Privater Konsum im Wandel einer Woche: Vom unbelegten Hoffnungsschimmer zum größten Umsatzeinbruch seit Jahren. Alle tun zu Unrecht überrascht.
Vor einer Woche sahen die Medien noch einen Hoffnungsschimmer für die Konjunktur. Denn der GfK-Index stieg erstmals wieder. Trotz der internationalen Krisen habe sich die Laune der deutschen Verbraucher aufgehellt, hieß es. Nachdem das Statistische Bundesamt heute seine monatlichen Zahlen zu den Umsätzen im Einzelhandel veröffentlicht hat, herrscht weiter unten in den Nachrichten Katzenjammer. „Größter Umsatzeinbruch seit Jahren“, ist da jetzt zu lesen. Überraschend ist das aber nicht.
Wer das Murmeltier kennt, weiß auch, dass es täglich von neuem grüßt. Nur die Medien begreifen es nicht, dass der gefühlte Konsumklimaindex der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) keinerlei Aussage zum Kaufverhalten tätigt, sondern ähnlich unwissend ins Blaue schießt, wie die Wirtschaftsweisen mit ihren teuren Gutachten zweimal im Jahr.
Nun wirken alle wieder überrascht. Die Rahmenbedingungen seien doch gut. „Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit drei Jahren nicht mehr, die Beschäftigung auf Rekordhoch, die Löhne steigen deutlich stärker als die Preise und erhöhen die Kaufkraft“, heißt es bei der Tagesschau. Vielleicht stimmt ja etwas mit der Bewertung der Rahmenbedingungen nicht?
Richtig hinschauen, hilft beim Sehen
Möglicherweise ist die Arbeitslosigkeit nicht so niedrig wie behauptet, sondern nur die Zahl, die vorgibt, sie zu messen. Möglicherweise ist die Beschäftigung ja auf einem Rekordhoch. Doch was heißt das schon, wenn nicht klar ist, wie viel Arbeitsstunden diese Beschäftigung umfasst. Möglicherweise sind die Löhne „deutlich“ gestiegen. Nur wieso liegt dann die Lohnquote rund fünf Prozentpunkte niedriger als im Jahr 2000?
Mag das vielleicht daran liegen, dass die Gewinneinkommen seit 2000 um rund 66 Prozent gestiegen und die Bruttoentgelte der Arbeitnehmer im gleichen Zeitraum lediglich um 27 Prozent zulegten? Das macht preisbereinigt einen Anstieg in 14 Jahren um gerade einmal 1,8 Prozent. Mag es vielleicht daran liegen, dass der Beschäftigungszuwachs vor allem dort zu verzeichnen ist, wo in Teilzeit mit vergleichsweise schlechter Bezahlung gearbeitet wird?
Ist es nicht eher so, dass sich sechs Prozent mehr Beschäftigte eine nur geringfügig höhere Lohnsumme teilen, was unterm Strich dazu führt, dass die Arbeitnehmerentgelte je Beschäftigten statt deutlich gestiegen eher deutlich gesunken sind? Statistiken muss man schon richtig lesen können, um nicht ständig Gefahr zu laufen, von der Realität überrascht zu werden.
Laut IAB-Berechnungen sind im Zeitraum von 2000 bis 2013 rund 1,7 Millionen Vollzeitstellen weggefallen und dafür 4,2 Millionen Jobs in den Bereichen Leiharbeit, Teilzeit, Minijobs, 1 Euro Jobs und Solo-Selbstständige entstanden. Wer diese Entwicklung kennt, wird sich nicht wundern, dass das wenige Geld der Verbraucher nicht mit vollen Händen ausgegeben werden kann.
Doch das interessiert die Überraschten nicht. Sie freuen sich aufs Weihnachtsgeschäft, das den erhofften Schub schon bringen wird. Sie verteilen Durchhalteparolen und Fotos mit vollen Konsumtempeln. Das Murmeltier wird dann nach dem Fest wieder zu sehen sein, wenn klar ist, das auch dieses Jahr wieder genauso beschissen verlaufen ist, wie das davor und das davor und das davor.
Quellenangabe: Die Daten zur Lohnentwicklung habe ich aus den Dossiers von Michael Schlecht entnommen, MdB, Wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.