Jahren als politischen Erfolg verkaufen!

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Lammerts Vorbemerkungen

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Bundestagspräsident Norbert Lammert gilt inzwischen als Entertainer des parlamentarischen Betriebes. Bisweilen erfrischend und süffisant sind seine Spitzen und Anmerkungen in Richtung der Abgeordneten. Man könnte beinahe sagen, wenn Lammert spricht, wird es immer lustig.  

Dabei sollte man schon etwas genauer hinhören. Zum Beispiel auf Norbert Lammerts Vorbemerkungen im Rahmen der Vereidigung des neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck, die in den Medien bloß als unterhaltende Einlage verkauft wurden. Verlogen war zum Beispiel die Würdigung des ebenfalls anwesenden Bundespräsidenten a.D., Christian Wulff, über dessen Rücktritt sich Lammert vor einer Woche zur Erheiterung der Bundesversammlung noch wiederholt lustig machte.

Weiterhin sagte Lammert mit Blick auf den neuen Präsidenten:

“Joachim Gauck weiß aus eigener Anschauung, was ein Leben in Gängelung, Bevormundung und Unfreiheit bedeutet – und was die Kraft der Freiheit vermag.”

Ist das nun Ironie oder purer Zynismus? Als ob nicht auch der ausgebildete Sozialwissenschaftler Lammert wüsste, dass die Kraft der Freiheit gegenwärtig wieder darin besteht, Menschen zu gängeln, zu bevormunden und sie unter Androhung von Leistungskürzungen in ihren Grundrechten zu beschneiden.

Weiterhin sagte er:

„Demokratie ist gerade kein Verfahren zur Vermeidung von Streit, sondern zur fairen Austragung unterschiedlicher Interessen und Meinungen.“

Hätte man hier nicht anfügen müssen, dass sich das Wörtchen „fair“ nur auf den Vorgang oder das Verfahren an sich beziehen kann, aber keinesfalls auf das Ergebnis von Politik, da egal welche Mehrheitsverhältnisse nun vorherrschen, sich immer die gleichen Interessen und Meinungen durchsetzen?

Zur Ansprache des Bundespräsidenten hat sich Roberto sehr zustimmungswürdige Gedanken gemacht:

http://ad-sinistram.blogspot.de/2012/03/langer-rede-kaum-ein-sinn.html

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Bundesverfassungsgericht folgt in Teilen der Marktlogik

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Ein seltsames Urteil hat das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das sogenannte „Neuner Gremium“ am Dienstagvormittag gefällt. Die kleine Abordnung des Haushaltsausschusses darf bleiben und im Ausnahmefall geheime Entscheidungen treffen, um die Märkte, wie es heißt, überraschen zu können oder nicht unnötig zu verunsichern, was letztlich geplante Rettungsmaßnahmen konterkarieren könnte. Wenn die Bundesregierung plane, am Finanzmarkt aktiv zu werden, könne ein Nachteil bereits durch das Bekanntwerden der Information entstehen, so die Richter in ihrer Begründung. Damit folgt auch das Bundesverfassungsgericht in Teilen einer kruden Marktlogik und ordnet die Rechte des Parlaments und einzelner Abgeordneter dieser unter.

Wieso kassiert man nicht dieses Gremium ganz und empfiehlt dem Gesetzgeber, endlich dafür zu sorgen, eine strenge Regulierung der Finanzmärkte vorzunehmen?

Karlsruhe hat demnach nicht die Rechte des Bundestages gestärkt, sondern der Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet, Budgetfragen am Parlament vorbei absegnen zu lassen. In einem konkreten Einzelfall wie dem strategischen Anleihekauf auf dem Sekundärmarkt ist das geheim tagende „Neuner Gremium“ aus Sicht des Bundesverfassungsgericht nicht zu beanstanden. In allen anderen Fällen müssen aber die Rechte des Bundestages und der ihm angehörenden Mitglieder beachtet werden. Das ist aber nicht konsequent. Derweil wird sich Schäuble freuen, weil er jetzt definieren darf, wie der erlaubte Einzelfall aussehen kann.

