Während sich die neue EU-Kommission längst vom Aufschwung verabschiedet hat und die Entwicklung der Wirtschaft in der Eurozone und vor allem Deutschland halbwegs realistisch einzuschätzen vermag, mauert das politische Berlin. Beim Arbeitgebertag trafen daher Not und Elend aufeinander.
Das Land taumelt am Rande einer Rezession und der Wirtschaftsminister warnt. Nicht vor einer Krise, die längst da ist, sondern vor einer, die nur herbeigeredet werde. Denn als Wirtschaftsminister glaubt Sigmar Gabriel wie seine Vorgänger auch, ganz fest an das Wachstum und jenen Pfad, auf dem es seit Jahren nur dahin schleicht. Nun ist es elendig verschieden, doch Anlass für eine Kurskorrektur sieht die Bundesregierung nicht. Sie mauert sich weiter ein.
Glaube hilft nicht weiter
Beim Treffen der Arbeitgeber darf die Kanzlerin unwidersprochen sagen, dass die deutsche Wirtschaft keineswegs an einer Wachstumsschwäche im Innern leide, schließlich sei der private Konsum eine starke Stütze. Die muss man sich aber einbilden, denn sichtbar ist sie nicht, nicht mal als Krücke. Die gesunkenen Wachstumserwartungen, so die Kanzlerin, gehen vor allem auf geopolitische Risiken sowie die Ukraine-Krise zurück, an deren Verschärfung die Außenpolitik der Bundesregierung natürlich vollkommen schuldlos ist.
Die Regierung Merkel begreift die konjunkturelle Lage als Herausforderung, tut aber nichts weiter, als die gescheiterten Rezepte, die ja nur Glaubenssätze sind, wieder und wieder aufzuwärmen. Beispiel Lohnnebenkosten. Ihnen geht es immer dann an den Kragen, wenn die Zeiten düster werden. Sie sind daher eine beliebte Stellschraube der Politik. Denn eine Senkung der Beiträge entlaste ja Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, so die Lehre.
Dass aber nur der Arbeitgeber Kosten spart, während dem Arbeitnehmer der Lohn und die Sozialversicherungsleistung gekürzt werden, sagt die Regierung nicht. Sie glaubt ganz fest daran und mit ihr die Arbeitnehmer, dass die Arbeitgeber die eingesparten Kosten in Investitionen schon umsetzen und damit mehr Arbeitsplätze schaffen werden. Eine Fehlannahme wie die Realität beweist, die allerdings vom Glaubensdogma und immer neu vermeldeten Beschäftigungsrekorden regelmäßig in den Schatten gestellt wird.
Von der Last der permanenten Begünstigung
Seit Jahren werden die Investitionsbedingungen für Unternehmen verbessert. Steuern wurden gesenkt, der Arbeitsmarkt flexibilisiert und das Bildungssystem nach den betriebswirtschaftlichen Wünschen der Arbeitgeber umgebaut. Genutzt hat es nichts. Zwar explodierten die Gewinne, diese standen als Investitionen im Inland aber nicht zur Verfügung. Zum einen, weil die Erwartungen von Anteilseignern vorrangig zu bedienen waren, zum anderen aber auch, weil die gesamtgesellschaftliche Nachfrage fehlte, die ein Investment hätte lukrativ erscheinen lassen.
Die Folge: Das Geld fließt in Form von Krediten ab und Deutschland ist abhängig von Märkten, auf denen tatsächlich Nachfrage herrscht. Das leugnet selbst die Bundesregierung nicht und nennt das ganze Wettbewerbsfähigkeit. Dabei verschuldet sich das Ausland aber bei uns mit rund 200 Milliarden Euro pro Jahr. So hoch ist nämlich der Bilanzüberschuss, den die Bundesrepublik ausweist. Das heißt konkret, dass die Mittel für Investitionen im Inland zur Verfügung stünden. Warum sollten dann also Firmen weiter entlastet werden, wie die Arbeitgeberlobby fordert und die Kanzlerin in Aussicht stellt?
Angebliche Belastungen sind nicht das Problem, sondern eine fehlende Nachfrage. Die kann sich aber nur dann entwickeln, wenn die Arbeitnehmer auch an den wachsenden Gewinnen beteiligt würden. Nur so hätten die bisherigen Aufschwungsfantasien der Politik, die bereits Wahnvorstellungen gleichen, eine Chance vom Reich der Träume in die Wirklichkeit überführt zu werden. Danach sieht es aber nicht aus, weil nicht einmal die Worte Nachfrage und Lohn im Glaubensbekenntnis der handelnden Akteure einen Platz finden.
