Nun kann man es nicht mehr leugnen. Auch Deutschland befindet sich in einer Rezession. Noch vor ein paar Wochen haben Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Medien standhaft behauptet, die deutsche Wirtschaft sei robust. Und nun? Innerhalb der EU schrumpft unsere Volkswirtschaft neben der von Italien am stärksten.
Und das, obwohl wir in den letzten Jahren alles dafür getan haben, wettbewerbsfähig zu sein. Der Sozialstaat wurde abgebaut. Die Unternehmen großzügig entlastet. Spätestens jetzt müsste man einsehen, dass die Agenda 2010 alles andere als ein nachhaltiges Reformprojekt war.
Plötzlich diskutiert man auch über Konjunkturprogramme. In diesem Zusammenhang ist mir neulich Guido Westerwelle aufgefallen, der das Programm der Regierung richtigerweise kritisierte als er sagte, dass kein Mensch wegen einer Erparnis von ein paar hundert Euro bis Mitte 2009 nun ein Auto kaufen würde. Die Menschen bräuchten Sicherheit.
Richtig Guido, habe ich da gedacht. Ein Mindestlohn wäre z.B. nicht schlecht. Dann könnten einige Arbeitnehmer, die gezwungen werden, mit ihren klappernden Altautos zu entlegendsten Arbeitsplätzen zu fahren, um einer Kürzung ihrer Hartz IV Bezüge zu entgehen, wenigstens die anfallende Kfz-Steuer bezahlen.
Die Menschen brauchen Sicherheit. Plötzlich haben auch die Weisen des Sachverständigenrates erkannt, dass ein umfassendes Konjunkturprogramm dringend erforderlich sei. Noch im Frühjahr wollten sie davon nichts wissen. Da sollte die Binnenkonjunktur als Motor der Wirtschaftsleistung wie von Geisterhand einfach so anspringen. Von Geisterhand deshalb, weil die Weisen es gleichzeitig ablehnten, höhere Lohnabschlüsse zu fordern, ja sogar davor warnten.
Und nun? Der Einzelhandelsumsatz ist abermals deutlich eingebrochen. Seit nunmehr fast einer Dekade schaut man dieser Entwicklung tatenlos zu. Die Jubelschreie, die einer Exportweltmeisterschaft nach der anderen folgten, ließen die Rufe nach einer Poltik, die die Binnennachfrage stärkt als populistisch verstummen. Vorfahrt für Arbeit hieß das Programm. Und die sinkenden, aber manipulierten, Arbeitslosenzahlen, nahmen die Großkoalitionäre als Bestätigung ihrer Politik.
Dabei waren die sinkenden Arbeitslosenzahlen doch nur eine Folge der guten Weltkonjunktur, von der Deutschland mäßig profitierte und nicht die Reformen. Es muss doch so sein. Denn den Abschwung, so die Weisen, hat schließlich die Weltkonjunktur zu verantworten. Und weil jetzt alle wissen, dass wir uns in einer Rezession befinden, weckt die Idee von einem europäischen Zukunftspakt neue Sympathien.
Christoph Slangen kommentiert in der Neuen Presse mal wieder in seinem typisch widersprüchlichen Stil, als er Steinmeiers aktuelle Vorschläge würdigt.
Gegen eine staatenübergreifende Rezession sind auch gemeinsame internationale Bemühungen gefragt.
Aha. Sonst nervt uns Slangen mit Kommentaren über steigende Wettbewerbsfähigkeit, sinkende Abgaben und dem Rückbau des Sozialstaates. Offenbar vollkommen blind gegenüber den internationalen Wirkungen seines umgesetzten Denkens. Seit Jahren betreiben wir in der EU einen Steuersenkungswettlauf. Die Politik Merkels bestand in einem wirtschaftspolitischen Sonderweg, der unseren Nachbarn schwer zu schaffen machte. Unsere Exportweltmeisterschaften und Handelsbilanzüberschüsse sind nämlich die Defizite unserer Partner in der EU – z.B. Frankreich.
Und nun schlägt Slangen gemeinsame Bemühungen vor. Dieser Journalist ist immer für einen Schenkelklopfer gut. Erst hilft man kräftig mit, die internationale Realwirtschaft zu schädigen und nun, da die Auswirkungen der Finanzkrise auf die reale Wirtschaft durchschlagen und der Hauptprofiteur der alten Ordnung nun dumm aus der Wäsche guckt, kommen die Experten mit Kooperationen als Lösungsvorschlag.
Wie wäre es zur Abwechslung mal mit einer vernüftigen Makropolitik? Eine Politik, die mehr das konjunkturelle Wachstum im Blick hat, als den Handelsbilanzüberschuss. Man hätte schon viel früher drauf kommen können. Stattdessen hat man schon von „Boom“ gefaselt, wo andere bereits Angst vor einer Rezession kriegen. Stattdessen hat man von „robust“ gefaselt, wo schon absehbar war, dass Deutschland eine internatione Wirtschaftskrise am härtesten treffen würde.
Im Grunde bleibt nur der Befund, dass bereits die herrschende Denkfähigkeit als rezessiv beschrieben werden muss. :(
NOV
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.