Wie ordnet man die militärische Intervention der internationalen Gemeinschaft in Libyen nun ein? Wie steht man zur Haltung der Bundesregierung, sich an den Angriffen nicht zu beteiligen, obwohl man dadurch ein drohendes und von Gaddafi angekündigtes Massaker unter der Zivilbevölkerung verhindern helfen könnte?
Im Augenblick scheinen sich auch viele Blogger und Linke, einer sonderbaren Wirklichkeit ausgesetzt zu sehen. Soll man einen Krieg gegen einen Irren befürworten, obwohl man Kriege ablehnt? Soll man eine Regierung und vor allem einen Außenminister unterstützen, die man lieber heute als morgen entsorgt sähe?
Schwierig. Man sollte es ganz nüchtern betrachten. Als ich hörte, dass die Franzosen darüber nachdachten, ihre Mirage-Kampfflugzeuge nicht einsetzen zu wollen, weil Gaddafi dieselben Maschinen verwendet und daher Verwechslungen befürchtet wurden, erinnerte ich mich an die vormals guten Beziehungen zwischen dem Despoten und seinen europäischen Partnern.
Der westlichen Werte- und Schicksalsgemeinschaft geht es doch keineswegs um die Beseitigung Gaddafis oder um den Schutz seiner Gegner sowie der leidenden Zivilbevölkerung. Wenn ich von den Amerikanern schon wieder höre, dass ihre Bomben präzise ins Ziel gelenkt würden, schüttelt es mich gewaltig.
Statt Freiheit, Demokratie und Befriedung als Motive, vermuten wir lieber mal handfeste Interessen hinter dem Engagement der Angreifer. Möglicherweise einen freien Zugang zu den Bodenschätzen Libyens.
Wenn das gegenseitige Töten damit zunächst ein Ende haben sollte, wäre dies jedoch nur ein erfreulicher Nebeneffekt der nach wie vor rücksichtslos imperialistischen Politik des Westens in der Region, die demokratische Kräfte nur dann zum Zuge kommen lässt, wenn sie eigenen Ambitionen nicht im Wege stehen.
Quelle: Hintergrund
Desinformation gehört natürlich auch zum Geschäft. Warum sollte Libyen eine Ausnahme sein?
Die Bundesregierung hält sich aber zurück, obwohl Frau Merkel vor einem anderen Krieg und in der Funktion einer Oppositionsführerin einmal meinte, dass die Drohung mit militärischen Konsequenzen als letztem Mittel, sowie das militärische Eingreifen selbst einem „Nein“ unbedingt vorzuziehen sei. Dafür flog sie extra nach Amerika, um dem damaligen Präsidenten, dessen Namen ich hier lieber nicht nennen möchte, in den Allerwertesten zu kriechen.
In Regierungsverantwortung haben Merkel und ihr Vize-Kanz-Nicht Westerwelle nun einmal mehr durch Unklarheit geglänzt. Fürchten beide die Wähler so sehr? Oder fürchten sie die eigenen Waffen, die man in großen Mengen an den guten Kunden Gaddafi verkaufte?
Im Bundestag begründete Westerwelle die deutsche Ablehnung damit, dass jeder Truppeneinsatz auch zivile Opfer fordere. Deshalb will man wohl auch die deutsche Präsenz in Afghanistan erhöhen, um die Amerikaner mit Blick auf Libyen zu entlasten. Die Logik müssen sie jetzt nicht verstehen. Aber wer hat den Westerwelle schon verstanden, als er sich in Kairo als Befreier der arabischen Welt feiern ließ, obwohl seine Kanzlerin den Ägyptern kurz vor dem Sturz Mubaraks noch empfahl, alles etwas ruhiger angehen zu lassen und vielleicht einen Sauna-Besuch einzuplanen?
Fest steht jedenfalls, nach der Wahl Deutschlands in den UN-Sicherheitsrat hat sich die Bundesregierung gleich blamiert. Westerwelle hätte den Einsatz deutscher Truppen auch bei einer Zustimmung zur Resolution ablehnen können, ohne dass ihm einer der Partner einen Vorwurf daraus gemacht hätte. Sarkozy ist sowieso daran interessiert, die Kampfkraft der Grande Nation unter Beweis zu stellen.
Seltsam bleibt die Entwicklung allemal. Zunächst passierte lange Zeit gar nichts, obwohl sich die Militärmacht Amerika mit Kriegsschiffen vor der Küste Libyens in Stellung brachte. Und nun haben die Kampfhandlungen rasch begonnen. Das riecht ein wenig nach einem erfolgreichen Deal zwischen dem Westen und den Despoten der Arabischen Liga, die ebenfalls mit inneren Unruhen zu tun haben, wie der Hintergrund schreibt.
Mit der Unterstützung demokratischer Kräfte hat die Durchsetzung der Flugverbotszone, sprich: der seit Wochen im Eiltempo vorbereitete Militäreinsatz gegen die libysche Regierung jedenfalls denkbar wenig zu tun. Denn wie sonst wäre der Umstand zu erklären, dass der Westen seine regionalen arabischen Hilfstruppen ausgerechnet in den despotischen Staaten des Golfkooperationsrats (GCC) sucht. Dessen Truppen sind seit ein paar Tagen darum bemüht, mit Duldung der USA den demokratischen Volksaufstand in Bahrain mit vereinten Kräften niederzuschlagen.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.