Von der Schutzbedürftigkeit der Wertschöpfungskette
Löhne sind Kosten, die Arbeitgeber stören. Und was die Arbeitgeber stört, stört auch die Politik, der es schon reicht, wenn irgendwie Arbeitsplätze entstehen. Welche sind egal. Oder doch nicht? „Du sollst froh sein, Arbeit zu haben und nicht auch noch nach einem Lohn verlangen“, so könnte es in der Bibel der Arbeitgeber stehen. In Wirklichkeit stehen da aber Sätze wie: Ich warne davor, dass ein weiterer Eingriff, eine weitere Reglementierung und auch eine weitere Reduzierung der Flexibilität am Ende ganze Wertschöpfungsketten gefährdet. (Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth im Handelsblatt).
Gemeint sind Werkverträge, die angeblich Wertschöpfungsketten schützen und in deren unternehmerische Gestaltung sich niemand einmischen dürfe, weil sie vom Himmel direkt in den Schoß der Arbeitgeber fielen. Das stimmt nicht ganz. Denn die berühmten Arbeitsmarktreformen einer rot-grünen Bundesregierung gelten eindeutig als weltliche Ursache für diesen Trend und einer bis heute ungebrochenen Konjunktur im Bereich der Leiharbeit.
Dann gab es aber noch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2010, das die ausgehandelten Tarifverträge zwischen Scheingewerkschaften wie der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP) für ungültig erklärte und den um ihren Lohn betrogenen Beschäftigten ein Klagerecht einräumte. Das wiederum führte zu den Werkverträgen wie wir sie heute kennen und bei denen Mitbestimmung durch Arbeitnehmer grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Missbrauch ist nicht gleich Missbrauch
Bloß keine Regulierung, fordern die Arbeitgeber daher, was nicht heißt, dass dieser Grundsatz auch für die Tarifpolitik gilt. Hier liegen die Interessen bekanntlich anders. In diesem Bereich stören Flexibilität und Deregulierung wieder, weil diese Bedingungen von den Arbeitnehmern ja ausgenutzt werden, um mit den Mitteln des Arbeitskampfes Forderungen zu stellen. Sie müssen schon verstehen, wenn die Arbeitgeber Scheingewerkschaften gründen, um quasi mit sich selbst Tarifverträge auszuhandeln, ist das eine kluge Politik, die Wertschöpfungsketten schützt. Wenn aber Arbeitnehmer den Spieß umdrehen und sich eine Gewerkschaft suchen, die ihre Interessen vertritt, ist das ein klarer Missbrauch der Tarifautonomie.
Dann muss die SPD als letzte Instanz zur Rettung von Arbeitgeberinteressen ran und ein Gesetz ausarbeiten, dass möglichst rasch für Klarheit sorgt und die Rechte von Arbeitnehmern beschränkt. Und so ist es auch. Das verfassungswidrige Gesetz zur Tarifeinheit liegt schon zur Verabschiedung bereit, wie Bundesregierung und Arbeitgeber im Gleichklang loben. Mit einer Regulierung der Werkverträge, von denen die SPD einst noch sagte, sie würden missbräuchlich Anwendung finden, will sich die Arbeitsministerin hingegen noch etwas Zeit lassen. Frühestens 2016 werde das Thema angegangen, so versicherte es Nahles den Personalvorständen.
Trotz dieser Fakten, bewundern die Medien die Kanzlerin dafür, dass sie den jammernden Arbeitgebern die Stirn biete und zum Beispiel an der Frauenquote festhalte oder im Angesicht zunehmender Altersarmut eine Senkung der Rentenbeiträge ankündigt. Es gebe wahrscheinlich wieder Spielräume, trotz schwächelnder Konjunktur? Dass die Senkung der Beiträge zuletzt noch ausgesetzt worden war, mit der Begründung, nur so Mütterrente und Rente mit 63 finanzieren zu können, wirft zwar Fragen auf, stört die Medien aber auch nicht weiter. Schließlich missbraucht die Kanzlerin ihren Posten ja nicht. Sie schwänzt ja nur einen anderen Beruf.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.