Der Ifo-Geschäftsklimaindex bricht alle Rekorde. Seit 20 Jahren hätte es nicht mehr so einen tollen Stimmungsaufschwung unter den befragten Unternehmern gegeben. Da hat das Chef-Orakel vom Ifo-Institut natürlich allen Grund, Partylaune zu verkünden.
Quelle: Spiegel Online
Quelle: Ifo-Institut
Die akademischen Kaffesatzleser haben bei der Befragung der Glaskugelbesitzer nach deren Geschäftserwartungen einen Index errechnet, der auf eine Stelle nach dem Komma genau sein soll. Ich will die „Partylaune“ ja nicht verderben, aber das ist und bleibt noch immer „Volksverarschung im Quadrat“. Das Gefühl der befragten Unternehmen ändert zunächst einmal überhaupt nichts an den volkswirtschaftlichen Realitäten. Das Tolle ist aber, dass der Party-Professor diese Realitäten als Bestätigung für seine Weissagung nimmt.
Die deutsche Konjunktur hat sich in den vergangenen Monaten nach ersten Angaben nicht nur erholt, sondern unerwartet deutlich zugelegt. Die meisten Prognosen tendieren zwischen 1,5 und 2 Prozent – die Bundesrepublik befindet sich in einem überraschend starken Aufschwung, nach der tiefsten Rezession seit 1945. Dieser Trend schlägt sich nun auch in dem Stimmungswert des Ifo-Index nieder.
Eine Konjunkturprognose von gerade einmal 1,5 bis 2 Prozent ist also schon ein starker Aufschwung, wenn die Prognose denn auch zutreffend sein sollte? Denn richtige Prognosen abzugeben, haben die Institute in letzter Zeit kaum noch hinbekommen. Wahrscheinlich weil sie fest den Stimmungsbarometern vom Ifo-Institut und der GfK vertrauen. Aber nehmen wir einmal an, dass es tatsächlich zu einem Wachstum von 1,5 bis 2 Prozent kommen sollte, so wäre das mitnichten ein Aufschwung, den man als stark oder deutlich bezeichnen könnte. An der verordneten Euphorie merkt man nur, wie gewöhnt, man könnte auch manipuliert sagen, die deutsche Öffentlichkeit an mickrige Wachstumsraten bereits ist.
Vergleicht man einmal die durchschnittlichen deutschen Wachstumsraten aus der Vergangenheit, so wird man feststellen, dass die schon höher lagen. In den 70er Jahren gab es im Schnitt ein Wachstum um 2,8 Prozent (Periode 1970-1980) und in den 80er Jahren immerhin einen Schnitt von 2,6 Prozent (Periode 1980-1991). In den 90ern waren es nur noch 1,7 Prozent (Periode 1991-2000) und seit dem Jahr 2001 gab es im Schnitt Wachstumsraten von 0,6 Prozent. Würde man für das Jahr 2010 nun ein Wachstum von 2 Prozent annehmen, dann würde für die erste Dekade des neuen Jahrtausends eine Wachstumsrate von sage und schreibe 0,7 Prozent herauskommen. Da sollte man die Sektkorken natürlich knallen lassen.
Das es auf der Welt auch noch realistischere Einschätzungen zur wirtschaftlichen Entwicklung gibt, zeigen die USA. Dort erwartet man zum Beispiel ein Wachstum von 3 bis 3,5 Prozent für dieses Jahr und 3,5 bis 4,5 Prozent in den nächsten beiden Jahren. Diese recht positiven Zahlen führen nun aber weder zu einer Partylaune noch zu der Einschätzung, die Finanz- und Wirtschaftskrise überwunden zu haben.
Zwar sei die Erholung der US-Wirtschaft insgesamt auf einem guten Weg, weil unter anderem der private Konsum, Exporte und Investitionen der Unternehmen zugenommen hätten. So sei für 2010 mit einem Plus zwischen 3,0 und 3,5 Prozent zu rechnen und in den beiden Jahren danach mit 3,5 bis 4,5 Prozent. Doch gebe es derzeit große Abwärtsrisiken für das Wachstum, sagte der Fed-Chef.
