Manche Meldungen sind einfach grotesk. Am gestrigen internationalen Tag der Jugend haben sich Forscher und Medien mal wieder mit der Frage beschäftigt, warum die Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern so hoch ist. Die Antwort vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist erstaunlich: „Den Jugendlichen fällt es schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, wenn der Kündigungsschutz strikt ist oder es einen hohen Mindestlohn gibt.“ Im Klartext heißt das doch: Entlassungen senken die Arbeitslosigkeit.
Denn die Betriebe würden nur einstellen, wenn sie ihre Mitarbeiter auch leichter wieder feuern können, so die abstruse Logik. In Griechenland werden Massenentlassungen von den Gläubigern sogar explizit gefordert, offenbar um die Arbeitslosigkeit zu senken und der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. In Griechenland, in dem 52,4 Prozent der jungen Menschen bereits arbeitslos sind, sollen weitere Entlassungen zu einer Besserung der Lage führen. Ein schräger Glaube.
Gescheiterte Jugendgarantie
Natürlich ist das Problem auch den europäischen Institutionen bekannt. Etwa jeder fünfte Europäer unter 24 Jahren ist ohne Job. Die Europäische Kommission hatte deshalb bereits vor zwei Jahren eine entsprechende Initiative gestartet. Jugendgarantie nennt sich das bislang erfolglose Konzept zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Rund 12,7 Milliarden Euro stehen im EU-Haushalt bis 2020 dafür zur Verfügung.
Dieses Konzept muss scheitern. Aber nicht nur wegen der schwachen Finanzausstattung, es scheitert auch, weil sich an den Ursachen der Krise, den bestehenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten, nichts ändert. Deutschland hält an seinen Überschüssen fest und verlangt von den Südeuropäern gegen jede mathematische Logik, es ihm gleichzutun. Mit brutaler Kürzungspolitik soll zunächst eine Haushaltskonsolidierung und dann ein Primärüberschuss erzielt werden. Dieser, so der Glaube, könne dann in Form von Investitionen in die Wirtschaft fließen und Wachstum erzeugen.
Doch “die Wirtschaft” gibt es immer weniger. Der Schaden, der durch die Austeritätsprogramme angerichtet wird, ist sehr viel höher, als das Wachstum, das man sich davon verspricht. Gesundschrumpfen funktioniert in der Praxis nicht, sondern führt zur Massenarbeitslosigkeit und zum Massenexodus. Das hat die bisherige Krisenpolitik gezeigt. Die beste Jugendgarantie wäre daher eine Abkehr von den Kürzungsdiktaten. Gleichzeitig muss der Staat den Einbruch der privaten Nachfrage mit Hilfe von Konjunkturprogrammen kompensieren.
Hier wäre Deutschland übrigens tatsächlich ein Vorbild. Als im Jahr 2009 die Krise voll durchschlug und die Wirtschaft um fünf Prozent einbrach, legte die Bundesregierung Merkel/Steinbrück gegen die eigene Grundüberzeugung Konjunkturprogramme auf und weitete das Budgetdefizit ganz bewusst aus. Der Kündigungsschutz wurde nicht gelockert, sondern das Kurzarbeitergeld ausgeweitet, damit die Firmen von Entlassungen absehen. Merkel sagte damals im Interview mit der Frankfurter Rundschau:
Wir tun alles, dass die Arbeitslosigkeit nicht allzu sehr zunimmt und unsere Binnenkonjunktur stabil bleibt. Natürlich weiß ich, dass die Schulden hoch sind, aber wir müssen im Augenblick antizyklisch denken. […] Wir dürfen nicht den Fehler machen, einen Reha-Aufenthalt mit einer Abmagerungskur zu verwechseln. Und das sage ich, obwohl ich unverändert im Interesse der kommenden Generationen für einen nachhaltigen Schuldenabbau bin.
Regeln gelten nur für die Schwachen
Konjunkturprogramme sind das eine, das andere ist eine abgestimmte Lohnpolitik in einem einheitlichen Währungsraum. Das hat seit Bestehen der Eurozone aber nicht funktioniert. Nur Frankreich hat sich an die Regeln gehalten und das verabredete Inflationsziel von annähernd zwei Prozent über eine Dekade eingehalten. Alle anderen wichen davon ab. Der Süden schoss weit darüber hinaus und Deutschland als mächtigste Wirtschaftsmacht schritt deutlich darunter hindurch. Die Folge: Massive Ungleichgewichte.
