Wenn es sprudelt, verarmt meistens der Staat

Geschrieben von: am 12. Mai 2013 um 18:38

Seit vergangener Woche ist die neueste Steuerschätzung raus und die Kommentare zur angeblich üppig vorhandenen Einnahmebasis des Staates sind geschrieben. In ihnen heißt es mal wieder, dass es an der Zeit sei zu sparen, weil Finanzminister Schäuble trotz des prognostizierten Rückgangs immer noch über eine Rekordsumme an Steuern verfügen könne. Dabei sind höhere Einnahmen bei einem steigenden Bruttoinlandsprodukt (BIP) nichts ungewöhnliches. Außerdem, und das ist viel gravierender, sagen nominale Rekordeinnahmen für sich genommen überhaupt nichts aus. Das könnten Journalisten allein schon daran erkennen, dass im Schatten der zu erwartenden Höchststände beständig über große Finanzierungslöcher bei Bund, Ländern und vor allem den Kommunen geklagt wird.

Die öffentliche Hand kann immer seltener ihre Aufgaben übernehmen, trotz angeblich sprudelnder Einnahmen. Das prognostizierte „Rekordsteueraufkommen“ muss also in ein Verhältnis gesetzt werden, um darüber eine verlässliche Aussage treffen zu können. Doch nirgendwo, außer in der Publikation der Steuerschätzer selbst, findet sich etwas über die Steuerquote, also jenen Wert, der die Steuereinnahmen zum Bruttoinlandsprodukt in Beziehung setzt. Er liegt bei geschätzten 22,77 Prozent für das Jahr 2013 und damit auch auf einem Rekordniveau, das aber nicht das obere, sondern immer noch das untere Ende der Fahnenstange beschreibt. Zumindest unterdurchschnittlich ist die Entwicklung dieser Quote wenn man sie mit der anderer Länder vergleicht. Das heißt also, dass die Steuereinnahmen zwar einen noch nie dagewesenen Höchstwert erreicht haben mögen, gemessen am BIP aber dem Staat immer weniger Geld zur Wahrung seiner Aufgaben zur Verfügung steht.

Das hat auch einen Grund, der vor allem in den Steuersenkungsorgien der Regierungen Schröder bis Merkel zu finden ist. Sie haben den Staat um Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe gebracht. Dennoch will das Lied von der Ausgabendisziplin nicht verklingen. Gerade jetzt, wo halb Europa unter dem Spardiktat der Deutschen zu leiden hat und der Kontinent als Ganzes auf eine jahrelange Depression zusteuert, fällt deutschen Journalisten nichts besseres ein, als das zu fordern, was sie immer reflexhaft fordern, weil sie von Volkswirtschaft einfach nichts verstehen wollen. Man möge doch endlich richtig sparen. So als ob es hierzulande keine verrottende Infrastruktur geben würde. Dabei gammeln Schulen, Straßen und öffentliche Gebäude nur deshalb seit Jahren vor sich hin, weil man sich die Renovierung aus Kostengründung immer wieder spart. Zuletzt jammerte ja auch der deutsche Städtebund über einen Investitionsrückstand von rund 100 Milliarden Euro.

Für diese Schieflage in der Wahrnehmung haben Medien wie auch die Steuervermeidungsfetischisten immer die gleiche Antwort parat. Der Staat sei kein guter Haushälter und gebe zu viel Geld an Stellen aus, wo er es doch lieber bleiben lassen sollte. Bei den Sozialleistungen zum Beispiel bestehe immer Einsparpotenzial. Nur traue sich aus Angst vor unpopulären Entscheidungen niemand so recht an diesen Posten heran. Doch auch hier stützen die wenig aussagekräftigen nominalen Daten die wackelige Argumentation. Gemessen am BIP lagen die Ausgaben im Jahr 2002 allerdings höher als heute und mit einem aktuellen Niveau von 30 Prozent kaum höher als 1975. Doch ginge es nach den Hardlinern, könne der Sozialstaat allein von der Spendenbereitschaft gönnerhafter Steuerhinterzieher wie Uli Hoeneß leben, die schließlich besser wüssten, für welchen guten Zweck Vermögen eingesetzt werden sollte.

Mehr Steuern zu verlangen, widerspricht hingegen dem trotzigen Weltbild vieler Meinungsmacher, die sich im Augenblick genüsslich und giftig am Wahlprogramm der Grünen abarbeiten, das ja bekanntlich eine zaghafte Erhöhung einzelner Abgaben vorsieht. Was aber dagegen spricht, beispielsweise die Abgeltungssteuer von 25 Prozent in die Mülltonne zu werfen und alle privaten Kapitaleinkünfte wieder mit dem persönlichen Einkommenssteuersatz zu versteuern, erklären die notorischen Steuerhasser nicht. Und was ist gegen eine Wiederbelebung der Vermögenssteuer zu sagen, die es ja offiziell noch gibt, aber keine Einnahmen generiert?

Insgesamt tragen die vermögensbezogenen Abgaben, also Vermögensteuer (Erhebung seit 1997 ausgesetzt), Grundsteuer, Grunderwerbsteuer und Erbschaftsteuer gerade einmal 4 Prozent zum Gesamtsteueraufkommen bei und machen damit nicht einmal 1 Prozent des BIP aus. Das ist weniger als die Hälfte des Durchschnitts der entwickelten Länder. Zudem besitzt das reichste Zehntel der Bevölkerung inzwischen 66 Prozent des Gesamtvermögens, also 6,4 Billionen Euro. Steuergerechtigkeit muss daher die Antwort auf vermeintlich “sprudelnde” Einnahmen heißen, die nur deshalb so abgefeiert werden, um die systematisch vorangetriebene Verarmung des Staates zu verschleiern.

