Die gute konjunkturelle Lage sorge angeblich für sprudelnde Steuereinnahmen, meldet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Regierungskreise.
Die gute Konjunktur spült dem Bund und den Ländern erhebliche Steuermehreinnahmen in die Kassen.
Ihr Steueraufkommen stieg im Februar gegenüber dem Vorjahr um 9,7 Prozent auf 39,5 Milliarden Euro, wie aus einer der Nachrichtenagentur Reuters am Freitag vorliegenden Unterlage des Bundesfinanzministeriums hervorgeht.
Mehreinnahmen sind zwar richtig, doch erweckt die Meldung den Eindruck, als seien die Steuerausfälle aus der Vergangenheit ausgeglichen, die durch Krise und permanente Steuersenkungen entstanden waren. Ein Blick auf die Datenreihen gibt Aufschluss.
Grafisch sieht das dann so aus:
Die absolute Zahl an Steuereinnahmen nutzt aber gar nichts – obwohl auch hier schon einiges gegen die Behauptung von sprudelnden Steuerquellen spricht -, so lange man nicht einen Bezug zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) herstellt. Das nennt man dann Steuerquote. Sie gibt darüber Aufschluss, wie hoch der Anteil der Steuern am Volkseinkommen ist. Und da sieht das Bild etwas klarer aus.
Quelle: wikipedia
Gemessen am BIP fallen die Abgaben eher unterdurchschnittlich aus. Vor allem der internationale Vergleich bestätigt dieses Bild. Das liegt daran, dass Deutschland auf Steuern auf Vermögen und Unternehmertätigkeit systematisch verzichtet.
Im aktuellen Monatsbericht des Finanzministeriums heißt es unter dem Punkt Entwicklung der Steuer- und Abgabenbelastung in den Mitgliedstaaten der OECD:
Die deutsche Steuerquote im Jahr 2008 betrug 23,1 %. Sowohl der OECD-Durchschnitt (+ 2,7 Prozentpunkte) als auch der EU-Durchschnitt (+ 3,4 Prozentpunkte) liegen darüber (Abbildung 1).
In Deutschland spielen allerdings die Sozialversicherungsbeiträge eine wesentlich stärkere Rolle bei der Finanzierung von Sozialleistungen als in den meisten anderen Staaten. So finanziert Dänemark fast die gesamten staatlichen Ausgaben über Steuern, die Sozialbeiträge umfassen hier lediglich 1 % des Bruttoinlandsprodukts. Für internationale Steuerbelastungsvergleiche ist daher die Abgabenquote aussagekräftiger (Abbildung 2). Der EU-Durchschnitt im Jahr 2008 liegt zwar mit + 1,3 Prozentpunkten über der deutschen Abgabenquote von 37,0 %, der OECD-Durchschnitt liegt jedoch um – 2,2 Prozentpunkte darunter. Wie bei den Steuern, so weist Dänemark auch bei den Abgaben die höchste Quote auf. Die Differenz zu Deutschland ist allerdings mit + 11,2 Prozentpunkten bereits erheblich geringer als beim Vergleich der Steuerquoten.
An dieser Interpretation der OECD-Studie „Revenue Statistics“ können sie sehr schön sehen, wie man die Lage schönzureden versucht. Fakt ist, dass sowohl Steuer- wie auch Abgabenquote (einschl. Sozialabgaben) unterhalb des Durchschnitts liegen oder allenfalls mittelmäßig sind. Das Gerede von einer zu hohen Steuer- bzw. Abgabenbelastung bestätigt sich hingegen nicht. Demzufolge ist auch jede Meldung, die von angeblich sprudelnden Steuerquellen kündet, mit äußerster Vorsicht zu genießen. Durch diese Art der Berichterstattung soll wohl nur der Weg für künftige Steuersenkungsfantasien bereitet werden, wohingegen die in der Vergangenheit systematisch vorangetriebene Verarmung des Staates verschleiert wird.
Gleichzeitig stützen steigende Steuereinnahmen die Aufschwungspropaganda der Bundesregierung, die die nach wie vor hohen Defizite in den öffentlichen Haushalten einfach völlig ausblendet.
Das kassenmäßige Finanzierungsdefizit im Kernhaushalt des Bundes in Abgrenzung der Finanzstatistik belief sich im Jahr 2010 auf 44,3 Milliarden Euro. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach vorläufigen Kassenergebnissen zu den Kernhaushalten des Bundes und der Länder weiter mitteilt, lag das Defizit des Bundes mit einer Zunahme um 9,8 Milliarden Euro deutlich über dem des Vorjahres. Es war damit nahezu doppelt so hoch wie das Defizit der Kernhaushalte der Länder insgesamt (22,3 Milliarden Euro).
Quelle: destatis
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.