Realitäten anerkennen

Geschrieben von: am 17. Feb 2015 um 17:50

Wenn über Griechenland gesprochen wird, ist immer von einem Programm die Rede. Die Griechen sagen, es sei gescheitert. Die Eurogruppe sagt, es sei eine Bedingung. Damit geht es nicht wie vielfach behauptet um verhärtete Fronten, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, sondern darum, dass hier jemand die Realität nicht akzeptieren will.

Dass Schäuble und seine aalglatte Sprechpuppe Dijsselbloem die gesellschaftliche Wirklichkeit ausblenden, ist sonnenklar. Sie berufen sich auf eine Vertragsrealität und argumentieren juristisch nicht ökonomisch, wie Thomas Fricke schreibt. Während Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis neben ökonomisch vernünftigen Argumenten auch auf die humanitäre Lage in seinem Land verweist, die es zu beenden gilt, erntet er in diesem Punkt nur kühle Ignoranz. Es scheint fast so, als wollte Schäuble sagen, dass das Leid der Menschen in Griechenland nicht Gegenstand der Verhandlungen in Brüssel sein könne.

Teutonische Selbstüberschätzung

Ihm tun die Griechen trotzdem leid, aber nicht, weil sie leiden, sondern weil sich ihre Regierung (dem deutschen Finanzminister gegenüber) unverantwortlich verhalte. An der verwüsteten griechischen Gesellschaft ist Schäuble nicht sonderlich interessiert. Er hält die Demütigung, die das Eingeständnis, bei der Eurorettung völlig versagt zu haben, mit sich brächte, für weitaus schlimmer. Wie stünde Europa auch da, in dem seit Ausbruch der Krise endlich wieder Deutsch gesprochen werde.

Haushaltsdisziplin, schwarze Null und eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang: Das sind die Eckpfeiler, auf denen ein neuer teutonischer Größenwahn beruht und manchen hierzulande glauben lässt, Deutschland sei ein Musterschüler mit Vorbildfunktion. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis glaubt nicht daran, denn er weiß es aufgrund seiner Ausbildung einfach besser. Er bezeichnet das alte Kürzungsprogramm, an dem Juristen wie Schäuble festhalten wollen als Ursache des Problems und nicht als Lösung.

Da spricht ein Fachmann, der volkswirtschaftliche Zusammenhänge versteht und daraus seine Schlüsse zieht. Schäuble ist auch Fachmann, aber nicht auf dem Gebiet der Ökonomie. Er ist vielmehr ein Vollstrecker, der einer vorgegebenen politischen Agenda folgt. Davon lässt er sich weder durch Vernunft noch durch sein offenkundiges Scheitern abbringen. Neben Varoufakis wirkt Schäuble aber nicht sonderlich kompetent. Das führt zu kindischen Reaktionen (Ultimatum) oder zu Frechheiten wie der Bemerkung Varoufakis hätte noch Luft nach oben.

Die griechische Regierung ist gespickt mit Wissenschaftlern, die an renommierten Hochschulen der Welt studiert und gelehrt haben. Sie werden trotzdem als Radikale oder Spinner bezeichnet, weil sie einen seit Jahren eingeübten Glauben bedrohen. Die Bundesregierungen bestehen in der Regel aus gelernten Berufspolitikern mit Sprechblasenzusatzausbildung, die ihre akademischen Grade zum Teil erschlichen haben. Die beruflichen wie wissenschaftlichen Abschlüsse werden von diesen Damen und Herren lediglich zur Dekoration getragen. Etwas mit der Praxis zu tun haben, wollen sie lieber nicht, es aber auf jeden Fall immer besser wissen.

Die Zeit läuft für beide Seiten ab

Im Schuldenstreit heißt es, dass vor allem Griechenland die Zeit davon laufe. Dass muss dann aber auch für die Gläubiger gelten, die im gleichen Boot sitzen und im Falle einer Zahlungsunfähigkeit auf Forderungen in Milliardenhöhe verzichten müssen. Schäuble warnt deshalb: Wenn das aktuelle Hilfsprogramm nicht ordnungsgemäß beendet werde, „wird eine schwierige Situation entstehen“. Nur für wen?

Für die Finanzmärkte wohl eher nicht. Denn da hat eine Pleite der Griechen ihren Schrecken offenbar verloren. Dort sitzen auch kaum noch Gläubiger, die um den Wert ihrer griechischen Staatsanleihen bangen müssten. Diese haben sie nämlich, Schäuble sei Dank, zu einem guten Kurs beim ersten Schuldenschnitt an die öffentliche Hand weiterreichen dürfen. Überhaupt hat sich die Dauer der Eurorettungsaktion für den Finanzsektor gelohnt. 77 Prozent der Hilfen gingen direkt dorthin.