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Kanzlerinnenmehrheit verfehlt? 84 Prozent sagen Ja

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Na was war das für eine Nachricht. Kanzlerin Angela Merkel hat am Montag bei der Abstimmung über das zweite Rettungspaket für Griechenland im Bundestag die sogenannte Kanzlerinnenmehrheit verfehlt. Oh je. Bei 496 Ja-Stimmen davon zu sprechen, eine Mehrheit verfehlt zu haben, mutet schon reichlich schräg an. Natürlich haben nicht alle Parlamentarier aus dem schwarz-gelben Lager für den Antrag der Bundesregierung gestimmt – zahlreiche Abgeordnete (29) waren nicht anwesend – an der Zustimmung des Hauses bestand aber nie ein Zweifel. Von den 591 Abgeordneten haben schließlich knapp 84 Prozent für die Vorlage der Bundesregierung gestimmt. Nun tun aber die Medien so, als hätte am Montagnachmittag ein kleines innenpolitisches Erdbeben stattgefunden.

Da ist dann von einem neuen Bündnis die Rede, welches am politischen Firmament anzuziehen beginnt. Union, SPD und Grüne agierten sehr viel stabiler, als die beiden Parteien, die im Augenblick die Regierung tragen. Doch wer trägt diese Regierung? Ist es nicht eher so, dass es bei den wirklich wichtigen Themen immer eine breite parlamentarische Mehrheit aus Union, SPD, Grünen und FDP gegeben hat? Bei der Eurorettung sind sich alle einig. Beim Thema Krieg sind sich ebenfalls alle einig. Auch die Arbeitsmarktpolitik und insbesondere das gemeinsame Kind Hartz IV vermag diese Koalition der Willigen nicht zu spalten. Die Schuldenbremse, ein volkswirtschaftlicher und finanzpolitischer Irrweg, hat inzwischen Verfassungsrang.

Unterschiede gibt es allenfalls auf Nebenschauplätzen und selbst dort wird nur mit Nebelkerzen geworfen. An dieser Stelle muss nicht noch einmal die traurige Geschichte vom Mindestlohn erzählt werden, der nach zahlreich verpassten Chancen noch immer darauf wartet, im wichtigsten Land der EU endlich eingeführt zu werden. Psst, die SPD will es diesmal wirklich angehen. Nein, man muss schon unterscheiden zwischen Symbolpolitik und Sachfragen, deren Lösungen als Alternativlosigkeit Partei übergreifend präsentiert werden. Angela Merkel hat ihre Kanzlerinnenmehrheit nicht verloren, weil sie in Wahrheit von weit mehr als Zweidrittel der Abgeordneten getragen wird. Die SPD weigert sich sogar, bei der kommenden Wahl auf eine Ablösung der amtierenden Kanzlerin hinwirken zu wollen. An der CDU-Chefin führt auch künftig kein Weg vorbei, egal mit welcher anderen Partei aus ihrer großen Koalition sie offiziell auch regieren wird.

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Wie erzeugt man Spannung vor einer klaren Abstimmung

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Nach der Sitzung des Haushaltsausschusses am Freitag hat Carsten Schneider, das finanzpolitische Milchgesicht der SPD-Bundestagsfraktion, die Zustimmung seiner Fraktion zum zweiten Griechenland Rettungspaket von der Rede der Kanzlerin abhängig gemacht. Sie müsse offener über Lasten und Risiken sprechen, hieß es. Da versucht offenbar jemand Spannung zu erzeugen.

Dabei ist doch die Reduzierung des Bundestags auf eine Versammlung von vermeintlichen Volksvertretern, die zusammenkommen, um die Bundesregierung regelmäßig und bereitwillig zu unterstützen längst vollzogen worden. Carsten Schneider bestätigt das. Und was ist, wenn Merkel in ihrer Rede nicht über Lasten und Risiken spricht? Wird dann die SPD morgen geschlossen gegen das Gesetz stimmen? Wohl kaum.