Die deutsche Öffentlichkeit macht dafür aber allein die schludrige Haushaltsführung der Südeuropäer verantwortlich, die es ohne Aufweichung der Stabilitätskriterien nicht gegeben hätte. Doch über den Vertrag von Maastricht setzte sich vor allem Deutschland im Jahr 2003 hinweg, um einem Defizitverfahren zu entgehen. Der anschließende Aufstieg zum Exportweltmeister zeigt, dass nicht der Süden, sondern Deutschland die lasche Auslegung der Regeln für sich zu nutzen wusste.
Sich jetzt über Stimmen zu beschweren, die fordern, Deutschland müsse für den angerichteten Schaden ebenfalls die Verantwortung übernehmen, ist unverständlich und bestätigt den Verdacht, dass Regeln nur für die Schwachen zu gelten haben. Defizite und Überschüsse sind aber zwei Seiten derselben Medaille. Gerade zu absurd ist es daher, die Schuld an der Misere allein dem Schuldner zuzuschreiben und Solidarität nur gegen eine vermeintliche Solidität gewähren zu wollen, während sich an der unhaltbaren Wettbewerbsposition Deutschlands unter keinen Umständen etwas ändern darf.
Mit dieser Einstellung kann die Jugendarbeitslosigkeit nicht sinken. Sie wird sich weiter verschärfen und die Menschen entweder dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen oder sich zu radikalisieren. Die Diskussion in Deutschland, die durch die Aussage des IW ganz gut beschrieben wird, läuft daher völlig am Thema vorbei. Das Gerede über strukturelle Gründe, die es in den Krisenländern bloß zu lösen gilt, kombiniert mit dem obligatorischen Selbstlob des deutschen Ausbildungsmodells führt in die Irre.
Modell Deutschland führt in die Irre
Es gibt auch in Deutschland Regionen mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, in dem das so gepriesene Modell Deutschland einfach nicht funktionieren mag. Berlin zum Beispiel. Dort liegt die Quote bei derzeit 10,5 Prozent und damit fast doppelt so hoch wie es die offizielle Zahl für das gesamte Bundesgebiet ausweist (Quelle: statista, Arbeitslosigkeit nach Bundesländern)
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“Jeder dritte Berliner Auszubildende bricht seine Lehre ab”, titelte die Berliner Morgenpost am 11. Mai 2015. Bundesweit schlagen Experten ebenfalls Alarm, denn die Zahl der Ausbildungsverträge ist auf einem niedrigen Stand. Die OECD warnt Deutschland sogar vor überschwänglichen Projektionsphantasien. Das Modell Deutschland lasse sich nicht so einfach übertragen. Zudem gebe es auch Schwachstellen, wie die zunehmende Prekarisierung zeigt. Immer häufiger erhalten junge Menschen nur befristete Verträge und das Armutsrisiko dieser Bevölkerungsgruppe ist vergleichsweise hoch.
Hinzu kommt ein Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Unternehmen klagen ständig über einen Fachkräftemangel und Lehrstellenplätze, die unbesetzt bleiben. Gleichzeitig haben im letzten Jahr rund 80.000 Jugendliche keinen Ausbildungsvertrag erhalten, blieben also unversorgt oder traten notgedrungen eine “Alternative” wie z.B. berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, Praktika oder Einstiegsqualifizierungen an, wie aus dem aktuellen Berufsbildungsbericht der Regierung hervorgeht.
Sucht die Wirtschaft also nur den Superazubi? Nein, sagt der Arbeitgeberverband. Der Superazubi sei natürlich wünschenswert, aber auch die weniger gut Qualifizierten seien gefragt. Dem steht aber entgegen, dass die Betriebe insgesamt weniger ausbilden. Die Begründung der Arbeitgeber: Man findet halt keine Bewerber. Heißt: Den Fachkräftemangel bekämpft man mit weniger Ausbildungsplätzen.
Das ist ähnlich logisch wie der Glaube, dass Massenentlassungen zu einer geringeren Arbeitslosigkeit und einer Belebung der Wirtschaft führen.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.