Wer darüber hinaus Steueroasen wirksam austrocknen will, muss mit deren Mästung aufhören und die verfehlte Unternehmens- und Vermögensbesteuerung des vergangenen Jahrzehnts beenden bzw. korrigieren. Es muss beispielsweise Schluss sein mit der Steuerfreiheit auf Veräußerungsgewinne, die rot-grün einmal beschloss und seit dem nie zurückgenommen wurde. Zudem ist mit 20 Prozent die Steuerbelastung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen historisch, vergleichsweise und rekordverdächtig niedrig. An dieser Stelle gäbe es viel Reformbedarf, um den Staat als ganzes auf solidere Füße zu stellen und gleichzeitig für eine gerechtere Finanzierung zu sorgen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Mithrahee  Mai 12, 2013

    Die ganzen „unbestechlichen Mistsücke“ der ´Organisation für den Kapitalismus´ müssen mal längere Zeit auf ´Sozialhilfe-Niveau´ gesetzt werden. Vielleicht kommen se sich dann in/aus ihren Lügenmäulern auch nicht mehr so wichtig vor!

    logo.

  2. Skalg  Mai 13, 2013

    Sowohl der Staat als auch die Wirtschaft können ineffizient sein. Die meisten bleiben halt leider auf solchen Allgemeinplätzen hängen, anstatt sich konstruktiv Gedanken darüber zu machen, was konkret zu ineffizientem wirtschaften führt

    • Jenny  Mai 14, 2013

      was heißt schon ineffizientes Wirtschaften??

      In Dänemark und Schweden arbeiten fast 30% beim Staat, vor allem Frauen und in Pflege, Schulen, Soziales. Oberflächlich betrachtet sieht das ineffizient aus. Was braucht man für so ein Gedöns so viele Leute? Man kann sowas auch kaputtsparen, dann müssen andere nicht so viele Steuern zahlen.

      Dafür werden auch hohe Steuern fällig. Wenn man aber bedenkt, dass man damit den Arbeitsmarkt räumt, Frauen vernünftige Stellen haben statt Minijob und prekär und dann mehr Kinder bekommen, dann scheint das scheinbar ineffiziente Wirtschaften besser zu funktionieren.

      die Schuldenquoten sind dort geringer und die Länder gelten als recht innovativ und wirtschaftlich erfolgreich mit hohem BIP.

      ich betrachte munter die Erosion der Einkommen in DE. Dadurch werden wir auch ineffizienter, wenn jeder abends nachher noch nen Zweitjob schwarz haben muss.
      oder wenn wir Pfleger extra aus China holen müssen, nur weil wir die hier vorhandenen nicht gut genug bezahlen wollen, so dass es keiner mehr machen will.

      mögen die erfolgreichsten Modelle gewinnen — ich find das deutsche Modell mit seiner Massenaufstockung nicht erfolgreich.

  3. Jenny  Mai 14, 2013

    Der Staat wird künftig dank Schuldenbremse noch weiter kaputtgespart. Die Ministerien haben aber auch die falschen Berater wie ich mit eigenen Augen letztens bei „meinem“ mal wieder zufällig sehen durfte. Letztlich wird in der Zone und DE nachher alles privatisiert, was nicht niet – und nagelfest ist – der Staat wird dann transformiert von einem Steuerstatt hin zu einem Mauten- Gebühren und Privatfinanziererstaat.
    Straßen werden dann halt privatisiert und andere Leistungen auch. Der Bürger zahlt dann Nutzungsgebühren überall.

    ist doch absehbar. Heute Artikel in der KN: immer mehr Polizisten mit langer Krankheit und psychischen Störungen (Burnout, Depressionen etc.) — aber wegen Schuldenbremse muss ja Personal reduziert werden bis 2020 um weitere 10%.

    der Staat wird sukzessive Kaputtgespart, weil keiner an die „scheuen Rehe“ ranmöchte – da ist DE wirklich wie die USA in dieser Mentalität gefangen.
    Wir sind noch gar nicht am Ende angekommen – das geht immer so weiter – auch nach 2020.

    bei uns hier ging zuerst der ländliche Raum kaputt, z.b. wegen dem Rückzug aus der Fläche von Behörden, Bundeswehr etc. — mittlerweile arbeiten dort dann mangels Alternativen 45% der Frauen nur in Minijobs – gute Stellen wurden ja mit abgebaut.

    bin mal gespannt, wie es nach 2020 hier so aussieht – in der Zone und in der BRDDR.

    es wird nicht besser — die Steuerquoten sind beschämend — ausgerechnet auch die USA, die bis 1980 noch einen Spitzensteuersatz EK von 70% hatte.

    und auch das Theater in DE: nich mal das Heuchlerpack der Grünen will zurück zum Spitzensteuersatz von unter Kohl!
    Das ist denen alles schon zu viel geworden. Man selbst müsste den ja auch zahlen, gehört ja selbst zu den Besserverdienern.

    Ein Grundübel ist in DE die Abgehobenheit des politischen Personals, wenn selbst in den popeligen Länderparlamenten wie meinem zu 98% nur noch Akademiker drin sind. Die haben in Wirklichkeit vom richtigen Leben oft Null Ahnung.

    es ist interessant zu sehen, wie man aufgrund einer politischen Ideologie den Karren überall weiter gegen die Wand fährt. Netter wird es nicht werden.

    und überall regiert das Lobbyistenpack mit.

  4. Jenny  Mai 14, 2013

    Wenn die Neolibs mit uns fertig sind, wird das reichste Zehntel überall über 90% besitzen. 40% werden irgendwo unten an der Armutsgrenze vor sich hinvegetieren oder von staatlichen Restalmosen leben. So wir es sein, nach 2020. In DE allein schon durch die sinkenden Rentenansprüche auf 38%.