Sie haben sicherlich den aktuellen Streit zwischen Krankenkassen und Bundesregierung mitbekommen. Es geht um die Finanzierung der bevorstehenden Impfaktion gegen die Schweinegrippe. Die Kassen wollen einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben, falls sie allein die Kosten für Impfstoff und Verabreichung finanzieren müssen. Da regt sich im Wahlkampf natürlich Protest bei den Politikern und den Schreiberlingen in unserem Land, die die Materie mal wieder nicht durchschauen wollen oder können. In der Neuen Presse Hannover empört sich heute Christian Lomoth im Namen der Versicherten, die nun total verunsichert seien.
„Ich brauche also eine Impfung, weil eine gefährliche Grippe über Deutschland hinwegrollt und soll prompt höhere Kassenbeiträge zahlen. So stellt sich die Situation für den gesetzlich Krankenversicherten dar. Der ist natürlich und zu Recht empört über die Ankündigung mehrerer Kassen, dass die ab Oktober mehr Geld haben wollen. Für den Bürger stellen sich da mehrere Fragen: Wie weit reicht die Gesundheitsversorgung eigentlich wird jetzt für jede nicht vorhersehbare Behandlung Extra-Geld fällig? Wie wirtschaften die Kassen eigentlich, dass sie bei einer unvorhergesehenen Ausgabe, auch wenn die natürlich immens hoch ist, sofort die Versicherten schröpfen wollen?“
Die naiven Fragen hätte Lomoth sehr schnell selbst beantworten können. Denn die Erhebung von Zusatzbeiträgen ist ausdrücklich im Gesetz vorgesehen. An der Drohung der Krankenkassen kann man nun sehr schön sehen, dass die jüngste Gesundheitsreform mit der Einführung des „Gesundheitsfonds“ gescheitert ist. Die Tatsache, dass Kassen per Gesetz die Möglichkeit haben, von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag zu erheben, wird auch ausgenutzt. Warum sollten sie auch darauf verzichten, diese Regelung mindestens als Drohmittel einzusetzen?
Ich kann daher die Aufregung der Politiker, die diesen Müll zu verantworten haben, nicht nachvollziehen. Schließlich war es erklärter politische Wille, mit dem Gesundheitsfonds auf ein Kopfpauschalenmodell mit Deckelung der Kosten umzusatteln, um einen zweifelhaften Wettbewerbsgedanken in der Gesundheitsversorgung einzuführen. Die politische Reaktion muss man daher im doppelten Sinne scheinheilig nennen. Erstens weil die Erhebung von Zusatzbeiträgen gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist und zweitens weil der Alarmismus, der rund um die Schweinegrippe betrieben wird, eben auch von diesen Politikern befördert wird.
„Diesen Streit aber auf dem Rücken der Versicherten auszutragen, ist frech und verantwortungslos. Die sind nun doppelt verunsichert: Sie wissen nicht, wie gefährlich die Grippe für sie wird, und sie haben nun noch Angst, dass sie weiter geschröpft werden.“
Dieses Fazit von Christian Lomoth ist demzufolge ebenfalls als scheinheilig zu bezeichnen. Denn die Gesundheitsreformen der Vergangenheit sind in ihrer Ausgestaltung mit voller Absicht darauf ausgerichtet, die Versicherten verstärkt zur Kasse zu bitten. Die unsolidarische Verschiebung von sozialen Kosten auf die Bürger bei gleichzeitiger Entlastung von Unternehmen und höheren Einkommen kommt hier wieder zum Ausdruck.
Die Journalisten spielen das falsche Spiel fleißig mit. Zuerst begrüßen sie den Senkungswahn bei den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversischerung und die Reformitis der Politiker, um im Nachhinein darüber zu klagen, dass Kosten einfach nur einseitig verschoben wurden. Den Trägern wirft man zudem vor, nicht richtig gespart bzw. gewirtschaftet zu haben, um von der politisch betriebenen Umverteilungsorgie abzulenken.
Grundsätzlich halte ich die Diskussion um die Schweinegrippe und jetzt auch um die Finanzierung der Impfaktion für ein politisches Ablenkungsmanöver. Der eigentliche Skandal unserer Zeit schlägt sich schließlich in der Antwort der Bundesregierung auf die Finanz- und Wirtschaftskrise nieder. Nur soll man darüber nicht so laut diskutieren.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.