Gestern konnte ich mich leider nicht zu den gerade wieder gefeierten Aufschwungsdaten der Statistiker aus Wiesbaden äußern. Bei dem schönen Wetter und nach dem enttäuschenden WM-Halbfinale mussten wir mal raus. Lustig dabei war, dass uns der Weg ausgerechnet nach Hannover in den Stadtpark führte, in dem regelmäßig das berühmte „NP-Rendevouz“ stattfindet. Ein Familienfest, welches von der Neuen Presse Hannover ausgerichtet wird und über das die Lokalredakteure dann seitenlang recht günstig berichten können.
Aber lassen wir das. Jetzt geht es um die Wirtschaft. Haben sie gestern auch die Jubelschreie vernommen, wonach die deutschen Exporte so stark gestiegen seien wie seit zehn Jahren nicht mehr. Wow, habe ich da gedacht. Wenn man dann nur noch dazu gesagt hätte, dass die deutschen Exporte im gleichen Zeitraum des letzten Jahres so stark eingebrochen waren, wie seit Jahrzehnten nicht mehr, hätte das eine runde Sache werden können. Aber so bleibt die Leistung zahlreicher Medien in Bezug auf die Einordnung des Exportanstiegs im Mai 2010 einmal mehr hinter der Bedeutung des Begriffs Qualitätsjournalismuns meilenweit zurück.
Im Februar 2010 meldete das statistische Bundesamt „Ausfuhr im Jahr 2009 insgesamt um 18,4% niedriger als 2008“ (siehe destatis). Im Text hieß es dann.
Die deutschen Ausfuhren waren damit im Jahr 2009 um 18,4% und die Einfuhren um 17,2% niedriger als im Jahr 2008. Sowohl einfuhr- als auch ausfuhrseitig war das der höchste Rückgang eines Jahresergebnisses der Außenhandelsstatistik seit 1950.
Gestern dann folgende Meldung (siehe destatis).
Die deutschen Ausfuhren waren damit im Mai 2010 um 28,8% und die Einfuhren um 34,3% höher als im Mai 2009. Ausfuhrseitig war das der höchste Anstieg eines Monats gegenüber dem Vorjahresmonat seit Mai 2000 (+ 30,7%), einfuhrseitig seit Januar 1989 (+ 38,9%).
Daraufhin drehte die halbe Medienmeute durch, vor allem die Börsen-Honks und Honkinen, die aus den Zahlen eine Bestätigung des wirtschaftlichen Aufschwungs herauslasen und eine freudige und rosige Zukunft vorhersagten. Schließlich durchbrach auch der DAX die „psychologisch“ wichtige Marke von 6000 Punkten und das sei ein gutes Zeichen, so die als seriöse Menschen verkleideten Kirmes-Wahrsager. Wenn sie an solchen Unfug glauben wollen, bitteschön. Aber es gibt auch harte Fakten, die man dringend zur Kenntnis nehmen sollte. Es hätte zum Beispiel schon ausgereicht die Überschriften der destatis-Meldungen von heute und von vor einem Jahr zu vergleichen, um klarer zu sehen.
Pressemitteilung Nr.237 vom 08.07.2010
Deutsche Ausfuhren im Mai 2010: + 28,8% zum Mai 2009
Pressemitteilung Nr.255 vom 09.07.2009
Deutsche Ausfuhren im Mai 2009: 24,5% zum Mai 2008
Quelle: NachDenkSeiten
Dennoch wurde auch etwas Wahres gesagt. Nämlich, dass die Weltwirtschaft stärker wachse als die europäische und insbesondere die deutsche Wirtschaft. Der deutsche Außenhandel profitiere somit von der guten weltwirtschaftlichen Entwicklung. Das ist in der Tat mal etwas neues in deutschen Medien. Denn bisher wurden Aufschwünge stets als Beleg für eine richtige Politik gedeutet, während man bei Abschwüngen automatisch auf weltwirtschaftliche Einflüsse verwies.
