Gestern habe ich mir den letzten Teil der Sendung Anne Will angeschaut. Eine seltsame Vorführung. Angefangen beim Titel. „Vorwärts in den Sozialismus – Müssen die Reichen jetzt zahlen?“, hieß es da. Offensichtlich nahm man den Auftritt des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier im Berliner Tempodrom zum Anlass, Ängste zu schüren und die Diskussion abermals auf die Ebene einer Neiddebatte zu verflachen. Die Runde war dann auch dementsprechend ausstaffiert. Volker Kauder von der CDU, Philipp Rösler von der FDP, dazu der Unternehmer Thomas Selter, der Journalist und Autor Harald Schumann sowie Klaus Wowereit von der SPD.
Jeder durfte seinen Müll erzählen (mit Ausnahme von Harald Schumann). Volker Kauder erzählte zum Beispiel davon, dass man den Staat nun wirklich nicht für die Finanzkrise verantwortlich machen könne. Er habe Jahr für Jahr gespart und den Haushalt konsolidiert. Die Finanzkrise sei von den USA ausgegangen und habe uns völlig überraschend getroffen. Er habe sich nichts vorzuwerfen. Komisch dabei war nur, dass Frau Will bei diesem Unsinn nicht nachfragte, sondern lieber Klaus Wowereit drängelte ein Statement zu der Frage abzugeben, ob er denn nun für eine Vermögenssteuer sei oder nicht.
Die FDP Quotenquatschtante Rösler erntete mal wieder den meisten Applaus. Selbst dann noch, als Frau Will ihm den Panorama-Bericht vom 5. März über die Entzauberung der liberalen Steuerrechnung präsentierte. Er durfte einfach antworten und frei behaupten, dass durch Steuersenkungen nach dem Modell der FDP die Konjunktur von allein anspringe und dann wieder mehr Steuern zum Gegenfinanzieren sprudeln würden. Er durfte sogar noch hinzufügen, dass der Staat somit natürlich in Vorleistung trete. Da hat Frau Will aber schon wieder weggehört, denn sonst hätte sie gleich nachfragen müssen, wie diese Vorleistung mit dem liberalen Wahlprogramm, in dem von einem Neuverschuldungsverbot für alle Gebietskörperschaften die Rede ist, zusammen passt.
Philipp Rösler durfte sogar sagen, dass es ihm nicht mehr um die da unten bzw. die da oben geht, sondern um die in der Mitte. Das wären nämlich die wahren Leistungsträger unserer Gesellschaft. Daraus schließe ich jetzt mal, dass all jene, die früh morgens aufstehen, zur Arbeit gehen und sinnvolle und wichtige Tätigkeiten verrichten, aber dennoch einen Lohn beziehen, der leider nur zur Einordnung in die Gruppe der Wenigverdiener reicht, das diese Menschen nach Rösler schlicht zu den gesellschaftlichen „Minderleistern“ zählen, denen man keine besondere Beachtung mehr zu Teil kommen lassen muss.
Diese Arroganz und Hochnäsigkeit, die Rösler bei Will und die FDP in ihrem „Deutschlandprogramm“ den betroffenen Menschen da entgegenhält, schlägt im Hinblick auf die Reichen in dieser Gesellschaft in schlichte Ignoranz um. Die Tatsache, dass das gut betuchte obere Zehntel der Bevölkerung derzeit über mehr als 60 Prozent des Gesamtvermögens von 6,6 Billionen Euro, also rund 4 Billionen Euro, verfügt, lässt den stellv. niedersächsischen Ministerpräsidenten völlig kalt.
Stattdessen wird darüber lamentiert, dass eine Familie mit einem Jahreseinkommen von rund 300.000 Euro nach den Plänen der SPD einen zusätzlichen Haufen Geld an Steuern bezahlen soll. Ein Skandal. Da wurde dann sogar ein Beitrag des Bundes der Steuerzahler eingespielt, in dem das genau vorgerechnet wurde. Nur leider vergaßen alle Beteiligten mal wieder darauf hinzuweisen, dass die Einkommenssteuer mit einem Anteil am Gesamtsteueraufkommen von nur noch rund einem Drittel zu Buche schlägt. Der Löwenanteil von rund 46 Prozent kommt aus den Umsatz- und Verbrauchssteuern.
Wer also behauptet, dass Gutverdiener die meisten Steuern in diesem Land zahlen und deshalb zu den Leistungsträgern zählen, die eigentlich moralisch entlastet gehören, sollte vielleicht mal auf jene Menschen schauen, die ihr Einkommen komplett verkonsumieren müssen, ohne dass sie Geld für private Rente, Krankenzusatz- oder Pflegeversicherung übrig hätten, wie jene Röslers und Westerwelles, die sich über das Phantom „Lohnsteuerstaat“ beschweren. In Wirklichkeit zahlen Wenigverdiener über die Mehrwertsteuer noch die Renditen von Riester- und Rüruprenten der Bessergestellten. Sie selbst haben nichts davon, eher weniger. Denn das Rentenniveau der gesetzlichen Altervorsorge sinkt auf 40 Prozent. Hier wird einfach massiv manipuliert und die Unwahrheit verbreitet.
Zum Abschluss noch einmal für alle zur Erinnerung: Georg Schramms Ästhetik der Vermögensverteilung.
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.