Der erste Auftritt der deutschen Nationalmannschaft in Südafrika war ein riesen Erfolg. Ein tolles Spiel. Das bisher beste der noch jungen WM. Gestern konnte man sehr schön die Weiterentwicklung der Klinsmannschen Idee vom Offensivfußball sehen. Es gilt nämlich nicht nur das Prinzip des nach vorne Spielens, sondern vor allem das Prinzip der Dominanz. Zwischenzeitlich wies die Statistik über den Ballbesitz ein Verhältnis von 60:40 aus. Das heißt, während der Ball in den eigenen Reihen hin und her lief, lief der Gegner vor allem hinterher. Aber nicht nur der Gegner lief hinterher, auch die sog. „Experten“ des Fußballs, die allesamt überrascht waren, ob der Stärke der noch jungen deutschen Mannschaft.
In der Erklärungsnot wurden dann nicht nur allerhand deutschtümelnde Reliquien reaktiviert, sondern auch die Spieler mit einem Migrationshintergrund angeführt, die eine angeblich uns Deutschen fremde Fußballkultur in die Nationalmannschaft getragen hätten. Dieser Blödsinn gipfelte schließlich in der Halbzeit-Aussage von Frau Müller-Hohenstein, wonach Miroslav Klose einen „inneren Reichsparteitag“ erlebt haben müsse bei seinem erlösenden Kopfballtor zum 2:0. (Blogfreund Einhard machte mich darauf aufmerksam)
Es wird wohl wieder an uns Bloggern liegen, ob Frau Müller-Hohenstein nun Probleme beim ZDF bekommt oder nicht. Ein Rücktritt wäre fällig.
Aber was ist nun dran an dem Schmarrn der Fußballkulturen. Natürlich nichts, weil das Spiel der Deutschen eine Handschrift trägt und zwar die eines Trainerteams mit einer klaren Vorstellung, wie der moderne Fußball auszusehen hat. Im Interview mit Michael Steinbrecher deutete der Bundestrainer das auch an, als er beschrieb, wie er seine Mannschaft auf den Gegner Australien einstellte und welche Vorgaben umgesetzt werden sollten. Es geht dabei also weniger darum, dem Gegner das eigene Spiel aufzuzwingen, wie das in der Vergangenheit immer wieder martialisch formuliert wurde, sondern darum, die Spielweise des Gegners genau zu studieren, um das eigene Spiel entsprechend anpassen zu können.
Und dafür braucht es keine anderen Fußballkulturen oder Spieler mit Migrationshintergrund, in deren Körpern ein noch unentdecktes Fußballergen verborgen liege, sondern Spieler, die verstehen, was das Trainerteam taktisch von ihnen verlangt. Erst mit Jürgen Klinsmann, der vor sechs Jahren die Mannschaft übernahm, gelang es, ein modernes Spielverständnis in Deutschland einzuführen, welches der allerorten verinnerlichten Grundüberzeugung von der Notwendigkeit deutscher Tugenden wie Rennen und Kämpfen zutiefst widersprach. Der von Klinsmann angestoßene Lernprozess scheint durch Joachim Löw eine neue Stufe erreicht zu haben.
Die Spieler sind wieder auf den Punkt fit (dank der einst so belächelten amerikanischen Fitnesscoaches) und die Sicherheit im Spiel ist deutlich spürbarer als noch bei den letzten Turnieren. Insgesamt wirkte die Mannschaft sehr eingespielt, obwohl die „Experten“ sich fast sicher waren, dass der Ausfall von Ballack und Westermann eine unübersehbare Lücke reißen würde, die ihre Zeit bräuchte, um geschlossen zu werden. Da es nun aber anders kam, verfiel man wieder in alte Muster und dumme Sprüche.
Abschließend nur zur Erinnerung. Mesut Özil und Sami Khedira sind in Deutschland geboren und aufgewachsen und haben hier auch das Fußballspielen gelernt. Es ist also totaler Blödsinn von Migranten zu faseln, die etwas Besonderes in sich tragen würden, das die deutschen Tugenden ergänze. Dieser ecklige Rassismus von deutschen „Experten“ ist nach wie vor zum Kotzen und verdirbt jeden Spaß am Zuschauen. Deshalb können aus meiner Sicht die Vuvuzelas gar nicht laut genug sein.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.