Viel kriegt man ja nicht mit. An den Bild-Themen aber kommt man nicht vorbei. Der Stammtisch jubelt mal wieder über Thilo Sarrazin. Fast 90 Prozent der Bild-Leser würden dem Bundesbanker mit seinem Faible für Rassenfragen zustimmen. Ich wette aber, dass kaum einer der 90 Prozent die 22,99 EUR, die das Buch kostet, auch bezahlen würden. Das hat Bild natürlich nicht gefragt. Der Preis ist auch ein bissel hoch für angebliche Wahrheiten, die die große Mehrheit des deutschen Volkes der schlauen Bild-Leser teilt. Der Titel ist ja auch blöd gewählt.
„Deutschland schafft sich ab – Wie wir unser Land aufs Spiel setzen.“
Welcher Bild-Konsument will denn sowas lesen? Viel zu unpersönlich, verwirrend und eigentlich auch kein Titel, sondern eher der Versuch, eine absurde These in eine Überschrift zu packen. Hier soll eine journalistische oder wissenschaftliche Arbeit vorgetäuscht werden. Okay mit vorgetäuschtem Journalismus kennt sich der klassische Bildleser aus, jedoch kommt es trotzdem auf die Überschrift an. Schließlich ist sie verkaufsentscheidend. Da mag man es einfach und plakativ. Ein echter Titel, wie „Thilo Sarrazin: Mein Kampf“, hätte mit Blick auf die Zielgruppe wohl noch mehr ins Braune Schwarze getroffen.
Interessant finde ich ja nun die Reaktion der Bundesbank. Eine Anhörung soll es geben. Da habe ich gelacht, weil ich mich daran erinnerte, was vor fast einem Jahr geschah (siehe hier im Blog). Damals hat der feine Herr Sarrazin offenbar schon für sein Buch recherchiert und jene Thesen verbal von sich gegeben, die er nun auch zu Papier gebracht hat. Eine starke Leistung. Damals entzog die Bundesbank dem Vorstand als Strafe die Verantwortung für den Bereich Bargeld. Welchen Aufgabenbereich muss er wohl diesmal abgeben? Immerhin hat er ja noch ein paar Verantwortlichkeiten (Informationstechnologie, Risiko-Controlling und Revision). Übrigens hat Sarrazin nach dem Wegfall seiner Zuständigkeit für den Bereich Bargeld im Oktober 2009 mit der Abteilung Revision im Mai 2010 wieder ein drittes Aufgabenfeld dazubekommen (siehe Bundesbank). Wieso eigentlich? Damals sprach man doch von Entmachtung und davon, dass die Zahl seiner Aufgabenfelder über seine Position innerhalb der Bank entscheide (siehe n-tv).
Offensichtlich distanziert sich der Rest der Bundesbank nur zum Schein von seinem durchkeknallten Vorstandsmitglied. Denn auch heute wollen die anderen Kollegen Herrn Sarrazin nicht an den Kragen. Das können sie ja auch nicht direkt. Das kann nur der Bundespräsident (siehe SZ). Aber beantragen könnten sie die Entlassung Sarrazins schon. Doch sie tun es nicht. Der Ethik-Beauftragte sieht wohl keinen Verstoß gegen den bankinternen Ethik-Kodex *lach*.
Und so geht alles seinen üblichen Gang. Die Bundebank distanziert sich wie gehabt und erteilt eine Rüge (siehe Focus) und Spiegel-Online schreibt sogar von Sarrazins letzter Chance. Da fragt man sich entsetzt, was eigentlich noch passieren muss, damit dieser Schwachkopf im Nadelstreifenanzug endlich fachgerecht entsorgt wird. Wenn ich dabei die SPD sehe, wie sie nun wieder seltsam kraftlos mit einem Parteiausschlussverfahren droht, könnte ich mich kaputtlachen. Wahrscheinlich gibt es eher einen von der SPD mitgetragenen Kompromiss zur Sicherheitsverwahrung als einen Rausschmiss Sarrazins aus der SPD.
Eine Sicherheitsverwahrung für aktive Bundesbanker wäre andererseits eine feine Sache.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.