Derzeit ist die Öffentlichkeit total gebannt vom neuerlich stattfindenden Geschacher um den Posten des obersten und an sich bedeutungslosen Grußonkels der Republik. Abseits davon hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble angekündigt, schon 2014 also zwei Jahre früher als geplant – die Schuldenbremse einhalten zu wollen. Dafür plant er ein weiteres Sparpaket in Höhe von etwa zehn Milliarden Euro aufzulegen, das im Kampf gegen das eigene Volk als weiterer Schlag verstanden werden muss.
Vor zwei Jahren nannte Georg Schramm das erste Sparpaket der Bundesregierung eine Kriegserklärung an die absolute Mehrheit des Volkes, das gar kein Vermögen hat, das man in Sicherheit bringen könnte.
Und so ist es auch jetzt wieder. Schäuble weiß, dass die Wirtschaft an Fahrt verliert. Europa versinkt in der nächsten Rezession und Deutschland wird das hart zu spüren bekommen. Noch glauben viele das Märchen vom nie endenden Aufschwung und einem robusten Arbeitsmarkt, der vor allem dafür sorge, dass der private Konsum gestärkt werde, auf den die konjunkturelle Entwicklung letztlich angewiesen sei. Allein die offensichtlich mit Absicht nicht erkannte Realität straft diese Darstellung Lügen.
Geplant sind vor allem Kürzungen im Bereich der Sozialversicherung. So sollen die Bundeszuschüsse zur Kranken- und Rentenversicherung um Milliardenbeträge gekürzt werden. Bei der Arbeitslosenversicherung sind noch einmal Einsparungen von mehreren hundert Millionen Euro vorgesehen.
Das einst mit viel Getöse eingeführte Elterngeld soll nun gedeckelt werden. Offensichtlich ist auch bei der Regierung die Botschaft angekommen, dass von der Sozialleistung vor allem gutverdienende Eltern profitieren. Gerade bei der Gruppe der Besserverdienenden ist somit ein Mitnahmeeffekt feststellbar, während Geringverdiener oder Eltern mit gar keinem Einkommen nach Abschaffung des Erziehungsgeldes mit deutlich weniger oder gar keinem Elterngeld (Hartz-IV-Empfängern wurde die Leistung zum 1. Januar 2011 komplett gestrichen) auskommen müssen.
Bei der Kürzung von Bundeszuschüssen zu den Sozialversicherungen spielt Schäuble das bekannte neoliberale Spiel der systematisch betriebenen Verarmung des Staates. Dabei werden zunächst mit diversen Reformen die Arbeitnehmer/Versicherten durch Aufkündigung der paritätischen Finanzierung sowie durch eine Übertragung von Leistungen auf die Versicherungsgemeinschaft, für deren Finanzierung eigentlich die Allgemeinheit, also alle Steuerzahler, zuständig sind, einseitig belastet. Danach schießt der Staat Steuermittel zu, um die entstandene Finanzierungslücke auszugleichen. Im Anschluss werden diese Mittel nun mit Verweis auf eine angeblich gute Konjunktur sowie die schlechte Kassenlage und die Schuldenbremse wieder eingespart.
So bekommt niemand mit, dass die Mehrheit der Bevölkerung schlichtweg um Leistungen betrogen wird. Gleichzeitig gelingt es dem Bundesfinanzminister, in der Öffentlichkeit als erfolgreich agierender Politiker dazustehen, dem die Haushaltskonsolidierung nach so vielen Jahren der gescheiterten Versuche nun endlich zu gelingen scheint.
Nicht aus Notwendigkeit solle der Staat machtloser und ärmer werden, sondern aus Prinzip. (zit. nach Barbara Supp, via NachDenkSeiten)
Nach dem volkswirtschaftlichen Sinn eines ausgeglichenen Haushalts fragt indes niemand mehr. Ihn zu erzielen, gehört aber für viele in diesem Land zu einem unumstößlichen Anspruch, kurzum zu einem Dogma, dem mit Argumenten kaum beizukommen ist.
Der gute deutsche Haushaltspolitiker sorgt für die Zukunft vor, indem er spart und den Gürtel enger schnallt, wenn es einmal schlecht läuft. Er wird unterstützt von vielen, die fest daran glauben, dass buchstäblich jeder seine Ausgaben und Einnahmen ausbalancieren muss. Das ist aber sogar im Lichte der herrschenden ökonomischen Lehre falsch. Wenn in einer Wirtschaft investiert werden soll – und in welcher sollte nicht investiert werden?-, würde selbst diese Lehre sagen, man müsse unbalanciert vorgehen, einer müsse also sparen, sprich weniger ausgeben als einnehmen, und ein anderer müsse sich verschulden, um zu investieren.
Suggeriert man den Bürgern jedoch, dass sie zwar sparen dürfen, die anderen aber gleichwohl ihre Einnahmen und Ausgaben ausgleichen sollen, dann ist dies gefährlicher Unsinn, weil man damit ein Rezept verordnet, das zwingend darauf hinausläuft, dass die Wirtschaft in einer schweren Rezession und einer immerwährenden Schrumpfung versinkt.
Quelle: Heiner Flassbeck, Zehn Mythen der Krise, S.20
Menschen, die es dennoch versuchen und der herrschenden Lehrmeinung widersprechen, werden bezichtigt, einer Sinnestäuschung zu unterliegen, schreibt Jens Berger in seinem ersten Buch Stresstest Deutschland. Positionen, die nicht im Einklang mit der vorherrschenden Meinung stünden, würden von den Medien lieber links liegengelassen oder ausgeblendet, sagt er. Dabei ist klar:
Wann immer über die angeblich horrende Staatsverschuldung palavert wird, sollte man im Hinterkopf behalten, dass Deutschland nahezu schuldenfrei wäre, wenn die Regierungen Kohl, Schröder und Merkel die Staatseinnahmenquote nach der Wiedervereinigung nicht durch teilweise groteske Steuersenkungen für Unternehmen und Besserverdienende gesenkt hätten. (S.14)
Der Verlauf der Krise zeige aber noch etwas anderes. Dringend benötigte Konjunkturprogramme könnte Deutschland im Augenblick so günstig finanzieren wie nie. Zwar sei der Schuldenstand absolut und auch real gestiegen, die Zinslast während der Finanzkrise aber erheblich gesunken.
Die populäre Behauptung, nach der Deutschland aufgrund der Schuldenproblematik keinen Spielraum hätte, um haushaltspolitisch gegen die massiven Folgen der Finanzkrise anzugehen, ist bei näherer Betrachtung nicht haltbar. Doch statt mit Hilfe antizyklischer Finanz- und Wirtschaftspolitik die Krisenfolgen einzudämmen, die Binnennachfrage zu stärken und damit als stärkste Europäische Volkswirtschaft die dringend benötigte Rolle einer Wachstumslokomotive zu übernehmen, verfolgt die deutsche Regierung eine prozyklische Sparpolitik und nutzt ihren gewonnenen Einfluss darüber hinaus auch noch dazu, ihre neoliberale Schockstrategie auf die gesamte Eurozone auszudehnen. Deutschland nutzt die Gunst der Stunde, um ganz Europa auf den neoliberalen Kurs deutscher Machart zu zwingen. (S.218)
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.