In ihrer allwöchentlichen Videobotschaft, von der wohl sonst kaum jemand Notiz nimmt, hat Kanzlerin Angela Merkel überraschende Eingeständnisse formuliert, um nicht zu sagen treffende Zustandsbeschreibungen zum angeblich so boomenden Arbeitsmarkt vorgenommen sowie die fatalen Auswirkungen der deutschen Exportorientierung innerhalb des Euroraums beschrieben. Nur, sie erkennt darin keinen Missstand, sondern eine Bestätigung ihrer bisherigen Politik.
Es ist nicht generell schlecht, wenn gut ausgebildete junge Menschen auch mal ein Jahr oder zwei im Ausland sind, aber schön wäre natürlich, sie kommen wieder. Und da, muss ich sagen, ist die junge Generation heute schon oft sehr schwierigen Bedingungen ausgesetzt. Oft gibt es erst mal nur Praktika, anschießend gibt es sehr befristete Arbeitsverträge. Wer langfristig sein Fachpersonal wirklich halten möchte, der muss auch bereit sein, jungen Menschen eine gute Perspektive zu geben. Das heißt, sie ordentlich zu bezahlen, aber eben auch nicht immer wieder befristete Arbeitsverträge anzubieten. Und wir sind sehr aufmerksam als Regierung, wenn wir fragen: Haben wir genug Fachkräfte? Aber wir als Regierung sagen auch: Geht erst einmal mit den eigenen Fachkräften wirklich gut um. Es darf nicht sein, dass wir uns Fachkräfte von außen holen, nur um das Lohnniveau zu drücken, sondern wer gute Fachkräfte haben will, muss auch gut bezahlen.
Quelle: Bundeskanzlerin
Das ganze Interview ist seltsam. Auch, weil die Fragenvorleserin nicht auf das reagiert, was als Antwort erwidert wird. Anstatt nachzuhaken und die Kanzlerin zu fragen, wie prekäre und schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse zum vorher geäußerten Jubel über eine niedrige Arbeitslosigkeit und über eine deutsche Vorbildfunktion passen, gehts mit einem anderen Thema weiter. Sie hätte auch nach der noch immer fehlenden gesetzlichen Lohnuntergrenze fragen können und danach, ob die Regierung nun endlich die Einführung eines Mindestlohns in Angriff nehme, damit das Gerede über ein gutes Umgehen mit Fachkräften nicht bloß ein unverbindlicher Spruch bleibt, über den die Arbeitgeber allenfalls müde lächeln, während sie die Lohnsubvention durch das Hartz-IV-System weiter kassieren und damit Steuergelder veruntreut werden.
Zur Eurokrise sagt Merkel dann:
Viele wissen ja: Wenn sich bei uns die Wirtschaft gut entwickelt, hat das auch positive Auswirkungen auf andere Länder. Aber natürlich erwartet man von uns auch Solidarität. Wir sagen, auf der einen Seite müssen die Länder, die hoch verschuldet sind, ihren Beitrag leisten müssen sich anstrengen, Strukturreformen machen. Aber auf der anderen Seite ist der Euro zum Beispiel ja auch etwas, was uns in Deutschland sehr zugutekommt. Wir haben über 60 Prozent unseres Exports nur in dem europäischen Bereich. Das heißt, wenn es allen Europäern gut geht, geht es auch der deutschen Exportwirtschaft gut. Und wir haben durch den Euro nicht die sogenannten Transaktionskosten, dass wir immer wieder Kosten durch eine andere Währung haben, sondern durch die gemeinsame Währung, durch den gemeinsamen Binnenmarkt kann Deutschland viel leichter exportieren. Und deshalb ist es richtig und gut, dass wir uns auch für den Euro als eine starke Währung einsetzen.
Auch hier hakt die Fragerin nicht nach. Wenn es richtig ist, dass Deutschland durch die gemeinsame Währung und den gemeinsamen Binnenmarkt viel leichter exportieren kann, wieso sollte die Bundesregierung dann ein Interesse daran haben, dass die Griechen und andere Defizitländer das auch können? Wenn das nämlich so wäre, müsste Deutschland zwangsläufig von seiner Exportstärke etwas abgeben und dann wäre der Außenhandel schwieriger. Wäre das dann gut oder schlecht für Deutschland?
Man könnte Merkels Antwort auch als Reaktion auf Gregor Gysi verstehen, der die Regierung im Bundestag dazu aufforderte, deutlicher zu werden.
Was Sie sagen, wirkt altruistisch, als ob es Ihnen immer nur darum ginge, wie viel Geld man für Griechenland ausgibt. Seien Sie von der Regierung doch einmal ehrlich und sagen Sie: Es geht letztlich um Deutschland, und zwar aus folgendem Grund: Den Euro brauchen wir dringender als Griechenland. Wir sind doch die Exportnation. Wir sind Vizeweltmeister beim Export, gleich hinter China. Stellen Sie sich einmal vor, Griechenland, Spanien, Portugal und Irland hätten eigene Währungen. Dann würden sie sie abwerten, bis wir so gut wie nichts mehr dort verkaufen könnten. Also: Wenn Sie den Euro retten, retten Sie die deutsche Exportwirtschaft. Sagen Sie das doch einmal in dieser Klarheit, damit die Bürgerinnen und Bürger Bescheid wissen!
Quelle: Linksfraktion
Am Ende wird es bei Frau Bundeskanzlerin dann noch einmal lustig:
Aber wir dürfen nichts tun, was den Aufschwung weltweit insgesamt in Gefahr bringt und dann auch in Deutschland wieder in Gefahr bringen würde. Wir haben ja gesehen: Der Bankrott von Lehman Brothers hat bei uns dazu geführt, dass wir im Jahr 2009 einen Wirtschaftseinbruch von fast fünf Prozent hatten. So etwas gab es Jahrzehnte lang nicht, und so etwas muss unbedingt wieder verhindert werden.
Wie will sie denn das verhindern, hätte eine Nachfrage der Historikerin lauten können, die die Fragen stellte? Lehman Brothers war ja keine deutsche Bank. Mal abgesehen davon, dass die Ursachen des Wirtschaftseinbruchs keinesfalls an der Pleite einer Bank festgemacht werden können, bedeutet die Position Merkels doch im Umkehrschluss, dass Deutschland in Zukunft auch Einfluss auf Institutionen haben muss, die nicht auf dem eigenen Hoheitsgebiet liegen. Weil Deutschland so abhängig von der weltwirtschaftlichen Entwicklung ist warum eigentlich müssen andere Volkswirtschaften ihre Hausaufgaben machen, selbstverständlich von der Bundesregierung überwacht, damit es in Deutschland nicht wieder zu einem Einbruch der Wirtschaft kommt. Denn, so die Logik der Kanzlerin, geht es der deutschen Wirtschaft gut, geht es auch allen anderen gut (s.o.).
Das erste griechische Rettungspaket nach Vorgaben der Bundesregierung ist bekanntlich gescheitert. Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wurde nicht erhöht, die Schulden nicht abgebaut. Es wurde in die Krise hineingespart. Weitere Milliardenhilfen wurden nötig. Für Deutschland hatte Frau Merkel diese Brüningsche Sparpolitik zunächst abgelehnt und stattdessen Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht, bis sie und ihre Regierung glaubten, die Krise überwunden zu haben. Für die Griechen gilt nicht einmal dieser Ansatz. Merkel behauptet trotz gegenteiliger Überzeugung, dass sich die Griechen aus der Wirtschaftskrise heraussparen könnten. Da hätte die Historikerin spätestens aus Fachinteresse nachhaken müssen.
JUN