Der Spiegel schreibt: “Von den bis Mitte 2013 nach Griechenland geflossenen knapp 207 Milliarden Euro sind gut 77 Prozent direkt (58,2 Milliarden für Bankenrekapitalisierung) oder indirekt (101,3 Milliarden für Gläubiger des griechischen Staates) an den Finanzsektor geflossen. Für den Staatshaushalt blieben aus den Rettungsprogrammen weniger als ein Viertel.” Griechenland war also nur eine Zwischenstation, um die eigentliche Bankenrettung, um die es in Wahrheit immer ging, zu verschleiern.

Auch diese Realität gilt es endlich anzuerkennen.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. selbstbetrug  Februar 17, 2015

    Alles, was Recht ist. Aber man sollte nicht vergessen wie und unter wessen Mithilfe, sich Griechenland in die EU gemogelt hat. Ich bin kein Freund von Schäuble aber, wenn solch ein existenzielles Thema behandelt wird, müssen alle Beteiligten zu ihren Schandtaten stehen und dazu gehört letztendlich auch die bewusst herbeigeführte Fehlgeburt des Euros.

    Das Projekt Euro ist nicht an der Idee gescheitert, sondern an seiner Umsetzung.

  2. ben  Februar 17, 2015

    Verstehe das Problem nicht. Verschuldet sind doch alle Staaten Europas und eigentlich der ganzen Welt über selbstgesteckte Ziele hinaus. Vertragsbruch aller Orten. Verschuldung ist die Devise (Antwort). Entschuldung durch Verschuldung. Nimmt das Volk nicht genug Kredit auf, dann macht das der Staat. Börse (Spielbank Nr. 1) jeden Tag beste Sendezeit. Dort kaufen wir unsere eigenen Schulden und die des Nachbarn als Anleihen, Staatsanleihen, Schuldverschreibungen, Bonds etc. und Ableitungen davon (Derivate (derive = abgeleitet) etc. Wer als erster das Geld abzieht nimmt das Geld der anderen mit – nur wann ist der Zeitpunkt?
    Finanzminister Varoufakis hat in den USA studiert. Er weiß das die USA permanent diesen Weg der Geld Generierung wählen. Div. Finanz “Experten” scheinen immer noch ernsthaft über Entschuldung nachzudenken. (- D- 300 Jahre bis zur Enschuldung, Japan 1000 Jahre). Oder geben das fürs Volk zumindest so vor das Volk schön sklavisch bleibt. Varoufakis und Tsipras liegen da völlig richtig. Dieses Geld-System ist eine MÄR und generiert wird das Geld eh aus dem nichts. Warum sollen da Griechen noch hungern müssen oder gar Abgaben mäßig in die Bredoullie kommen. Wenn Banken systemrelevant sind was sind dann Menschen?

  3. Michael_I  Februar 18, 2015

    Das Haus Europa wurde im Laufe der Jahre zu einem Kartenhaus.
    Unfähige und manchmal unbequeme Politiker wurden nach Brüssel wegbefördert und unter zunehmendem Einfluß der Wirtschaft verkamen Spitzenpolitiker von Persönlichkeiten zu Handlangern, Fachverständnis war keine Voraussetzung zum Nachteil und Berufung zum persönlichen Pech.
    Innerhalb weniger Jahre wurden Beleuchtungstechniken und ein Farbenspiel entwickelt, die das Haus lebensfroh glänzend erscheinen ließ und alle Beteiligten waren zufrieden.
    „Dumm und zufrieden“? Eine von Pelzig`s Pointen lautete nämlich so in seiner Kabarettsendung vom 4 Nov 2014. ( http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2266210/Pelzig-haelt-sich-vom-4.-November-2014?bc=kua884728 – ab Min. 2:40).

    Und nun?
    Nun hat sich ein Schmetterling auf die Spitze des Kartenhauses gesetzt. Und neoliberal gemästete Politiker kriegen Angst: Was, wenn die Menschen sich wieder an natürliche Farben erinnern, die Halogen-Farbenpracht nicht mehr gebraucht wird und die Wände einfach so erscheinen, wie sie – alternativlos – werden mussten: Künstlich beleuchtet, abgeblättert und düster. Unterschiedliche Grautöne, erhellt mit Farblampen.
    „Des Kaisers neue Kleider“ 2.0.1