Mit dem Krisenverlauf und seit der intensiven Diskussion um Handelsbilanzdefizite bzw. -überschüsse ist immerhin klar geworden, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer existenziellen Abhängigkeit zur weltwirtschaftlichen Entwicklung befindet. Dann hätte man aber ganz klar sagen und schreiben müssen, dass der Anstieg der deutschen Ausfuhren im Mai nur möglich war, weil in anderen Volkswirtschaften noch immer schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme laufen. Nur zur Erinnerung, die Bundesregierung will mit ihrem Sparpaket bereits jetzt den Ausstieg aus den eigenen Programmen umsetzen und empfielt ferner, dass die europäischen Partner es ihr gleichtun. Dabei hat Deutschland mit seinen vergleichsweise mickrigen Konjunkturmaßnahmen überhaupt noch keinen bedeutenden Beitrag zur Stabilisierung der Weltwirtschaft geleistet. Das zeigt letztlich auch die Handelsbilanz. Der Exportüberschuss betrug im Mai schon wieder fast 10 Mrd. Euro.
D.h. der Export nimmt nach wie vor einen hohen Anteil am BIP ein, während der private Konsum stetig abnimmt und damit als Stabilisator bei weiteren Einbrüchen immer noch ausfällt. Man stelle sich nur einen weiteren weltweiten Nachfrageeinbruch vor. Deutschland würde es wieder am härtesten treffen und Schäuble, Merkel und Co. müssten ein neues Rekorddefizit verkünden und verwalten. Sparabsicht und Sparerfolg würden dann wieder ziemlich weit auseinander liegen. Aber das erkennen deutsche Journalisen nicht. Sie glauben, dass bereits die Sparabsicht zum Sparerfolg führen würde. Dabei ist das Gegenteil richtig.
Aber zurück zu den Fakten. Vielleicht helfen ein paar Grafiken. Ein wichtiger Konjunkturindikator sind die Auftragseingänge in den Unternehmen, hier im verarbeitenden Gewerbe. An diesem Kurvenverlauf können sie die Lage von vor und nach dem Crash 2009 sehr schön sehen und vergleichen. Nach einer leichten Erholung, nach dem dramatischen Einbruch im letzten Jahr, befinden sich die Auftragseingänge noch lange nicht auf dem Vorkrisenniveau. Es ist soger wieder ein Rückgang zu verzeichnen.
Das bedeutet, dass die Kapazitäten in der deutschen Wirtschaft weiterhin nicht ausgelastet sind. Hier findet also kein phantastisches Wachstum statt, sondern lediglich ein Aufholprozess, dessen Ursache in dem tiefen Absturz vom letzten Jahr zu finden ist.
Der Rückgang der Auftragseingänge im Mai kommt bei der überwiegend positiven Beurteilung der wirtschaftlichen Lage überhaupt nicht vor. Dabei sollte man die Frage nach der Unterauslastung stellen, von der schließlich auch die Belastung der öffentlichen Hand durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit abhängt. Warum? Es wird schlicht weniger produziert. Auch das kann man grafisch darstellen bzw. auf der Seite des statistischen Bundesamts abrufen.
Wenn mit der gleichen Kapazität, den gleichen Maschinen und dem gleichen Personal insgesamt weniger produziert wird, rechnet sich das für den Unternehmer nicht. Er wird Personal abbauen oder gegen billigere Lösungen (Kurzarbeiter, Leiharbeiter, Teilzeit, Befristungen) austauschen. Er wird auch nicht mehr investieren, weil er ja genug Kapazitäten hat, um entsprechende Auftragsspitzen bewältigen zu können. Auch das zeigen die Daten zu den Ausrüstungsinvestitionen ganz klar.
Und all das deutet eben nicht auf einen Aufschwung hin, sondern eher auf einen vorübergehenden Aufholprozess im Zuge des tiefen Einbruchs. Heute werden auch wieder alle Inflationswarner Lügen gestraft. Die Verbraucherpreise bleiben nämlich im Keller. Die Teuerungsrate legt nur leicht um 0,9 Prozent gegenüber dem letzten Jahr zu (siehe destatis). D.h. die Zeichen stehen weiterhin auf Deflation. Und das ist auch klar, wenn man sich die oben angeführten Konjunkturindikatoren vor Augen hält sowie die Absicht der Bundesregierung und anderer Regierungen, radikal in ihren Haushalten sparen zu wollen. Das führt eben nicht zu einer höheren Nachfrage und folglich auch nicht zu mehr Konsum, der durch ein Vorhalten von großen wirtschaftlichen Kapazitäten befriedigt werden müsste.
JUL