Man muss sich schon fragen, warum gerade einer wie Bundesinnenminister Friedrich am Wochenende den Austritt Griechenlands aus der Eurozone fordern und erneut eine alberne Diskussion lostreten darf. Der Mann, der sonst vor einer linksextremistischen Gefahr und dem islamistischen Terror warnt, schwingt sich plötzlich zum Experten in Finanzfragen auf, während der dafür zuständige Minister bereits das dritte Hilfspaket für Griechenland plant.

Am Montag wird es keine Überraschungen geben und die Bundeskanzlerin der Opposition auch den Gefallen tun, über die Lasten und Risiken zu referieren. Das wird dann dergestalt ausfallen, dass der Euro mit dem alternativlosen Paket einmal mehr gerettet werde, die Risiken überschaubar seien und Lasten nicht anfallen, weil der Euro als Ganzes stabilisiert werde. Dann wird ein Redner der SPD, vielleicht Herr Schneider, ans Pult treten und allenfalls handwerkliche Fehler bemängeln, wie der Streit um die bisher nicht abgerufenen 24,4 Mrd. Euro aus dem ersten Hilfspaket belegt.

Am Ende haben sich trotzdem alle lieb und ein weiteres Rettungspaket für Griechenland die Banken wird mit breiter Mehrheit und viel Pathos verabschiedet werden. Die Zweifel an dem Gesetz bleiben nur gespielt. Auch vor dem Hintergrund, dass Bundesinnenminister Friedrich allen anderen Maßnahmen zur Eurorettung, wie der Ausweitung des EFSF im vergangenen Jahr zum Beispiel, ohne zu murren zugestimmt hat und ansonsten gar nichts zur Debatte beisteuerte.

Für zusätzlich Spannung ist also nicht gesorgt.

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Unionsfraktion klagt über Informationsdefizit

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Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Johannes Singhammer (CSU), beklagte sich am Wochenende darüber, dass die Abgeordneten durch die Bundesregierung nicht ausreichend über die Risiken bei der Euro-Rettung informiert würden. Er fordert daher einen monatlichen Statusbericht über die aktuelle Haftungssumme des deutschen Steuerzahlers.

Sie erinnern sich. Als im letzten Jahr die Aufstockung des Rettungsschirms beschlossen wurde, sahen die Abgeordneten auf Nachfrage der Panorama-Redaktion am Abstimmungstag ziemlich ahnungslos aus. Viele wussten weder über die Höhe des deutschen Anteils am Rettungsschirm noch darüber bescheid, an wen zu diesem Zeitpunkt bereits Gelder geflossen waren.

Trotzdem stimmte eine breite Mehrheit, mit Ausnahme der Fraktion DIE LINKE und einiger FDP-Abweichler, am 29. September 2011 für die Aufstockung des Rettungsschirms, obwohl sie, wie jetzt Johannes Singhammer bestätigt, unzureichend informiert worden waren.

“Für jeden Aufsichtsrat eines Unternehmens ist die Kenntnis und Bewertung der Risiken und Haftungen in kurzen zeitlichen Abständen eine Pflichtaufgabe”, sagt der CSU-Politiker. Dies müsse künftig auch für die Parlamentarier gelten. Nicht nur angesichts der gewaltigen Summen, um die es bei der Euro-Rettung gehe, sei eine “größtmögliche Transparenz bei eingegangenen Verpflichtungen und Risiken unverzichtbar”.

Quelle: Süddeutsche

Als die Finanzkrise ausbrach und zahlreiche Sparer, die ihr Geld auf windige Zertifikate setzten, einen Totalverlust hinnehmen mussten, erklärten Banker und Politiker einträchtig, dass man künftig nichts mehr unterschreiben solle, was man nicht verstehe. Wenn eine große Mehrheit im deutschen Bundestag aber nicht verstanden hat, worüber sie abstimmen soll, wieso hat sie das Gesetz der Bundesregierung dann nicht einfach abgelehnt?

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Regiert vom organisierten Geld

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“Vom organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso schlimm wie vom organisierten Verbrechen regiert zu werden”, sagte Sahra Wagenknecht heute Vormittag im Deutschen Bundestag. Um einzelnen Protesten aus dem Plenum gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, fügte sie umgehend an:

“Meine Damen und Herren vom Verfassungsschutz: Sie müssen diesen Satz nicht mitschreiben. Er stammt nicht von einem Kommunisten – sie sagen Blödsinn – dieser Satz stammt von dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Und FDR hat den Satz nicht einfach nur dahergeredet, sondern er hat die Konsequenzen gezogen, indem er in seiner Regierungszeit den Finanzsektor massiv reguliert hat.”