Sorgen bereite insbesondere die zögerliche Erholung des Arbeitsmarkts. Im ersten Halbjahr dieses Jahres seien weniger neue Jobs geschaffen worden, als für eine nachhaltige Erholung notwendig gewesen wäre. „Sehr wahrscheinlich wird es viel Zeit brauchen, die fast 8,5 Millionen Arbeitsplätze wieder aufzubauen, die 2008 und 2009 verloren gingen“, sagte der Notenbankchef. Die zunehmende Langzeitarbeitslosigkeit könne dem privaten Konsum schaden und zu einem Verlust qualifizierter Fachkräfte führen.
Quelle: Spiegel Online
Eine kritischere Betrachtung des deutschen Arbeitsmarkts und des privaten Konsums durch Herrn Sinn würde vielleicht dabei helfen, die Lage etwas nüchterner zu sehen. In einer der jüngsten Meldungen des statistischen Bundesamts zur Entwicklung atypischer Beschäftigung, stand versteckt folgender Absatz.
Quelle: destatis
Trotz des Rückgangs im Krisenjahr 2009 ist die Anzahl der Personen in atypischen Beschäftigungsformen in den letzten zehn Jahren gestiegen. 1999 waren 19,7% aller Arbeitnehmer in atypischen Beschäftigungsformen beschäftigt. Bis 2009 ist ihre Anzahl um 1,8 Millionen Personen auf 7,6 Millionen angestiegen. Der Anteil hat sich damit im Jahr 2009 auf 24,8% aller abhängig Beschäftigten erhöht, was die gewachsene Bedeutung dieser Beschäftigungsformen unterstreicht.
Rund ein Viertel aller Beschäftigten befinden sich also in befristeten Arbeitsverträgen oder in der Leih- bzw. Zeitarbeit, kurz in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Laut statistischem Bundesamt hat diese Beschäftigungsform eine wachsende Bedeutung, die dann auch der Prof. (Un)Sinn aus München hätte zur Kenntnis nehmen müssen.
Welcher Wirtschaftsteil darf denn dann nach Prof. Sinn in Partylaune verfallen? Die gesamte deutsche Wirtschaft? Das ergäbe doch keinen Sinn. Die Exportwirtschaft dürfte sich auch nicht lange freuen, da es äußerst dumm wäre, auf die alten Schuldner zu setzen.
Die Welt insgesamt hat nichts davon, wenn ein Land durch Außenhandelsüberschüsse wächst, weil das automatisch zu Lasten der restlichen Länder geht.
Doch was für eine „Stärke“ ist das? Jede Milliarde Außenhandelsüberschuss der Deutschen, die beim hiesigen Wachstum positiv zu Buche schlägt, stellt im Rest der Welt ein Minus beim Wachstum dar.
Das deutsche Wirtschaftsmodell setzt . klar auf Exportüberschüsse und trägt damit entscheidend zur Entstehung neuer Krisen bei, weil hohe Handelsüberschüsse die Weltwirtschaft destabilisieren. Das liegt daran, dass Handelsungleichgewichte zwingend den Aufbau von Schuldenpositionen der Defizit-Länder bedeuten. Gibt es hier keine Umkehr, gewinnt ein Land also immer, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Abtragen der Schulden nur noch durch ihre abrupte Entwertung möglich ist.
Wie die europäische Krise zeigt, sind die Folgen solcher Eruptionen für beide, Gläubiger wie Schuldner, gewaltig.
Im Lichte dessen ist die Vermutung, Deutschland sei gestärkt aus der Krise gekommen, weil es wieder Schuldner gefunden hat, abenteuerlich.
Quelle: Zeit Online (Gastbeitrag von Heiner Flassbeck)
JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.