Lesen sie zunächst Sven Bölls Kommentar „Vergesst Weihnachten!“ Ein wirklich schlimmes Machwerk billiger Meinungsmache.
„Geschenke soll es geben, viele und große, darauf hat sich die neue Regierung geeinigt. Doch in Wahrheit müssten Union und FDP endlich die Staatsausgaben reduzieren – selbst wenn Arbeitnehmer, Rentner und Hartz-IV-Empfänger auf die Barrikaden gehen.„
Notfalls auch mit Waffengewalt? Wenn der Bürgerkrieg ausbricht, wissen wir, auf welcher Seite Frontberichterstatter Böll stehen wird. :roll:
„Deutschland braucht mehr Ehrlichkeit in der Finanzpolitik“
Nein, Deutschland braucht mehr Aufklärungsarbeit, um vor allem die Rolle des Spiegels im System der Meinungsmache offenzulegen.
„Mehr als eine Billion Euro Schulden hat der Bund bereits – und im kommenden Jahr könnten im Extremfall nochmals bis zu 100 Milliarden Euro dazukommen. Das liegt auch an der Finanzkrise – aber nicht nur. Selbst wenn der Bund ab 2011 jedes Jahr zehn Milliarden Euro seiner Schulden tilgen würde, wäre er erst nach 110 Jahren damit fertig. Das entspricht fast vier Generationen.“
Finanzstaatssekretär Asmussen zu der These, es läge nicht nur an der Finanzkrise, und der muss es ja schließlich wissen:
„Wir sind weit von einer Normalisierung entfernt.“ „Es ist weiterer Kapitalbedarf in Banken absehbar.“
Quelle: Süddeutsche
Doch zurück zu Sven Böll:
„Zu dieser neuen Ehrlichkeit würde auch gehören, mit der Lebenslüge aller Parteien aufzuhören, in der Vergangenheit sei bereits ernsthaft gespart worden.“
Diesen Satz werden wir demnächst öfters hören, garantiert. Über die Absenkung der Staatsquote auf ein historisches Tief kein Wort. Der Anteil der Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden an der Wirtschaftsleistung lag im Jahr 2008 bei 25 Prozent (ohne den Anteil der Sozialsysteme) und damit auf dem Niveau der 60er Jahre. Böll und andere werden einfach behaupten, Eichel und Steinbrück hätten nie wirklich gespart und sie begründen das dann so:
„Zwischen 1998 und 2008 stiegen die jährlichen Ausgaben der Bundesregierung von gut 233 auf rund 282 Milliarden Euro – das ist ein sattes Plus von weit mehr als 20 Prozent und nicht gerade ein Synonym für „den Gürtel enger schnallen“.“
Etwas Dümmeres gibt es ja wohl nicht. Wer nominal mit real verwechselt und es unterlässt die Ausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt zu betrachten, hat echt einen an der Waffel und gehört in die Bild-Zeitung entsorgt. Die nominalen Ausgabensteigerungen sagen für sich genommen überhaupt nichts aus und schon gar nicht, wenn man einen willkürlichen Zeitraum ohne Bezugsgröße wählt. Herr Böll hat auch noch nie etwas davon gehört, dass die realen Spareinschnitte der Minister Eichel und Steinbrück ursächlich dafür sind, dass die Ausgaben in jenem Bereich stark ansteigen, die Herr Böll in der Folge nun endlich „ehrlich“ kürzen will. Das systematische Aushungern des Staates durch prozyklische Sparpolitik wirkte als Konjunkturbremse, was wiederum dazu führte, dass die öffentlichen Etats erstens unter Einnahmeausfällen zu leiden und zweitens einen Anstieg ihrer Sozialbudgets zu verkraften hatten.
Dennoch lag die Staatsquote mit dem Anteil der Sozialsysteme im Jahr 2008 bei 43,9 Prozent, dem niedrigsten Stand seit 1990. Im Jahr 2003 betrug die Staatsquote noch 48,5 Prozent. Wie kann das sein, wenn angeblich nicht gespart wurde? Fakt ist, die Ausgaben des Staates stiegen langsamer als das Bruttoinlandsprodukt. Böll will aber nur den wachsenden Haushalt zur Kenntnis nehmen, daraus eine dramatische Entwicklung aufzeigen und somit versuchen, den Leser in grober Weise zu täuschen.
„Das Motto der neuen Koalition dürfte deshalb nicht Volksbeglückung heißen, sondern müsste „Sparen – aber diesmal ernsthaft“ lauten.