Quelle: Bundestag

Sahra Wagenknecht hat es erneut geschafft, in der Debatte um neuerliche Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes, die Widersprüchlichkeit auf den Punkt zu bringen. Milliarden werden für Banken zur Verfügung gestellt und auf der anderen Seite bei den Menschen und der Infrastruktur gekürzt.

“Die Idee, sich das Geld von den Banken zurückzuholen, die wieder Boni ausschütten, liegt völlig außerhalb der Vorstellungskraft dieser Bundesregierung.”

Laut einer Schätzung von Peer Steinbrück hätte die Deutsche Bank beispielsweise 30 Mrd. Euro abschreiben müssen, wenn ihr nicht die Staaten mit ihren Rettungsmaßnahmen (IKB, HRE, AIG) unter die Arme gegriffen hätten.

Das Beispiel Commerzbank, bei der der Bund mit 18 Mrd. einstieg, auf Stimmrecht und Zinsen aber verzichtete, sei ein Beleg für die Harakiri-Politik der Bundesregierung. Die Commerzbank schreibe nämlich schon längst wieder Gewinne, Zinsen für die stille Einlage des Bundes zahle sie aber noch immer nicht. Eine abenteuerliche Konstruktion, meint Wagenknecht, mit der dem Bund mindestens 2 Mrd. Euro an zusätzlichen Einnahmen verloren gingen.  

“Mit diesen 2 Mrd. Euro hätten sie übrigens 20 Jahre lang, ohne Probleme, für alle Wohngeldempfänger in Deutschland den Heizkostenzuschuss zahlen können. Aber sie brauchen ja keinen Heizkostenzuschuss zu zahlen, weil der ja wegen unerbittlicher Sparzwänge von dieser neoliberalen Koalition mal eben gestrichen wurde. Den konnte man sich nicht mehr leisten.

Das zeigt doch offensichtlich: Wir müssen scheinbar immer nur deshalb sparen, um uns immer wieder solche Rund-um-sorglos-Pakete für die Banken leisten zu können.

Zum Schluss verwies Wagenknecht darauf, dass eine Behörde wie der Verfassungsschutz durchaus etwas zu tun hätte. Der könne sich nämlich um Leute kümmern, die zum Zwecke der Bankenrettung das Budgetrecht des Parlaments einschränken oder umgehen wollen oder um die, die der Meinung seien, dass parlamentarische Prozesse eigentlich nur stören, wenn sie denn die Märkte beunruhigen.

“Oder um die, die ins Gespräch bringen, dass wir plötzlich eine marktkonforme Demokratie brauchen. Keine dieser Absurditäten ist im Grundgesetz vorgesehen. Sie widersprechen ihm sogar ausdrücklich!”

Im Anschluss an Sahra Wagenknechts Äußerungen konnte sich der Bundesminister der Finanzen, Wolfgang Schäuble, die Feststellung nicht verkneifen, dass sie wohl die Überwachung anderer Parlamentarier durch den Verfassungsschutz wünsche. Im Übrigen blieb der Finanzminister auch auf Nachfrage die Zahlen schuldig, die der Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin bereits durch die Bankenrettung verloren hat. Die stünden abschließend noch nicht fest, hieß es von Schäuble lapidar, der nach eigener Aussage eine unnötige Verunsicherung vermeiden wolle. Vertreter von SPD und Grünen gaben jedenfalls an, die Zahlen öffentlich nicht nennen zu dürfen. Das spricht Bände.  

EDIT: Die Neuauflage des Ende 2010 stillgelegten Bankenrettungsfonds SoFFin ist beschlossene Sache. Der Bundestag billigte in Berlin mit der Mehrheit der schwarz-gelben Koalition die bis Jahresende befristete Reaktivierung des 480 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds. (Quelle: Augsburger Allgemeine)

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