Schwarz-gelber Sozialstaat bei Anne Will

Geschrieben von: am 02. Nov 2009 um 14:38

Gestern konnte man bei Anne Will sehr schön die hässliche Fratze der schwarz-gelben Sozialpolitik bestaunen. Ich hoffe, dass sich viele CDU und FDP Wähler die Sendung angeschaut haben. Am Widerlichsten war dabei der Vergleich der Kfz-Versicherung mit der gesetzlichen Krankenversicherung. Da fühlte man sich gleich an den Wahlkampf 2005 erinnert. Der FDP-Schmierlappen Martin Lindner und die CSU Frau Haderthauer reagierten auf einen Einspieler, in dem Autofahrer die Höhe ihre Kfz-Prämie nannten und provokativ gefragt wurden, warum sie denn nicht auch Geld in eine Krankenvericherung investieren würden.

Lindner und Haderthauer meinten dann auch unverblümt, dass derjenige, der viel Geld im Jahr für die Versicherung seines Autos übrig hat, auch einen Beitrag abführen könne, um sich selbst vor den Krankheitsrisiken abzusichern. Da fiel dann auch das zu Beginn geheuchelte Sozialausgleich-über-Steuern-Getue der beiden. Besonders amüsant fand ich Martin Lindners Argument. Der wollte doch den Zuschauern allen Ernstes weißmachen, dass das alte Bismarcksche Sozialsystem deshalb nicht mehr zeitgemäß sei, weil sich die Bevölkerungspyramide verändert habe. Zu Bismarcks-Zeiten hätte es viel mehr Jüngere Menschen gegeben, die mit 17 Jahren angefangen hätten zu arbeiten und weniger ältere Menschen, die mit 60 gestorben seien. Heute hätten wir dagegen eine Alterspyramide, die sich umdrehe. Darauf müsse man dann halt „radikal positiv“, wie er es selbstlobend nannte, reagieren.

Bei so einem wirren Scheiß von jemanden, der als bekennender, bereits einmal geschiedener, Katholik einmal vorschlug, ein Sitzrecht für Kirchensteuerzahler in Weihnachtsgottesdiensten zu gewähren, dreht sich mir der Magen um. Zu Bismarcks Zeiten muss es den Menschen ja richtig gut gegangen sein, weil die Bevölkerungspyramide so toll aussah. Aber nein, in dieser Zeit herrschte große Armut, es gab noch Kinderarbeit. Erst 1904 trat das Kinderschutzgesetz in Kraft, das gewerbliche Arbeit für Kinder unter 12 Jahren verbot. Und 60 Jahre alt wurden die damaligen Beitragszahler auch nicht, wie Märchenonkel Lindner uns erzählen will. Die meisten starben mit 40. Das Renteneintrittsalter lag unter Bismarck aber bei 70. Und eine Rente bekam nur der, der auch 30 Jahre eingezahlt hat, bei einer 60 Stunden Arbeitswoche.

Die Veränderung der Bevölkerungspyramide scheidet als Argument für eine Privatisierung der Sozialversicherung aus, weil nicht eine höhere Anzahl jüngerer Menschen im Vergleich zu den Alten entscheidend für das Generationensystem ist, sondern die Frage, wie viel von der volkswirtschaftlichen Leistung, ugs. Kuchen, verteilt wird. Wenn es aber dann so ist, dass sich Reichtum zunehmend in den Händen weniger ansammelt, während der Mehrheit Verzicht gepredigt wird, sollte man doch eher nach der wirklichen „Hirnverbranntheit“ der FDP fragen, als diesen gelben Versicherungsvertretern in ihrem „radikalen Zerstörungswillen“ auch noch freudig zuzujubeln. Angesichts der Wirtschaftskrise bleibt mir die Reaktion des Publikums ein Rätsel.

Aber sehen sie sich die Sendung selbst an.
http://daserste.ndr.de/annewill/videos/annewill1428.html

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Teja552  November 2, 2009

    Über die Reaktion des Publikums kann man eh nur den Kopf schütteln und wer eine KFZ-Versicherung mit einer Krankenversicherung vergleicht, der ist noch mehr als “ Hirnverbrannt „!

    Schon die Aussage, das ein Manager genau soviel einzahlt wie eine Reinigungskraft, der weiß wohin der Zug fährt!