Der Bundeshaushalt hat in diesem Jahr ein Volumen von 290 Milliarden Euro. Zieht man davon die Ausgaben ab, die wie die Zinszahlungen (14 Prozent des Volumens) nicht verhandelbar sind oder echte Investitionen bedeuten – etwa Verkehr und Bildung, die rund 13 Prozent des Haushalts ausmachen -, bleiben rund 210 Milliarden Euro übrig. Abzüglich der Personalausgaben, die nur langfristig Sparpotentiale bieten, sind es dann nur noch gut 180 Milliarden Euro. Darunter fallen die Budgets für Entwicklungshilfe, Verteidigung, Familien und so weiter. Und vor allem die Ausgaben für Soziales: Die summieren sich auf fast 130 Milliarden Euro.
Wer also ernsthaft sparen will, kommt am Sozialbudget nicht vorbei.“
Es gibt also Haushaltsgrößen die nicht verhandelbar sind und welche die es sind. So einfach ist die Rechnung. Es spielt für Böll überhaupt keine Rolle, woher die Schulden stammen, nur dass die Zinszahlungen aufgebracht werden müssen. Und dafür muss das Sozialbudget gekürzt werden. Deutlicher kann man nicht sagen, dass die Krise von den Schwachen in dieser Gesellschaft finanziert werden müsse. Unglaublich! In seiner geistigen Beschränktheit kommt Sven Böll gar nicht auf den Gedanken, mal zu fragen, von wem sich der Staat das Geld leiht und wie viel diese Geldgeber eigentlich auf der anderen Seite selbst zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen, außer dass sie Kredite geben und gute nicht verhandelbare Zinsen dafür erhalten, die sie dann wiederum an den internationalen Finanzplätzen verzocken können.
Denn klar ist ja wohl, dass nach diesem von Böll beschriebenen Haftungsmuster, der vermögende Kreditgeber ein tolles Geschäft macht. Vor, während und noch lange nach der Krise, bis die Ausgaben im Sozialbereich irgendwann auf Null gedrückt worden sind. Dabei geht es dann auch nicht um ein Generationenproblem, sondern um eine Verteilungsschieflage in jeder Generation. Denn nicht nur die Schulden werden an die nächste Generation weitergegeben, die Forderungen ja auch. Auch das vergisst Herr Böll. Es wäre mal an der Zeit, zu begreifen, dass die Kosten der Krise auch von jenen aufgebracht werden sollten, die sie erstens verursacht und zweitens von ihr profitiert haben. Was ist mit der Vermögens-, Erbschafts- und Spitzensteuer? Warum holt sich der Staat nicht das Geld zurück? Weil es dann die angeblichen Leistungsträger der Gesellschaft träfe?
Man könnte jetzt noch mehr zu dem Müllkommentar von Böll sagen, aber ich lass es und komme lieber zu einem zweiten Bericht im Spiegel über das angeblich so positive Herbstgutachten der Wirtschaftsforscher. Darin findet sich folgender Satz:
In ihrer Prognose, die an diesem Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde, gehen die Institute außerdem nur noch von einer 5,0-Prozent-Rezession in diesem Jahr aus. Vor Monaten wurde ein tieferer Absturz erwartet.
So als ob Minus fünf Prozent kein tiefer Absturz wären. Schlimm ist aber, dass die Koalitionäre in Berlin nun diese Fantasiezahlen für nächstes Jahr nehmen und glauben, da wären Spielräume für ihre Steuersenkungsversprechen. Das ganze Gutachten scheint politisch motiviert. Denn zwei Aussagen lassen sich einfach nicht in Einklang bringen:
- Dazu kommen Gefahren, die die aktuelle positive Prognose noch revidieren könnten. Als eines der größten Risiken betrachten die Institute, „dass neue Erschütterungen des internationalen Finanz- und Bankensystems keineswegs ausgeschlossen sind“.
- Außerdem halten sie es für geboten, schon jetzt über Strategien zu entscheiden, wie die außergewöhnlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Finanzkrise beendet werden sollen. „Beginnen sollte man mit dem Abbau des strukturellen Defizits im Jahr 2011, wenn sich die Konjunktur stabilisiert haben dürfte“, lautet die Empfehlung.
Dem Spiegel als neoliberales Kampfblatt ist das natürlich keine kritische Anmerkung mehr wert. :roll:
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.